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Andreas Brunner, 21.9.2023

W. H. Auden und Wien

„I won’t go there“

Am 29. September jährt sich der Todestag des britisch-amerikanischen Dichters Wystan Hugh Auden zum 50. Mal. Seit Ende der 1950er Jahre verbrachte er seine Sommer im niederösterreichischen Kirchstetten, 1973 verstarb er nach einer Lesung in der Österreichischen Gesellschaft für Literatur. Seine Beziehung zu Wien war durchaus ambivalent.

Die erste überlieferte Aussage Audens über Wien in einem Brief an seinen Dichterfreund Stephen Spender vom Oktober 1930 zeugt von wenig Interesse an der Donaumetropole: „I know nothing about Vienna except that I won’t go there. There are Turkish baths for the mutually attracted middle-aged, I believe.” In seiner Vorstellung waren die Männer mittleren Alters in den Wiener Bädern wenig attraktiv. Nicht unbedingt wählerisch bei seinen Sexualpartnern, genoss er selbstbewusst ein promiskes Sexualleben, dieses aber bevorzugt mit Gleichaltrigen im stark homosexuell geprägten Klima Oxfords. Und er hatte ja auch recht, Wien war in der Zwischenkriegszeit mitnichten ein „Eldorado“ für Schwule, wie es Auden in Berlin kennengelernt hatte, als er im Herbst 1928 seinen Freund und zeitweiligen Liebhaber Christopher Isherwood, der später mit seinen Berlin-Romanen die Vorlage für das Erfolgsmusical „Cabaret“ lieferte, besuchte.

Erst vier Jahre später sollte Auden unfreiwillig, weil sich ein mitreisender Freund auf dem Weg nach Transsylvanien am Fuß verletzt hatte, einen Zwischenstopp in Wien einlegen. „Reached Vienna in a thunderstorm“, heißt es in seinem Reisetagebuch „In Search of Dracula“ im Eintrag vom 28. August 1934. Dass der Herausgeber des Tagebuchs, das zu Lebzeiten Audens nie erschien, diese Aussage metaphorisch auf die politische Lage in Wien nach dem Attentat auf Engelbert Dollfuß bezog, scheint wenig begründet, denn erstens interessierte sich Auden damals (und auch später) nicht für österreichische Politik und zweitens waren die Zeitungen voll von Berichten über die schwüle Wetterlage mit trüben Aussichten und Wolkenbrüchen, die auch zu heftigen Überschwemmungen führten.

Auch Wien als Kulturstadt nahm Auden nur am Rande wahr. Er besuchte zwar mit offenbarem Vergnügen im Theater in der Josefstadt die Lustspiel-Operette „Die Prinzessin auf der Leiter“ von Robert Blum in der Bühnenbearbeitung und mit Gesangstexten und Musik von Ralph Benatzky, einem Besuch des Kunsthistorischen Museums zog es aber eine Rundfahrt mit dem Fiaker vor. Seinen zweiten Abend in Wien verbrachte er im Kino und sah den Film „The White Zombie“ mit Bela Lugosi.

Auden war zu diesem Zeitpunkt noch nicht an klassischer Musik und Oper interessiert. Der musikalische Geschmack im England seiner Jugendzeit, sollte er später einmal ausführen, schrieb vor, dass die „Oper nicht als etwas Edles, Hohes anzusehen“ war. „Mozart war wohl Mozart – obgleich man Bach für höher hielt –, seine Opern mußte man gelten lassen, aber keinem Kunstbeflissenen jener Zeit wäre es auch nur im Traume eingefallen, Wagner oder Verdi zu hören.“ Sein Interesse an Oper sollte aber mit den Jahren wachsen, was schließlich den Kauf eines alten Bauernhauses in Kirchstetten beeinflusste.

Nachdem Auden 1957 den hochdotierten italienischen Literaturpreis Premio Feltrinelli erhalten hatte, suchte er nach einer neuen Sommerresidenz, denn seit 1948 verbrachte Auden mit seinem Partner Chester Kallman die Sommer in Ischia, wo sich jedes Jahr eine „recht beachtliche Künstlerkolonie“ traf, wie der deutsche Komponist Hans Werner Henze die auch als Paradies für Schwule bekannte italienische Insel in seiner Autobiografie „Reiselieder mit böhmischen Quinten“ beschrieb. Doch war es Auden, wie Henze nicht ohne Witz beschrieb, schlicht zu heiß: „W. H. Auden rennt durch diese unerträgliche Luft, er ist schweißnaß, schlägt an meine Haustür, bittet um Wasser, setzt sich ein wenig in den Schatten, springt auf, rennt wieder los.“

Ein Haus in einem (kühleren) deutschsprachigen Land sollte es werden, in der Nähe eines guten Opernhauses, und so fiel seine Wahl auf Österreich, das Auden schon vor seinem kurzen Wien-Intermezzo 1934 bei seiner ersten Auslandsreise überhaupt besucht hatte. Im Sommer 1925 kam er gemeinsam mit seinem Vater nach Österreich, wo er zunächst die Salzburger Festspiele besuchte und später bei Hedwig Petzold, der Frau des bereits 1923 verstorbenen Arbeiterdichters Alfons Petzold, in Kitzbühel wohnte, um Deutsch zu lernen.

Hedwigs Tochter machte ihn schließlich auf das kleine Bauernhaus in Kirchstetten aufmerksam, das Auden 1958 erwarb und für seine Bedürfnisse adaptierte. Eine moderne Küche mit Kühlschrank wurde angeschafft, unter dem Dach richtete er sich, nur über eine Außentreppe erreichbar, seine Schreibstube ein. Zwischen April und September hielt das Paar nun in Kirchstetten Hof, empfing Gäste und Freund:innen und nahm – zumindest Wystan – rege am dörflichen Leben teil, wenn er einkaufen ging, das Gasthaus zum Telefonieren aufsuchte (er hatte keinen eigenen Anschluss im Haus) oder bei der sonntäglichen Messe laut (und falsch, wie manche behaupteten) mitsang. Nur zur männlichen Jugend hielten beide eine große Distanz.

Homosexuelle Handlungen waren bis 1971 strafrechtlich verboten und konnten mit hohen Kerkerstrafen bestraft werden. Dessen waren sich Auden und Kallman sicher bewusst. Hinzu kam die gesellschaftliche Ächtung, die Homosexuelle im katholisch-konservativen Klima der späten 1950er und frühen 1960er-Jahre fürchten mussten. Gleichgeschlechtliche Kontakte, das Paar hatte schon lange keinen Sex mehr, suchten sie in der schwulen Subkultur in Wien. Besuche von Chester im „Goldenen Spiegel“, einem Stricherlokal am Naschmarkt, sind belegt, aber auch Wystan muss sich in der Subkultur bewegt haben. Wo sonst hätte er seinen langjährigen Liebhaber Hugerl kennengelernt, einen Automechaniker, den er für Sex bezahlte. Auden verzieh seinem „bed-visitor“, wie er ihn in einem posthum veröffentlichten Liebesgedicht nannte, selbst, dass dieser seinen blitzgelben VW-Käfer für eine Einbruchstour entwendete, die nach in einem Schusswechsel mit der Polizei in einer mehrmonatigen Haft Hugerls und einem Einschussloch im VW-Käfer endete, das Auden mit einem gewissen Stolz Gästen zeigte.

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Auden-Museum in Kirchstetten, Foto: Carmen Auer

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Audens VW-Käfer, Foto: Carmen Auer

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Auch das Wiener Opernhaus war für Auden ein Fixpunkt. 1951 hatte er gemeinsam mit Chester Kallman das Libretto für Igor Strawinskys „A Rake’s Progress“ geschrieben. In der Zeit, als sie ihr Haus in Kirchstetten bezogen, arbeiteten sie am Libretto für „Elegie für junge Liebende“, einer 1961 uraufgeführten Oper von Hans Werner Henze, die „der Erinnerung an Hugo von Hofmannsthal, Österreicher, Europäer und Meisterlibrettist“ gewidmet war. Fünf Jahre später folgte eine zweite Oper für Henze, die 1966 bei den Salzburger Festspielen uraufgeführten „Bassariden“. Musik nahm im Leben des Paares inzwischen eine wichtige Stellung ein. Schon in den 1930er-Jahren hatte Benjamin Britten Texte von Auden vertont, darunter auch den bekannten „Funeral Blues“. Seit den 1950er-Jahren übersetzen sie auch Libretti von Opern wie „Blaubarts Burg“ von Béla Bartók, „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“ von Brecht/Weill und Mozarts „Zauberflöte“ und den „Don Giovanni“ ins Englische.

Auf Ischia hatte Auden schon Ingeborg Bachmann kennen gelernt, die in dieser Zeit mit Hans Werner Henze eng befreundet war. In Wien wurde Auden auch Teil des literarischen Lebens der Stadt. Er las in der Österreichischen Gesellschaft für Literatur im Palais Wilczek und fand in deren Leiter Wolfgang Kraus einen gewichtigen Unterstützer. Auch zu Übersetzer:innen seiner Gedichte entwickelten sich zum Teil langjährige Beziehungen. Wenig nachhaltig waren Begegnungen mit Gerhard Fritsch, der 1961 das Langgedicht „Hier und Jetzt“ übersetzte, und mit Ernst Jandl, dessen einziges Zusammentreffen mit Auden bei einer Lesung in London eher unglücklich verlief, weil auch Auden mit seiner Meinung, dass er von Jandls Dichtkunst wenig halte, nicht hinter dem Berg hielt. Nichtsdestotrotz steuerte Jandl zehn Übersetzungen zu einer deutschsprachigen Ausgabe von Audens Gedichten bei, die am Vorabend von Audens Tod vorgestellt wurde, deren Erscheinen im Wiener Europaverlag er aber nicht mehr erlebte.

Neben Herta Staub, der Geschäftsführerin der Rudolf-Kassner-Gesellschaft, die als Netzwerkerin im Hintergrund die deutschsprachige Edition von Audens Gedichten betrieb, war es vor allem Hilde Spiel zu der Auden ein freundschaftliches Verhältnis unterhielt. Sie übersetzte nicht nur insgesamt fünfzehn Gedichte Audens, sondern kümmerte sich auch um persönliche Angelegenheiten des Dichters. So intervenierte sie 1972 in einer Steuersache Audens direkt bei Bundeskanzler Bruno Kreisky. Offenbar erfolgreich, denn das österreichische Finanzamt sah von einer Besteuerung von Audens Einkünften in Großbritannien und den USA ab.

Einem Ur-Wiener Dichter widmete Auden ein eigenes Gedicht: Josef Weinheber. Und ignorierte dabei großzügig dessen Naheverhältnis zur NS-Diktatur. Auch wenn der im Alter durchaus konservative Auden das NS-Regime grundsätzlich ablehnte, war Weinheber für ihn in erster Linie ein Dichterkollege, den er als Dichter verehrte. Damit schloss er sich der Meinung des katholischen Schriftstellers Friedrich Heer an, der mit Auden eng befreundet, das unangreifbare Dichtertum Weinhebers verteidigt hatte. „Hart und unerbittlich zimmert er, ein technisches Talent ersten Ranges, seine Verse”, schrieb Friedrich Heer über Weinheber – und man könnte diese Zeilen auch auf Auden münzen, dem selbst von seinen schärfsten Kritikern eine unleugbare technische Brillanz zugestanden wurde.

Hinweis:

Aus Anlass des 50. Todestages von W. H. Auden findet in Kirchstetten von 29. September bis 1. Oktober ein Poesiefestival statt. Auf dem Programm stehen u.a. Lesungen, Podiumsgespräche und Spaziergänge (zum Grab und zum Auden-Haus). Anreise via Bahn und Shuttlebus möglich! Mehr Informationen hier. Zu Auden in Kirchstetten ist 2018 eine eigene Publikation (Hg. Helmut Neundlinger) erschienen.

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Andreas Brunner, Studium der Theaterwissenschaft und Germanistik, daneben auch als Möbelrestaurator, Filmproduzent, Kellner, Koch, Buchhändler oder Literaturagent tätig. Seit Ende der 1980er-Jahre in der Wiener Schwulen- und Lesbenbewegung engagiert, in der Rosa Lila Villa, Mitarbeiter der ersten schwulen Buchhandlung „Löwenherz“, Gründung der Regenbogen Parade, Ko-Kurator der Ausstellung „geheimsache:leben. schwule und lesben im wien des 20. Jahrhunderts“ (2005) und von „Sex in Wien. Lust. Kontrolle. Ungehorsam“ (2016), Ko-Leiter von QWIEN - Zentrum für queere Geschichte, Forschungen und Publikationen zur schwul/lesbischen Stadtgeschichte, Entwicklung schwul/lesbischer Stadtführungen, Aufbau eines Archivs für die Geschichte von LGBTI* in Wien.

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Alexandra Evelyn Bierbauer

Danke!