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Ausstellung „Mixed. Diverse Geschichten“
Wiener Mischung
Es geht um den Druck zur Assimilation und das enge Korsett der ‚Identität‘, aber auch um Widerstand gegenüber Ausgrenzung und Verfolgung. Im Fokus der Ausstellung stehen jedoch nie starr definierte Gruppen, sondern der sich stets verändernde Mix, der Wien prägt und die Stadt bis heute zu dem macht, was sie ist.
In vier Kapiteln mischen die Kurator:innen Jakob Lehne, Vanessa Spanbauer und Niko Wahl Objekte, die ganz unterschiedliche Wiener Geschichten erzählen: von einer jahrhundertealten armenischen Mönchskongregation über die chinesischen und afrikanischen Restaurants des frühen 20. Jahrhunderts bis zu den Behindertenverbänden der Zwischenkriegszeit und der Pseudofolklore der Gegenwart. Im Magazin zeigen wir einen kleinen Einblick in die Auswahl.
Orte
Stadt ist heterogen.
Metropolen ziehen Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen an. Durch ihre Anwesenheit und Aktivitäten lassen sie in der Stadt Orte der Verhandlung kultureller Identitäten entstehen. Hier werden Klischees auf ungewöhnliche Weise hinterfragt, hier wird demonstriert und gelärmt, gesungen und gespielt und die Stadt zu einer steten Auseinandersetzung mit sich selbst herausgefordert.
Manchen Communities gelingt es, in der Stadt eigene Räume zu schaffen. Sie sind in Form und Funktion völlig unterschiedlich. Aber ob klein oder groß, provisorisch oder dauerhaft sind sie Anknüpfungspunkte für Dialog und Diskussion und damit manchmal auch für Missverständnisse und Vorurteile.
Über fast sieben Jahrzehnte scheitern alle Versuche, in Wien eine Moschee mit Minaretten zu errichten. Unter Lueger wird ein Bau beim Türkenschanzpark in Erwägung gezogen. Weitere Pläne werden 1915 sogar dem Kaiser vorgelegt, aber nie verwirklicht. In den späten 1940er Jahren stellt die ägyptische Regierung die Teilfinanzierung einer großen Moschee in Aussicht, aber erst ein von Saudi-Arabien finanziertes Projekt wird 1975 wirklich gebaut. Der damals unbekannte Baumeister des Gebäudes, Richard Lugner, nutzt den ungewöhnlichen Auftrag erfolgreich zu Marketingzwecken. Das Architekturmodell einer frühen Planungsphase steht bis zu seinem Tod im Eingang seines Büros.
1982 wird ein zum Abriss vorgesehenes Haus an der Linken Wienzeile von Aktivist:innen der Lesben- und Schwulen-Bewegung besetzt. Sie vereinbaren mit der Stadt eine selbstorganisierte Generalsanierung des Gebäudes und gründen einen Verein, ein Beratungszentrum und ein Café. Die Rosa Lila Villa, wie sie nun genannt wird, wird in den folgenden Jahrzehnten zum dauerhaft sichtbaren Zentrum einer oft auch politisch angefeindeten Community. Der stete Wandel derselben wird auch durch die Integration einer weiteren Farbe sichtbar gemacht. Seit einigen Jahren heißt das Gebäude Türkis Rosa Lila Villa und ist ein offener Ort für Lesben, Schwule und trans Personen.
Wörter
Sprache ist gemischt.
Lange gilt die Sprachenvielfalt als positives Merkmal des Habsburgerreichs. In Wien werden damals nicht nur die zahlreichen Sprachen der Monarchie, sondern auch viele weitere gesprochen, gepflegt und erforscht. Das Wienerische selbst wird dabei durch internationale Einflüsse bereichert.
Doch ab den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts wird Sprache zum Spielball von Politik und Herrschaft. Nationalistische Vereine versuchen, die Menschen davon zu überzeugen, dass ihre Identität eindeutig und unverrückbar ist. Im Namen des angeblich „deutschen Charakters“ Wiens wollen sie die Bevölkerung so zur Aufgabe aller anderen Sprachen bewegen. Sie sind die Vorboten eines radikalen Kampfes gegen Internationalität und Sprachenvielfalt, der unter dem nationalsozialistischen Regime seinen Höhepunkt erreicht.
In der Zweiten Republik keimt langsam ein neues Sprachverständnis auf. Während manche nostalgisch auf das alte Wienerisch zurückblicken, bringt Migration neue Sprachen in den Wiener Alltag. Seit der Jahrtausendwende wird Wien wieder zu einer internationalen Großstadt, die ihre eigene Sprachgeschichte neu entdeckt und zu einer Gegenwart abseits der deutschen Einsprachigkeit findet.
Die Dichte tschechischer Namen im Wiener Telefonbuch ist mehr als ein Klischee. Noch Mitte der 1960er Jahre war fast ein Viertel der Einträge tschechischen Ursprungs. Viele dieser Namen haben sich durch sozialen Druck oder Assimilation von ihrer ursprünglichen Schreibweise entfernt. Sonderzeichen verschwinden ebenso wie die weibliche Namensendung „-owa“, sodass die Namen im Wiener Telefonbuch nur mehr entfernt an ihren Ursprung erinnern, dafür aber in größerer Vielfalt auftreten.
Dem Aktivisten Goran Novaković ist die Reintegration des Háčeks ein Anliegen. Für seine T-Shirts verwendet er ihn, um betont wienerische Worte durch ungewöhnliche Schreibweisen zu erneuern.
Körper
Körper sind vielfältig.
Die Einteilung von Menschen in Gruppen gewinnt im 19. Jahrhundert eine neue, vorgeblich wissenschaftliche Dimension. Abstruse ‚Rassentheorien‘ werden dabei zur Grundlage politischer Ideologie. Die so entstehenden Ideen sind wissenschaftlich nicht haltbar, aber in veränderter und oft versteckter Form auch Teil heutiger Debatten.
In scheinbarem Gegensatz zu festen Zuschreibungen steht die Frage nach der Veränderung von Körpern und dem ihnen zugewiesenen Platz in der Gesellschaft. Sowohl das Trainieren des eigenen Körpers wie auch medizinische Eingriffe und Therapien zu seiner Veränderung werden seit der Zeit um 1900 immer stärker politisiert. Gleichzeitig führt das zunehmende öffentliche Interesse an Körpern und ihren Unterschieden besonders in der Großstadt zu neuen Diskussionen über veränderte Grenzen und Möglichkeiten.
In diesen Debatten rückt schon früh die Frage nach Fremd- und Selbstbezeichnungen in den Vordergrund. Welche Wörter als diskriminierend erfahren werden und warum sie oft gerade deshalb als Selbstbezeichnung gewählt werden, ist eine seit Jahrzehnten existierende Frage, die heute in verschärfter Form die Diskussionen einer diversen Stadt prägt.
Menschen mit außergewöhnlichen Behinderungen gelten in der Vergangenheit oft als weitgehend passive ‚Objekte der Unterhaltung‘. Doch die Welt der Schausteller und des Zirkus bietet manchen auch Platz für selbstbestimmte Karrieren. Nikolaj Kobelkoff wird 1851 in Russland ohne Gliedmaßen geboren. Das Programm des talentierten Geschäftsmannes ist ein großer Erfolg. Kobelkoff wird als Unternehmer zu einer zentralen Figur des Wiener Praters und durch seine sechs Kinder Begründer einer der wichtigsten Praterfamilien.
Exoskelette ermöglichen Menschen bei Multipler Sklerose, Querschnittslähmung oder nach Schlaganfällen ein sicheres Stehen oder Gehen sowie zahlreiche therapeutische Vorteile. Der Wiener Unternehmer und Rollstuhlfahrer Gregor Demblin berichtet zusätzlich von einem völlig neuen Körpergefühl im nunmehr wieder aufrechten Gang. Um Exoskelette weiteren Menschen zugänglich zu machen, hat er in der Seestadt ein robotisches Therapiezentrum gegründet.
Moden
Traditionen sind erfunden.
Aus ideologischen und kommerziellen Gründen werden in der Stadt Bräuche und Traditionen, Kleidung und Gegenstände stets in neue Bedeutungszusammenhänge gepackt. Die dabei entstehende Vielfalt ist ein Charakteristikum der Großstadt, in der die Suche nach Authentizität und der Spaß an der Verkleidung oft nahe beieinanderliegen.
Auch bei Gegenständen des täglichen Gebrauchs und des Genusses ist die Integration von internationalen Einflüssen oft vorhanden. Es sind lange andauernde Fantasien über ferne Länder genauso wie kurzlebige Moden, in denen die Begeisterung für das ‚Exotische‘ ausgedrückt wird.
Kleidungsstücke dienen mitunter dazu, politische und religiöse Anliegen auszudrücken. Die dabei entstehenden politisch-textilen Diskurse sind unterschiedlichen Konjunkturen unterworfen: Manchmal dienen sie als Kristallisationspunkte größerer gesellschaftlicher Auseinandersetzungen, in anderen Momenten verlieren sie ihre politische Bedeutung.
Die „Walz“ führt den in München geborenen Johann Zacherl bis nach Tiflis im heutigen Georgien. Hier beginnt er, sich als Händler einen Namen zu machen. Besonders ein aus den Blüten verschiedener Wucherblumen-Arten hergestelltes Insektenbekämpfungsmittel hat dabei großen Erfolg. 1854 kommt Zacherl nach Wien und beginnt, dieses Mittel als „Zacherlin“ in großen Mengen zu verkaufen. Bei der Vermarktung versucht er Bezüge zum kaukasischen Volk der Tscherkessen herzustellen und zeigt sich auch selbst in tscherkessischer Tracht. Das bis heute bestehende Fabriksgebäude im 19. Bezirk erinnert stark an einen historischen Moscheenbau. Die Statue, die Zacherl im Tscherkessenkostüm zeigt, steht immer noch dort.
Elemente Schwarzer US-Kultur werden auch in Österreich gerne und erfolgreich von Künstler:innen und Kreativen verwendet. 2010 macht ein deutschsprachiges Cover des Songs „Turn My Swag On“ die vom Publizistik-Absolventen Sebastian Meisinger geschaffene Figur Money Boy einer breiten Öffentlichkeit bekannt. Money Boy bleibt auch in den folgenden Jahrzehnten eine markante Erscheinung der Wiener Musikszene, und fällt immer wieder mit kontroversen Auftritten und Aussagen auf. Kunstfigur und Person scheinen dabei immer mehr ineinander aufzugehen.
Dieser Text stammt aus dem Ausstellungskatalog „Mixed. Diverse Geschichten“, der von Jakob Lehne, Vanessa Spanbauer und Niko Wahl herausgegeben wurde und im Falter-Verlag erschienen ist. Erhältlich im Shop des Wien Museums und im Buchhandel.
Die Ausstellung „Mixed. Diverse Geschichten“ ist vom 5. Dezember 2024 bis zum 20. Apri 2025 im Wien Museum am Karlsplatz zu sehen.
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