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Hermann Czech, 27.8.2020

Wiedereröffnung Sigmund Freud Museum

Museum mit zwei Inhalten: Berggasse 19

Hermann Czech über das Umbaukonzept des Sigmund Freud Museums und die Ausstellungsgestaltung in entleerten authentischen Räumen.

Das Gebäude

Bei der Neugestaltung des Sigmund Freud Museums geht es nicht um die Erhaltung, Restaurierung, Rekonstruktion oder auch den Umbau eines architektonischen Objekts. Es stellen sich zwar ebenso die Fragen, ob und wie architektonische und räumliche Werte zu erhalten, Schäden und Fehlstellen zu reparieren und zu ergänzen (aber nicht zu verleugnen) sind, und wie allenfalls aus dem Bestand und erforderlichen neuen Interventionen ein neues Ganzes zu schaffen ist, aber diese Fragen stellen sich nicht primär aus dem Gebäude als einem Werk der Baukunst. Zielsetzungen, wie sie zum Beispiel bei David Chipperfields Wiederaufbau des Neuen Museums in Berlin 2003–2009 gefasst wurden, sind in ihrer Reflexion und Konkretheit tragfähige Parallelen, haben aber einen anderen Ausgangspunkt.

Das Haus Berggasse 19 ist ein respektables, in Einzelheiten nicht unoriginelles Miethaus der Wiener Hochgründerzeit. Sein hoher Denkmalwert begründet sich aber nicht daraus, sondern aus der historischen Nutzung des Mezzanins und des Hochparterres. Diese Räume sind ein Museum ihrer selbst. Von der historischen Nutzung enthalten sie allerdings nur bauliche, teilweise verborgene Spuren. Diese authentischen Gedenkräume sind die Ursache und der zentrale Gegenstand der Intervention, und zwar als Ambiente der historischen Personen, nicht primär als architektonische Substanz.

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Nunmehr sind für einen den Besuchszahlen entsprechenden geregelten Museumsbetrieb neue Serviceeinrichtungen erforderlich: ein Veranstaltungssaal im ersten Stock sowie die Museumskasse, ein Shop und ein Café im Erdgeschoß. Diese Eingriffe finden außerhalb der authentischen Räume statt. Lediglich die zusätzliche vertikale Erschließung durch einen Aufzug und eine Fluchttreppe beansprucht Flächen der historischen Nutzung, nämlich die ehemalige Küche und einen Nebenraum.

Unseren Maßnahmen in diesen „nicht-authentischen“ Teilen des Hauses liegen keine speziellen denkmalpflegerischen Entscheidungen zugrunde. Sie folgen sorgfältigen Überlegungen, wie sie bei jedem Umbau anzustellen sind, und die den Bestand sowohl respektieren als auch sinnvoll umdeuten und ein neues Ganzes ergeben.

Rekonstruktionen stehen in diesem Bereich nicht zur Diskussion, auch im Äußeren nicht. Die Straßenfassade der Obergeschoße ist im Bestand saniert, wie man das bei jeder respektierten Gründerzeitfassade machen würde. Im Erdgeschoß haben wir die originale in Putz ausgeführte Fassade mit ihrer Rustika-„Stein“-Teilung in keiner der voneinander abweichenden Fassungen (des Einreichplans und der tatsächlichen originalen Ausführung) rekonstruiert. Unsere reduzierte Gestaltung der Portale für Shop und Café verwendet die seit 1956 bestehende glatte Putzfront mit den drei seither gleichen Öffnungen (damals wurde die mittlere, ursprünglich symmetrisch dem schmäleren rundbogigen Haustor entsprechende Geschäftsportalöffnung vergrößert). In der westlichsten Achse, links vom Haustor, waren die Mauerpfeiler schon vor 1938 glatt verputzt; wegen der schadhaften Verkleidung wurde das damals nur verdeckte Gurtgesims jetzt freigelegt. Die Hoffassade blieb in der (nach 1945 hergestellten) Fassung ohne ornamentale Gliederung.

Das Stiegenhaus, insbesondere der zum Hof befahrbare Hausflur hinter dem Haustor und der rechtsseitige offene Aufgang ins Hochparterre gehörten zu der alltäglichen Umwelt der Familie Freud, ihrer Gäste und schließlich der Patientinnen und Patienten. Genau genommen sind sie der besterhaltene Teil dieses historischen Ambientes. Schon um dieser Erfahrung willen nimmt der reguläre Zugang zum Museum nach wie vor diesen räumlich charakteristischen Weg.

Die authentischen Räume  

Persönliche Gedenkstätten können verschiedene Voraussetzungen haben. Fast immer durch den Ortsbezug definiert, kann ihr Originalbestand zwischen null und vollständiger Erhaltung variieren.

Ein extremes Beispiel: Das Erdgeschoß des Wohnhauses von René Magritte (1898–1967) und seiner Frau Georgette Berger (1901–1986) in einem Vorort von Brüssel – offenbar seit seiner Nutzung als Wohnhaus und Atelier der beiden (bis 1954) wenig verändert – wurde durch einen Sammler sorgfältig restauriert und 1998 eröffnet. Es bietet die nahezu perfekte Illusion, in das originale Ambiente einzutreten. Sogar der präparierte Hund auf dem Bett ist nicht unerträglich.

Johann Wolfgang Goethes Haus in Weimar ist vom Bewohner selbst schon auf die Repräsentation seiner Persönlichkeit für die Zeitgenossen zugerichtet worden. Der Architekt John Soane hat drei Reihenhäuser des Georgianischen London zwischen 1810 und 1837 schrittweise in seine Residenz verwandelt, aber dabei schon für die Nachwelt als Museum für seine eigene und die Architektur überhaupt konzipiert.

Ein Gegenbeispiel: Das Haus, das sich Benjamin Franklin (1705–1790) in Philadelphia 1763 errichten ließ, wurde 1812 aus Renditegründen abgebrochen und durch eine Neubebauung ersetzt. Ab 1972 wurde eine Rekonstruktion diskutiert. Über einem unterirdischen Museum wurde schließlich eine „ghost“ reconstruction durch Robert Venturi, John Rauch und Denise Scott Brown ausgeführt und 1976 eröffnet. Sie besteht aus den mit Stahlprofilen dargestellten Umrissen des Hauses und der Druckwerkstatt – lediglich aufgrund von historischen Versicherungsunterlagen.

Wenn Sigmund Freuds Wohnung und Ordinationen (letztere vor und nach 1908 in verschiedenen Geschoßen) nunmehr praktisch ihrer Einrichtung und Ausstattung, ihrer Wandoberflächen beraubt sind, so ist das nicht einem Naturereignis und nur zum kleinen Teil (Wechsel der Ordination) unschuldigen Geschichtsläufen zuzuschreiben.

Freuds Familie wurde 1938 aus ihrer Mitwelt – von eben dieser – vertrieben. Sein Hab und Gut konnte Freud mitnehmen. Dass die originäre Gedenkstätte mit dieser Leere zurechtkommen muss, war seit ihrer ersten Eröffnung 1971 klar. Die gegenwärtige Direktion würde die – vielfach versuchte – Rückholung der Couch aus London sogar für eine Geschichtsfälschung halten.

Die Gedenkstätte kann nur auf den leeren authentischen Ort verweisen: Hier war das – hier lebten Freud und seine Familie, hier wuchsen die Kinder auf. Und hier entstanden die Anfänge der Psychoanalyse – nicht nur durch Freud selbst und seine Analysefälle, sondern auch durch die Teilnehmer der Psychologischen Mittwoch-Gesellschaft und schließlich durch Anna Freud. Aber es ist nichts mehr da.

Wir wissen zwar, wie die meisten Räume ausgesehen haben: 1938 hat der Fotograf Edmund Engelman ihren Zustand dokumentiert. Nada Subotincic hat 1997 nach diesen Schwarz-Weiß-Fotos minutiöse Wandansichten und einen Grundriss von Ordination und Arbeitszimmer gezeichnet. Fast alle Gegenstände, wie etwa der Schreibtisch mit allem, was darauf stand, befinden sich in London und sind dort genau dokumentiert. Könnte man versuchen, zumindest diese wichtigsten Räume im Zustand von 1938 nachzubilden?

Neben die methodischen Fragen, die ein solches Vorhaben aufwürfe (einmal die Farbwiedergabe, danach die Simulation der Wand-, Decken- und Bodenoberflächen, die Wiederherstellung der Möbel, schließlich die Repräsentation der antiken Originale und der Bücher, überhaupt aller Gegenstände, bis zum Zigarrenstummel?), tritt alsbald die Einsicht, dass das Ergebnis nur ein Surrogat sein könnte. Schon der ersichtliche Aufwand dieser Bemühung würde vom Gegenstand der Ausstellung ablenken. Das gilt aber auch für jeden Versuch einer „abstrakten“, „symbolischen“, also irgendwie reduzierten Wiedergabe, die sich jedenfalls mit der methodischen Klarheit der Texte Sigmund Freuds messen müsste.

Schließlich würde der Versuch einer Wiedergabe der Raumausstattung sogar einer anderen Zielsetzung im Wege stehen, nämlich der sachlichen Information. Das Sigmund Freud Museum soll auch wissenschaftliche, historische und biografische Information über die Psychoanalyse, ihre Entstehung und die beteiligten Personen vermitteln. Dieser Aspekt ist nicht an bestimmte Räume (nicht einmal an das Freud-Wohnhaus überhaupt) gebunden.

Für dieses nicht unmittelbar die authentischen Räume betreffende Ausstellungsmaterial werden nun gerade nicht die Wände dieser Räume benutzt. (Darin unterscheidet sich die neue Präsentation von der bisherigen des Freud-Museums.) Diese Information mit ihren zahlreichen Exponaten ist in Vitrinen angeordnet und bildet einen eigenständigen kuratorischen Zusammenhang, auf den Abfolge und Form der Vitrinen abgestimmt sind.

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An den Raumwänden finden sich ausschließlich Hinweise zu den Hausräumen und ihrer historischen Nutzung, Einrichtung und ihren Oberflächen (deren konservatorisch-restauratorische Befunde werden gezeigt). Sie vermitteln die örtliche und räumliche Präsenz: die physische Erfahrung der wichtigsten authentischen Lokalität, in der die wissenschaftliche Arbeit und die persönliche Lebensführung der beteiligten Menschen stattfand. Insofern sind die authentischen Räume in diesem Gebäude ein Museum ihrer selbst. Dieser Aspekt kann nur im Haus Berggasse 19 wahrgenommen und erlebt werden – im Verständnis seiner Räume und ihres Zusammenhangs.

Die Ausstellung vermeidet es, den allgemeinen Informationsaspekt und den Örtlichkeitsaspekt medial zu vermischen. Zwar sind die beiden Aspekte im Museum gleichzeitig repräsentiert und werden simultan erfahren – in manchen Fällen treten die Räume und die Exponate der Vitrinen sogar in lose Beziehung –, doch dient es der Verständlichkeit der vermittelten Inhalte, wenn man sie gedanklich auseinanderhalten kann.

Der Weg durch das Museum bietet also einerseits eine Erfahrung der Räume und ihrer Anordnung, ihrer ehemaligen Nutzung und Geschichte, sowie einzelne Hinweise zu ihrem ehemaligen Aussehen. Andererseits liefert er – davon unterschieden – eine abgestufte allgemeine Information durch Exponate, Texte und Bilder.

Die Familie Freud verließ das Haus Berggasse 19 im Juni 1938. Sowohl vor als auch nach diesem kritischen Zeitpunkt haben Veränderungen ihrer Räume und des Hauses stattgefunden, welche für die Gedenkstätte relevant sind.

Vor 1938 betreffen sie den Wechsel von Mietflächen, den Wechsel der Ordination, den Wechsel in der Benützung durch die Familienmitglieder. Nach 1938 spiegelt das Haus die Zeitgeschichte: Teile des Hauses dienten als „Sammelwohnungen“ für jüdische Menschen vor deren Deportation, wurden „arisiert“, das heißt von nichtjüdischen, meist nationalsozialistischen Personen bewohnt, oft bis weit nach 1945. 1971 wurde eine Freud-Gedenkstätte eröffnet und Ende der 1980er-Jahre umgestaltet; auch diese Eingriffe – und schließlich die jetzt vorgenommene Adaption – sind zu reflektieren und verständlich darzustellen. Das wäre bei der ausschließlichen Referenz auf den Zustand von 1938 nicht möglich.

Die Quellen für diese Information sind neben der Literatur (Beschreibungen, Briefe), die von der wissenschaftlichen Leitung des Museums, Daniela Finzi, gesammelt wurde, restauratorischen Befundungen von Wand-, Decken- und Bodenflächen von Hans Hoffmann und aktuell vom Team Riff OG, schließlich in Verbindung damit Foto- und Filmmaterial, das Gerhard Flora im Detail untersucht hat. Die daraus zu gewinnenden Aufschlüsse sind punktuell und vielfach zufällig. Außerdem müssen sie hinsichtlich ihrer beim Museumsbesuch verständlichen Darstellbarkeit ausgewählt werden.

Für die Präsentation der Hausgeschichte bieten sich die nunmehr nicht authentischen Wände der neuen Erschließungs- und Fluchttreppe an. Von den baulichen Interventionen durch Wolfgang Tschapeller (1989) haben wir im Zuge der Erweiterung der Ausstellungsfläche einige entfernt oder neu platziert, andere (etwa die Fluchttreppe zum Hof) belassen.

Der Parcours durch das Museum wird den Besucherinnen und Besuchern weitgehend selbst überlassen; möglichst früh sollte jedoch eine Orientierung (mental map)entstehen können, die eigenständige Rück- und Querwege begünstigt.


In den Anfängen dieses gedanklichen Konzeptes haben sich Walter Angonese, Bettina Götz, Richard Manahl (die letzteren beiden als Büro ARTEC) mit dem Verfasser in der Wettbewerbsphase 2017 zusammengeschlossen und nach der Beauftragung den Umbau geplant. Walter Angonese ist wegen der geografischen Entfernung seines Büros während der Ausführungsphase aus der operativen Teilnahme ausgeschieden.

Dieser Text ist in der neuen Publikation zum Sigmund Freud Museum erschienen. Das Sigmund Freud Museum ist täglich von 10 bis 18 Uhr (Mittwoch: bis 21 Uhr) geöffnet.

Hermann Czech, geboren in Wien, war als Student bei Konrad Wachsmann an der Sommerakademie Salzburg und diplomierte bei Ernst A. Plischke an der Akademie der bildenden Künste in Wien. Sein ungleichartiges architektonisches Werk umfasst Stadtplanung, Wohn-, Schul- und Hotelbauten ebenso wie Interventionen kleinen Maßstabs und Ausstellungsgestaltungen. Er ist Autor zahlreicher kritischer und theoretischer Publikationen zur Architektur. Gastprofessuren u. a. an der Harvard University, an der ETH Zürich und an der Akademie der bildenden Künste in Wien.

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