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Hanns Martin Pfefferle, 16.7.2021

Wiens Bewerbung um die Sommerspiele 1964

Olympische Träume

In ein paar Tagen werden in Tokio die Spiele der XXXII. Olympiade eröffnet. Schon im Jahr 1964 fand das globale Event in der japanischen Metropole statt. Doch fast wäre es anders gekommen: Denn für die Sommerspiele 1964 hatte sich auch Wien beworben!

Heute denken wir vor allem an die in Innsbruck 1964 ausgetragenen Winterspiele zurück. Aber Österreich wollte alles – Sommer und Winter! Im Jahr 1958 bemühte sich das Österreichische Olympische Komitee jedenfalls um die Austragung beider Spiele. Bei den Winterspielen setzte sich Innsbruck gegen Calgary und Lahti durch, bei den Sommerspielen unterlag Wien der japanischen Bewerbung. Auch im Rennen waren Detroit und Brüssel – am Ende stimmten 34 Mitglieder des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) für Tokio, 10 für Detroit und 5 für Brüssel. Österreich landete mit 9 Stimmen auf dem ehrenvollen, aber fruchtlosen Bronzeplatz.

Wie die anderen Städte hatte sich Wien mit umfangreichen Unterlagen beim IOC um die Austragung beworben. Aus heutiger Sicht stellen diese Dokumente faszinierende Einblicke in das Wien der Nachkriegszeit dar, besonders in den die 1950er Jahren charakterisierenden Versuch, die Stadt international zu positionieren. Die Art und Weise, wie sich die damaligen Verantwortlichen die Wiener Sommerspiele 1964 vorgestellt haben, ist noch heute hochspannend.

Die offizielle Rhetorik war vorhersehbar. In seinem der Bewerbung vorangestellten Brief, lud Bürgermeister Jonas die „Jugend der Welt“ für 15. Juli bis 15. August 1964 in ein altbekanntes Wien:

Die Teilnehmer an den Olympischen Spielen werden in eine Stadt mit großer Vergangenheit und lebendigster Gegenwart kommen, deren Gastlichkeit sprichwörtlich ist und die sie herzlich willkommen heißen wird.

Die Unterlagen selber – von der Stadt Wien auch als gebundene Publikation herausgegeben – sprechen jedoch eine andere Sprache. Die IOC Mitglieder wurden zwar mit den ewigen Kulturdenkmälern der Stadt bezirzt. Wahrzeichen wie Stephansdom oder Staatsoper, beide gerade wiederaufgebaut, nahmen aber nur einen peripheren Platz ein. Im Zentrum stand ein anderes Wien: das Wien der moderaten Moderne.

Der absolute Star der Bewerbung war die eben fertiggestellte Stadthalle mit ihren Nebenhallen (damals waren es drei). Die moderne Ikone nahe des Westbahnhofs bestach durch ihre geraden architektonischen Linien. Diese suggerierten ein neues, aufstrebendes, bauendes Österreich, das sich nur drei Jahre nach dem Staatsvertrag für eine internationalen Zukunft empfahl.

Das Areal des Veranstaltungszentrums wurde in Plänen, Grundrissen und Querschnitten gezeigt. Und in vielen Abbildungen: von der Eishalle zur Kegelbahn und vom Trainingsbecken fürs Rudern zur Kaffeehaus-Terasse. Alles funkelnagelneu!

Aber es ging nicht nur um die Stadthalle. Die Bewerbungsunterlagen befassten sich mit der ganzen Stadt, besonders in Hinblick auf die Frage, wo die dutzenden Medaillenkämpfe der Spiele konkret stattfinden würden. Die Stadthalle mit ihren Nebenhallen war als Location für alle Hallensportarten vorgesehen (Geräteturnen, Gewichtheben, Fechten, Boxen, Ringen, Basketball und Volleyball). Die Freiluftwettbewerbe wiederum sollten im Prater stattfinden. Für Rudern und Kanu war die Alte Donau eingeplant, den Schießsport hätte es nach Simmering verschlagen.

Der Prater wäre das Zentrum der Spiele gewesen. So hätten dort die olympischen Reitwettbewerbe stattfinden sollen, sowohl in der Freudenau als auch darüber hinaus. Der Bahnradsport sollte im alten Radstation, dass sich an der Stelle des heutigen Ferry-Dusika-Hallenstadion befand, ausgetragen werden. Das 1948 neu erbaute Stadionbad – das alte war im Zweiten Weltkrieg zerstört worden – sollte die Wettkampfstätte für die Schwimmsportarten (Schwimmen, Kunstspringen und Wasserball) werden. Schon 1950 fanden hier die Schwimmeuropameisterschaften statt, eine der ersten internationalen Sportveranstaltungen im Wien der Nachkriegszeit.

Wirkliches Herzstück der Spiele sollte aber das Praterstadion sein. Wie an so vielen Orten Wiens, wurde auch dort in den 1950er Jahren modernisiert. Ein 1959 eröffneter dritter Rang erhöhte das aus den 1930er Jahren stammende Stadion auf eine Kapazität von über 90.000 Zuschauer.

In den Plänen der Stadt war das Stadion die natürliche Heimstätte für die Leichtathletik. Interessanterweise fanden weder Eröffnungs- oder Schlussfeier in den Unterlagen Erwähnung. Doch kann angenommen werden, dass auch diese im Praterstadion stattgefunden hätten. Weitere Sportstätten, so die Stadt, könnten jederzeit gebaut werden, sollte das IOC meinen, das die vorgeschlagenen, den olympischen Ansprüchen nicht genügen sollten.

Olympia in Favoriten

Apropos olympische Ansprüche: Neben den Sportstätten brauchte Wien für die Bewerbung um Olympische Spiele natürlich auch ein sogenanntes Olympisches Dorf – der Ort an dem die Athleten und Athletinnen während der Spiele wohnen würden. Auch dafür hatte die Stadt bereits zwei Standorte angedacht: beim Böhmischen Prater oder in Oberlaa. Zusätzlich sollte es ein Pressedorf beim Wienerberg geben.

Das moderne, internationale Wien wurde auch im Kontext seiner Verkehrsanbindungen angepriesen. Die Stadt betonte ihre zentrale Lage in Europa und der Welt. Besonders prominent: der rapide wachsende Flughafen in Schwechat, der nach dem 2. Weltkrieg Aspern abgelöst hat. Das Nahverkehrsnetz kam dagegen viel weniger zur Sprache. Welche Öffis die Zuschauer zu den Spielen bringen würden, blieb dezidiert unterbeleuchtet.

Und die Nazi-Vergangenheit? Der Zweite Weltkrieg war ja vor kaum einem Jahrzehnt zu Ende gegangen. Ein Thema in der Olympia-Bewerbung? Absolut! Aber mit einer massiven Dosis von nachkriegsösterreichischem Opfermythos. Folgende geradezu poetisch verklausulierten Zeilen schickte die Stadt an das IOC:

Die Sympathie der Welt hat sich Wien zugewendet, als es von der Tragödie unseres Jahrhunderts überwältigt wurde und die größte Demütigung seiner alten Existenz erlitt. Aber es blieb in den fünf Kontinenten unvergessen. Die Sympathie der Welt wandte sich Wien abermals zu, als es zugleich mit Österreich seine Freiheit zurückgewann. Heute ist Wien die freie Hauptstadt eines freien, demokratischen und neutralen Staates, eine der schönsten, sichersten und ehrenwertesten Großstädte der Welt. (S. 46)

Aber solcherart „Ehrenwertigkeit“ war letztlich nicht genug. Nicht, dass sich das IOC an Österreichs mangelnder Vergangenheitsbewältigung gestoßen hätte – Innsbruck wurden ja die Winterspiele 1964 zugeschlagen.

Was könnten also die Gründe für Wiens Scheitern gewesen sein? Hier sind wir auf Vermutungen angewiesen, denn das Auswahlverfahren sah keine Begründungen für individuelles Stimmverhalten vor. Mehrere Aspekte sprachen jedoch ziemlich eindeutig gegen die Wiener Bewerbung.

So hatte sich Tokio bereits für die Sommerspiele 1960 beworben. Damals wurde aber Rom zum Gastgeber gewählt, was Tokio wiederum zu einem großen Favoriten für 1964 machte. Denn die Rotation zwischen Kontinenten wurde nach dem 2. Weltkrieg eine Priorität der Olympischen Bewegung. Nach den Spielen in Rom war es also äußerst unwahrscheinlich, dass gleich wieder eine europäische Stadt an die Reihe kommen würde. 

Erst 1972 würde es mit München wieder soweit sein. Nachdem 1968 mit Mexiko das erste lateinamerikanische Land zum Zug kam, sollte wieder die Stunde Europas schlagen. In Wien wurde wieder ernsthaft über eine Bewerbung nachgedacht. Selbst eine formale Absichtserklärung – unterzeichnet von Bruno Marek, dem Nachfolger von Franz Jonas – ist überliefert. Dabei blieb es aber. Eine Bewerbung für 1972 wurde nicht eingereicht. Seither hat sich Wien beim IOC nicht mehr gemeldet.

 

Der Neo-Wiener Hanns Martin Pfefferle ist aktiver Wikipedianer. Neben der Olympischen Bewegung beschäftigt er sich vor allem mit Stadt- und Mediengeschichte, letzteres mit besonderem Augenmerk auf den Eurovision Song Contest.

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Kommentare

Herbert Tögel

Schade, dass Roland Rainer als Erbauer der Wiener Stadthalle nicht erwähnt wurde1