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Marlies Forenbacher, 19.12.2025

Historische Architektur-Baukästen

Als Frank bauen lernte

Im 18. Jahrhundert gab es in Europa die ersten Baukästen. Heute sind Bausteine in fast jedem Kinderzimmer in mehr oder weniger elaborierter Form zu finden – und beschäftigen auch Erwachsene oft stundenlang. Eine Spurensuche zwischen modularem Denken und Zerstörungslust, Bauhaus-Ästhetik und „Wiener Wundersteinen“.

Im Deutschen Architekturmuseum in Frankfurt am Main widmet sich eine Ausstellung dem Thema der Architekturbaukästen und lädt zum Mitspielen ein. Die Objekte aus der Zeit von 1890 bis 1990 stammen überwiegend aus der Sammlung des Grafikers Claus Krieger. Wenn auch erwachsen, ist er schon lange dem modellhaften Bauen verfallen und versteht sich entsprechend als Homo Ludens. Einige der in der Ausstellung gezeigten Modelle befinden sich auch in den Sammlungen des Technischen Museum Wien und werden im Folgenden näher vorgestellt.

Was macht eigentlich einen Baukasten aus und unterscheidet ihn von anderen Spielwaren? Grundlage eines Baukastens sind seine normierten Bestandteile. Ähnlich der Idee des Ziegelformats weisen sie die jeweils gleiche Größe auf oder einen geraden Bruchteil dieser, der sich „zum Ganzen“ kombinieren lässt. Damit weist er eine Variabilität auf, die Flexibilität erlaubt: Aus denselben Elementen lassen sich zahlreiche verschiedene Formen, Räume oder Körper bauen. Dies bedarf einer standardisierten Schnittstelle, um die freie Kombinierbarkeit zu ermöglichen. Sei es durch Aufeinanderlegen, Stecken, Klemmen oder in einen Falz führen, wichtig ist die Reversibilität der Verbindung, um dem freien, variablen Spielen und Kombinieren Raum zu geben. 

Zum Sinn des Spielens gibt es zahlreiche Theorien, die regelmäßig im Lauf der Jahrzehnte widerlegt und neu gebastelt werden. Bei der Frage, was Spielen mit uns macht, kommt man nicht am niederländischen Kulturhistoriker Johan Huizinga vorbei, der Anfang des 20. Jahrhunderts den Begriff des Homo ludens prägte. Menschliche Kultur entstehe aus dem Spiel, das in weiterer Folge eine Deutung der Welt zum Ausdruck bringe. 

Das Spiel als Spiegel der Zeit und Repräsentation der „großen“ Entwicklung im Kleinen, ist eine beliebte Theorie, die sich an zahlreichen Beispielen nachvollziehen lässt. Der amerikanische Architekt Frank Lloyd Wright bekam von seiner Mutter, einer ausgebildeten Lehrerin, Bausteine, über die er später sagt, dass sie ihn räumliches Denken, modulares Entwerfen und geometrische Klarheit gelehrt haben. Und es waren nicht irgendwelche Bausteine, sondern jene des ersten Spiel-Pädagogen und Begründer des Kindergartens, dem Deutschen Friedrich Fröbel. Fröbel wollte anhand seiner sogenannten „Spielgaben“ zu Beginn des 19. Jahrhunderts Kinder durch spielerisches Lernen fördern und es damit zu frei denkenden, kreativen Menschen erziehen. Die einfachen geometrischen Formen aus Holz, Kugel, Zylinder, Würfel und Dreieck, konnten zu neuen Strukturen zusammengesetzt werden. Nachbauten dieser „Spielgaben“ und „Fröbel’s Bauschule“ sind Teil der Sammlungen des Technischen Museum Wien. 

Fröbel ging der Frage nach, ob bestimmte Spielwaren die kindliche Entwicklung fördern oder behindern, also der Wechselwirkung von Kind und Objekt. Die Spielsteine, die aus wenigen Grundformen und ohne Einsatz von Farbe bestanden, sollten zu Verwandlungen aller Art anregen und es Kindern ermöglichen, in den Elementen immer wieder neue Dinge zu sehen.

Jean Piaget, der Pionier der kognitiven Entwicklungspsychologie, gliederte die unterschiedlichen Spielarten in drei Gruppen. Am Anfang der Entwicklung stehe das Übungsspiel. Es ist das einfachste Spiel und geht mit dem Erlernen motorischer Fähigkeiten einher. Beim Symbolspiel ist das Kind bereits fähig, im Geist Dinge zu transformieren. Es kann also nicht nur Bausteine aufeinanderstapeln, sondern auch Welten bauen, die zum Beispiel Bauwerke repräsentieren. Erst beim Regelspiel wird die Übung systematisiert, indem eben bestimmte Regeln ein Konstruktionsprinzip gestalten können. Was mit diesen Modellen nicht erklärt werden kann, ist die Spielwelt von Erwachsenen. Denn obwohl sie die Motorik bereits beherrschen, beschäftigen sie sich gerne mit einfachsten Übungsspielen.

Hier stellt sich die Frage, ob Baukästen auf die Realität vorbereiten oder – so erklärt es die Tiefenpsychologie – beim Spiel Erfahrungen verarbeitet werden und dieses damit vor allem der Entspannung dient. Betrachtet man heute das berühmte von Frank Lloyd Wright entworfene Haus „Falling Waters“, so lässt sich unschwer erkennen, dass er vom Baukasten-Prinzip sowohl konstruktiv als auch ästhetisch beeinflusst war. Quader werden systematisch übereinandergeschichtet, bilden Zwischenräume und kragen tollkühn aus, fixiert von den „Bauklötzen“ im Zentrum. 

Ihm zu Ehren wurde auch später ein eigener Baukasten gewidmet, der die Elemente des berühmten Entwurfs aufnimmt und dazu auffordert, Architektur im Stile Frank Lloyd Wright’s „Prairiestyle“ nachzubauen. Dass es sich hier nicht um elementares Spielzeug für Kleinkinder handelt, sondern eher um eine Sonderedition für Architekturliebhaber:innen, lässt schon die Verpackung vermuten. 

Auch das Ingenius-Projekt muss hier erwähnt werden, das von Wilhelm Kreis und Carl August Jüngst entwickelt und ab 1924 unter dem Firmennamen „Ingenius, Technische- und Handels-Gesellschaft mbH“ mit Sitz in Wien hergestellt wurde. Die Holzbausteine sind mit einem Nut-Feder-Prinzip ausgestattet und lassen sich zu filmreifen Städten fügen. Die Dualität des Einsatzes ist hier Teil des Konzepts: Er war sowohl für Jugendliche als auch für Fachleute wie Architekten und Ingenieure gedacht. Bewusst bezog sich seine Formensprache auf zeitgenössische Architektur (es gab keine Säulen, Pyramiden, Spitzbögen oder Giebel) und nahm die Betonbauwerke der Moderne als Vorlagen.

Das Bauhaus, 1919 von Walter Gropius in Weimar gegründet, gilt als Avantgarde der klassischen Moderne der Architektur. Geprägt von kubischen Formen, klaren Linien und Primärfarben ist sie dem Baukasten nicht nur im Namen zugewandt. Gropius selbst war ein großer Liebhaber von Ankerbausteinen, die sich an echten architektonischen Konstruktionen orientieren und aufgrund ihrer großen Formenvielfalt einen Einblick in die verschiedenen Architekturstile geben. 

Spielzeug nahm am Bauhaus grundsätzlich eine wesentliche Rolle ein. Alma Buscher studierte und arbeitete am Bauhaus und entwarf das vielleicht bekannteste Spielzeug dieser Epoche, das „Bauspiel: Ein Schiff“. Die 22 geometrischen Formen können zu einem Schiff zusammengefügt werden oder einfach freie Fantasiekonstruktionen bilden. Die Formen sollten so einfach gehalten sein, damit Kinder darin immer wieder „Neues“ erkennen können. Nach der Heirat und Geburt ihres ersten Kindes musste Siedhoff-Buscher übrigens das Bauhaus verlassen.

Während Gropius – beflügelt von Anker-Baukästen – Architektur von Weltruhm schuf, blieb Alma Siedhoff-Buscher die architektonische Karriere verwehrt, und sie wurde einzig für ihr „Spielzeug“ bekannt. 

Sind Baukästen nun Spielmittel oder vielmehr Ausdruck ihrer Zeit? Sie bilden Entwicklungsverläufe ab und sind – wenn auch zeitverzögert – maßstäbliche Repräsentanten des technologischen oder gesellschaftlichen Wandels. Oder sie werden für solchen eingesetzt, um bestimmte Bildungszwecke zu verfolgen. 

So entwickelte der Wiener Architekt Oskar Payer um 1965 einen Holzbaukasten mit dem Titel „Payer Architektonischer Modellbau“. Er besteht aus rechteckigen Holzelementen unterschiedlicher Formate und Satteldächern. Dass damit konkrete Wohnblöcke gebaut werden sollten, wie er sie als Architekt mit seinem „Sofortwohnprogramm“ der Stadt Wien proklamierte, zeigen die Illustrationen am Deckel der Spieleschachtel deutlich. Bedruckte Papierstreifen sind dafür vorgesehen, Gebäudeteile zu umwickeln und Stockwerke darzustellen. Der konkrete Maßstab 1:200 und die beigefügten Grundrisse der Wohnhaustypen lassen vermuten, dass die Elemente ihm selbst als Entwurfswerkzeug gedient haben könnten. Ob sein Sohn frühe Prototypen als stilprägendes Spielzeug bekommen hat, darüber lässt sich nur spekulieren. Er folgte jedenfalls seinem Vater als Architekt und setzte sich für die Rationalisierung des Wohnbaus ein.

Als pädagogisches Spielzeug gilt auch „Der kleine Grossblockbaumeister“ von 1970 aus kombinierbaren Kunststoff-Plattenelementen mit Fenster- und Türöffnungen, Zwischengeschossplatten und Dächern. Er wurde in großer Zahl in der ehemaligen DDR hergestellt und bewusst dem industriellen Wohnungsbau nachempfunden. Mit entsprechender Bauanleitung konnten Wohnblocks, Hochhäuser, Hotels oder Brücken gebaut werden und so Kinder der DDR spielend der architektonischen (und politischen) Wunschvorstellung entsprechend herangebildet werden.

Waren Architekturbaukästen lange Zeit vom Material Holz dominiert, ist der Grossblockbaumeister bereits komplett vom Kunststoff geprägt. Die industrielle Fertigung von Spielzeug war längst vollzogen und die Anforderungen an komplexe Formen und ausgeklügelte Verbindungen konnte das Material spielend leisten. Der Einsatz von Farben als konstruktive Kennzeichnungen (horizontale Platten sind blau, vertikale weiß, zusätzliche Elemente rot) war im großen Stil möglich.

Nicht zufällig ist der Titel des Baukastens „Der kleine Grossblockbaumeister“. War bis zur zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts das Architekturspiel noch nicht geschlechterspezifisch vorgesehen, werden ab den Stein- und Metallbaukästen diese nur noch für Buben beworben. Die Konstruktion im Spiel wurde mit dem erwachsenen Ingenieur verglichen und der Baukasten zum eindeutig technischen Spielzeug. In den frühen Deckelbildern finden sich noch Mädchen auf den Abbildungen, nun wird hier bewusst die männliche Zielgruppe angesprochen. Spiel zeigt sich als aussagekräftiger Indikator für gesellschaftliche Prozesse durch die kulturelle Aufladung von Spielwaren.

Der wohl berühmteste Baukasten aus Kunststoff ist zweifelsohne LEGO, mit einer langen Geschichte, die dieses Phänomen vorbereitet hat. Die ersten Baukästen gehen zurück auf 1798 und waren für Adelige und das gehobene Bürgertum produziert. Sie wurden aus Holz gefertigt, weil es günstig und leicht bearbeitbar war. Die Bausteine konnten nur übereinandergelegt werden. Eine Wende gab es vom 19. zum 20. Jahrhundert, als der Wiener Ingenieur Johann Korbuly 1901 das Patent für Matador anmeldete und Konstruktionsbaukästen aus Holz einführte. Die „drehende Bewegung“ war neu, die einzig durch die Klemmkräfte der Verbindungselemente ermöglicht wurde.

Klemmkräfte sind also ein bedeutender Schritt in Richtung LEGO. Aber hier dürfen auch die Anker-Steinbaukästen, ursprünglich von den Brüdern Otto und Gustav Lilienthal Ende des 19. Jahrhunderts entwickelt, nicht vergessen werden. Anders als die leichten, glatten Holzbauklötze wiesen die Mineralbausteine aus gepresstem Quarzsand, Kalk und Leinölfirnis eine raue Oberfläche mit guter Haftreibung auf. Dadurch konnten wesentlich größere Bauwerke errichtet werden.

Viel besser als Reibungskräfte hielten jedoch die Klemmkräfte, die sich zahlreiche Kunststoff-Baukästen zunutze machten, unter denen LEGO Mitte des 20. Jahrhunderts schließlich der erfolgreichste und wichtigste wurde. 

Etwa 1960 wurde in Wien von der Kunstharzpresserei und -spritzerei Franz Meczes ein Baukasten aus Kunststoff mit dem vielversprechenden Namen „Wiener Wundersteine“ hergestellt. Die Spielsteine konnten nur aufeinandergelegt werden, nicht geklemmt, was die Konstruktion fragil machte, daher konnte das System letzten Endes nicht mit LEGO mithalten. Es gab sogar einen Bausatz, mit dem die Wiener Staatsoper nachgebaut werden konnte.

Das Material Kunststoff ist zusätzlich ein wichtiger Aspekt der Massenproduktion von Spielzeug. Baukästen waren nun für alle gesellschaftlichen Schichten leistbar. Verbindungen konnten exakt und in riesigen Mengen hergestellt werden, die modularen Bausteine sich in den Kinderzimmern stetig vermehren. Die laufende Entwicklung neuer Teile unterstütze die Wandlungsfähigkeit und half durch Komplexität mitwachsen zu können.

Was LEGO jedoch bis heute nur begrenzt bedient, ist der Spaß am Zerstören. Stundenlang lässt sich ein Universum erbauen, das sich mit nur einem gezielten Stoß unkenntlich wieder in seine Bestandteile auflöst. Hier zeigt sich am besten der Unterschied zwischen der Struktur des Spiels und der Wirklichkeit. Wie auch kindliches Handeln ist das Spiel vom Hier und Jetzt geprägt. Um eine einzige Stadt zu entwickeln, braucht man Jahrzehnte, zahlreiche Beteiligte, Weitblick, Ausdauer und Diskussion. Ein Architekturbaukasten kann mehr. Eine Idee kann ohne Pause umgesetzt werden. Keine Besprechungen, keine Normen, keine Budgetrealität. (Außer Diskussionen mit Eltern, die der Meinung sind, ein einziger Baukasten sollte reichen.) Und ein und dieselben Steine lassen zahlreiche Lösungen und Entwürfe zu. Und zuletzt kann es zerstört werden, um nochmal Neues zu erschaffen. 

Ob Baukästen nun als eskapistische Gegenentwürfe zur Lebenswelt dienen oder vielmehr Übungsspiele für die Realität darstellen, muss nicht entschieden werden. Sie bilden maßstäbliche, reale Welten und Fantasieuniversen ab, sind Projektion und Selbstzweck zugleich. Oder wie es der Sammler Claus Krieger beschreibt: „Bereits im einsortierten Zustand faszinieren viele Baukästen mit ihrer wohlgeordneten Geometrie. In ihr schlummern noch alle Entfaltungsmöglichkeiten.“

Literatur:

Fritz, Jürgen: Spielzeugwelten. Eine Einführung in die Pädagogik der Spielmittel. 2.korr. Aufl., Weinheim 1992.

Hammerl, Tobias: Lego. Bausteine einer volkskundlichen Spielkulturforschung. 2018, hrsg. V. Regensburger Verein für Volkskunde e.V., Waxmann, Münster New York.

Leinweber, Ulf: Baukästen. Technisches Spielzeug vom Biedermeier bis zur Jahrtausendwende. Kassel1999.

Krieger, Claus: 111 Architekturbaukästen: Sammlung Claus Krieger. Berlin 2026.

Neues Museum - Staatliches Museum für Kunst und Design, Nürnberg (Hrsg.): Bau [Spiel] Haus. Publikation zur gleichnamigen Ausstellung. Wien 1999.

Vana, Gerhard: Spielarchitektur und Baukunst. Modell und Material. Berlin 2024.

Hinweis: 

Im Deutschen Architekturmuseum in Frankfurt/Main ist noch bis 8. Februar 2026 Architekturbaukästen 1890 – 1990 – Die große Mitspielausstellung zu sehen. Sie basiert auf der umfangreichen Sammlung des Grafikers Claus Krieger und bietet den Besucher:innen die Chance, einige der Baukästen auch selbst auszuprobieren: Historische Vorbilder wurden dafür als Hands-on-Objekte hergestellt. 

Wer nicht in Frankfurt ist, kann sich mit der opulenten Publikation trösten, die im Jovis Verlag erschienen ist.  Claus Krieger stellt darin 111 Baukastentypen aus aller Welt und aus den unterschiedlichsten Materialien vor. Zu sehen sind sowohl die Verpackung und die Einzelteile als auch Modelle im aufgebauten Zustand. Dazu gibt´s reichlich historische Hintergrundinformationen. Eine Entdeckungsreise für Spielefreaks wie für Architekturinteressierte.

Die hier ebenfalls gezeigten Baukästen aus der Sammlung des Technischen Museums Wien sind teilweise in dessen Dauerausstellung zu sehen. 

Marlies Forenbacher studierte Architektur an der Technischen Universität Graz und an der Königlich Dänischen Kunstakademie. Sie arbeitet am Technischen Museum Wien als Kuratorin und Kustodin für Architektur und Bautechnik und publiziert regelmäßig über Architektur und Holzbau.

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