Website Suche (Nach dem Absenden werden Sie zur Suchergebnisseite weitergeleitet.)

Hauptinhalt

Leart Krasniqi, 22.10.2024

Wohnpark Alterlaa

Glücks Utopie

Wer in Alterlaa wohnt, der bleibt. Wer geht, kommt zurück. Viele Einwohner teilen diese Meinung und fühlen sich wohl, abseits vom Trubel der Innenstadt. Das war auch von Anfang an so geplant. Der Wohnpark wurde so gedacht, dass möglichst viele Menschen auf geringem Platz bestmögliche Wohnqualität erleben können.

„In der Badehose sind wir alle gleich“ so lautete der Leitspruch des Wiener Architekten Harry Glück. Eine Gemeinschaft zu kreieren, in der man akzeptiert wird, unabhängig von Bankkonto und sozialer Stellung – das war Glücks Utopie. Ob Bankerin oder Fleischhacker, Lehrerin oder Manager: Im Wohnpark Alterlaa soll soziale Durchmischung gelebt werden. Im südlichen Wien erhebt sich Glücks Wohnanlage als architektonisches Wahrzeichen, das nicht nur durch seine markante Silhouette, sondern vor allem durch seine wegweisenden Konzepte in der Stadtplanung beeindruckt. Mit seinen Hochhäusern, begrünten Innenhöfen und vielfältigen Gemeinschaftseinrichtungen verkörpert dieser Stadtteil eine Vision urbanen Lebens, die bis heute als Vorbild dient.

Leben in Alterlaa

Da steht man am Karlsplatz mitten in Wien. Überall sind Menschen, Fahrradfahrer, Autos, Straßenbahnen. Es ist laut, die Stadt lebt. Die U-Bahn ist wie ein Portal in eine andere Welt. Nach ungefähr 25 Minuten steigt man in Alterlaa aus und spürt direkt die Gemütlichkeit. Der Wohnpark Alterlaa wurde als Utopie gedacht und auch so verwirklicht. Eine Stadt am Rande der Stadt. Theoretisch muss man die Siedlung nie verlassen (sofern man hier arbeitet), da man alles Erdenkliche in unmittelbarer Nähe hat. Von den Schwimmbädern am Dach, die gleichzeitig als Löschbecken dienen, zu den Saunabereichen, den „Kaufpark Alterlaa“ oder die unterirdischen Verbindungen der Blöcke. Es gibt einen Kindergarten, Schulen, ein Ärztezentrum und verschiedene Restaurants. Unkompliziert ist alles schnell zu Fuß zu erreichen. Es sind kurze Wege durch grüne Parks, umgeben von den hohen, begrünten Terrassenhäusern. Ob schnell in die Drogerie oder in die Trafik. Sollte einem der Trubel im Einkaufszentrum zu viel werden, kann man sich zurückziehen in seine Wohnung. Die Terrassen bzw. Loggias sind so konzipiert, dass man nicht in fremde Freiflächen reinschauen kann. Weiters sind die einzelnen Blöcke weit genug voneinander entfernt, um auch gegenüberliegende Terrassen nicht einzusehen. Solche Kleinigkeiten machen das Wohngefühl in Alterlaa aus. Es ist ein einzigartiger Mix aus Gemeinschaft und Privatsphäre und in dieser Form nur hier im Wiener Speckgürtel zu finden.

Harry Glücks Vorliebe für Terrassenhäuser

„Das größtmögliche Glück für die größtmögliche Zahl!“. Harry Glück wusste genau, was er vorhatte und wollte nichts dem Zufall überlassen. Geboren im Jahr 1925, ließ die Architektenkarriere recht lange auf sich warten. Bis zum 30. Lebensjahr arbeitet Glück als Bühnenbildner und studierte erst spät Architektur. Mit seinem Büro „Harry Glück & Partner“ entwarf er Gebäude in ganz Wien – von Wohnprojekten bis zu Hotels, von Verwaltungsgebäuden bis Seniorenheimen war alles dabei.

Die Vorliebe für Terrassenbauten fand Glück während seiner Karriere als Architekt recht schnell. Rund 40% seiner Bauten sind Terrassenhäuser. Es gab laut Glück diverse Parameter, die der Mensch braucht, um glücklich zu sein. Ein Gefühl von sozialer Zugehörigkeit, Verbundenheit zur Natur, aber auch die Nähe zum Wasser oder die Möglichkeit, mal ganz für sich allein zu sein, sind einige davon. Mit diesem Wissen im Hintergrund entstand eines der spannendsten sozialen Wohnbauprojekte Österreichs.

Die Attraktivität des Speckgürtels 

Es gibt zwei Arten von Terrassenhäusern. Die erste Art ist die Bebauung eines Hangs, wo die Wohneinheiten der Neigung des Hangs folgen und so die Terrassen entstehen. Weiters gibt es das Terrassenhaus auf der Ebene, wo jedes Geschoss etwas zurückspringt und so eine Terrasse bildet. Durch dieses Konzept entsteht eine Verschmelzung zwischen einem klassischen Geschosswohnhaus und einem Haus auf dem Land, dass über einen Garten verfügt. Quasi eine Zusammenfügung zwischen Stadt und Land. Nun kann man einen Speckgürtel ebenfalls als eine Verschmelzung zwischen Stadt und Land sehen. Nahe am Geschehen, aber gerade noch weit genug weg, um seine Ruhe zu haben. In Zeiten der gut ausgebauten öffentlichen Verkehrsmittel gewinnt die Peripherie immer mehr an Bedeutung. 

Trotz Widerstände: Es wird gebaut

Harry Glücks Wohnbauprojekte polarisierten stark. Besonders umstritten war seine Vision einer Wohnsiedlung von außergewöhnlichem Ausmaß, die luxuriösen Annehmlichkeiten wie Dachpools und Saunen mit beheizten Innenbecken bot. Dann sollte dies noch als „Sozialer Wohnbau“ verkauft werden? Ein Skandal.

Ein prominenter Gegner dieses Konzepts war Ronald Rainer, der als einer der führenden Architekten der Nachkriegszeit und als Wiener Stadtplaner (von 1958 bis 1963) maßgeblichen Einfluss hatte. Rainers städtebauliches Ideal war der verdichtete Flachbau, ausgehend von der Idee der Gartenstadt und immer mit dem „humanen“ Maß als Leitgedanken. In seinen Augen war das Konzept des Terrassenhauses, das Glück favorisierte, nicht zukunftsfähig. Hochhäuser als Wohnräume standen für ihn unter einem generellen Verdacht der Untauglichkeit. Doch trotz der Widerstände setzte sich Harry Glück durch. Die „Gemeinnützige Wohnungs-AG Wohnpark Alt-Erlaa“, eine Tochtergesellschaft der „Gemeinnützigen Siedlungs- und Bauaktiengesellschaft (GESIBA)“, gab grünes Licht. Im Jahr 1973 begann der Bau seines ambitionierten Projekts, der sich über ein Jahrzehnt erstrecken sollte. Der Bauabschnitt C wurde schließlich 1986 fertiggestellt, während der geplante Block D nie realisiert wurde. Glücks Beharrlichkeit und seine unkonventionellen Ideen hinterließen jedoch einen bleibenden Eindruck in der städtischen Architektur.

Die Gemeinschaft

Harry Glück war es wichtig, dass die Bewohner:innen seiner Wohnprojekte gut miteinander auskommen, mögliche Konfliktpunkte wollte er so weit wie möglich entschärfen. Für Kinder schuf er etwa Indoor-Spielplätze im Inneren der Hochhäuser. Über den Tiefgaragen gelegen und durch Korridore von den Wohnungen getrennt, bieten sie Platz zum ausgelassenen Spielen und Toben – so sollte das oft streitträchtige Thema „Kinderlärm“ abgemildert werden.

Zusätzlich gibt es über 30 Vereine und Klubs, die ebenfalls im „Bauch“ der Gebäude ihren Platz gefunden haben. Vom Gymnastikklub bis hin zum Modellbauverein: In den Hochhäusern gibt es für jede/n ein passendes Hobby. So wurde nicht nur der Raum im Inneren der Blöcke optimal verwertet, sondern auch die Gemeinschaft gestärkt. Und der Kritik, diese Räume hätten nur künstliches Licht und keine Fenster, könnte man entgegnen, dass es in einem „normalen“ Hobbykeller ja genauso ist.

Die Technik

Nicht nur architektonisch, sondern auch technisch war und ist Alterlaa ein Vorreiter. Über 9000 Menschen leben in den drei Blöcken. Für die Sicherheit und den reibungslosen Ablauf der technischen Gerätschaften sorgt ein Team von über 50 Mitarbeiter:innen. Hochgeschwindigkeitslifte befördern die Bewohner von der Tiefgarage bis auf die Dachterrasse. Für den Fall der Fälle gibt es Notstromaggregate und Mitarbeiter:innen, die 24h vor Ort sind. Die gesamte Anlage wurde mit elektronischen Zugangschips und Lesegeräten ausgestattet, um die Sicherheit in der Anlage zu erhöhen. Davor war es oft vorgekommen, dass man sich durch nachgemachte Schlüssel Zugang zu den Schwimmbädern verschafft hatte. Nun kann man nur noch die Eingangstür zu seinem Block und seiner Etage öffnen. 

Bei dieser hohen Anzahl an Bewohnern ist die Müllentsorgung eine Herausforderung für sich. Für den Restmüll gibt es ein Röhrensystem, das wie ein riesiger Staubsauger funktioniert. Die Aggregate erzeugen ein Vakuum und mit über 70 km/h wird der Restmüll in den Container geschleudert. Das Pressen des Mülls macht dieses System sehr effizient und so braucht der ganze Wohnpark nur zwei Container pro Woche. 

Der Wohnpark Alterlaa ist mehr als nur eine Siedlung – es ist ein Lebenskonzept. Ein Satz ist während der Recherche zu diesem Beitrag oft gefallen: „Meine Wohnung werde ich nie mehr hergeben! Nur mit den Füßen voraus verlasse ich Alterlaa!“. Bezahlbarer Wohnraum, sehr durchdachtes Wohnen und viel Grün in unmittelbarer Nähe: Die Zufriedenheit der Bewohner:innen ist erwiesenermaßen hoch.  Wer in Alterlaa wohnt, der bleibt. Wer geht, kommt wieder zurück. Für die Zurückkehrenden ist jedoch Geduld angesagt, da man fünf Jahre auf eine Wohnung warten muss. Aussuchen kann man sich die Wohnung auch nicht, es wird einem eine zugewiesen – je nachdem, wie viele Personen im Haushalt leben, sind zwischen 50 und 149 Quadratmeter verschiedenste Wohnungstypen möglich.

Überspringe den Bilder Slider
Springe zum Anfang des Bilder Slider

Leart Krasniqi studiert an der FH Joanneum Journalismus & Public Relations. Als gebürtiger Berliner kam er über Umwege nach Graz, wo es ihn zuvor in einen technischen Studiengang gezogen hatte. Das Thema Alterlaa beschäftigt ihn schon etwas länger: Während einer Fahrt nach Wien waren ihm diese riesigen Wohnblöcke aufgefallen.

Kommentar schreiben

* Diese Felder sind erforderlich

Kommentare

Keine Kommentare