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Afrohaar in Wien
Kunstwerk am Kopf
Warum bin ich heute zum Interview eingeladen? Ist es, weil Februar vor der Tür steht und ihr eine Geschichte zum „Black History Month“ bringen möchtet?
Gut erkannt, natürlich ist das ein Mitgrund! Aber Beiträge zur Black Community in Wien sollen in Zukunft generell mehr Platz im Magazin bekommen, nicht nur anlassbezogen. Vielleicht können wir das gleich als Einstieg zu unserem Gespräch nutzen: Was ist deine persönliche Einstellung zum „Black History Month“?
Ich denke, die Geschichte Schwarzer Menschen ist zu umfangreich, als um sie in einen Monat zu packen – besonders wenn es sich um den kürzesten Monat des Jahres handelt. Wir sollten Schwarze Geschichte immer zum Thema machen. Es gibt so viele Medien, die nie Beiträge von und für Schwarze Communities veröffentlichen, aber es dann pro forma einmal im Jahr zum „Black History Month“ tun. Ich denke, der „Black History Month“ und Stories wie diese sollten als Startschuss dienen, und nicht als einmalige Ereignisse.
Danke für deine kritische Einschätzung. Jetzt zu dir und deiner Geschichte: Du arbeitest als Model und Künstlerin – wann hast du erkannt, dass du ein Projekt zu Afrohaar starten möchtest?
Als ich vor drei Jahren nach Wien gekommen bin, begann ich hier zu modeln. Ich ging zu Castings, machte Photoshootings und hatte Engagements für Laufsteg-Shows. Die Stylisten vor Ort wussten nicht, was sie mit meinem Haar tun sollten, geschweige denn hatten sie passende Produkte. Es passierte nicht selten, dass es in der Folge an mir selbst gelegen ist, mir und anderen Schwarzen Models die Haare zu stylen. Die dafür angestellten Profis konnten es einfach nicht.
Du hast vor deinem Umzug nach Wien in den USA und zuletzt auf Hawaii gelebt. Weichen deine Erfahrungen an den verschiedenen Orten stark voneinander ab?
Nein, es handelt sich um ein universales Problem in der Modewelt: Friseurschulen unterrichten nicht oder kaum wie lockiges und Afro-Haar gepflegt wird. Und so ist es nicht nur, wenn es um Frisuren geht. Ich wurde häufig von Make-Up-Artists gebeten, meine eigenen Produkte mitzubringen, weil sie meinen Hautton nicht in ihrer Farbpalette hatten. Man fragt sich dann schon, kann es das sein?
Wie sieht es abseits der Modebranche aus?
In Wien gibt es nicht allzu viele Salons, die auf Afrohaar spezialisiert sind. Allgemein gibt es nicht viele Salons, in denen sich Menschen mit Schwarzem Haar wohl fühlen können. Ich kenne unzählige Geschichten von Schwarzen Personen, die entweder regelmäßig von Friseursalons abgelehnt werden. Oder deren Haare gemacht werden, die Friseure sich aber durchgehend beschweren, wie anstrengend und schwierig das Unterfangen nicht wäre. Es gibt wenige Orte, wo man sich mit Afrohaar angenommen fühlt, wo man die richtigen Produkte kaufen kann, und wo man lernt, mit dem eigenen Haar gut umzugehen. Mit „The Good Bush Project“ möchte ich genau so einen Ort kreieren.
Was ist „The Good Bush Project“?
Im Grunde geht es darum, Bewusstsein für Schwarze Haarkultur zu schaffen. Ich erzähle Geschichten über und durch Haar auf unterschiedlichen Plattformen: Einerseits frisiere ich Haare im privaten Umfeld. Andererseits mache ich Ausstellungen, Fashion-Shows und bin natürlich auf Social Media aktiv. Ich habe das Ganze „The Good Bush Project“ genannt, weil mich Afrohaar an einen Busch erinnert. Wie ein Busch wächst es nach oben, und eben nicht nach unten. „Good“ habe ich hinzugefügt, weil wir Schwarze Frauen unser Haar oft mit den Kategorien schlecht und schwierig gleichsetzen. Dem will ich was entgegenstellen und die Schönheit von Afrohaar in den Mittelpunkt rücken.
Was fasziniert dich an der Arbeit mit Haar?
Für mich ist es eine Kunstform, es ist wie Bildhauerei. Ich tauche tief in die Recherche zu den einzelnen Haartypen ein und dann versuche ich, ein Meisterwerk zu erschaffen. Die Frisur wird zum Kunstwerk am Kopf.
Warum ist ein negativer Blick auf Afrohaar vorherrschend?
Um diese Frage zu beantworten, muss ich weiterausholen und ein wenig Geschichtsunterricht einbauen: Während des transatlantischen Sklavenhandels erfanden weiße Kolonialherren alle möglichen Legitimationsstrategien, um Afrikaner:innen als minderwertig zu brandmarken. Neben der Hierarchisierung von Hautfarben war ein zentrales Argument, dass Afrohaar der Wolle von Schafen ähneln würde. So rückte man Schwarze Menschen näher an die Tierwelt und untermauerte ihre Entmenschlichung innerhalb der Sklaverei. Derart abwertende Sichtweisen von Afrohaar ziehen sich durch die US-Geschichte bis in die jüngste Zeit, unterdrückende Vorschriften fanden sich zu jederzeit im Bereich des Militärs, der Arbeitswelt und in Schulen. Erst im Jahr 2019 wurde der sogenannte Crown Act verabschiedet, der Diskriminierung von Afrohaar verbietet. Aber nicht mal dieser ist in allen US-Bundeststaaten gültig. Unser natürliches Haar wird damit zum Problem. Logischerweise versuchen wir das Problem zu verkleinern, indem wir unser Haar chemisch behandeln, glätten oder unter Perücken verstecken. Sich mit dem eigenen Haar wieder anzufreunden und vergangenes Unrecht umzudeuten, ist ein anhaltender Prozess und braucht viel Hingabe.
Wie siehst du Schwarze Haarkultur in Wien?
Ich bin in einer vornehmlich Schwarzen Nachbarschaft in Washington DC aufgewachsen. Ich habe sechs Schwestern und meine Mutter hat unsere Haare jede Woche anders frisiert. Braids, Twists und all die Accessoires, mit denen wir unsere Haare geschmückt haben – einfach jeder Look war cool. Es ist ein Teil meiner Kultur, meine Persönlichkeit und Stimmung mit Haarstyles auszudrücken. Die Schwarze Kultur in Wien ist etwas anders, weil hier Schwarze Menschen von viel mehr unterschiedlichen Orten und Hintergründen leben. Es gibt vielfältige afrikanische Einflüsse, Kinder mit Schwarzem und weißem Elternteil, manche kommen aus der Karibik oder den USA. Die Schwarze Tradition ist in jedem Fall gemischter.
Was sind deine nächsten Schritte für „The Good Bush Project“?
Gemeinsam mit einer Fotografin arbeite ich an einer Ausstellung, die vom 7. bis zum 18. März im Dschungel im Museumsquartier zu sehen sein wird. Sie wird unter dem Titel „Body is Made“ laufen und beschäftigt sich mit der Frage, was es bedeutet, sich im eigenen Körper wohlzufühlen und welche Rolle Haare – an diversen Köperstellen – dabei spielen. Wir ergänzen außerdem eine queer-feministische Ebene und arbeiten mit nicht-binären Models zusammen, die dann meine Haarkreationen tragen werden.
Planst du, verstärkt Körper insgesamt in den Blick zu nehmen an Stelle deines bisherigen Fokus auf Haar?
In meiner Arbeit verwende ich Haare als Symbol. Haare sind so komplex. Alle haben unterschiedliche Haartypen, auch innerhalb der Kategorien von Schwarzem oder glattem Haar. Wie Körper, wie Gesichter – wir alle versammeln unterschiedliche Attribute und müssen lernen, sie zu akzeptieren und wertzuschätzen. Ich versuche diese Geschichte eben durch Haare zu erzählen. Also Nein, der Fokus ändert sich nicht grundlegend, „The Good Bush Project“ dreht sich weiterhin um Haare.
Kannst du dir vorstellen, in Zukunft auch deinen eigenen Salon in Wien zu eröffnen?
Ich würde liebend gerne meinen eignen Friseursalon eröffnen. Ein Zentrum eigentlich noch lieber, um dort Workshops zu unterrichten. Zum Beispiel für weiße Mütter von Schwarzen Kindern: Es ist enorm wichtig, dass sie lockiges Haar als Teil ihrer Kinder verstehen und damit umgehen können. Oder Workshops für Schwarze Frauen, um gemeinsam zu erkunden, wie wir unser Haar pflegen und stylen können – und wie wir super Haarprodukte in der Küche herstellen können. Ich habe so viele Menschen getroffen, die mir erzählen, wie hart es für sie seit Kindheitstagen ist, ihre Schwarzen Haare zu akzeptieren oder gar zu lieben. Hier würde ich einfach gerne helfen und einen safe space schaffen.
Mehr über Adrian Halls „The Good Bush Project“ auf Instagram.
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Kommentare
Danke für diesen so ungemein intelligenten und informativen Beitrag! Es ist ja gerade so eine "Selbstverständlichkeit" wie Haar und Haarformen, die uns zeigt, wie sehr menschliche Kulturen unterschiedliche Erscheinungen ausgebildet haben, die noch dazu von anmaßender Ideologie als Kriterium von sogenannter "Minderwertigkeit" angesehen wurden. Da gilt es viel zu begreifen - auch innerhalb unserer Gesellschaft, wo viele sich immer noch über ihnen fremde Erscheinungsweisen abfällig äußern. - Es ist sehr eindrucksvoll und bewundernswert, wie klug Adrian Hall ihre Erkenntnisse mitteilt, selbst "betroffen" und doch nicht nur anklagend, sondern ruhig hinweisend. Man kann ihr nur viel Anerkennung und Erfolg wünschen - und uns selbst eine ähnlich Intelligente Weise, auf Fehlverhalten (vor dem wir ja selbst nicht gefeit sind) mit ruhiger Einsichtsfähigkeit zu reagieren. Da haben wir noch viel zu lernen.
Vielen Dank für diesen spannenden Artikel und die interessanten Einblicke, die definitiv die ein oder andere neue Perspektive für mich eröffnen!