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Adolf Loos 1870 – 1930 – 2020
Anstelle einer Ausstellung
„Er wird sich nicht ändern. Kein Greisenalter wird ihn abhalten, produktives Ärgernis zu erregen und die überflüssigen Ornamente des Lebens wie der Kunst zu beseitigen. Den Zufall eines Kalenderdatums und was sich aus solchem Anlass ergibt, betrachtet er selbst sicherlich nicht anders, denn als eine Art Arabeske der Heuchelei und einer Rührung, die jetzt vielfach nach dem Bedauern schmeckt, seinerzeit, als man Adolf Loos hätte verdienstvoll entdecken können, nicht mit dabei gewesen zu sein.“
Wenn zutrifft, dass Adolf Loos schon die Feier seines 60. Geburtstags als unnötiges „Ornament“ betrachtet hätte, wie Ludwig Ullmanns Beitrag für die Wiener Allgemeine Zeitung von 1930 nahelegt, dann mag auch der Hinweis auf den 150. Geburtstag des ebenso legendären wie häufig missverstandenen Vordenkers der modernen Architektur am 10. Dezember 2020 als überflüssig erscheinen.
Dass aber just zu diesem Jubiläum in Wien keine umfassende Loos-Ausstellung zustande kam, sollte nicht etwa als Sieg der Sachlichkeit über die Sentimentalität gedeutet werden, sondern hat vor allem museumspolitische Gründe, die hier nicht weiter zu erörtern sind. Dreißig Jahre nach der letzten großen Wiener Loos-Ausstellung wäre ein neuer, zeitgenössischer und vor allem unvoreingenommener Blick auf Leben und Werk von Adolf Loos längst überfällig – nicht zuletzt vor dem Hintergrund einer anhaltenden Erregung: Denn seitdem vor einigen Jahren durch die Auffindung des verschollenen Strafaktes die verstörenden Details des – längst bekannten, aber von der Forschung verharmlosten – Sittlichkeitsprozesses von 1928 an die Öffentlichkeit gelangten, erscheint es vielen kaum mehr statthaft, das Werk des Architekten nicht vor dem Hintergrund seiner pädophilen Neigungen und gerichtlich bestätigten Sexualstraftaten zu betrachten.
Dass Loos in dem Prozess zu vier Monaten Arrest verurteilt und nur auf Bewährung freigelassen wurde, zählt vor den Augen der strengen MoralhüterInnen nichts – er ist für sie, fast 90 Jahre nach seinem Tod, nach wie vor ein gefährlicher Verbrecher, ohne Chance auf Resozialisierung.
Im Umgang mit dem „Fall Loos“ tritt unter den Vorzeichen einer nicht selten selbstgerechten Political Correctness und einseitigen Cancel Culture eine heillos romantische Sehnsucht nach der Gleichung von künstlerischer Größe und menschlicher Makellosigkeit an die Oberfläche, die man als bloße Naivität abtun könnte – würde eine solche Sichtweise nicht gerade die Diskussion in den Medien bestimmen. Der nicht nur legitime, sondern notwendige Anspruch, die „Heldenerzählungen“ der Moderne einer kritischen Relektüre zu unterziehen, schlägt dabei nicht selten in furiose Verdammung um.
Waren frühere Generationen noch in der Lage, in ihrer Bewertung zwischen dem menschlichen Subjekt mit all seinen Fehlern und Verfehlungen auf der einen Seite und seinem Werk auf der anderen Seite zu differenzieren, ohne eins vom anderen trennen zu wollen, so ist heute das Gegenteil der Fall: vor den Schwächen seines Urhebers muss auch das größte Werk kapitulieren. Otto Wagner wird durch die vom Autor dieser Zeilen mitbetreute Publikation seines Tagebuches als Antisemit geoutet – folglich muss auch sein Werk „böse“ sein und man sucht, psychoanalytisch dilettierend, nach sublimierten Rassismen in seiner Architektur; Adolf Loos war pädophil, also muss auch die Relevanz des von ihm Geschriebenen und Gebauten von Grund auf in Frage gestellt werden. Und wer sich mit solcherart gestürzten Heroen der Kunst beschäftigt, ohne ihre menschlichen Fehler zum Dreh- und Angelpunkt einer Deutung zu nehmen, gilt schon als verdächtig.
Eine Wiener Ausstellung über Adolf Loos im Jahr 2020 hätte die Chance geboten, die überragende, bis heute anhaltende Bedeutung seines geschriebenen und gebauten Werks sichtbar zu machen und zugleich die wichtigsten Etappen seines Lebens ohne falsch verstandene Idealisierung und Heroisierung nachzuzeichnen. Dazu gehört auch das entgegen aller Rede vom Außenseiter Loos gerade im Prozess von 1928 höchst tragfähige Netzwerk aus hochrangigen Vertretern des Wiener Bürgertums, von Künstlern und Intellektuellen, das ihn vor einer strengeren Verfolgung bewahrt hat. Vielleicht wäre es am Ende möglich gewesen, sich über eine neue, kritische, interdisziplinäre Sicht auf ein faszinierend vielschichtiges, ambivalentes, vielfach nach wie vor aktuelles, auf der ganzen Welt rezipiertes Werk zu verständigen; eine Perspektive, die das schmerzhafte und zugleich tröstliche Faktum miteinschließt, dass es ein höchst fehlerhafter, schwieriger und nach gängigen Kriterien wohl auch unsympathischer Mensch war, der dieses singuläre Werk hervorgebracht hat.
Zum 150. Geburtstag von Adolf Loos und als Beitrag zur Geschichte der ihm gewidmeten Ausstellungen soll abschließend ein kleiner Schatz aus dem Depot des Wien Museums vorgestellt werden. Er führt uns 90 Jahre zurück, zu den Feierlichkeiten anlässlich des 60. Geburtstags des Architekten, den dieser nicht in Wien, sondern in Prag verbracht hatte: mit einem Tee in den Räumen des Společenský Klub und einem Abend in der von ihm erbauten Villa Müller. Während sich das offizielle Österreich zu keiner Würdigung durchringen konnte, erschien im Verlag der Buchhandlung von Richard Lanyi in Wien eine eilig zusammengestellte Festschrift mit Beiträgen von Alban Berg, Josef Frank, Oskar Kokoschka, Karl Kraus, Else Lasker-Schüler, Alfred Polgar, Richard von Schaukal, Arnold Schönberg, Bruno Taut, Tristan Tzara, Stefan Zweig und vielen anderen prominenten Weggefährten und Bewunderern; Anton Webern widmete Loos sein Quartett Opus 22.
Die Zeitungen im In- und Ausland berichteten ausführlich, internationale Zeitschriften brachten umfangreiche Besprechungen und setzten Loos gar aufs Cover. Im Jahr 1931 sollte dann im Verlag Schroll & Co die Monographie von Heinrich Kulka, Franz Glück und Ludwig Münz erscheinen, während der Innsbrucker Brenner-Verlag den zweiten Band der Gesammelten Schriften mit dem Titel „Trotzdem“ herausgab.
Höhepunkt der Veranstaltungen war jedoch eine von Loos selbst vorbereitete Ausstellung, die der Hagenbund, damals die wohl progressivste Wiener Künstlervereinigung, im Dezember 1930 in der Zedlitzhalle – parallel zu einer weitaus größeren Ausstellung über den gleichaltrigen Rivalen Josef Hoffmann im Österreichischen Museum – ausrichtete. Über diese Schau, die im Anschluss auch in mehreren deutschen Städten gezeigt wurde, wusste man bisher durch Beschreibungen in der zeitgenössischen Presse und einige wenige Fotografien.
Von der Forschung unbemerkt haben sich in der Sammlung des Wien Museums immerhin 23 der ursprünglich wohl mehr als 60 Schautafeln der Ausstellung erhalten, weitere 20 Tafeln befinden sich im Adolf Loos Archiv der Albertina (Markus Kristan sei an dieser Stelle für die kollegiale Unterstützung gedankt). Zusammen mit den Raumansichten ist damit nun erstmals eine Rekonstruktion der ersten Ausstellung zum Werk von Adolf Loos überhaupt möglich, doch müssen an dieser Stelle Andeutungen genügen: Neben einer aktuellen Porträtfotografie von Trude Fleischmann und mehreren Texttafeln, die „Grundsätzliches von Adolf Loos“ brachten, waren vor allem Vergrößerungen nach Fotografien der wichtigsten Bauten und Interieurs von Martin Gerlach jun. zu sehen – vom Café Museum über das Haus am Michaelerplatz und mehrere Wohnungseinrichtungen bis zu den erst kurz zuvor vollendeten Häusern Müller in Prag und Khuner in Payerbach
Angesichts des schlechten Gesundheitszustandes von Adolf Loos war schon damals zu befürchten, dass dieser erste Überblick über sein Schaffen zugleich ein Resümee seines Lebenswerkes sein würde. Ein Großauftrag seitens der Stadt Wien, wie ihn Max Ermers in einem Artikel im „Wiener Tat“ als Geburtstagsgeschenk für den Architekten forderte, kam nicht zustande – die dazu erforderliche Kraft hätte Loos wohl kaum mehr aufbringen können. Sieht man von dem posthum erst 1937 errichteten Häuschen für seine Haushälterin Mitzi Schnabel in der Donaustadt ab, so waren die beiden Doppelhäuser in der Werkbundsiedlung 1932 seine letzten Wiener Bauten. Am 23. August 1933 verstarb Loos im Alter von 63 Jahren im Sanatorium Schwarzmann in Kalksburg bei Wien.
Literatur:
Burkhardt Rukschcio, Roland Schachel: Adolf Loos. Leben und Werk, Salzburg-Wien 1982
Für Adolf Loos. Gästebuch des Hauses am Michaelerplatz. Festschrift zum 60. Geburtstag, herausgegeben von Burkhardt Rukschcio, Wien 1985
Adolf Opel (Hg.): Kontroversen. Adolf Loos im Spiegel der Zeitgenossen, Wien 1985
Adolf Opel (Hg.): Konfrontationen. Schriften von und über Adolf Loos, Wien 1988
Adolf Loos (Ausstellungskatalog Albertina und Historisches Museum der Stadt Wien), Wien 1989
Ralf Bock: Adolf Loos. Leben und Werke 1870-1933, München 2009
Christopher Long: Der Fall Loos, Wien 2014
Andreas Weigel: Affäre. Neue Details zum Pädophilieprozeß um Adolf Loos, in: Profil, 11.4.2015
Gerhard Niederhofer: Ornament und Verbrechen, in: Falter 6 (2015).
Aktuelle Ausstellungen und Initiativen zu Adolf Loos:
Ausstellung im MAK
Ausstellung in der Wienbibliothek im Rathaus
Ausstellung im Hofmobiliendepot
Architekturerbe.at Loos2020
Schaufenster und Installation im AZW
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Kommentare
@Zora: Vielen Dank für den Hinweis, haben wir korrigiert! Beste Grüße, Peter Stuiber (Wien Museum Magazin)
Die Strafe betrug vier Monate auf Bewährung und nicht vier Jahre.
Sehr geehrter Herr Zednicek, vielen Dank für Ihren Kommentar! Literaturhinweise stammen im Magazin immer von den Autoren und Autorinnen selbst und sind in der Regel keine Buchtipps, sondern Verweise auf verwendete Literatur. Es gibt daher zahlreiche, auch lieferbare Titel zu Loos, die hier nicht angeführt wurden. Dass dem Autor und uns im Museum generell Ihre Publikationen ein Begriff sind, kann ich Ihnen versichern! Beste Grüße, Peter Stuiber (Wien Museum Magazin)
NS: im Gegensatz zu den angeführten Bänden ist mein Buch ERHÄLTLICH!
In diesen schwierigen Zeiten, wäre ein Hinweis nett gewesen!
www.wienerarchitektur.at
Es ist Ihnen entgangen, dass es noch ein weiteres, interessantes Buch über die Architektur von Adolf Loos gibt: meines
MFG Walter Zednicek
www.wienerarchitektur.at
Die profunde Analyse über 'Political Correctness' unserer Zeit lässt oft keine positive legitime Meinung zu über das großartige Schaffen so mancher Heroen der Vergangenheit und Gegenwart. Ohne Vorurteil den sachlichen Verstand zu bemühen ist auch eine Tugend und befreit vor Fanatismus und anderen Verblendungen.
Lieber Andreas, danke für diesen so informativen und lesenswerten Beitrag!
Herzlich, Katinka