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Evelyn Steinthaler, 3.7.2020

Radiosender ab 1945

Der Kalte Krieg der Worte

Nach dem Kriegsende im Mai 1945 war politische Umerziehung für die Alliierten in Deutschland und Österreich das Gebot der Stunde. Radiosender spielten dabei eine zentrale Rolle - mit mehr oder weniger direkten ideologischen Botschaften.

„Russensender“ lautete der in Wien gängige Alias-Name des Senders „Radio Wien“, der im heutigen Funkhaus Wien produziert wurde und der in den abertausenden noch funktionstüchtigen Volksempfängern in Wien zu hören war. Die staatliche RAVAG (Radio und Verkehrs AG), 1924 gegründet, war schon vor dem Krieg in dem während des österreichischen Ständestaates nach den Plänen von Heinrich Schmid und Hermann Aichinger bzw. Clemens Holzmeister erbauten Funkhaus in der Argentinierstraße beheimatet und konnte nun unter Aufsicht und mit Einflussnahme der Sowjets ihren Betrieb wiederaufnehmen. Wien, von der Roten Armee im April 1945 befreit, wurde erst im Sommer nach Kriegsende in die vier Verwaltungszonen der Alliierten aufgeteilt. Die Wieden, Heimatbezirk des Funkhauses, blieb auch nach dieser Aufteilung in der sowjetischen Zone.

Welche politische Bedeutung das Medium Radio hatte, wusste nicht nur Goebbels, der Propagandaminister des untergegangenen „Tausendjährigen Reiches“, auch die vier Siegermächte waren sich schon lange um die einzigartigen Möglichkeiten die der Rundfunk bot, um die Bevölkerung zu erreichen, bewusst. Die Strafen der Nationalsozialisten, die für „Feindsender hören“ verhängt wurden waren lebensbedrohlich: Zuchthausstrafen bis hin zu Hinrichtungen und Einweisungen in Konzentrationslager galten den sogenannten „Rundfunkverbrechern“, die Radio Moskau, das Schweizer Radio oder auch den deutschen bzw. österreichischen Dienst der BBC hörten. 1945 waren also die Betreiber der „Feindsender“ ins Land gekommen und Wien sollte in den zehn Jahren bis zum Staatsvertrag für die USA und die UdSSR zu einem besonders interessanten Ort werden.

Die US-Amerikaner und die Sowjets bringen sich in Stellung

Tatsächlich kamen mit den ersten Einheiten der sowjetischen Befreier nicht nur Soldaten nach Wien, sondern auch sowjetische Geheimdienstmitarbeiter_innen. In der ersten Nachkriegszeit sollen sich 2500 sowjetische und 600 US-amerikanische Geheimdienstmitarbeiter in Wien aus beruflichen Gründen getummelt haben. Man stellte sich da wie dort die Aufgabe, die nunmehr befreite und über sieben Jahre lang NS-indoktrinierte österreichische Bevölkerung zum einen vom Nazi-Mief zu befreien und diese gleichzeitig für die jeweils eigene politische Wahrheit zu begeistern: der Kalte Krieg der Worte war eröffnet.

Ehe die Amerikaner aber von Wien aus arbeiten konnten, begannen sie mit dem Sommer 1945 von Salzburg aus ihren Sender „Radio Rot-Weiß-Rot“ zu produzieren. Nebenbei bemerkt war „Radio Rot-Weiß-Rot“ nicht der einzige Sender der Amerikaner, „Blue Danube Network“ hieß der von ihnen betriebene Militärsender. Bis sie im November 1945 mit „Radio Rot-Weiß Rot“ von Wien aus „On-Air“ gehen konnten, blieb die Vorherrschaft in der Bundeshauptstadt dem „Russensender“ überlassen. Der beginnende Kalte Krieg zeigte sich in Wien übrigens auch in der Positionierung der Sendemasten. Ohne weiteres konnte und wollte man dem politischen Gegner das Feld der Hörerinnen und Hörer nicht überlassen: So wurde etwa anfänglich von den Amerikanern ein Mittelwellensender des Militärs auf der Sulzwiese am Kahlenberg verwendet. Und um auch die sowjetische Besatzungszone gut versorgen zu können, errichtete man auf den Steinhof-Gründen einen weiteren Sender.

Der 7. Bezirk gehörte zur amerikanischen Zone und eben dort, in der Seidengasse 13, in Räumlichkeiten über dem heutigen Wiener Literaturhaus, wurde von November 45 bis Juli 1955 „Radio Rot-Weiß-Rot“ produziert. Hier wie bei „Radio Wien“ arbeiteten Remigrant_innen und junge Radiomacher_innen an den Programmen mit und hofften das neue Österreich auf diese Weise zu unterstützen und zu fördern.

Bei „Radio Rot-Weiß-Rot“ fand sich in den knapp zehn Jahren seines Bestehens ein „Who ist Who“ der österreichischen Unterhaltungskunst: Jörg Mauthe, Peter Weiser und die junge Ingeborg Bachmann waren als Autor_innen für die Sendereihe „Radiofamilie“ tätig, Maxi Böhm bereicherte mit „Die große Chance“ das Programm und Luise Martini war in der Sendung „Melodie und Rhythmus auf Bestellung“ zu hören. Des Weiteren gewannen Carl Merz, Helmut Qualtinger und der aus dem Exil zurückgekehrte Gerhard Bronner mit ihrer Kabarettsendung „Brettl vorm Kopf“ ein begeistertes, treues Publikum. Auch Hans Weigel, Alfred Böhm, Hugo Wiener, mit seiner Ehefrau Cissy Kraner aus dem Exil in Venezuela nach Wien zurückgekehrt, und Günther Schifter gehörten zu den Mitarbeitern des Radiosenders. Friedrich Torberg, Karl Farkas und Marcel Prawy, alle drei aus den US-amerikanischen Exil zurückgekehrt, arbeiteten ebenfalls für „Radio Rot-Weiß-Rot“.

Das Publikum mag es unpolitisch

So unterschiedlich die Programmgestaltung der beiden Sender auch war, „Radio Wien“ übertrug oftmals klassische Konzerte, gemein hatten sie, dass die offensichtlich politischen Sendungen, da „Die Russische Stunde“ dort u.a. „Die Stimme Amerikas“, bei der Wiener Bevölkerung wenig Anklang fanden. Wenn es hier auch eine Ähnlichkeit in der Ablehnung gab, die beiden Alliierten sahen sich mit ihren politischen Programmen in völlig unterschiedlichen Ausgangspositionen. So hatte „Die Russische Stunde“ die ursprüngliche Aufgabe, das über Jahre der NS-Propaganda in der Bevölkerung forcierte antisowjetische Vorurteil nach Möglichkeit zu revidieren, wurde dabei aber zusehends selbst mehr und mehr zu einer Propaganda-Sendung. „Radio Rot-Weiß-Rot“ hatte gleichwohl keine derartig schwierige Ausgangsposition, da in der NS-Propaganda ja schließlich der Kommunismus der Sowjets das beständigere Schreckgespenst der Nazis war, als deren Antiamerikanismus so sehr dieser auch vermittelt wurde.

Mit dem Staatsvertrag und dem Abzug der Alliierten veränderte sich schließlich die Radiolandschaft: Der Wiener Sender von „Radio Rot-Weiß-Rot“ wurde mit Juli 1955 eingestellt und auch die Sowjets zogen sich zurück, „Die Russische Stunde“ war ab sofort Geschichte. Aus der RAVAG wurde schließlich der ORF, bei dem zahlreiche „Radio Rot-Weiß-Rot“-Veteran_innen zu Stars wurden und die nächsten Jahrzehnte der Unterhaltung in Österreich prägen sollten.

Evelyn Steinthaler, 1971 in Klagenfurt/Celovec geboren. Diplomstudium der Publizistik und Kommunikationswissenschaften an der Universität Wien. Autorin, Hörbuchproduzentin, Uni-Lektorin, Übersetzerin, Biografin und in der politischen Bildung tätig. Lebt und arbeitet in Wien.

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Kommentare

Redaktion

Sehr geehrte Frau Grieder! Vielen Dank für das Teilen Ihrer Familien-Erinnerungen zu diesem Thema. Sie haben natürlich recht: Letztlich bleiben vor allem die Stars dieser Zeit in Erinnerung - auch wenn in den Archiven wesentlich mehr Namen auftauchen, ohne die das Programm nicht möglich gewesen wäre... Herzliche Grüße, Peter Stuiber (Wien Museum Magazin)

Rosi Grieder

Auch Karl Bednarik, mein Vater, Autor und Maler (1915-2001), arbeite für beide Sender, freischaffend und zeitweise angestellt, mit seinem Freund Jörg Maute auch ein oder zwei Beiträge für die Radiofamilie. Da ihm diese Unterhaltungssendung aber zu wenig zusagte - es interessierten ihn eher die Themen Kunst und Kultur), überließ er seine Stelle Ingeborg Bachmann. Er schrieb anschließend noch mehrere Sendungen als freier Mitarbeiter, zB gab es am Sonntag vormittags das sehr beliebte Literaturrätsel, wo man (damals noch ohne Preise 😉) mitraten konnte. Neben bekannten Autoren stellte Bednarik aber auch junge, noch unbekannte Dichter vor.
Er beschreibt diese Zeit in seinen (noch unveröffentlichten) Erinnerungen W.I.W.
Als das Fernsehen aufkam wechselte er und verfasste zahlreiche TV-Sendungen und -Serien („Abenteuer im Lehnstuhl“, das live gesendet wurde, oder „Schwarz auf Weiß - Abenteuer der Zeichenkunst“), unter Dir Friedrich Hansen-Lœve auch Beiträge für den „Fenstergucker“.
Leider ist nicht mehr viel darüber bekannt. Am ehesten bleiben ja die DarstellerInnen in Erinnerung, die zu Publikumslieblingen wurden. Autoren, Regisseure, Kameraleute ... ohne die es ja keine Sendung gegeben hätte, gerieten meist in Vergessenheit.