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Iris Lurf und Vincent Elias Weisl, 23.11.2020

Zum 100. Geburtstag von Lotte Brainin

„Lotte hat dafür gesorgt, dass man es weiß“

Lotte Brainin hat Nazi-Verfolgung, Folter, KZ-Haft und Todesmärsche überlebt und sich nach dem Krieg jahrzehntelang als Zeitzeugin für Aufklärungs- und Erinnerungsarbeit engagiert. Anlässlich ihres 100. Geburtstags wurde sie in einem Festakt von ihrer Familie und zahlreichen VertreterInnen aus Kultur und Politik gewürdigt. Eine digitale Ausstellung setzt ihrer Lebensgeschichte ein Denkmal.

„Es ist ein Zufall, dass ich am Leben geblieben bin", so Lotte Brainin in ihrer Rede im Rahmen einer Gedenkfeier zur Befreiung des Konzentrationslagers Ausschwitz-Birkenau am Wiener Heldenplatz „Hätte der SS-Mann an der Rampe in Auschwitz, nachdem wir aus den Viehwaggons gejagt worden waren, mit dem Finger in die andere  Richtung gezeigt, wäre ich, so wie meine Mutter, einige Monate später, gleich in der Gaskammer gelandet, so wie viele meiner Freunde und Millionen anderer, in überwiegender Zahl, Juden, die von den Nazis ermordet wurden." 

Die Lebensgeschichte der Holocaust-Überlebenden, die in Wien als Kind einer Flüchtlingsfamilie aus Galizien geboren wurde, ist geprägt von unaussprechlichem Leid, aber auch von unbeugsamem Überlebenswillen und Kampf gegen Gewalt und Unterdrückung. Schon in früher Jugend bewegte sich Lotte Sontag, wie sie vor ihrer Hochzeit hieß, in linkspolitischen Kreisen, war Mitglied bei den „Roten Falken“ im 9. Wiener Gemeindebezirk. Aufgrund ihres politischen Engagements und ihrer jüdischen Herkunft galt sie nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1938 als doppelt gefährdet. Nach ihrer Flucht aus Österreich war sie in Belgien im Widerstand gegen das Nazi-Regime tätig, bevor sie 1943 verraten und verhaftet wurde. Was folgte, waren Einzelhaft und Folter über Monate hinweg, danach 1944 die Deportation nach Auschwitz.

Im Konzentrationslager war es auch der Zusammenhalt unter Häftlingen, der mithalf, um physisch und psychisch trotz grausamster Bedingungen zu überleben. Selbst in dieser lebensbedrohlichen Situation war Lotte Brainin aktiv im Widerstand tätig. In einer über mehrere Widerstandsgruppen vernetzten Aktion sollte ein Krematorium gesprengt werden, viele der Beteiligten wurden ausgeforscht und hingerichtet. Lotte Brainin sagte über Erlebnisse im KZ: „Ich kann das nicht so in Worte fassen, dass ein Mensch versteht, was sich da abgespielt hat. Ein menschliches Hirn kann sich so etwas überhaupt nicht ausdenken. Das Grausamste und Menschenunwürdigste, was es je gegeben hat, das Barbarischste hat sich dort abgespielt." Lotte Brainin hat überlebt, und zwar mehrere sogenannte „Selektionen", von denen viele Menschen wahlweise direkt in Gaskammern geschickt wurden, als auch zwei Todesmärsche, einer davon die Überstellung ins Konzentrationslager Ravensbrück. Gegen Kriegsende gelang ihr die Flucht und schließlich die Rückkehr nach Wien, wo sie weiterhin wiederholt mit Antisemitismus konfrontiert war. 

Sprechen über die Gräuel

„Dieses Leben ist zu groß für mich, ich kann mir nicht anmaßen, auch nur einen Blick hineinzuwerfen. Aber man muss es wissen, und Lotte hat dafür gesorgt, dass man es weiß“, so die Schriftstellerin Elfriede Jelinek in ihrer Grußbotschaft zum 100. Geburtstag von Lotte Brainin, mit der sie verwandtschaftlich verbunden ist.

Gemeinsam mit ihrem Mann Hugo Brainin, der im britischen Exil überlebt hat, besuchte Lotte Brainin jahrzehntelang als Zeitzeugin Schulen. Sie ist Mitbegründerin der Lagergemeinschaft Auschwitz und Ravensbrück und war im Bundesverband österreichischer AntifaschistInnen, WiderstandskämpferInnen und Opfer des Faschismus tätig. Stets sprach sie offen über die Gräuel, die sie erlebt hat.

 

Etwas mehr als vier Wochen nach ihrem 100. Geburtstag, am 16. Dezember 2020, ist Lotte Brainin verstorben. [Anm. d. Redaktion]

Würdigungen per Video und digitale Ausstellung zum 100. Geburtstag


Initiiert von der Familie Brainin entstand ein Jubiläumsprojekt anlässlich des 100. Geburtstags von Lotte Brainin. In Zusammenarbeit mit der Stabstelle Bezirksmuseen im Wien Museum und dem Bezirksmuseum Alsergrund fand ein – coronabedingt –online gestreamter Festakt statt, Beiträge stammen u.a. von Alexander Van der Bellen, Heinz Fischer, Elfriede Jelinek, Doron Rabinovici und der jüdischen Sängerin Isabel Frey. 

Die Künstlerin Marika Schmiedt hat eine digitale Ausstellung geschaffen, die sich anhand zahlreicher eindrucksvoller Bild-, Text- und Tondokumente mit dem Leben von Lotte Brainin auseinandersetzt.

Hier geht’s zur digitalen Ausstellung.

Iris Lurf, Studium der Kunstgeschichte und Germanistik an der Universität Wien, ab 2013 im Wien Museum im Bereich Marketing und Presse tätig, seit 2020 in der Stabstelle Bezirksmuseen für Öffentlichkeitsarbeit zuständig.

Vincent Elias Weisl, Studium der Kunstgeschichte und Kommunikationswissenschaft, seit 2020 Curatorial Fellow an der Stabstelle Bezirksmuseen im Wien Museum.

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