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Karoline Pilich, 19.9.2024

Mechanisierung in der Wiener Seidenindustrie

Mehr Maschine, weniger Mensch

Seit dem 18. Jahrhundert spielte die Seidenindustrie in Wien eine wichtige Rolle. Mit dem Einsatz von Webmaschinen änderten sich die Produktionsbedingungen jedoch fundamental – mit fatalen Auswirkungen auf einen beträchtlichen Teil der Bevölkerung. 

1784 entwarf der Engländer Edmund Cartwright die erste automatische Webmaschine, die er „Power Loom“ nannte. In Wien war zu dieser Zeit die Seidenweberei eine der größten Industrien überhaupt, für die fast jeder fünfte Arbeitende tätig war. Ein Großteil der Produktion erfolgte dabei in Heimarbeit. Hierbei beauftragten Großfabrikanten ihre Handweber, die ihre Webstücke zu Hause anfertigten. Vergleichsweise funktionierte das wie ein Verlagssystem. In zentralen Betrieben wurden die Rohstoffe gesammelt und im Anschluss an beliebig viele Weber verteilt. Weil die Löhne der Handweber sehr gering waren, musste der Arbeitgeber für diese wenig zahlen. Deshalb waren die Maschinenwebstühle zunächst unrentabel, denn diese kosteten mehr als die billigen Arbeitskräfte, die noch dazu eine gute Schulung hatten.

Dieser und weitere Gründe führten dazu, dass sich in Wien trotz der produktionstechnischen Innovationen zunächst kaum etwas änderte. Bis die Maschine an Seide angepasst und überhaupt eingesetzt wurde, dauerte es eine Zeit. Die ersten Webstühle waren zu grob für den feinen Faserstoff und zunächst nur für Baumwolle geeignet. Ab den 1850er Jahren setzte sich die Seidenweberei mit Maschinen durch.  

„Als dann der mechanische Webstuhl endgültig entwickelt und angepasst war, hatten die Arbeitgeber die Möglichkeit, alles in ihrer Fabrik produzieren zu lassen", erklärt der Wirtschafts- und Sozialhistoriker Michael Hödl von der Universität Wien, der an der Konzeption des Kapitels zum Vormärz und zum Biedermeier in der neuen Dauerausstellung des Wien Museums beteiligt war. Die Arbeit musste nicht mehr außer Haus gegeben werden, die Maschine war viel billiger und hatte somit fast ausschließlich Vorteile.   

Kranke Seidenraupen

Aufgrund der hohen Nachfrage nach Seide versuchte man in Wien, den Stoff nicht nur zu verarbeiten, sondern auch selbst zu produzieren bzw. mit der Rohstoffproduktion ein Geschäft aufzubauen. Nachdem die Versuche allerdings scheiterten, war man weiterhin auf Seidengarne aus Norditalien, Ägypten und der Levante angewiesen. In Wien verarbeitete man die Garne zu Stoffen, exportierte diese oder verarbeitete sie zu Kleidern, Schals – zu allem, was gerade gefragt war.

Mit der Zeit verschwand die Seidenindustrie allerdings aus Wien, Gründe dafür gab es mehrere. Einerseits verlor Österreich bei der Schlacht von Solferino 1859 die Lombardei, aus der der Großteil der Seide kam, dadurch verkaufte man weniger Seidenprodukte. Andererseits gab es von Frankreich ausgehend in ganz Europa eine Epidemie unter den Seidenraupen, aus deren Kokons die Seide gewonnen wird, was zu einer Teuerung führte. Zudem änderte sich der Geschmack der Bevölkerung, die Leute begannen, auch Baumwolle zu tragen.  

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Von der Gesellenwanderung zum Meister

Damit man damals überhaupt als Weber tätig sein konnte, musste man bei einer spezialisierten Zunft eine Lehre abschließen. Für die Seidenweberei gab es speziell die Seidenweberzunft. Fast jede anspruchsvolle Arbeit hatte eine Handwerksorganisation, wie zum Beispiel die Zunft der Seiler oder die Zunft der Geschirrmacher. Diese legten fest, wie lange man Lehrling bleiben musste, meistens waren es um die drei Jahre. Danach hatte man ein Gesellenstück vorzulegen. Als Geselle hatte man zumindest theoretisch dann die Möglichkeit, aufzusteigen und Meister zu werden. Dafür waren bestimmte Kriterien zu erfüllen, wie zum Beispiel Gesellenwanderungen – gleichermaßen also wieder eine Ausbildung. 

All das bestanden, konnte man seinen eigenen Betrieb aufmachen und hatte außerdem das Privileg der Ausbildung, das im 18. Jahrhundert nur Handwerksmeistern zustand. In vielen Fällen wurde den Gesellen jedoch der Traum vom „Meister sein” zerschlagen, denn in jeder Stadt galten sogenannte Meisterzahlen. Diese beschränkten die Anzahl der tätigen Meister. „Oftmals konnte ein Geselle dann einfach nicht mehr als Geselle sein", so Hödl. 

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Vom 18. auf das 19. Jahrhundert fing dieses System der Ausbildung an zu erodieren. Zum einen, weil immer mehr Nicht-Handwerker in das Geschäft eindrangen und Fabriken leiteten. Diese wussten zwar oft wenig vom Metier selbst, waren aber kaufmännisch routiniert. Zum anderen der Maschinen wegen. Durch die Mechanisierung verlor die Ausbildung an Wichtigkeit – mehr Maschine, weniger Handwerk – und somit weniger qualifizierte Arbeiter und Arbeiterinnen, letztere übernahmen oft Arbeitsschritte beim Weben – wie das Spulen und Winden. In den 1830er Jahren war bereits die Hälfte aller Beschäftigten in der Textilindustrie weiblich, bis sie schließlich die Mehrheit stellten. Handwerksorganisationen beschwerten sich jedoch, dass man Lehrmädchen und Frauen beschäftigte, da sie als billige Arbeitskräfte den Lohn nach unten drückten. Dieses soziale Phänomen sichtbar zu machen, war ein wichtiges Anliegen von Sarah Pichlkastner, die in der Dauerausstellung das Kapitel zu Vormärz/Biedermeier kuratiert hat. Dazu trägt eine Hörstation bei, die mithilfe von Tagebucheinträgen den fiktiven Arbeitsalltag einer Textilarbeiterin nachvollziehen lässt.  

Ebenfalls setzte man Kinder für spezielle Arbeiten ein. Die Schulpflicht wurde umgangen und sieben- oder achtjährige Mädchen und Burschen wurden hinter die Spinnmaschinen gesetzt. Kinder stellten ebenso billige Beschäftigte dar, erst im Laufe des 19. Jahrhunderts wurde die Schulpflicht stärker durchgesetzt und die Ausbeutung von Kindern damit eingedämmt. 

Durch Spionage nach Wien

Die Technologie der mechanischen Webstühle kam ursprünglich nicht aus Österreich, sondern aus England und teilweise Frankreich. Es war nicht so einfach, als Handwerker in Wien einen derartigen Webstuhl zu erwerben. Aus diesem Grund arbeiteten Unternehmen auch selbst daran, die Stühle zu entwickeln und zu verbessern. Mitunter kaufte man sie aus dem Ausland oder lockte Ingenieure an, um hier gegen Bezahlung die Webmaschinen aufzustellen. Eine weitere Methode war Industriespionage. Michael Hödl erklärt: „Man reiste nach England, um den Bauplan der Maschinen zu studieren. Dass sich die Länder zu dieser Zeit voneinander abschotten wollten, um die Technik geheimzuhalten, erinnert an die Entwicklungen der jüngsten Vergangenheit.” 

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Proteste und Folgen

Als sich in den 1850er Jahren in Wien endgültig die Seidenweberei mit mechanischem Webstuhl durchsetzte, war relativ schnell klar, dass man den Großteil der Handwerker:innen nicht mehr benötigte. Die Heimarbeiter:innen verloren ihre Arbeit, konnten aber selbst nicht auf Maschinen umsteigen, da sie finanziell dazu nicht in der Lage waren. Zudem hatten viele nicht lesen und schreiben gelernt, waren nicht kaufmännisch ausgebildet und hatten somit keinen Zugang zu neuen Technologien. So blieben sie entweder von ihren Auftraggebern abhängig – oder stürzten geradewegs in die Arbeitslosigkeit und verloren ihr weniges Hab und Gut.  

Darauf folgten Proteste und die Zerstörungsaktionen der sogenannten Maschinenstürmer. Man zündete sowohl Webereien als auch Druckerfabriken an, da diese genauso verantwortlich für die Verarmung waren. Doch das konnte den Siegeszug der Mechanisierung letztlich nicht aufhalten. Zugleich gab es noch sehr strenge Zensurbestimmungen. „Wer protestierte, landete schnell im Gefängnis. Nachdem die Leute aber nichts mehr zu verlieren hatten, gingen sie das Risiko ein“, bestätigt Hödl.

Die 1848er Revolution wurde brutal niedergeschlagen, die unmittelbaren Folgen der Proteste blieben bekanntlich gering. Langfristig gesehen kündigten diese aber das Aufkommen der Arbeiterbewegung an, die im Lauf der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu einem wichtigen politischen Faktor wurde.  

Dieser Beitrag entstand im Rahmen einer Kooperation mit der FH Joanneum, Studiengang Journalismus und Public Relations. Studierende haben im Frühjahr 2024 die neue Dauerausstellung des Wien Museums besucht und danach – von einzelnen Objekten oder Themen ausgehend – Beiträge für das Wien Museum Magazin konzipiert, recherchiert und geschrieben. In diesem Fall war es der Fokus auf die Seidenindustrie im Kapitel Vormärz/Biedermeier. 

Karoline Pilich studiert Journalismus und PR an der FH Joanneum und arbeitet nebenbei als Kellnerin. Sie interessiert sich sehr für Sprachen, Literatur und das Filmemachen.

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Kommentare

Susanne MacManus

Sehr spannend und lehrreich, vielen Dank dafür!