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Michaela Lindinger, 7.5.2020

40 Jahre U4

„Beim Bewegen bitte nicht tanzen!“

Am 8. Mai 1980 öffneten sich erstmals die Türen zum Wiener Untergrund: Das U4 sperrte auf. Dass der Club bald zur international beachteten Jugendkultur-Institution avancieren würde, ahnte wohl niemand. Das Szenelokal fand Eingang in sehr unterschiedliche „Austropop“-Hymnen und wurde damit sogar bei Leuten bekannt, die nie im Leben ins U4 gegangen wären.

Eine kalte Nacht Mitte der 1980er-Jahre. Am Opernball um zwei Uhr früh packte ich mein weißes Eröffnungskleid samt Krönchen in einen Plastiksack, zwängte mich in eine schwarze Lederhose und fuhr mit dem Taxi von der Staatsoper ins U4, die legendärste Disco in Wien. Ich kam aus der Provinz, wo das Lokal bestenfalls aufgrund des STS-Songs Fürstenfeld eine gewisse Popularität genoss „Da geh i gestern ins U4. Fangt a Dirndl an zum Red’n mit mir. Schwarze Lippen – grüne Haar. Da kannst ja Angst kriagn wirklich wahr.“ Den Song fand ich grausig, ins Lokal hinein wollte ich unbedingt. Das Türpersonal verweigerte mir allerdings den Einlass; ich war noch nicht ganz 16 Jahre alt.

Während mein Freund und ich sinnlos vor dem U4 auf der Straße herumstanden, näselte drinnen Falco aus den Boxen: „Im U4 geigen die Goldfisch…“, womit die Jeunesse Dorée der geld- und erfolgsverliebten 1980er-Jahre gemeint war. Ich bat den Türsteher um Gnade („extra hergekommen“, „aus Linz“, „Opernball“, „nur heute in Wien“ - blablabla) und da wir uns trotz eisiger Kälte nicht in Luft auflösten, ließ man uns schließlich ein. Sofern man das im dichten Zigarettenrauch wahrnehmen konnte, war die Kleidung der Leute relativ unsexy, hochgeschlossen, viel Schwarz und Weiß. New Wave und Electronic Body Music (EBM) gaben den Ton an. Tolle Frisuren und tolles Make-up waren zu sehen. STS-Fans blieben wohl lieber außen vor. Hansi Lang stand am Rand der Tanzfläche und rauchte. Zum Ausflippen. Dass das Lokal seine „große Zeit“ eigentlich schon hinter sich hatte, war mir damals nicht klar. Die Anfangsjahre rund um 1980, als die Stadt sich zu verändern begann und Avantgardistinnen und Avantgardisten aus der Wiener Musik- und Modeszene sowie Menschen aus unterschiedlichen Bereichen der (bildenden) Kunst im U4 zusammenkamen, waren rasch vorbei. Doch dies erschloss sich erst aus dem Rückblick. Einem Teenager wie mir wäre das, selbst wenn ich es gewusst hätte, „scheißegal“ gewesen – wie man damals sagte.

Später kam ich wieder um „Nirvana“ live zu sehen, das war im November 1989. Aus meinem näheren Umfeld kannten nur vereinzelte „Musiknarrische“ die US-Hinterbänkler-Band aus der – wie man hörte – wenig aufregenden Stadt Aberdeen/Washington. In einem englischen Musikheftl hatte ich in London von ihrem Album „Bleach“ gelesen und davon, dass es so ähnlich klingen würde wie die „Pixies“. Diese gehörten zu meinen absoluten Lieblingsbands. Ich fand „Nirvana“ zwar anders als die „Pixies“, aber nicht weniger beeindruckend, kaufte später alle ihre Platten und weinte nach dem 5. April 1994 Rotz und Wasser, als eines der letzten Fotos von Kurt Cobain schwarz umrandet auf dem Cover des NME prangte. Vor ein paar Jahren habe ich meiner Nichte ein altes „In Utero“ T-Shirt geschenkt. Sie konnte kaum glauben, dass es sich um ein „Original“ aus dem Jahr 1993 handelte… Jedenfalls brannte das U4 kurz nach dem Auftritt von „Nirvana“ ab und war danach drei Monate geschlossen.

Keine Weinbar im Keller

„Copa Cabana“ hätte das U4 einmal heißen sollen und noch früher war dort eine Weinbar geplant gewesen. Diese scheiterte schon vor der Eröffnung, denn im U4 gibt es eben keine Fenster, die bei einer „normalen“ Lokalität aber unabdingbar sind. Also keine Weinbar-Genehmigung. Das daraufhin installierte Nachtlokal „Copa Cabana“ fand ebenso kaum Gäste, wer weiß, vielleicht erwies sich der Name als wenig zugkräftig… Jedenfalls hatte der Besitzer der Meidlinger Keller-Räumlichkeiten, der Gastronom Ossi Schellmann (Café Stein, Summer Stage), den für Wien ziemlich abwegigen Gedanken, ein paar unkonventionelle Szene-Menschen zusammenzufangen und denen zu sagen: „Macht’s ein halbes Jahr was, wenn Leute kommen, gut, dann geht’s weiter. Wenn nicht, sperr ich zu.“

Und es ging weiter. Alles am U4 war ausgesprochen ungewöhnlich, denn wo gibt es schon eine Disco, in der man nicht tanzen darf? Doch manche Politiker waren sich sicher, das U4 gefährde die Jugend und entzogen dem unterirdischen Lokal schon kurz nach dem Einstand die Tanzkonzession. Ein paar Monate lang stand daher auf der Tanzfläche ein Schild mit der Aufschrift: „Beim Bewegen bitte nicht tanzen.“ So unterlief man subtil das „Tanzverbot“. Und ließ eben Bands auftreten, wodurch das U4 zum berühmten Live-Tempel aufsteigen konnte. Im 80er-Jahre Musikfilm „Neon Mix“ (Regie: Peter Gruber) nimmt eine der besten Wiener Bands ever, Chuzpe, diese Regelung aufs Korn und singt in weißen Overalls mit dem Sticker „Tanzverbot“: „Die guten Kräfte sammeln sich, wo kommen die bloß her?“ Ihr Auftritt fand – klar – im U4 statt.

Der Ruf der Disco reichte bis nach Großbritannien und in die USA, sonst wären mittlerweile leider verstorbene Riesen des Musikbusiness wie Prince oder David Bowie wohl kaum ausgerechnet ins U4 gekommen. Auch The Cure, The Fall und Marilyn Manson gefiel es gut in Meidling. Für österreichische Acts war ein Auftritt im U4 lange Zeit das Nonplusultra. Drahdiwaberl konzertierten dort (mit Falco am Bass), Hansi Lang, einer der tollsten österreichischen Songwriter, die einmal sehr gehypten Blümchen Blau, Tom Pettings Hertzattacken oder Minisex. Falco sowieso. Es gab auch Avantgarde-Modeschauen mit Mario Soldo, den Gay-Club „Heaven“ oder den gruftigen „Mittwoch“ (Nick Cave!) mit Werner Geier, Kult-DJ und Gründer des Labels „Uptight“.

Eine „Wiener Institution“, die die Institution U4 von Anfang an und mit wenigen Unterbrechungen bis heute begleitet, ist ihr „Türsteher“ Conny de Beauclair. Natürlich ist Conny de Beauclair viel mehr als ein Türsteher, für viele verkörpert er geradezu das U4. Er war immer da, überall dabei, kennt alle und jeden. Als Fotograf macht er wunderbare Aufnahmen von KünstlerInnen und BesucherInnen des U4 und Leute, die sich mit der Pop- und Jugendkultur in Wien befassen, sind immer wieder dankbar für seine großartigen Jubiläumsbände, die etwa zum 20. und 30. Geburtstag der Lokalität erschienen sind.

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Punk-Ikone Nina Hagen (hier mit Conny de Beauclair) war mehrmals zu Gast - und signierte dieses Foto. Foto: Archiv Conny de Beauclair

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Mit dem U4 untrennbar verbunden: Falco, hier mit Kellnerin Elke Schedewy, Falcos bestem Freund Billy Filanowski, Kellner Herbert und DJ Michael Hödl. Foto: Conny de Beauclair

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Modedesigner Helmut Lang mit Johanna Dichand. Foto: Helga Sittler/Archiv Conny de Beauclair

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Der „gute Geist“ von Meidling…

…ist eigentlich ein Münchner. Und mit einem sehr besonderen Namen ausgestattet: Constantin Marquis de Rouville dictet de Beauclair. In Deutschland wäre er ein „Graf“, doch hierzulande wurden 1919 sämtliche Adelstitel abgeschafft und somit ist er in Wien einfach „der Conny“. Es weiß sowieso jeder, wer gemeint ist, immerhin kam er schon als 20-Jähriger nach Österreich und fing als Türsteher im von Hansi Lang verewigten „Montevideo“ in der Annagasse an. Falco lernte er im gemeinsamen Lieblingslokal U4 kennen, als Herr Hölzel noch nicht von den USA bis Japan als „Amadeus“ bekannt war. Bis heute organisiert Conny de Beauclair jährlich im Februar die „Falco-Gedenknacht“ anlässlich des Todestages des wohl bekanntesten österreichischen Pop-Musikers des 20. Jahrhunderts. Unnötig zu erwähnen, dass das Fest im U4 gefeiert wird. Falco starb 1998 bei einem Autounfall in der Dominikanischen Republik.

Die „schnellen Jahre“

Mitte der 2000er-Jahre geriet das U4 in alle möglichen Schwierigkeiten, die Betreiber wechselten häufig und eine Schließung aufgrund von Umbauarbeiten in Zusammenhang mit dem Brandschutz wurde im Jahr 2005 notwendig. Nach der Wiedereröffnung – das U4 sah nun sehr anders aus als man es von früher gewohnt war – konnten die meisten legendären Clubnächte nicht mehr reaktiviert werden. Die hippe Jugend war weitergezogen. Wien entwickelte sich – nicht zuletzt durch den Erfolg des Flex am Donaukanal sowie durch die Gürtelsanierung und die damit entstandene neue Lokalmeile - langsam aber sicher zu einer Großstadt, die erfreulicherweise mehr als nur eine bekannte Disco verträgt.

Das U4 blieb der Inbegriff der „schnellen Jahre“ 1980 bis 1985. Martin Blumenau, Musikexperte und FM4-Journalist, schrieb einmal polemisch: „In der gesamten Geschichte des Austropop gab es nur eine einzige, kurze Phase des Aufmuckens, des Aufblinkens, des Verstehens, des intuitiven Wissens um das Wesen der Popmusik – die Achtziger.“ Angesichts des Aufstiegs österreichischer Senkrechtstarter wie Wanda oder Bilderbuch wird Herr Blumenau seinen nostalgischen Blick auf die „Achtziger“ mittlerweile vielleicht etwas revidiert haben. Falco soll ja gesagt haben: „Wer sich an die 80er-Jahre erinnern kann, hat sie nicht erlebt“. Maurice Ernst und Konsorten haben die 80er tatsächlich nicht erlebt. Ein Glück, sonst gäbe es nämlich keine „Maschin“ und schon gar keinen „Bungalow“.

Michaela Lindinger, Kuratorin, Autorin. Studium der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft, Politikwissenschaft, Ägyptologie und Ur- und Frühgeschichte an der Universität Wien. Seit 1995 kuratorische Assistentin, seit 2004 Kuratorin im Wien Museum. Ausstellungen und Publikationen zu biografischen und gesellschaftlichen Themen, Frauen- und Gender-Geschichte, Porträts, Wien-Geschichte, Tod und Memoria, Mode.
 

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