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Elke Wikidal, 17.8.2020

75 Jahre „Russendenkmal“ am Schwarzenbergplatz

Das erste Bauwerk der Zweiten Republik

Sonntag, 19. August 1945: Am Schwarzenbergplatz wird in einer festlichen Zeremonie das Denkmal der Roten Armee enthüllt. Wie kaum ein zweiter Gedächtnisort in Wien erinnert es an den April 1945, das Ende des Zweiten Weltkrieges und die Befreiung von der Nazidiktatur.

Als Befreiungsdenkmal kommt dem unmittelbar nach Kriegsende errichteten Monument hohe symbolische Bedeutung zu. „In ideologischer und interpretatorischer Hinsicht ein höchst schillerndes Gebilde“, schreibt der Kulturjournalist Erich Klein, der sich ausführlich mit den „Russen in Wien“ beschäftigte. Eine Vielzahl an widersprüchlichen Erfahrungen und Emotionen verknüpfen sich mit dem „ersten Bauwerk der Zweiten Republik“. Es versinnbildlicht primär Sieg über den und Befreiung vom Nationalsozialismus, reflektiert aber andererseits auch angstbesetzte Erinnerungen an die Besatzungszeit.

Historische Fotografien zeigen das Denkmal mit dem Standbild des Rotarmisten vor dem bombenbeschädigten Palais Schwarzenberg. Deutlich sind auch ein sowjetischer Jagdpanzer und Grabsteine gefallener Soldaten zu erkennen, die ursprünglich zum Denkmalensemble gehörten. Nicht zufällig war das Kanonenrohr des Panzerfahrzeugs SU 100 zur Wiener Innenstadt gerichtet, zählte es doch zu den erfolgreichen Waffen der Roten Armee, die auch in Wien zum Einsatz kamen. Die Grabanlagen erinnerten an die Rotgardisten, die im „Kampf um Wien“ ihr Leben verloren.

Am 6. April 1945 erreichte die Rote Armee die Stadtgrenze Wiens und drängte nach schweren Kämpfen die deutschen Einheiten über die Donau zurück. Der 13. April 1945 gilt als Tag der „Einnahme Wiens“, als Tag der Befreiung, der in Moskau mit Salven und Feuerwerk gefeiert wurde. Die Kampfhandlungen forderten zahlreiche Opfer, nach sowjetischen Angaben etwa 19.000 Soldaten der deutschen Wehrmacht und 18.000 Sowjetsoldaten. Gefallene Rotgardisten wurden in Parkanlagen bestattet, wo die Sowjets teils aufwändig gestaltete Grabsteine aufstellen ließen.

Denkmalbau in Rekordzeit

Schon vor der Einnahme Wiens plante die Rote Armee die Errichtung eines Denkmals, was dessen hohe ideologische Bedeutung erkennen lässt. Als Standort bot sich der Schwarzenbergplatz aus mehreren Gründen an: Durch seine Länge von 450 Metern gewährt er weitläufige Blickachsen zwischen dem Denkmal und den noblen Gründerzeitbauten im Ringstraßenbereich. Außerdem ergab sich eine Sichtachse zum Reiterdenkmal des Feldmarschall Schwarzenberg, der in Koalition mit dem russischen Zaren erfolgreich gegen Napoleon gekämpft hatte und damit einen passenden Anknüpfungspunkt an die russische Militärgeschichte ermöglichte. Weiters garantierte das Barockpalais Schwarzenberg eine geeignete Kulisse für das Denkmal. Nicht zuletzt ließ sich der im Krieg stillgelegte Hochstrahlbrunnen perfekt in das Ensemble miteinbeziehen, erfreuten sich doch Wasserspiele bei Architekten und Stadtplanern der stalinistischen Zeit großer Beliebtheit.

Der Hochstrahlbrunnen bestand bereits seit 1873 und demonstrierte damals die Leistungsfähigkeit der Ersten Wiener Hochquellenwasserleitung, ein bautechnisch herausforderndes Unternehmen der wachsenden Großstadt Wien. 1905/06 erfolgte der Umbau zum Leuchtbrunnen, der mit seinen buntfarbigen Fontänen dem Ort eine zusätzliche Attraktivität verlieh.

Im Mai 1945 begannen die Bauarbeiten unter der Leitung des sowjetischen Militäringenieurs M. Schenjfeld, ihm zur Seite standen der Architekt S.G. Jakowiew und der Bildhauer M.A. Intisarjan. Bereits im Schützengraben, so erinnerte sich Intisarjan, habe er aus Materialmangel mittels einer Flasche, Brot und Speck Entwürfe des Rotarmisten modelliert. Der Guss der 15 Tonnen schweren Figur erfolgte im Erdberger Gusswerk aus Bronzebeständen für Wehrmachtsaufträge. Im Rekordtempo von etwas mehr als drei Monaten konnte das Denkmal unter der Mitwirkung österreichischer Facharbeiter und Kriegsgefangener fertiggestellt werden. Die beteiligten Österreicher wunderten sich über die Eile der Sowjets, fehlten ihnen doch klare Vorstellungen um die hohe ideologische Bedeutung des Mahnmals. Als Prestigeobjekt sollte es noch vor dem Einzug der Westalliierten die sowjetische Organisations- und Leistungsfähigkeit demonstrieren, Verbündete wie „Besiegte“ beeindrucken.

Ein „sozialistisch-realistisches Kuriosum“

Im Zentrum der Denkmalanlage steht auf einem 20 Meter hohen Sockel das Standbild eines Rotarmisten, eine fast zwölf Meter hohe Figur mit Fahne und vergoldetem Schild. Umfangen wird der Figurenpfeiler von einer halbkreisförmigen Kolonnade mit 26 Säulen. Stilistisch lässt sich die Denkmalanlage dem sozialistischen Realismus zuordnen, mit einem Anklang an das monumental-bombastische „Stalinbarock“. Doch im Vergleich zu späteren Sowjetdenkmälern bleibt das Wiener „sozialistisch-realistische Kuriosum“ (Erich Klein) geradezu verhalten, so der Architekturtheoretiker Jan Tabor. Er beurteilt das Wiener Denkmal „in seiner feinen intellektuellen Konzeption“ als einzigartig. Einzigartig auch deshalb, weil es sich nicht direkt an die Wiener Bevölkerung wendet. „Ewiger Ruhm den Soldaten der Sowjetarmee, die im Kampf gegen die deutsch-faschistischen Okkupanten für die Freiheit und Unabhängigkeit der Völker Europas gefallen sind“, verkündet die russische Goldinschrift in kyrillischen Buchstaben auf der Kolonnade. Die ebenfalls russischen Inschriften am Sockel nehmen auf den 13. April 1945 und den Ruhm der Roten Armee unter ihrem Oberkommandierenden Stalin Bezug. Keine Botschaft an die Befreiten, keine Mahnungen oder Anklagen an die Wiener Bevölkerung. Das Konzept der Inschriften erfolgte offensichtlich in Übereinstimmung mit der Moskauer Deklaration von 1943, die Österreich als erstes Opfer der Angriffspolitik Hitlers festlegte. „Ein überaus nobel selbstbezogenes Denkmal“, „introvertiert und exterritorial“, dessen komplexe Ikonografie eigentlich nur seitens der sowjetischen Kriegsteilnehmer*innen verstanden werden konnte, konstatierte Jan Tabor.


Erst Ende der 1970er Jahre ließ man eine deutsch-russische Erklärungstafel ergänzen. An den jährlichen Gedenktagen anlässlich des Kriegsendes wird sie wie das Denkmal selbst mit passendem Blumenschmuck dekoriert.

Eröffnungsfeierlichkeiten am 19. August 1945

Die Denkmalenthüllung erfolgte im Beisein von Militärabordnungen aller vier Besatzungsmächte und unter Teilnahme der österreichischen Provisorischen Staatsregierung.

 

Die KPÖ organisierte einen Sternmarsch aus allen Bezirken zum Schwarzenbergplatz, wo die Zeremonie vor großer Zuschauerkulisse stattfand und live im Radio übertragen sowie filmisch festgehalten wurde. Österreichische Tageszeitungen berichteten ausführlich über die Enthüllung des „Befreiungsdenkmals“ und „Sowjet-Heldendenkmals“ und widmeten den Ansprachen der Politiker besondere Aufmerksamkeit. Nach den Reden sowjetischer Spitzenoffiziere kamen die Vertreter der drei Parteien der Provisorischen Staatsregierung und der Wiener Bürgermeister Körner zu Wort, die vor allem Ehrfurcht und Dank für das „Befreiungswerk“ artikulierten. Fragen nach der österreichischen Beteiligung am Nationalsozialismus blieben unerwähnt, stattdessen unterstrich man die Opferrolle Österreichs.

Heldendenkmal, Befreiungsdenkmal, Russendenkmal

Als „Denkmal zu Ehren der Soldaten der Sowjetarmee“ konzipiert, verkündet es den Ruhm der Roten Armee. Der Rotarmist hat Waffen und Schild niedergelegt, das Siegesmal wird damit auch zum Mahnmal des Friedens. Vor allem aber versteht es sich als Befreiungsmal, verbunden mit dem Selbstverständnis der Roten Armee als Befreiungs- und nicht als Eroberungsarmee gekommen zu sein. Völlig konträr dazu notierte der Wiener Diplomat Josef Schöner im Juni 1945 in sein Tagebuch: „Der Volkswitz nennt es bereits ‘das Denkmal des unbekannten Plünderers‘“. Auch andere despektierliche Begriffe wie „Erbsendenkmal“ mit Bezug auf die sowjetischen Hilfsaktionen kamen auf, bekannt war und ist es aber vor allem als „Russendenkmal“. Wie kam es zu dieser bis heute geläufigen Bezeichnung?

„Einfach weil’s ein Russ ist, der oben steht“, so die lakonische Erklärung eines am Denkmalbau beteiligten österreichischen Bildhauers. Allerdings gehörten der Roten Armee nicht nur Russen, sondern auch Ukrainer, Weißrussen, Balten, Kasachen, Usbeken, Kaukasier und viele andere Nationalitäten an. Der Begriff „Russendenkmal“ klammert außerdem weitgehend den eigentlichen Entstehungskontext aus und impliziert eine gewisse Distanz gegenüber dem fremdartigen Monument. Fremd blieb es aufgrund der für die meisten Wiener*innen unverständlichen Inschriften. Fremdartig war es aber auch, weil die Kernaussage der „Befreiung vom faschistischen Joch“ von vielen nicht als solche betrachtet oder abgelehnt wurde. Bereits während des Krieges schürte die NS-Propaganda Ängste vor „bolschewistischen Horden“ und „russischen Untermenschen“. Andererseits ließen reale Erfahrungen von gewaltsamen Übergriffen wenig Gefühl von Befreiung aufkommen und die Befreier wurden angesichts von Plünderungen, Vergewaltigungen und Verschleppungen als Besatzer empfunden. Die Beurteilung der „Russen“ blieb zwiespältig, was sich auch deutlich in den vielfältigen Denkmalbezeichnungen und Interpretationen spiegelt.

Das Russendenkmal als kriminalgeschichtlicher Ort

Nach 1955 verwandelte sich der politische Gedächtnisort immer mehr zu einem „Nicht-Ort“, der kaum in der Wahrnehmung der Wiener Bevölkerung verankert war. Die Soldatengräber als auch der Jagdpanzer, der dem Heeresgeschichtlichen Museum übergeben wurde, verschwanden vom Schwarzenbergplatz. Wirklich ins Bewusstsein der Wiener*innen rückte das Denkmal erst mit einem spektakulären Kriminalfall. Am 15. April 1958 wurde im Gebüsch hinter der Kolonnade der Leichnam einer jungen Frau aufgefunden, worüber insbesondere die Boulevardpresse detailliert und hemmungslos berichtete. Der Mordfall Ilona Faber brachte dem Ort große mediale Aufmerksamkeit und schrieb sich tief ins kollektive Gedächtnis ein.

Vermutlich war es auch der besondere Tatort, der zahlreiche Schaulustige anzog, die in Massen zum Denkmal strömten. Das Opfer war sexuell missbraucht und erwürgt worden, ein Verdächtiger wurde festgenommen und später wieder freigesprochen. Beweismaterialien befeuerten viele Spekulationen und sogar nach der Jahrtausendwende ließ man der Fall neuerlich aufrollen.

1962 geriet das Denkmal nochmals in den medialen Blickpunkt, als ein von einer neofaschistischen italienischen Gruppe geplanter Sprengstoffanschlag auf den Rotarmisten rechtzeitig entdeckt und vereitelt werden konnte.

Erhaltung und Achtung der Gedenkstätten

Mit dem Ende der Sowjetunion kamen vereinzelt Debatten um die Entfernung des „stalinistischen Mahnmals“ auf, die jedoch meist rasch verstummten. Schließlich besteht bis heute eine völkerrechtliche Verpflichtung Österreichs zur Erhaltung und Schutz des Denkmals, was bereits 1955 im Staatsvertrag verankert wurde. Darauf nahm auch der russische Präsident Wladimir Putin in seiner Videobotschaft an die österreichischen Bürger*innen zum 75. Jahrestag der Befreiung Europas am 8. Mai 2020 Bezug. Darin erinnerte er nicht nur an den Beitrag der Sowjetmenschen zur damaligen Befreiung Europas, sondern betonte ebenso den respektvollen Umgang mit den Gedenkstätten, was deren symbolische Bedeutung auch im postkommunistischen Russland unterstreicht.

Heute scheint es als hätten sich die Wiener*innen weitgehend mit dem Gedächtnisort arrangiert. Gerne kommen vor allem an heißen Sommertagen Touristen*innen und Einheimische hier her, um am kühlenden Wasser des Hochstrahlbrunnens und zwischen den Säulen der Kolonnade zu verweilen. Selbst der relativ weitläufige Platz vor dem Brunnen konnte nach der Jahrtausendwende zeitweilig mit Konzertbühnen und Kunstinstallationen belebt werden, die auch das Denkmal wieder mehr ins Bewusstsein rückten.

75 Jahre nach Kriegsende bleibt das Russendenkmal, mit all seinen Kontroversen und Widersprüchlichkeiten, als Erinnerungsort für die Befreiung vom Nationalsozialismus von Relevanz. In seinen klaren Botschaften als auch Ambivalenzen gründet die besondere Aussagekraft des ersten Bauwerks der Zweiten Republik.

Literatur

Erich Klein (Hg.), Die Russen in Wien. Die Befreiung Österreichs. Wien 1945 / Augenzeugenberichte und über 400 unpublizierte Fotos aus Russland, Wien, 2. Aufl. 2015.

Matthias Marschik, Georg Spitaler (Hg.), Das Wiener Russendenkmal. Architektur, Geschichte, Konflikte, Wien 2005.

Barbara Stelzl-Marx, Stalins Soldaten in Österreich. Die Innensicht der sowjetischen Besatzung 1945-1955, Wien 2012.

Josef Schöner, Wiener Tagebuch 1944/45, hg. v. Eva-Marie Csáky, Franz Matscher u. Gerald Stourzh, Wien 1992.
 

Elke Wikidal studierte Kunstgeschichte und Geschichte an der Universität Wien. Sie ist seit 2005 wissenschaftliche Mitarbeiterin im Wien Museum und vorwiegend im Bereich Objektinventarisierung und Recherche in der Grafik- und Fotosammlung tätig.

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Kommentare

Waltraud Schauer

Hervorragende Erläuterung,
für viele eine sehr notwendige Lektion
und Berreichrung


Petra Leban

Großartiger Beitrag, bester Lese-Genuss!

Lg,
Petra Leban