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Eva-Maria Orosz, 14.6.2022

Otto Wagner Kirche am Steinhof

Vom Glauben bei Licht

Otto Wagners Kirche am Steinhof war die erste moderne Kirche Europas und lockt als Gesamtkunstwerk der Moderne viele Besucher*innen an. Seit kurzem wird der Bau vom Wien Museum betreut.

Das Bevölkerungswachstum Wiens machte es gegen 1900 notwendig, die „Landes-Irrenanstalt“ am Brünnlfeld im 9. Bezirk durch einen größeren Bau zu ersetzen. Mit der Planung einer neuen psychiatrischen Anstalt am Südhang des Gallizinbergs wurde 1902 Carlo von Boog aus dem niederösterreichischen Landesbauamt beauftragt. Für diese Bauaufgabe hat er sich bereits einen Namen gemacht, mit der vielbeachteten Heil- und Pflegeanstalt in Mauer-Öhling (1902 fertiggestellt), die neueste und humanere Methoden in der Versorgung von psychatrisch Erkrankten in Architektur umsetzte. Davon abgeleitet sollte auf den kargen Hängen des Spiegelgrunds an der Peripherie Wiens eine zweite und weit größere Anstalt im Pavillonsystem entstehen.

Die weiße Stadt

Der Landes-Oberbaurat Carlo von Boog konzipierte die „Niederösterreichische Landes-, Heil- und Pflegeanstalt für Geistes- und Nervenkranke Am Steinhof“ als geschlossene Anstalt mit einer viereinhalb Kilometer langen Mauer, als autark funktionierende „Stadt in der Stadt“: Zu beiden Seiten der Hauptachse, an der die Direktion, ein Gesellschaftshaus (heute das Jugendstiltheater), eine Küche und sowie eine Kirche lagen, war die Heilanstalt mit 13 Pavillons und die Pflegeanstalt mit 11 Pavillons. Im Westen – auf der Baumgartnerhöhe - gab es ein Sanatorium mit 10 Pavillons für finanzkräftige zahlende Patienten. Im Osten war der Wirtschaftshof angesiedelt mit Dampfkesselhaus, Wäscherei, Gewächshaus und Schweinestall. Das Krankenhaus für 2500 Patient*innen mit Erweiterungspotenzial bis zu 4000 war die größte und damals modernste Anstalt für psychatrisch Erkrankte in Europa.

Otto Wagner und Carlo von Boog

Als Carlo von Boogs Pläne fertig vorlagen, stellte Wagner im Landesausschuss den Antrag, ihn zur künstlerischen Mitwirkung heranzuziehen. Er legte einen Vorschlag für die Kirche wie auch für den von der Baubehörde bereits ausgearbeiteten Gesamtentwurf der Anlage vor. Wagners sah aus ästhetischen Gründen eine strenge Symmetrie für die Krankenhausanlage und Änderungen an der Hauptachse vor, was auf dem steinigen Gelände zu höheren Baukosten führen musste. Diskussionen und Konflikte waren die Folge und schließlich wurde ein Kompromiss bewilligt, der Wagners symmetrischen Situationsplan und von Boogs funktionelle Gliederung und Anordnung der Pavillons vereinte. Die Kirche rückte damit in eine optimale Lage: auf dem höchsten Punkt des abfallenden Geländes gelegen, war sie die Dominante der gesamten Anlage und konnte über die Anstaltsgrenzen hinweg eine imposante Fernwirkung entfalten. Carlo von Boog verstarb 1905 unerwartet, Franz Berger übernahm die weiteren Planungen seitens der Baubehörde.

Kontroverse um den modernen Kirchenbau

Wagner konzipierte den Bau ausgehend von rationalen Überlegungen. Er berücksichtigte Optik, Akustik und Hygiene, die Effizienz in der Konstruktion, möglichste Reparaturfreiheit und ihre Widmung als Anstaltskirche. Die Tradition des abendländischen Sakralbaus einbeziehend, war sie dennoch in einer neuen Formensprache. In der, über den Kirchenbau entscheidenden Sitzung des niederösterreichischen Landtags entbrannte im November 1903 eine heftige Debatte. Wagners Entwurf wurde scharf angegriffen und stieß auf Ablehnung, wurde als „Grabmal eines indischen Maharadschas“, als „närrisch assyrisch-babylonischer Stil“ und die Secessionskunst von den Antisemiten als „l’art juif“ abgetan. Dem christlichsozialen Landesausschussreferenten und nachmaligen Landeshauptmann Leopold Steiner gelang es gegen den Widerstand des Landesbauamtes den Entwurf von Wagner durchzusetzen, vorbehaltlich einiger Änderungen bei der Kuppel und dem Statuenschmuck. Der zweite Entwurf, eine reduzierte Variante des ersten, wurde im Oktober 1904 bewilligt, im Oktober 1907 war die Schlusssteinlegung und die feierliche Eröffnung der Krankenanstalt.

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Architektonisches Denkmal des Jugendstil

Außen wie Innen besticht der Zentralbau mit überhöhter Kuppel durch klare Proportionen. Der Sockel ist aus Stein, der direkt auf der Baustelle gebrochen wurde. Die Ziegelwände sind mit Marmorplatten verkleidet, die mit Eisenbolzen und verkupferten Abdeckungen verankert und dekorativ wirksam sind. Bei der Generalsanierung 2001-2006 wurde der Marmor erneuert und die Kupferplatten der Kuppel wieder vergoldet. Beim Portikus hält ein eisernes zeltförmiges Schutzdach die Stufen bei Regen trocken, die Säulen werden durch Engelsfiguren von Othmar Schimkowitz überhöht. Auf den kurzen Fassadentürmen sind die Statuen der Landespatrone St. Leopold und St. Severin von Richard Luksch. Über drei Eingänge erschließt sich die Kirche: für Frauen, für Männer und das mittlere Tor, der heutige Eingang, wurde ursprünglich nur zu besonderen Anlässe geöffnet.

Der Grundriss bildet ein lateinisches Kreuz mit sehr kurzen Querschiffen und verlängertem Eingangsarm im Süden. Wagner trennt die auf Fernwirkung konzipierte mächtige Kuppel vom inneren Raumabschluss durch eine herabgesetzte Kuppel und schafft somit einen Innenraum in den Proportionen 1:1, ein klassisches Raumverhältnis. Auf den vier Pfeilern sitzt die schwere Eisenkonstruktion der äußeren Kuppelschale, die innere Kuppel hängt an der Dachkonstruktion und besteht aus einem aus T-Eisen gebildeten Netz, in das Rabitzplatten eingesetzt und mit Drahtschlingen verbunden sind.

Als überraschendes Moment galt der helle und nüchterne Innenraum. Kritiker vermissten das religiöse Gefühl, das Mystische und den Gottesglauben. Wagners Ziel war, „dem in Licht getauchten Kuppelbau seinen Charakter von Weisse, von Unfärbigkeit zu wahren.“ (Bertha Zuckerkandl). Er ließ die Wände daher mit weißen Marmortafeln verkleiden, darüber einen hellen geriefelten Putzanstrich (Akustik!) anbringen. Und durch die großen nach Osten und Westen orientierten Fenster und aus jenen in der Apsis strömt Tageslicht herein, das den Altarbereich gleichmäßig ausleuchtet.

Nochmals Kontroversen, Plagiatsvorwürfe, Verzögerungen

Für die dekorative Gestaltung holte sich Wagner den Künstlerfreund Koloman Moser, der sein Leitmotiv des Lichtgedankens und der Unfarbigkeit umzusetzen verstand. Moser sollte alle Kartons für die Glasfenster und das Altarbild fertigen, als Bildprogramm den „Weg der Erlösung“ darstellen: An der äußeren Eingangsseite ist die „Die Vertreibung aus dem Paradies“ zu sehen und führt über die beiden großen Innenfenster - „Die sieben leiblichen Werke der Barmherzigkeit“ und „Die sieben geistigen Werke der Barmherzigkeit“ zum ikonografischen und farblichen Zentrum des Baues, zum Hochaltarbild mit der „Die Verheißung des Himmels“. Christus ist von Josef und Maria flankiert, der die Nothelfer und Fürsprecher der Kranken in den Himmel aufnimmt. Es war wichtig, dass „alle bildlichen Darstellungen zu einer Gesamtwirkung vereint erscheinen.“ (Wagner), die Größenverhältnisse der Dargestellten sind bei Fenstern und Hochaltarbild gleich. Die Glasfenster von Koloman Moser zählen zu den Hauptwerken der Glasmosaikkunst im Jugendstil.

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Glasfenster von Koloman Moser, Foto: Lisa Rastl/Wien Museum

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Glasfenster von Koloman Moser, Foto: Lisa Rastl/Wien Museum

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Von Seiten der Kirche war Hofkaplan Heinrich Swoboda beauftragt die Einhaltung der liturgischen Richtigkeit zu überwachen. Swoboda war bereits mit dem Entwurf Mosers zur „Vertreibung aus dem Paradies“ unzufrieden gewesen. Als Moser während der Entwurfsarbeit zum Hochalterbild in Verzug geriet und 1905 anlässlich seiner Hochzeit von der katholischen Religion zum Protestantismus konvertierte, enthob er Moser von seinem Auftrag. Hinter dem Rücken Wagners vergab der Hofkaplan das Altarmosaik an Carl Ederer, Mitglied der Wiener Secession. Zur Eröffnung der Kirche 1907 war ein Karton von Ederer an die Apsiswand montiert worden, von einem fertigen Mosaik konnte keine Rede sein. Moser bezichtigte Ederer des Plagiats, die Angelegenheit landete wegen Ehrenbeleidigung in einem Aufsehen erregenden Prozess vor Gericht. Zum Zug sollte nun ein dritter Künstler kommen. Wagner vermittelte Remigius Geyling für das Altarbild, das von Leopold Forstner in der Wiener Mosaikwerkstätte umgesetzt werden sollte. Bald nach Auftragserteilung sah sich Geyling jedoch überfordert das 85m² große Bild zu entwerfen. Unter der Hand wurde eine Lösung vereinbart: Leopold Forstner übernahm sowohl Entwurf und Ausführung des Apsismosaiks, das schließlich 1913 fertiggestellt war.

Wagner begründete einige Spezifika der Kirche damit, dass sie eine Anstaltskirche sei. Die Sitzreihen sind kurz, damit Pfleger im Notfall rasch zu den Patienten gelangen, der Fußboden zum Presbyterium um 30cm abfallend, um auch von den hinteren Reihen zum Altar sehen zu können. Es gibt ein Rettungszimmer, wie auch Toiletten, das Weihwasserbecken ist aus hygienischen Gründen ein Brunnen. Fast alle diese Punkte forderte Wagner jedoch grundsätzlich für den modernen Kirchenbau und sie finden sich auch in seinen unrealisierten Projekten für Sakralbauten.

„Überwinderin des Altbaustils“

Am 8. Oktober 1907 fand, wie bereits erwähnt, die feierliche Schlusssteinlegung durch Erzherzog Franz Ferdinand statt. Der Konflikt über die Moderne und den Stil der Kirche trat abermals, nun auf höchster Ebene, zutage. Als der Thronfolger versicherte, „der Maria-Theresienstil ist doch der schönste“, erwiderte Wagner, „dass zur Zeit Maria Theresias die Kanonen verziert gewesen seien, während man sie heute vollkommen glatt mache“. Öffentliche Aufträge, auf die Wagner hoffte, blieben danach aus. Der Kunstkritiker Ludwig Hevesi rühmte die Kirche am Steinhof als „Überwinderin des Altbaustils“. Sie ist ein Schlüsselwerk der Architektur der Jahrhundertwende und des europäischen Sakralbaus und wie Friedrich Achleitner meinte: „hier ist Byzanz genauso anwesend wie Potsdam, hier spricht der Geist der Renaissance-Zentralräume genauso wie die Luzidität der Blauen Moschee.“

Eine Besichtigung ist nach längerer Corona-Pause wieder möglich. Der Zugang erfolgt getrennt vom Krankenhausbetrieb über die Feuerwache Steinhof und einen Fußweg durch das Erholungsgebiet. Die Kirche ist samstags von 14 bis 17 Uhr und sonntags von 11 bis 17 Uhr geöffnet. Anmeldungen für Führungen werden nunmehr vom Wien Museum entgegengenommen.

 

Literatur:

Martina Bauer: Leopold Forstner (1878–1936). Ein Materialkünstler im Umkreis der Wiener Secession, Wien/Köln/Weimar 2016, S. 68-71.

Caroline Jäger-Klein: Die Architekten der Anstalt: Carlo von Boog, Otto Wagner und Franz Berger, in: Caroline Jäger-Klein, Sabine Plakolm-Forsthuber (Hg.),Die Stadt außerhalb. Zur Architektur der ehemaligen Niederösterreichischen Landes-, Heil- und Pflegeanstalt für Geistes- und Nervenkranke Am Steinhof in Wien, Berlin 2015. 142-152.

Elisabeth Koller-Glück, Otto Wagners Kirche am Steinhof, Wien 1984.

Richard Kurdiovsky, Die Anstaltskirche Otto Wagners – Idealvorstellungen am Präsentierteller, in: Caroline Jäger-Klein, Sabine Plakolm-Forsthuber (Hg.), Die Stadt außerhalb. Zur Architektur der ehemaligen Niederösterreichischen Landes-, Heil- und Pflegeanstalt für Geistes- und Nervenkranke Am Steinhof in Wien, Berlin 2015. S. 95-105.

Andreas Nierhaus, Eva-Maria Orosz: Otto Wagner, Wien 2018.

Eva-Maria Orosz, Kunsthistorikerin, Kuratorin für Angewandte Kunst und Möbel im Wien Museum; Forschungsschwerpunkte: Interieur, Period Rooms und Möbel 19. und 20. Jahrhundert, Museums- und Sammlungsgeschichte. Ausstellungen und Publikationen zur Kunst- und Kulturgeschichte Wiens, u. a. Schmuck der Wiener Werkstätte, Werkbundsiedlung Wien, Otto Wagner.

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Kommentare

Karin Pozsogar Junker

Vielen Dank fuer die vielen wundervollen Beistraege.
Mit freundlichen Gruessen aus Canada, Karin Junker

Irmi Novak

Danke für Ihren ausführlichen und kompetenten Beitrag über die Kirche am Steinhof!
Es scheint nun tatsächlich durch die Eingliederung ins Wien-Museum wenigstens für die Kirche ein kunsthistorisches Bewusstsein eingeleitet worden zu sein.
Der Rest des von Wagner so wunderbar gebauten Spitals-Areals ist ja leider der kommunalen Gier nach monetärer Verwertung zum Opfer gefallen.
Was der Bürgerinitiative "Steinhof gestalten" am Herzen läge: Wer rettet die ehemalige Prosektur. Das - gleichfalls bau- und kunsthistorisch wertvolle - Gebäude (mit z. B. einem Jugendstil-Verabschiedungsraum samt künstlerisch phantastischen Glasfenstern - verkommt, seit es für den Bau des Reha-Komplexes von Strom und Wasser abgetrennt wurde.
Vielleicht interessiert sich bei Ihnen jemand Kunstverständiger für dieses Gebäude?
Die Bürgerintitiative führt sie in Absprache mit der Spitalsdirektion gerne einmal durch. (Kontakt: Christine Muchsel)
Mit freundlichen Grüßen, Irmi Novak