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Evelyn Steinthaler, 15.9.2023

Zarah Leander in Wien

Himmelstür zur Filmkarriere

Im September 1936 triumphierte Zarah Leander in Ralph Benatzkys Operette „Axel an der Himmelstür“ im Theater an der Wien. Es war der entscheidende Turbo für den kometenhaften Aufstieg der schwedischen Schauspielerin und Sängerin, die kurz darauf in Deutschland zum Filmstar der Nazizeit avancierte.

Als mit der sogenannten „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten in Deutschland 1933 der Kahlschlag im Kunst- und Kulturbetrieb begann, profitierte Wien für die kommenden fünf Jahre von diesem künstlerischen Braindrain. Österreich selbst entwickelte sich zu einem autoritär regierten Staat, der sich klar am faschistischen Vorbild Italiens orientierte. Antisemitische Übergriffe in Deutschland, gerade auf bekannte jüdische Künstler:innen, wurden in österreichischen Tageszeitungen nicht ignoriert, sondern fanden vielmehr Erwähnung. Die sogenannte „Entjudung“ des deutschen Kulturbetriebs nahm schnell an Geschwindigkeit auf und die von den Nazis als „Kulturbolschewisten“ bezeichneten Künstler:innen sollten innerhalb kürzester Zeit in Deutschland keine Engagements mehr finden. 

„Kulturbolschewisten“ in Wien

Zu diesen vermeintlichen „Kulturbolschewisten“ zählten die Nazis auch den 1876 in Berlin geborenen Dirigenten Bruno Walter, der unter Gustav Mahler an der Wiener Hofoper tätig gewesen war und 1910 die österreichische Staatsbürgerschaft angenommen hatte. Walter kam 1933 ebenso nach Wien wie auch der Superstar des deutschen Kabaretts, Max Hansen, der nicht nur für seine bissigen Spott-Chansons über Hitler bekannt war, sondern der 1930 in der Berliner Uraufführung von Ralph Benatzkys „Das weiße Rößl“ die Rolle des Oberkellner Leopolds übernommen hatte. Zeit seines Lebens sollte dies seine Paraderolle bleiben.

Max Hansen flüchtete nach Wien, nachdem bei der Berliner Filmpremiere von „Das hässliche Mädchen“ am 8. September 1933 nicht nur faule Eier und Stinkbomben geworfen wurden, sondern Hansen auch mit antisemitischen Hetzreden bedrängt wurde, wie Der Wiener Tag nur zwei Tage nach dem Vorfall berichtete. Der Sohn einer Dänin und eines jüdischen Wieners ungarischer Herkunft, hatte bereits ab 1924 immer wieder auch in Wien gastiert und ebenso – nach seinem Studium in Kopenhagen und Oslo – seine Kontakte nach Skandinavien weiterhin gepflegt, auch ab 1933.
Die aus Deutschland nach Wien Geflüchteten saßen hier nicht zur Untätigkeit verdammt in den Kaffeehäusern. Max Hansen engagierte sich etwa im Theater an der Wien und Bruno Walter wurde 1936 Direktor der Wiener Staatsoper. 1938 gelang Walter die Emigration über Frankreich in die USA.

Vor 1933 gab es im deutschsprachigen Raum nur drei erfolgreiche nichtjüdische Operettenkomponisten: Franz Lehár, Robert Stolz und Ralph Benatzky. Lehár arrangierte sich mit dem NS-Regime, Stolz verweigerte die versuchte Vereinnahmung und emigrierte über Frankreich in die USA und Benatzky sprach sich bereits in den 1920er Jahren klar gegen die Nationalsozialisten aus. Er verließ Deutschland 1932, um sich mit seiner jüdischen Ehefrau, der Tänzerin Melanie Hoffmann, in der Schweiz niederzulassen.

Benatzkys Operette „Axel an der Himmelstür“, eine Hollywood-Persiflage, mit Texten von Paul Morgan, Adolf Schütz und dem jungen Hans Weigel, sollte im Herbst 1936 am Theater an der Wien uraufgeführt werden. Eigentlich war Liane Haid für die Rolle der exzentrischen Schauspielerin Gloria Mills, vorgesehen. Doch diese Idee verwarf man rasch, als Max Hansen eine in Österreich völlig unbekannte schwedische Sängerin für die Rolle vorschlug: Zarah Leander. Zu diesem Zeitpunkt war die 1907 geborene Leander in ihrer Heimat als Sängerin mit ihrer Kontra-Alt Stimme keine Unbekannte mehr, dennoch war sie, die nie Schauspielunterricht genommen hatte, im Gegensatz zur sehr bekannten Haid ein Risiko, das man im Theater an der Wien jedoch einzugehen bereit war.

Am 1. September 1936, dem Abend der Uraufführung, wurden im Theater an der Wien 62 Vorhänge gegeben und die Begeisterung des Wiener Publikums für Leander lässt sich auch darin ablesen, dass auf der Titelseite der Illustrierten Kronen Zeitung vom 2. September 1936 eine seitenfüllende Zeichnung zu Leander, Hansen und der Premiere des Benatzky-Stücks prangte. Wien lag der Leander zu Füßen. Und das nicht nur wegen ihrer Stimme und ihrer außergewöhnlichen Bühnenpräsenz. Karl Farkas und Fritz Grünbaum ließen sich so etwa zu öffentlichen Kommentaren über Leanders Dekolleté hinreißen. „Zwei Sachen kann sie damit kriegen: entweder einen Mann oder einen Schnupfen“, so Grünbaum.

In den Rosenhügel-Studios begannen im Herbst 1936 die Dreharbeiten für Zarah Leanders ersten deutschsprachigen Film „Premiere“. Attila Hörbiger und Theo Lingen standen unter der Regie von Géza von Bolváry mit Leander vor der Kamera. Noch ehe der Film 1937 in die Kinos kam, hatte sie den Vertrag mit der deutschen Ufa unterschrieben. In Berlin erkannte die nationalsozialistische Filmindustrie das Starpotential der Schwedin und gab ihr einen entsprechend großzügigen Vertrag. Sie bestand so etwa darauf, dass Ralph Benatzky die Musik für ihren ersten Film in Deutschland, „Zu neuen Ufern“, schrieb. „Yes, Sir“ und „Ich stehe im Regen und warte“ aus seiner Feder waren Hits der Leander, die sie bis zum Karriereende bei ihren Konzerten singen sollte.

Zwei Monate vor dem sogenannten „Anschluss“ Österreichs emigrierte Max Hansen im Januar 1938 von Wien nach Dänemark, er gelangte während des Krieges schließlich auch nach Schweden. Ob er dort mit Leander nach ihrer Rückkehr aus Nazideutschland im Jahr 1943 Kontakt hatte? Benatzky verlies die Schweiz 1938 Richtung USA, wo er zehn Jahre lang beruflich wenig erfolgreich überlebte, ehe er wieder in die Schweiz zurückkehrte. Eben dort sollte Zarah Leander 1947 ihre Karriere fortsetzen. Auch wenn sie in „Die große Liebe“, einem der erfolgreichsten Propaganda-Filme des NS-Kinos die weibliche Hauptrolle übernommen hatte, bezeichnete sie sich stets als „unpolitische Künstlerin“ und war dabei nicht die einzige, die sich nach 1945 dieser mehr als schwierigen Bezeichnung behalf. In Leanders schwedischen Heimat nahm ihr ein Großteil der Bevölkerung die „Unpolitische“ nicht ab.

Ab 1950 stand Zarah Leander wieder vor der Kamera und 1958 kehrte sie im deutschsprachigen Raum schließlich auf die Bühne zurück. Und wieder war es Wien, wenn auch nicht das Theater an der Wien, sondern das Raimundtheater, wo sie in Peter Kreuders Musical „Madame Scandaleuse“ zu sehen war. Und ja, sie trat auch wieder am Theater an der Wien auf: 1975, 39 Jahre nach ihrem Durchbruch der sie ins Scheinwerferlicht des NS-Kinos katapultierte, gab es wieder die Leander im Theater an der Wien, wo ihr die beiden ausgewiesenen Gegner des NS-Regimes Max Hansen und Ralph Benatzky zum Durchbruch verholfen hatten.

Evelyn Steinthaler, 1971 in Klagenfurt/Celovec geboren. Diplomstudium der Publizistik und Kommunikationswissenschaften an der Universität Wien. Autorin, Hörbuchproduzentin, Uni-Lektorin, Übersetzerin, Biografin und in der politischen Bildung tätig. Lebt und arbeitet in Wien.

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