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Selfstorage in Moskau
Wo in Moskau Dinge wohnen
Das „Museum für Industriekultur“ (Музей индустриальной культуры) am nördlichen Stadtrand von Moskau ist eine Lagerhalle mit unzähligen Objekten aus der Zeit des Kommunismus, vom Flugzeugcockpit bis zur Anstecknadel. Museumsdirektor Lev Zheleznjakov lebt den Traum aller passionierten SammlerInnen, indem er seine Kollektion kurzerhand zum privaten Museum erklärte und die Lagerhalle für BesucherInnen öffnete. Gemeinsam mit Olga Kaprova betreut er die unüberschaubare Zahl an Ausstellungsstücken, die in thematisch sortierten Objektgruppen die Halle füllen.
Das Wien Museum widmete dem Sammeln und Aufbewahren im Frühjahr 2019 die Ausstellung „Wo Dinge wohnen“. Dabei stand das Phänomen Selfstorage im Zentrum – ein stadtbildprägendes Geschäftsmodell, das flexibel mietbare Lagerräume anbietet, die zur Aufbewahrung genutzt werden können. Zentrum der Ausstellung waren Porträts von Selfstorage-MieterInnen, die auf Fotos und Videos ihren persönlichen Zugang zu diesem Phänomen schilderten.
Wie die Mieter_innen von Selfstorages hebt auch Lev Zheleznjakov vom Museum für Industriekultur in Moskau viele Dinge auf, wobei sich die Zahl der von ihm gesammelten Gegenstände in anderen Dimensionen bewegt als die des durchschnittlichen Storage-Users. Deshalb erschien die Idee des österreichischen Kulturattachés in Moskau, Simon Mraz, die Ausstellung „Wo Dinge wohnen“ für das Moskauer Museum zu adaptieren, durchaus sinnvoll.
Simon Mraz ist für unorthodoxe Ausstellungskonzepte bekannt – so charterte er 2013 für eine Ausstellung des Lentos Museums im russischen Murmansk den Atomeisbrecher 'Lenin' und zeigt regelmäßig Ausstellungen in seiner Moskauer Privatwohnung. Bei seiner aktuellen Veranstaltungsreihe „На районе/Jenseits des Zentrums“, organisiert vom Österreichischen Kulturforum Moskau, steht die Peripherie Moskaus im Mittelpunkt. In Ausstellungen und Filmscreenings von über 60 russischen und internationalen KünstlerInnen wird der Stadtrand von Moskau thematisiert. Die Ausstellung „Wo Dinge wohnen“ ist Teil dieses Programms.
Bei der Vorbereitung der Ausstellung in Moskau war von Beginn an klar, dass eine vollständige Adaption der Wiener Ausstellung aus Platzgründen nicht möglich sein würde. Deshalb wurde die Moskauer Variante als eine improvisierte Ausstellung der Selfstorage-Fotos von Klaus Pichler mit Einbeziehung von Pavel Cuzuiocs Videoporträts der Wiener Selfstorage- NutzerInnen – beide waren auch in der Wiener Ausstellung zu sehen – konzipiert.
Die beengten Raumverhältnisse im Moskauer Museum verlangten nach einer Lösung, die auf die Eigenheiten des Museums eingeht und die Fotos und Videos gleichberechtigt mit den Exponaten des Museums präsentiert. Wir versuchten, dies durch die Aufteilung der Ausstellung in mehrere Unterkapitel zu erreichen.
Die Fotos der Selfstorage-Gangbereiche, auf großen Stellwänden im Außenbereich des Museums montiert, waren als raumbildender Verweis auf den Innenraum des Museums gedacht. Bei der Bespielung des Innenraums ließen wir uns vom übervollen Sammelsurium des Museums inspirieren und platzierten die Bilder und Monitore so beiläufig wie möglich. Dabei bezogen wir die Charakteristika der Museumsräume ein und teilten die Ausstellung auf sieben Kapitel auf, die jeweils einem Thema oder einem/r Selfstorage-MieterIn gewidmet waren.
Eine Gruppe von Fernsehapparaten aus den 1970er Jahren diente beispielsweise als Display für Fotos von Schlössern der Selfstorage-Abteile; in einer Abteilung der Halle, die der Sowjet-Propaganda gewidmet ist, wurde das Porträt eines DDR-Devotionalien-Sammlers aufgebaut; die Fotografien einer Wiener Besitzerin von Opernballkleidern wurde inmitten einer Ansammlung an Frisörutensilien gezeigt. Dadurch ergaben sich teils skurrile Konfrontationen zwischen den Bildern und den Exponaten des Museums.
Unser Ziel war es außerdem, eine Ausstellung zu schaffen, die sich während der Ausstellungsdauer permanent transformiert. Ähnlich wie politische Systeme (um eines davon geht es schließlich im Museum), die sich über die Zeit verändern oder gar in sich zusammenstürzen, sollte auch die Ausstellung im ständigen Wandel begriffen sein. Die Bilder waren bewusst sehr lose befestigt oder an Exponate angelehnt, wodurch es in den engen Gängen ständig zu mehr oder minder freiwilligen Interaktionen zwischen BesucherInnen und Bildern kommen sollte. Wie geplant purzelten bereits am Eröffnungsabend einige Bilder von ihren Displays und wurden von den BesucherInnen neu platziert. Für die BesucherInnen möglicherweise ein leicht peinliches Erlebnis, für uns eine verstohlene Freude.
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