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Susanne Krejsa MacManus, 2.10.2023

Regine Kapeller-Adler – Pionierin der Schwangerschaftsdiagnostik

„Histamine-Queen“

Regine Kapeller-Adler entwickelte in den 1930er Jahren einen revolutionären Schwangerschaftstest. Nach ihrer Vertreibung aus Wien 1938 konnte die Biochemikerin ihre beachtliche Forscherkarriere in Großbritannien fortsetzen.

Regine (Regina) Kapeller wurde am 28. Juni 1900 in der heutigen Ukraine in eine jüdische Familie geboren. Bereits das Gymnasium absolvierte sie in Wien, studierte anschließend hier Chemie und Physik, obwohl ihre Eltern ihr vom Studium abgeraten hatten. Frauen durften zwar seit dem Studienjahr 1897/98 an der Alma Mater Rudolphina studieren, doch sexistische Vorurteile von Professoren und Kommilitonen sowie das antisemitische Klima machten ihnen das Leben schwer. Dennoch promovierte sie mit Auszeichnung, begann im Jahr 1924 unter Prof. Emil Fromm (1865-1928) als Demonstratorin am Institut für Medizinische Chemie an der Universität Wien und wurde 1926 außerordentliche Assistentin.

Im Jahr 1933 veröffentlichte sie eine Nachweismethode für die Aminosäure Histidin im Harn Schwangerer. Während sich histidinhaltige Harne durch diesen Test rötlich bis dunkelrot färben, werden histidinfreie Harne intensiv gelb (grünstichig) bis braun. Damit konnten Schwangerschaften bereits im zweiten Schwangerschaftsmonat erkannt werden, also wesentlich früher als mit der bis dahin gebräuchlichen Methode nach B. Zondek und S. Aschheim („A-Z-Test"). Das Ergebnis lag außerdem bereits nach nur vier Stunden vor – beim A-Z-Test dauerte es rund hundert Stunden. Und schließlich nützte Kapeller-Adlers Entwicklung eine chemische statt einer biologischen Reaktion, sodass keine Mäuse gezüchtet und geopfert werden mussten, um das Ergebnis zu erhalten.

Eine „sensationelle Entdeckung" nannte es das Neue Wiener Journal, einen „bedeutsamen Gewinn für die Frauenheilkunde und Geburtshilfe" Der Wiener Tag. Besonders bedeutend war der neue Test für die frühzeitige Erkennung einer toxämischen Schwangerschaft - heute bekannt als Präeklampsie -, bei der die Schwangere und ihr Fötus durch hohen Blutdruck, das Vorhandensein von Eiweiß im Urin und Schwellungen gefährdet sind. Einige Jahre später sollte dieser wissenschaftliche Fortschritt lebensrettend für Regine Kapeller-Adler, Dr. Ernst Adler (mit dem sie seit September 1928 verheiratet war) und ihre Tochter Liselotte werden.

Der „Anschluss“ beendete ihre Forscherkarriere in Österreich

Obwohl Kapeller-Adler Chemikerin war, galt ihr wissenschaftliches Interesse medizinischen Fragen. Daher begann sie 1934 ein Medizinstudium, dessen letztes Rigorosum sie jedoch im März 1938 aus rassistischen Gründen nicht mehr ablegen durfte. Auch von der Einreichung zur Habilitation als Chemikerin war ihr vom Institutsvorstand, Prof. Otto von Fürth (1867-1938) abgeraten worden, obwohl er ihre wissenschaftliche Arbeit hoch einschätzte, da er ihre Chancen als Frau und Jüdin als aussichtslos ansah. 1935-1936 war sie halbtags am Biochemischen Laboratorium der Krankenkasse angestellt. danach Leiterin des Laboratoriums für klinische und medizinisch-chemische Diagnostik im Wiener Sanatorium Hera. Dort gestaltete sie das Laboratorium neu und passte es modernsten Standards an. Nach dem ‚Anschluss‘ Österreichs fand ihre Karriere jedoch ein abruptes Ende, sie wurde fristlos ohne Aussicht auf eine weitere Anstellung entlassen. Auch ihr Mann, der Arzt Dr. Ernst Adler, verlor aus rassistischen Gründen seine Anstellung, wurde 1938 beim November-Pogrom verhaftet, eingesperrt, schikaniert und gequält und entging nur um Haaresbreite der Deportation in das KZ Dachau.

Glücklicherweise erweiterte die britische „Society for the Protection of Science and Learning“ (SPSL)  ihre Hilfsangebote für jüdische, und auch politisch unerwünschte Akademiker, die ihre Stelle nach Hitlers Machtübernahme verloren hatten, nach dem ‚Anschluss‘ auch auf Österreich. Prof. F. A. E. Crew, Vorstand des einzigen Diagnoselabors, das in den 1930er-Jahren Schwangerschaftstests in Großbritannien durchführte, kannte Kapeller-Adlers Histidin-Schwangerschaftstest und bot ihr einen Arbeitsplatz an seinem Institut an der Universität von Edinburgh an. Parallel dazu war ihr Mann einer der 50 österreichischen Ärzte, denen in Großbritannien eine Arbeitsmöglichkeit geboten wurde. Nun fehlte es nur noch an Bürgen, um das Visum für die Reise ins Exil zu bekommen. Dank der großzügigen Hilfe des ihnen persönlich unbekannten Ehepaares Ryder konnte Regine Kapeller-Adler mit Mann und Tochter Österreich verlassen, glücklicherweise auch ihre Möbel und die medizinischen Instrumente mitnehmen. Sie erreichten London am 27.1.1939 und reisten kurz darauf nach Edinburgh weiter.

Da weder sie noch ihr Mann die englische Sprache beherrschten – sie hatten in der Schule Französisch, Latein und etwas Griechisch –, mussten sie im Eiltempo Englisch lernen. Bereits im April 1939 hielt sie am Eleventh British Congress of Obstetrics and Gynaecology in Edinburgh einen Vortrag über ihren Schwangerschaftstest. Im Juli 1941 erhielt sie von der Universität Edinburgh für ihre Forschungsstudien die Auszeichnung ‚Doctor of Science‘ verliehen.

Aufgrund der Bedeutung ihrer Forschungsarbeit durfte Kapeller-Adler in Edinburgh bleiben, während ihr Mann als ‚enemy alien‘ von Mai bis September 1940 wie fast alle männlichen ‚refugees‘ aus Deutschland und Österreich auf der Isle of Man interniert war. Von Mai 1940-1944 arbeitete sie am Biochemical Laboratory (Vorstand: Dr. C. P. Stewart), Royal Infirmary, Edinburgh. Ernst Adler konnte 1941 die erforderlichen medizinischen Prüfungen ablegen und im Jahr 1942 seine Praxis in Edinburgh eröffnen.

„Regina“ erhielt den Spitznamen „Histamine-Queen“

Kapeller-Adler finanzielle Basis war trotz Anstellung auf ‚research grants‘ und ‚fellowships‘ angewiesen. Ihre berufliche Grundlage verbesserte sich erst 1951, als sie eine fixe Stelle als ‚Lecturer‘ am Dept. of Clinical Chemistry (Vorstand: Dr. C. P. Stewart), Edinburgh University erhielt, wo sie bis Juli 1964 blieb. Auch nach ihrer offiziellen Pensionierung im Jahr 1965 arbeitete sie weiter und wurde 1968 zum ‚Honorary Lecturer‘ ernannt. Neben ihrer ausführlichen Vortragstätigkeit bildete sie auch eine große Zahl von Studierenden aus, fungierte als ihre Mentorin und begleitet viele von ihnen auf ihrem weiteren Karriereweg. Sie war eine temperamentvolle Teilnehmerin an wissenschaftlichen Diskussionen und stand in regem Austausch mit KollegInnen aus aller Welt, auch solchen, mit denen sie gemeinsam in Wien gearbeitet hatte. Sie wurde von ihren wissenschaftlichen Kollegen zur Histamine Queen gekürt – ein Wortspiel mit ihrem Namen, das auch Respekt und Bewunderung ausdrückte.

Insgesamt verfasste Kapeller-Adler mehr als 60 Publikationen, bei allen ab 1930 war sie die einzige oder erste Autorin. In diesem Zusammenhang wird gerne eine Episode aus ihrem Leben erzählt, das ein Licht auf ihren kämpferischen Charakter wirft: Nach dem ‚Anschluss‘ Österreichs drang ein Nazi-Kommando in ihre Wohnung ein und verlangte ihre Schreibmaschine. Sie behielt jedoch die Nerven und bestritt überzeugend, ein solches Gerät zu besitzen; so konnte sie ihre Schreibmaschine retten, mit der sie all ihre Artikel verfasst hatte und alle noch folgenden schreiben würde.

Im Juni 1973 wurde ihr das Goldene Ehrendiplom der Universität Wien überreicht. Sie starb am 31. Juli 1991 in Edinburgh. Ihr Leben und Werk wurden in der Ausstellung Die Wiener Medizinische Fakultät 1938 bis 1945 am Josephinum in Wien gezeigt (2018).

Kapeller-Adlers Methode war ein wichtiger Schritt, aber noch nicht der endgültige Durchbruch. Da es in Einzelfällen zu falsch-positiven Ergebnissen kam, wurde ihr Test nicht allgemein eingeführt, von manchen Klinikern aber als Vorprobe genützt: War das Ergebnis positiv, war der Nachweis der Schwangerschaft gegeben; war das Ergebnis negativ, konnte man immer noch den aufwändigen A-Z-Test anschließen. Tatsächlich dauerte es dann noch bis Ende der 1950er-Jahre, bis die Tests an Tieren endgültig aufgegeben werden konnten. Bis zu den heutigen immunologischen Schwangerschaftstests war es noch ein langer Weg.

 

Literaturhinweise:

Regine Kapeller Adler: Über eine neue Methode zur quantitativen Histidinbestimmung und über deren Anwendbarkeit zur Untersuchung von biologischen Flüssigkeiten, insbesondere von Gravidenharnen. Biochem Zeitschrift 264, 1933, 131-141.

Regine Kapeller Adler: Eine neue Schwangerschaftsreaktion. Durch chemische Harnuntersuchung, in: Der Wiener Tag v. 30. Mai 1933, 6.

Regine Kapeller-Adler, Heinz Herrmann: Zur Frage der Histidinurie bei der Gravidität. Klinische Wochenschrift 13, 1934,1220.

Liselotte Adler-Kastner: From personae non gratae in Vienna 1938 to respected citizens of Edinburgh: a vignette of my parents Dr. Ernst Adler and Dr. Regina Kapeller-Adler, Wiener Klinische Wochenschrift 110/4-5, 1998, 174-180.

Liselotte Adler-Kastner: Visa to Freedom 1939 thanks to a Pregnancy Test - a Sketch of the Lives of my Parents in Pre-War Vienna, The Edinburgh Star 62, 2009, 9-11.

 

Susanne Krejsa MacManus hat Biologie studiert und ist freie Medizinjournalistin, Autorin und Archivarin. Sie schreibt u.a. für ÄrzteWoche, Wiener Geschichtsblätter, Biographisches Lexikon der ÖAW. Außerdem leitet sie Forschungsprojekte am Museum für Verhütung und Schwangerschaftsabbruch (MUVS) in Wien. 

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Kommentare

Redaktion

Sehr geehrter Frau Dr. Keil, da haben Sie natürlich recht - wurde soeben ergänzt! Beste Grüße, Peter Stuiber (Wien Museum Magazin)

Martha Keil

Wäre es nicht wissenschaftlich redlich, die Quellen dieses Artikels zu erwähnen, nämlich die Publikationen von und die Interviews mit Regina Kapeller-Adlers Tochter Dr. Lieselotte Adler-Kastner (London)?
Wie sie mir sagte, erhielt ihre Mutter nie eine Aufforderung zur Rückkehr nach Wien und hielt sich auch nicht mehr länger hier auf.

PD Dr. Martha Keil
Wissenschaftliche Leiterin des Instituts für jüdische Geschichte Österreichs (www.injoest.ac.at)

Alexandra Evelyn Bierbauer

Danke!

Fritz Zeilinger

Danke für diese tolle, leider auch tragische Lebens- und Wissenschaftsgeschichte.
Gab es je Versuche, diese Forscherin zu einer Rückkehr zu bewegen, bzw. gab es nach 1945 Aufenthalte von Dr. Kapeller-Adler in Wien, außer dem im Jahr 1973?
Danke!