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Zur Architektur des neuen Wien Museums
Alles, bloß kein Rufzeichen!
Wann waren Sie das allererste Mal im Wien Museum?
Wir haben schon befürchtet, dass diese Frage kommen wird! Das erste Mal war ich drin, als wir im Frühjahr 2015 beschlossen haben, uns am Wettbewerb zu beteiligen.
Und das ist auch gut so, denn der erste Blick ist immer der klarste.
Bei mir war das in der Schulzeit, auf Wien-Woche im Gymnasium.
Was war Ihr erster Eindruck?
Das Wien Museum hat eine so zentrale Lage in der Stadt, dass man unweigerlich oft daran vorbeikommt, wenn man sich von A nach B bewegt. Allerdings muss ich sagen: Von außen betrachtet hat der Bau auf mich immer bescheiden gewirkt – zu niedrig, zu unscheinbar, von den Verkehrsentwicklungen am Karlsplatz so stark an den Rand gedrängt und seiner ursprünglichen städtebaulichen Komposition beraubt, dass dem Gebäude immer etwas gefehlt hat. Das Wien Museum ist irgendwie aus dem Platz gefallen.
Was genau hat gefehlt?
Aura, Größe, Erhabenheit, die Einbettung in einen nachvollziehbaren städtebaulichen Kontext.
Die Besonderheit des Wien Museums lag für uns erstens in der Geschichte des Hauses und des Ortes neben der Karlskirche und zweitens in den inneren Werten. In der architektonischen Gestaltung, in der Wahl der Materialien, in den sorgfältig geplanten Details haben wir das entdeckt, was wir für uns als den Zauber dieses Gebäudes bezeichnen würden. Und je mehr und je intensiver wir uns mit den inneren Strukturen beschäftigt haben, desto besser haben wir das Gebäude auch in seiner äußeren Erscheinung verstanden.
Ich denke, wir haben Oswald Haerdtl, während wir den Wettbewerb vorbereitet haben, lieben und schätzen gelernt. Und wir wollten das, was uns das Gebäude mitgeteilt hat, nicht verstecken oder verbauen, sondern betonen, unterstreichen, vielleicht sogar ein bisschen zelebrieren.
Inwiefern?
Es gab viele Wettbewerbsentwürfe, die vor das bestehende Wien Museum einen Neubau hinstellen wollten. Sehr tolle Projekte, keine Frage, und viele der Ideen, die beim Wettbewerb eingereicht wurden, haben uns sehr beeindruckt. Aber mit allem, was man vor dem bereits bestehenden Gebäude errichtet hätte, wäre der Haerdtl-Bau noch weiter in den Hintergrund getreten. Ein Haerdtl in der zweiten Reihe war für uns keine Option. Wir wollten ihn wieder nach vorne holen, sozusagen in die energetische Präsenz des Karlsplatzes.
Wie würden Sie Ihren Entwurf denn in Worte fassen?
Vertikale Stapelung. Für uns war von Anfang an klar, dass wir dem Haerdtl-Bau die Masse und die Höhe geben müssen, die auch die umliegenden Kultur- und Bildungsinstitutionen haben – also das Künstlerhaus, der Musikverein, die Technische Universität, aber auch der Portikus der Karlskirche. Gleichzeitig haben wir das Museum vom benachbarten Zürich-Versicherungsgebäude von Architekt Georg Lippert entkoppeln können. Auf diese Weise haben wir wieder eine Parität hergestellt.
Es geht um Emanzipation und Ermächtigung. Das Wien Museum ist jetzt endlich auf Augenhöhe mit seinen Nachbarn.
Um den Haerdtl aber nicht einfach nur aufzustocken, um ihn mit dem Neubau nicht zu desavouieren, braucht es eine Zäsur, eine Fuge, eine deutliche und hoffentlich auch zeitlose Abtrennung zwischen den unterschiedlichen Epochen. Sozusagen einen Respektabstand. Genau das haben wir gemacht.
Ist Ihr Projekt zeitlos?
Das können wir nicht beurteilen. Es wäre schön, aber mit Gewissheit wird man das erst in 20 oder 30 Jahren beurteilen können. Was wir aber auf jeden Fall jetzt schon sagen können: Wir wollten kein lautes Statement auf den Karlsplatz setzen. Alles, bloß kein Rufzeichen!
Sondern?
Einen Schlussstein. Einen Punkt.
Das ist zu wenig, wenn man es genau nimmt. Denn das Projekt mag in architektonischer und städtebaulicher Hinsicht ein Schlussstein für eine bauliche Entwicklung eines Gebäudes sein, also ein Punkt am Satzende. Aber in institutioneller Hinsicht startet mit dem Wien Museum Neu nun eine neue Epoche. Eigentlich ist es kein Punkt …
… sondern vielmehr ein Doppelpunkt.
Nach dem Doppelpunkt geht die Geschichte erst so richtig los.
Unter insgesamt 274 Einreichungen hat Ihr Projekt gewonnen. Hatten Sie damit gerechnet?
Ja und nein. Natürlich nimmt man teil, weil man gewinnen möchte. Und natürlich ist man in der Planungsphase davon überzeugt, dass man das beste Projekt von allen hat. Aber dann kommt die Abgabe, das wochenlange Schweigen, und in diesem Moment beginnt man zu grübeln und zu zweifeln.
Jede Jury tickt anders, jede Jury setzt andere Schwerpunkte. So gesehen ist jeder Wettbewerbsausgang unvorhersehbar und bei dieser Fülle an renommierten Teilnehmer:innen jeder Sieg bis zu einem gewissen Grad auch Glückssache. In diesen Fall war es ein zweistufiger Wettbewerb und somit ein Sieg in Etappen.
Wie haben Sie reagiert, als man Sie angerufen hat, um Ihnen den Sieg mitzuteilen?
Positiv geschockt, ebenfalls in Etappen.
Was, denken Sie, waren die ausschlaggebenden Gründe für den 1. Platz?
Wir haben die absolut richtige Maßnahme ergriffen und in der richtigen Dosis durchexerziert. Diese Symbiose aus Zurückhaltung und Statement, aus Demut und Selbstbewusstsein, denke ich, hat die Jury gut erfasst – und entsprechend zu schätzen gewusst.
Marie-Paule Jungblut, Historikerin und Museumskuratorin aus Luxemburg und Mitglied der Jury, hat den Sieg wie folgt begründet: „Das neue Museum ist ein demokratisches Bekenntnis zur verantwortungsbewussten Bescheidenheit.“ Können Sie dem etwas abgewinnen?
Unserem Projekt wohnt wohl eine gewisse Richtigkeit inne. Das mag vielleicht keine spektakuläre Architektur sein, aber auf eine gut gestellte Frage eine wahrscheinlich sehr richtige Antwort.
Wir agieren, was das Weiterbauen und Weiterdenken betrifft, mit großer Vorsicht und Präzision.
Außer im Innenraum. Da verliert sich die Bescheidenheit.
Weil?
Im Stadtraum präsentiert sich das neue Wien Museum radikal bescheiden, im Innenraum fällt das Bescheidene dann ab.
Dieses Projekt ist ein Wegnehmen von allem Überflüssigen, es ist die radikale Reduktion auf das Notwendige, ohne dabei auf Schönheit und Poesie zu verzichten.
Manche Leute sagen, dass das neue Wien Museum eine Weiterentwicklung des Brutalismus sei.
Eine sehr schöne Zuschreibung! Das Wien Museum greift in der Tat Elemente des Brutalismus auf – beispielsweise in der Tatsache, dass Rohbau und visuelles Erscheinungsbild identisch sind. Im Brutalismus verzeiht der Beton keine Fehler. Man muss mit der Präzision des Endausbaus arbeiten. Das ist eine Herausforderung!
Es gibt heute eine Verkleidungsindustrie, die nichts anderes tut, als den schönen Baustoff Beton einzuhüllen und einzupacken und Fehler und individuelle Charakteristika im Rohbau zu kaschieren. Das ist nicht authentisch, das interessiert uns nicht.
Bei uns steckt in jedem Quadratzentimeter Beton Handwerk. Dieses Handwerk wird ohne Verkleidung und Verschleierung präsentiert – und zwar genau so, wie es ist. So gesehen ist das Wien Museum sehr wohl ein brutalistisches Gebäude. Auch im semantischen Kontext passt es: Der Begriff Brutalismus leitet sich ja aus dem Französischen ab. Beton brut heißt so viel wie roher Beton.
Ist das neue Wien Museum eine Skulptur?
Nein, aber skulpturale Architektur. Innen mehr noch als außen.
Warum diese dramatische Gewichtung auf das Innere?
Weil dies das Herzstück des Museum ist. Weil das jener Raum ist, an dem sich die alte Struktur des Haerdtl-Baus und der Dauerausstellung mit den neuen Räumen und den neuen Funktionen im dritten und vierten Stock verbindet – mit dem Raum für die Wechselausstellungen, mit dem Veranstaltungssaal, mit den Ateliers, mit dem Wien-Raum und natürlich auch mit dem Stadtbalkon. Der Innenraum hat die Aufgabe, aus der Heterogenität von Alt und Neu, von Kleinteiligkeit und Großräumlichkeit, von klassischen und kommunikativen Museumsformaten eine Symbiose zu schaffen.
Das ist eine nüchterne, sehr funktionale Antwort auf die Frage. Die zentrale Halle ist alles andere als nüchtern und rein funktional!
Das stimmt. Die Halle ist ein Ort, an dem sich die Vertikalität des Gebäudekerns mit der Horizontalität des schwebenden Ausstellungskörpers verknüpft. Sie ist aber nicht nur ein konstruktiver und funktionaler Adapter, sondern auch eine abenteuerliche räumliche Entsprechung zur Zeitachse, auf der man sich bewegt, wenn man das Haus durchwandert.
Da geht noch mehr!
Ich sehe in der Halle eine Art Kathedrale.
Für mich ist die Halle ein visueller Erlebnisraum.
Ich habe, ehrlich gesagt, keine konkrete bildhafte Assoziation, aber dafür viele Erlebnisse, die dem nahekommen: Ich denke beispielsweise an die Lust, die ich als Kind empfunden habe, wenn ich über eine große Wiese gelaufen bin. Ich denke an die Tate Modern, an diese unglaublich anregende Leere in der großen Maschinenhalle! So etwas Ähnliches empfinde ich auch im Wien Museum. Diese große, hohe Leere, die sich hier entfalten darf! Und es regt sich in mir aufs Neue diese kindliche Lust, hier hinaufzulaufen und den Raum körperlich zu erfahren und zu bespielen.
In diesem Grand Canyon findet sich die gleiche Wandgestaltung wie auf der Fassade der massiven Aufstockung.
Fast! Da wie dort haben wir unterschiedlich breite, sägeraue Bretter als Schalung verwendet, wodurch sich eine sehr lebendige, abwechslungsreiche und auch visuell spannende Oberfläche ergibt. Das einfallende Sonnenlicht bricht sich auf der karstigen Haut des Betons und schafft ein theatralisches Licht- und Schattenspiel. Auf der Fassade im Außenraum haben wir im Wesentlichen die gleiche Bauweise und die gleiche Schalungsmethode verwendet – mit dem Unterschied allerdings, dass wir die Schalungsbretter nicht Mann an Mann verlegt, sondern spitz zulaufende Fugen vorgesehen haben. Beim Ausschalen bricht die spitze Nut des eindringenden Betons unregelmäßig ab, vergleichbar vielleicht mit einem kleinen Steinbruch.
Wo die Nut nicht im Ausschalungsprozess abgebrochen ist, haben wir mit einem kleinen Hammer, einem sogenannten Fäustel, nachgeholfen. Zehn Kilometer handgeschlagene Linien! Das Resultat schaut aus wie eine handgezeichnete Bleistiftschraffur, bloß auf das Hundertfache vergrößert.
Warum denn das?
Weil das eine sehr kleine, minimalistische Maßnahme ist, die aber reicht, um mit dem Verlauf der Sonne eine raue, sich permanent verändernde Schattentextur zu erzeugen. Außerdem mutiert das Betonbild mit der zunehmenden Entfernung: Was aus der Nähe grob erscheint, wirkt von der Straße aus betrachtet wie eine weiche Samtoberfläche.
Wichtig war uns, dass man keine Fugen und keine Stöße sieht, sondern dass die schwebende Betonkiste wie aus einem Guss erscheint. Ein einziger gegossener Monolith. Eine Schatulle aus Beton.
Das Wien Museum hat schon jetzt viele Menschen und auch Medien zu Bildern und visuellen Metaphern inspiriert – ob das nun Kiste, Matratze oder schwebende Betonbox ist. Die starke persönliche Auseinandersetzung mit Raum und Stadt ist in meinen Augen ein Zeichen für Qualität und Relevanz.
Die Erweiterung des Wien Museums hat in den Medien und in der breiten Bevölkerung für große Emotionen gesorgt. Die einen lieben das Projekt, die anderen hassen es. Wie geht es Ihnen mit der Kritik und den mitunter brutalen, unfreundlichen Metaphern?
Das Wien Museum ist ein öffentliches Gebäude und das Wien Museum Neu ist ein öffentliches Projekt. Es widmet sich der Geschichte Wiens und somit auch der Seele dieser Stadt, es ist ein teils geliebtes und teils unterbewertetes Projekt aus der generell unbeliebten Nachkriegszeit, es ist ein neues Zuhause für eine sehr beliebte, hoch geschätzte Institution, und es ist ein Gebäude in unmittelbarer Nähe zur Karlskirche. Natürlich emotionalisiert das!
Oft leiden zeitgenössische Architekturprojekte unter dem Ansinnen, es möglichst allen recht machen zu wollen. Das Ergebnis ist gutes, qualitatives, hochwertig geplantes Mittelmaß. Wir erachten es als Kompliment, an diesem besonderen Standort und in diesem besonderen Museum, das mit Sicherheit zu den engagiertesten und innovativsten in ganz Wien zählt, kein Mittelmaß gebaut zu haben. Wir haben ein Projekt geschaffen, das polarisiert. Das ist ein Potenzial für eine lange, intensive Auseinandersetzung mit der Materie und somit eine Investition in eine kulturelle, stadtgesellschaftliche Nachhaltigkeit.
Dieses Interview ist die gekürzte Version eines Beitrages aus der Publikation zur Architektur des neuen Wien Museums.
Das Buch von Wojciech Czaja ist im Verlag Müry Salzmann erschienen und in unserem Online Shop und vor Ort im neuen Wien Museum (ab 6. Dezember 2023) sowie im Buchhandel erhältlich.
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Kommentare
Sehr geehrter Herr/Frau Dr. Hafner, vielen Dank für Ihren Kommentar. Ihre Anspielung auf einen einstigen "Wald" vor dem Museum können wir nicht nachvollziehen. Es wurde exakt ein Baum gefällt, dafür 3 neue gepflanzt. Die Rasenfläche unmittelbar vor dem Gebäude gibt´s zwar nicht mehr, dafür ebensogroße neue vor dem jetzigen Vorplatz (und zwar dort, wo vorher kein Grünbereich war). Natürlich gab es auch Hecken, wo sich die Ratten herumgetummelt haben – die sind tatsächlich verschwunden (beide). Beste Grüße, Peter Stuiber (Wien Museum Magazin)
Stolz ist schön.
Das Gebäude wirkt abweisend.
Manchmal bekomme ich Angst vor ihm.
Besonders traurig die Steinwüste vor dem Museum.
Was war das einst für ein schöner Wald..