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Zur Architektur des neuen Pratermuseums
Vielfalt auf allen Ebenen der Erfahrung
Das Pratermuseum ist ein kleines Museum mitten im Wurstelprater und zeigt auf vielfältige Weise die Kultur- und Naturgeschichte nicht nur des Vergnügungsparks, sondern des gesamten heterogenen Praterareals im Osten Wiens, zwischen Innenstadt und Donau.
Glücklicherweise konnte das Projekt ganz zentral mitten im Herzen des Vergnügungsparks, also mitten im Ausstellungsgegenstand selbst, realisiert werden. Was für eine bizarre Nachbarschaft für ein Museum zwischen Autodromen, Glücksspielhallen und Geisterbahnen sowie direkt neben dem Riesenrad! Die herkömmlichen städtebaulichen Parameter eines Architekturentwurfs können hier jedenfalls nicht gelten: Was zählen im Wurstelprater Begriffe wie Kontext, Ensemble, Angemessenheit, Wechselwirkung, räumliche Ordnung, Gliederung, Hierarchie der Räume? Und wie soll unser Entwurf auf das extrem heterogene, flüchtige, sensationsheischende Umfeld reagieren? Alles rundherum toppen und noch greller, selbstbewusster, schriller und lauter werden? Oder sich seriös auf den Begriff Museum reduzieren, High Culture in die Welt des vergnüglichen Trash implementieren?
Ausgangspunkt unseres Entwurfs war zunächst ganz klassisch die Frage der Zugänglichkeit, der Eingangssituation des Museums. Schließlich sollte es ja ein Museum „für alle“ werden, das heißt leicht zu finden, gut zu erreichen und möglichst niederschwellig mit dem öffentlichen Raum verknüpft.
Nun liegt das kleine Grundstück zwar in einer geschlossenen Bebauung, ist aber durch den Block durchgesteckt und hat zwei Fronten, eine zur Straße des Ersten Mai, der fußläufigen Hauptachse des Vergnügungsparks, und eine zum Riesenrad, der wesentlichsten Attraktion dort. Hier erwies sich das Prinzip des Sowohl-als-auch, das Robert Venturi schon 1966 als eine wesentliche Qualität von Architektur postulierte, als guter Leitgedanke, der uns in der weiteren Gestaltung immer wieder begleiten sollte: Das Museum musste natürlich zwei – gleichwertige – Eingänge bekommen! Damit war aber auch klar, dass es bei diesem kleinen Bauplatz keine eingeschoßige Lösung, wie ursprünglich angedacht, geben kann. Also auf in die Höhe, in die Vertikalität! Und das war genau mein Thema, beschäftige ich mich doch schon seit Jahren mit vertikalen öffentlichen Räumen. Doch die Wiener Magistratsabteilung für Architektur und Stadtgestaltung legte fest, dass der Blick auf das Riesenrad nicht verstellt werden dürfe. Deshalb schnitten wir kurzerhand diesen Blick auf das Riesenrad in Form eines Kegels aus dem hohen Bauvolumen aus – das ergab eine etwas eigenartige, für die geringe Größe des Projekts relativ wuchtige, ja geradezu markante Bauplastik. Aber Eigenartigkeit ist ja vielleicht für den Prater gar nicht so unpassend, und so entstand fast zufällig eine Kontextualität, ein ganz direkter Bezug zum Riesenrad: die Form des Museums als Abdruck des Blicks auf das Riesenrad. Und diese besondere Verbindung ist ja mehr als legitim, ist doch das Riesenrad mit hoher Wahrscheinlichkeit der dauerhafteste, langlebigste und monumentalste städtebauliche Bezug an diesem Ort.
Zugegeben: Begriffe wie Form oder Bauplastik sind in der aktuellen Architekturdiskussion eher uncool, ja oft verpönt, geht es doch gegenwärtig eher um Optimierungen jeder Art, Funktionalität, Energie und dergleichen. Trotz deren unbestrittener Relevanz dürfen wir die Semantik und das narrative Potenzial der architektonischen Gestaltung nicht aus den Augen verlieren. Kommen wir also zurück zu unserer Form: Diese führte uns schnell zum Begriff des Gefäßes – ein Gefäß ohne Form lässt sich kaum vorstellen –, und ein Gefäß schien uns eine sehr schöne und passende Metapher für den Raum, in dem eine ganz heterogene kulturgeschichtliche Sammlung aufgehoben und gezeigt werden soll. Ein Museum als Gefäß erfasst auch einen Zustand, der eine Unterteilung zwischen innen und außen suggeriert, der also nicht nur ein Hineingehen, ein Betreten erfordert, sondern auch ein Hineintun, ein Befüllen und ein Selektieren – zwei Grundprinzipien einer kuratorischen Annäherung.
Im Sinne der vertikalen Form – von innen und von außen erlebbar – war es uns auch wichtig, mit dem Bauvolumen von beiden Straßenfronten etwas abzurücken, einerseits, um durch den geringeren Fußabdruck die Vertikalität zu betonen, andererseits, um auf beiden Seiten eine Art Vorplatz zu generieren, einen Übergangsraum zwischen Straße/Platz und dem Foyer, einem weiteren Übergangsraum zur eigentlichen Ausstellung. Von dort aus haben wir einen inneren Weg durch das Gefäß entworfen, bei dem die jeweiligen Blicke und die Art und die Reihenfolge, in der verschiedene Raumformen wahrgenommen werden, im Mittelpunkt unserer Überlegungen standen.
Anstatt hier unseren Entwurf noch näher zu beschreiben oder gar zu erklären – am besten erschließt er sich durch eigene Begehung –, möchte ich ein paar grundsätzliche Gedanken zu unserer Praterarchitektur darlegen und nochmals auf das erzählende Moment zurückkommen, weil dieses oft missverstanden und daher abgelehnt wird. Unsere gebaute Umwelt muss nicht im literarischen Sinn Geschichten vorgeben – diese erzählt ja das Leben selbst, das darin stattfindet. Trotzdem sollten wir uns der Bedeutung – Andeutungen ebenso wie Deutungsmöglichkeiten – des gebauten Raums bewusst sein. Wenn dieser nicht ganz simpel, also eindeutig, ist, sondern vielfältig, vielleicht auch widersprüchlich und jedenfalls unterschiedlich lesbar, entsteht ganz automatisch so etwas wie eine Erzählung im Kopf der Besucher:innen und im besten Fall auch Poesie. Und gerade im Fall dieses Museums geht es ja ganz vordergründig darum, Geschichte durch Geschichten zu erzählen. Die Gestaltung des Museums und der Ausstellung sind dabei wichtige Mittel, eine Dramaturgie zu ermöglichen.
Ich zitiere wieder Robert Venturi: „Das erzählende Moment findet sich in der jüngsten Architektur ebenso selten wie das Element mit mehr als nur einer Funktion. Wird beim Letzteren die Doppeldeutigkeit übel genommen, so scheitert das erzählende Moment am Kult des ,Weniger-ist-mehr‘ der modernen orthodoxen Architektur.“ Wenn Venturi immer wieder auf Ordnungssysteme und deren Durchbrechung zurückkommt, erscheint uns das heute etwas überholt, weil wir es im digitalen Zeitalter mit ganz anderen Hierarchien, Gleichzeitigkeiten und Widersprüchen zu tun haben. Die gesellschaftliche Antwort auf die Auflösung vieler als strukturimmanent geglaubter Regeln und die damit einhergehende Überforderung sind meist mediale Vereinfachungen und Pauschalisierungen. Aber eines ist klar: Architektur kann nicht die Widersprüchlichkeiten des Lebens ordnen, sondern nur fortschreiben, vielleicht erlebbar machen und in neue sinnliche, narrative oder funktionale Beziehungen zueinander setzen. Jede Ordnung, die wir aufbauen, löst sich auch gleich wieder auf.
Im konkreten Fall Pratermuseum heißt die Ordnung zunächst: oben die Ausstellung mit guten Museumsbedingungen, unten der halböffentliche Schwellenraum, die Passage zur Stadt, ganz oben auf dem Dach die Gebäudetechnik etc. Und doch beginnt die Ausstellung schon unten (mit einer wandfüllenden Panoramazeichnung von Olaf Osten), Austausch mit der Stadt gibt es auch oben (durch einen sichelförmigen Fensterschlitz zum Riesenrad und einen Besucher:innen-Balkon etwa). Technik zieht sich sowieso durch alle Geschoße und ist zugleich Thema des Praters und somit Inhalt der Ausstellung: Stadt, Prater, Museum und Ausstellung verweben sich. Erst durch die verlorene Ordnung wird Ordnung sichtbar und die Ausstellung begreifbar. Oder, wie Venturi schreibt: „Ein Bau ohne jedes unvollkommene Detail kann auch kein vollkommenes haben, weil erst der Kontrast die Bedeutung hervorhebt.“ Und Irritationen, Anomalien und Unwägbarkeiten sind auch die Substanz, aus der der Wurstelprater selbst gebaut zu sein scheint. Ein Pratermuseum ist ein großer Zauberkasten – voller wunderlicher Dinge, räumlicher Erlebnisse, Widersprüche und bunter Geschichten. Ein geordnetes Durcheinander aus Bildern, Objekten, Filmen, Texten, Treppen, Durchblicken, Einsichten, Berührungen, Fragmenten und Überraschungen.
Verspielt und zugleich pragmatisch, vielfältig und zugleich effizient, sinnlich und zugleich modern, ökologisch und zugleich elegant: Geht das überhaupt? Kommen Sie, schauen Sie!
Generalplanung und Ausstellungsgestaltung: Michael Wallraff ZT GmbH
Projektarchitekt: Patrick Bayer
Mitarbeit Konzeptphase: Lukas Allner
Tragwerksplanung: ghp gmeiner haferl&partner zt gmbh
TGA-Planung und Bauphysik: TB Obkircher OG
Brandschutz-Beratung: Norbert Rabl Ziviltechniker GmbH
Robert Venturi: Komplexität und Widerspruch in der Architektur, Basel 2000, S. 35ff., dt. Originalausg. 1978, Erstausg. durch das Museum of Modern Art, New York 1966.
Dieser Text stammt aus dem neuen Sammelband „Der Wiener Prater. Labor der Moderne“ mit 70 Fachbeiträgen von über 50 Autor:innen (Hg. Werner Michael Schwarz, Susanne Winkler; 448 Seiten / 45 €). Zur Eröffnung des Pratermuseums ebenso erschienen ist der Ausstellungskatalog „Der Wiener Prater. Ein Ort für alle“ (Hg.: Werner Michael Schwarz, Susanne Winkler; 124 Seiten / 19 €). Beide Publikationen sind vor Ort im Pratermuseum sowie im Wien Museum Shop am Karlsplatz und online erhältlich.
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