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Redaktion, 7.3.2023

Zwei Wienerinnen erinnern sich

Jahrgang 1929

Die Fotografin Nurith Wagner-Strauss hat 23 Frauen im hohen Alter getroffen, interviewt und fotografisch porträtiert: Ihr Projekt erlaubt Einblicke in die Vielfalt weiblicher Lebenswelten, die früh von den Gräueln des Zweiten Weltkrieges geprägt wurden. Wagner-Strauss' Porträts sind derzeit in der Ausstellung „Zwischen den Welten“ im Frauenmuseum Hittisau zu sehen. Wir stellen zwei Wienerinnen des Jahrgangs 1929 vor.

Helga Feldner-Busztin wurde 1929 in Wien geboren und verbrachte ihre frühe Kindheit in einem Gemeindebau in Margareten. „Ich war sehr zufrieden, weil man mich nicht mit irgendwelchen Gegenständen befriedigt hat – damals hat’s das ja nicht gegeben – sondern mit mir wirklich gesprochen hat. Dass wir sehr einfach gegessen haben und kein Badezimmer und kein Auto gehabt haben, hat mich nicht gestört.“ Mit einem jüdischen Vater und einer Mutter, die als „Halbjüdin“ galt, war Feldner-Busztins Leben ab 1938 jedoch von Diskriminierung und Verfolgung geprägt. Sie und ihre Familie überlebten Internierungen in Buchenwald, Theresienstadt und Ausschwitz.

Nur knapp mit dem Leben davongekommen, erzählt sie von der unglaublichen Stärke, mit der sich sie und ihre Freundin nach Kriegsende zurückkämpften: „Ich hab’ eine Freundin gehabt, die wirklich schon mit mir in der Judenschule war, die hat eine christliche Mutter gehabt, die auf sie geschaut hat, und die ist in Wien geblieben. Aber sie war natürlich auch nicht in der Schule. Und mit der zusammen sind wir [nach 1945] in eine Mädchenschule gegangen, waren bei der Direktorin und haben gesagt, wir möchten gerne wieder in die Schule gehen. Und die hat gesagt: Naja, was habt’s ihr denn. – Hab ich gesagt, naja wir waren in der zweiten Klasse. – Naja, dann geht’s halt in die dritte Klasse. – Na, Frau Direktorin, haben wir gesagt, wir möchten in die sechste Klasse gehen, bzw. in die siebente. Dann hat sie uns bisschen geprüft und angeschaut und gesagt, naja probiert’s es. Diese Wut war schon ein sehr starkes Motiv, wir haben gelernt wie die Depperten und sind dann so langsam hinaufgeschwommen in der Klasse, die uns ja angeschaut hat, als ob wir aus einem Zirkus gekommen wären. Und dann haben wir gesagt, die Mädchenschule, das ist nichts für uns. Da sind wir in einen halbjährigen Maturakurs gegangen, wo die Voraussetzung war ein Zeugnis von der siebenten Klasse. Natürlich waren da lauter Erwachsene, der Qualtinger war in der Klasse. Und wir waren dann beim Direktor und haben gesagt, wir möchten gerne den halbjährigen Maturakurs machen. Hat er gesagt, na ihr seid ja noch so jung. – Wir haben ein Zeugnis von der siebenten Klasse. Und dann haben wir im Winter maturiert und waren unter den ersten, sie hat Jus studiert und ich Medizin, unter den Jüngsten, die fertig waren. Aber das Motiv war, wir mussten’s ihnen zeigen.“

Das gesamte Interview mit Helga Feldner-Busztin, Neurologin aus Wien, ist hier nachzuhören:

Rita Klobassa wurde ebenfalls 1929 in Wien geboren. Im Interview erzählt sie vom Luftschutzdienst als Jugendliche, einem abgebrochenen Gesangsstudium und ihren Verwerfungen mit der kommunistischen Partei, für die sie sich schon früh begeistert hatte.

Zuversicht trotz des Krieges erlebte sie dank einer Klavierlehrerin – doch der Unterricht musste erst „erkämpft“ werden: „Da kann ich mich noch genau erinnern, am 12. März 1938, wir haben ein kleines Radio gehabt und da hat der Schuschnigg gesagt, ‚Gott schütze Österreich‘. Und mein Papa hat gesagt, ‚Jetzt gibt’s einen Krieg.‘ Krieg… der Opa ist nicht mehr zurückgekommen, da war doch der Erste Weltkrieg, hab’ ich gelernt, und wieso wieder Krieg? Und dann ist auf einmal der Papa auch weg, weil er eine andere Frau gehabt hat. Und ich hätt’ ja sollen ins Gymnasium gehen und die Mama hat nichts verstanden und dann bin ich in die Hauptschule gegangen. Aber das große Glück war meine Klavierlehrerin. Die hat zur Mama gesagt, es wäre gut, wenn ich zweimal die Woche eine Klavierstunde haben könnt. Und die Mama hat gesagt, dass kann ich nicht leisten, weil 40 Mark hat der Papa gegeben und 40 Mark haben ja schon die Klavierstunden gekostet. Und jetzt hat sie dem Papa das geschrieben und er hat abgelehnt. Und die Mama hat ihn dann vor’s Gericht zitiert und der Richter hat gesagt, ‚Naja, ein zweiter Mozart wird’s ja eh nicht.‘ und meine Mutter war so gescheit und hat zum Richter gesagt: ‚Herr Rat, einen Mozart hat’s nur einmal gegeben.‘ Immer wenn ich noch daran denke – jetzt bin ich schon so uralt – aber das hat mich gefreut. Und meine Klavierlehrerin war so lieb, die hat mir dann die zweite Stunde umsonst gegeben.“

Das gesamte Interview mit Rita Klobassa, Sängerin, Sekretärin und Kommunistin aus Wien, ist hier nachzuhören:

Die Ausstellung „Zwischen den Welten“ ist noch bis zum 18.06.2023 im Frauenmuseum Hittisau zu sehen. Unter den 23 Porträts finden sich auch die Schauspielerin Erni Mangold, die Schriftstellerin Ilse Helbich, sowie die Psychoanalytikerin Erika Freeman, die sich gegen das Vergessen des Holocausts einsetzt.

Website der Ausstellung

Das Projekt auf nurithwagnerstrauss.com

Nurith Wagner-Strauss
arbeitet seit 1987 als Fotografin in Wien. Sie studierte an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien und verbrachte in der Folge ein Jahr als Artist in Residence im Sudan. Sozialkritische Fotoreportagen führten sie darüber hinaus nach Indien, Griechenland und Serbien. In Gruppen- und Soloausstellungen präsentiert sie ihre Arbeiten, die auf das Leben von Frauen, Kindern und benachteiligten Gruppen fokussieren.

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