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Transport von Museumsobjekten
Von Nagel zu Nagel
444 Highlights aus der Sammlung des Wien Museums, allen voran Kunstwerke aus Wien um 1900, wurden im vergangenen Jahr in einer Ausstellung in Tokio und Osaka gezeigt. Das Publikumsinteresse war enorm – so auch der organisatorische Aufwand. Um eine Vorstellung davon zu geben, reicht es schon, die Reise eines einzelnen Werks genauer unter die Lupe zu nehmen. Zum Beispiel mit der „Dame in Gelb“ von Max Kurzweil, einem berühmten Gemälde aus dem Jahr 1899, das die japanischen Ausstellungsplakate und zahlreiche Merchandising-Artikel zierte und vor kurzem von Osaka nach Wien zurückgebracht wurde.
Nach Ausstellungsende im Dezember wurde das Bild in Osaka von der Wand genommen – „eh klar“. Dies geschah in diesem Fall durch vier speziell geschulte Mitarbeiter eines japanischen Arthandling-Unternehmens. Das Bild war mit einer besonderen Aufhängevorrichtung nicht nur gegen Diebstahl, sondern auch gegen Beschädigung durch Erdbeben gesichert. Nach der Abnahme wurde es auf einen Packtisch gelegt, um von Karin Maierhofer, der Gemälderestauratorin des Wien Museums, und Hideyuki Ohara, Restaurator für das National Museum of Art in Osaka, auf eventuelle Schäden hin untersucht zu werden. Und zwar auch auf jene Veränderungen in der Malschicht, die mit freiem Auge kaum zu erkennen sind und zB. durch Temperaturschwankungen ausgelöst werden können. Jeder Quadratzentimeter des Bildes und des Rahmens wurde für diesen Condition Report genau unter die Lupe genommen, sowohl auf der Vorder- als auch auf der Rückseite. Das kann auch schon mal eine Stunde pro Werk dauern. Mit der Restauratorenlampe werden dabei normalerweise besonders jene Stellen untersucht, die bereits instabil oder gefährdet sind.
In diesem Fall kam es zu keinerlei Veränderungen des noch in Wien vor dem Verleih frisch restaurierten Werkes, was im Zustandsprotokoll von beiden Seiten per Unterschrift bestätigt wurde. Eventuelle Schäden oder Veränderungen müssten auch für die Versicherung und die damit verbundene Schadensabwicklung genau dokumentiert werden. Versichert ist die „Dame in Gelb“ übrigens „von Nagel zu Nagel“, d.h. lückenlos vom Abhängen am Ursprungsort bis zum Wiederaufhängen im Depot oder Museum.
Nach der genauen Überprüfung kam die „Lady in Yellow“, wie sie in Japan genannt wurde, in eine auf Maß angefertigte gefederte Klimakiste, wie sie für besonders heikle Objekte verwendet wird. Eine solche High-Tech-Kiste ist deshalb notwendig, weil das Gemälde während des Transports Erschütterungen und erheblichen Schwankungen der Außentemperatur ausgesetzt sein kann. Gerade rasche Temperaturveränderungen sind sehr problematisch, das Klima innerhalb der Kiste ist durch die spezielle Ausführung mit Innen- und Außenkiste sowie einer grünen Isolierschicht besonders stabil. Langsame Temperaturveränderungen sind dennoch nicht auszuschließen, deshalb muss die Klimakiste 24 Stunden lang im temperierten Ausstellungsraum stehen, ehe man sie wieder öffnet.
Innerhalb der Kiste wurde die „Dame in Gelb“ in Tyvek, einen speziellen, nicht fasernden Vliesstoff aus Polyethylen gehüllt und erhielt zum Schutz außerdem an den Ecken vier Ethafoam-„Schuhe“. 36 Schrauben und ein Siegel bildeten den Abschluss. 315 Kilo Reisegewicht brachte die „Dame in Gelb“ damit auf die Waage. Ab diesem Moment durfte die Kiste nur noch im Beisein eines Kuriers des Museums bewegt werden.
Nachdem auch die anderen Kunstwerke in Kisten verpackt waren, erfolgte die Verladung in den LKW und der Direkttransport zum Flughafen. Im Cargo-Bereich wurde auf Spezialpaletten umgeladen, die „Dame in Gelb“ reist nämlich stets aufrecht und parallel zur Flugzeugaußenwand. Kein Moment des Alleinseins wurde ihr gewährt, neben dem Kurier wurde sie wie ein VIP immer auch von einem Supervisor der japanischen Kunstspedition überwacht.
Der Museumskurier ist neben der Crew oft die einzige Person an Bord, die Beladung ist gemischt – die „Dame in Gelb“ musste sich den Frachtraum nicht nur mit etlichen anderen Museumsobjekten, sondern u.a. auch mit einer Ladung lebender Spinnen teilen. Die Kunstwerke des Museums wurden übrigens auf drei Flugzeuge aufgeteilt, weil die Versicherungswerte und das Risiko gesplittet werden müssen. So packt man etwa nicht alle „Klimts“ , „Schieles“ und „Waldmüllers“ in einen Transport. Sechs Stunden dauerte es in diesem Fall, bis alle Exponate sicher im Flugzeug verstaut waren. Den Zielflughafen Frankfurt, der für solche großen Cargo-Maschinen ausgelegt ist, erreichte die „Dame in Gelb“ nach einem Elf-Stunden-Flug. Zurück nach Wien ging die Reise wieder per LKW. Nach 10 langen Stunden Autobahn erreichte die Reisegesellschaft endlich das Depot. Nun hieß es wieder Akklimatisieren, Auspacken, Zustandskontrolle…
Der Leihverkehr mit Kunstwerken wird übrigens vom Bundesdenkmalamt (BDA) streng überwacht. Jede Ausfuhr von Sammlungsobjekten muss genehmigt werden, ihr Zustand vor und nach dem Verleih wird gemeldet. Um besonders heikle Objekte zu schützen, kann das BDA auch Reiseverbote verhängen. Auslandsreisen sind für die „Dame in Gelb“ für die kommenden Jahre auf jeden Fall gestrichen, vermutlich bekommt man sie erst wieder in der neuen Dauerausstellung des Wien Museums zu Gesicht – bis dahin darf sie sich an der Hängewand im Depot ausruhen.
PS: Die Ausstellung „Vienna on the Path to Modernism“ war von 24. April bis 5. August 2019 im National Art Center Tokyo zu sehen (236.748 Besucher_innen) und wurde anschließend vom 27. August bis 8. Dezember 2019 im National Museum of Art in Osaka gezeigt (137.827 Besucher_innen). An dem Ausstellungsprojekt wurde im Wien Museum seit 2014 gearbeitet, die kuratorische Leitung hatte Vizedirektorin Ursula Storch inne. Neben den vier Kurator_innen der Ausstellung waren die gesamte Restaurierungsabteilung, zwei Registrarinnen sowie zahlreiche weitere Kolleg_innen aus den unterschiedlichsten Abteilungen daran beteiligt. 128 Kisten wurden verschickt, der gesamte Versicherungswert aller Objekte betrug mehrere Hundert Millionen Euro. Zu den Aufgaben der Registrarinnen zählten u. a.: Abwicklung aller Transporte, Abwicklung aller Versicherungsagenden (Versicherung und Staatshaftung), Kommunikation Leihgeber, interne Kommunikation, Vertragserstellung, Koordination Listen und Übersetzungen, Datenbankverwaltung / Standortverwaltung, Planung aller Dienstreisen, Planung der Auf- und Abbauten (Präsentationsvorgaben, Zeitpläne), Koordination Einpacken und Auspacken, Schnittstelle zum Leihnehmer, Schnittstelle Bundesdenkmalamt (Bescheide, Protokolle, Auflagen etc.).
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Kommentare
Liebe Gerlinde, wir freuen uns sehr über die positive Rückmeldung - und das Lob geben wir gerne an die Kolleg_innen weiter!
Vielen Dank für diesen detaillierten Bericht!
Bitte mehr von dieser Art, wie z.B. derzeit auch von der Baustelle.
Und hiermit auch ein großes Lob an alle, die im Hintergrund arbeiten!
Hallo Tina, danke für das tolle Feedback auf die Geschichte und das Magazin im Allgemeinen - das gibt uns Antrieb, so weiter zu machen!! LG Peter (Stuiber)
wow, sehr spannend!!! bitte mehr davon. Ich finde das "Magazin" war eine sehr gute Idee.
LG Tina
Vielen Dank für Ihre positiven Rückmeldungen - das freut uns wirklich sehr, denn diese Arbeit im Hintergrund ist so gut wie "unsichtbar".
@Johanna Kraft: Einige der Werke werden in der Dauerausstellung "Wien 1900" im Leopold Museum gezeigt: https://www.leopoldmuseum.org/de/ausstellungen/107/wien-1900
Außerdem sind unsere Fürstenfiguren von St. Stephan bis zu unserer Wiedereröffnung im Belvedere zu sehen: https://www.belvedere.at/sites/default/files/jart-files/PM-Fuerstenfiguren-de.pdf
Danke für die interessante Information!
Welche Werke werden ab nun in anderen Museen gezeigt?
(Wäre sicher besser als das Depot!)
"Von Nagel zu Nagel" ist für mich sehr interessant, sowohl der Inhalt als auch Video und Fotografien.
Danke
Ruth Maier
Danke für diesen anschaulichen Bericht. Man hat ja keine Ahnung, was da alles rundherum passiert und wie alles genau überpüft werden muss.
Ewald Muzler