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Ausstellung Hannahlisa Kunyik
Ein Porträt der Ambivalenzen
Auf einem Hügel, verdeckt von hohen Bäumen, steht ein modernistischer Bau. Ist es ein Wohn-, ein Wochenendhaus oder ein Bunker? Das Gebäude mit seinen matt schimmernden Oberflächen und dunklen Räumen wurde 1968/69 von dem Architekten Friedrich Binder erbaut und von ihm und seiner Frau bewohnt. Der Erzählung nach verließ Frau Binder nach Ableben ihres Mannes das Kellergeschoß nicht mehr. Nach dem Tod der Witwe stand das Haus einige Jahre leer.
Kurz vor dem Umbau des Hauses beschloss Hannahlisa Kunyik dem modernistischen Kleinod in der Paukhofstraße, das, wie sie findet, „wie aus der Zeit gefallen, im Verhältnis zu seinem Umfeld irgendwie deplatziert, sein Dasein zelebriert“, ein filmisches Requiem zu widmen: „Ein Porträt seiner Doppeldeutigkeit – der architektonischen Gelassenheit, Sachlichkeit und Weltoffenheit mit japanischen Elementen auf der einen Seite, und seinen klaustrophobischen Strukturen andererseits.“ Spießbürgerliche Elemente wie Gitter an den Fenstern irritieren ebenso wie Stäbe und Begrenzungen, die sich im Inneren des Hauses fortsetzen. „Der Bau überrascht mit Inkonsequenzen, etwa in der Materialwahl, die seiner modernistischen Eleganz einen merkwürdigen Hauch Provinzialität verleihen“, erzählt die Künstlerin über ihre Faszination für die Ambivalenz des Ortes.
Diese setzte sich sowohl im Film als auch in dessen Herstellungsprozess fort, bei dem Kunyik für Konzept, Regie, Schnitt und Produktion verantwortlich zeichnet. Paukhofstraße ist eine Gegenüberstellung von Gegensätzen wie Souveränität und Entblößung, ästhetischer Behauptung und Reflexion, Dokumentation und Fiktion, Innen und Außen. Kunyik geht es dabei um Blickbeziehungen, Begehren und Verschiebungen im Begehren und darum, „Blickkonventionen“ zu brechen, wie sie es beschreibt. Die Filmcrew, ein Team aus Künstler*innen, Theoretiker*innen und Musiker*innen, erfüllen eine Doppelfunktion: „Alle Leute, die hinter der Kamera stehen, sind auch vor der Kamera“, so Kunyik, die sich in ihrer künstlerischen Praxis thematisch intensiv mit Fragen der Körperlichkeit befasst. „Der Film ist mitunter eine Hommage an jene, die daran mitgewirkt haben. An die darstellenden Körper, die gleichzeitig die produzierenden Körper, die Co-Filmemacher*innen sind. Und eben an den Ort selbst, der auch ein Körper sein könnte.“ Ihr besonderes Faible für Orte ist nicht zuletzt mit einem Besuch von Nancy Holts „Sun Tunnels“ in Utah 2014 verknüpft. Diese Land Art-Arbeit empfand sie als Prisma der Umgebung, die sie, ohne monumental zu sein, in ihrer Präsenz überwältigte. „Das war durchaus ein ästhetisches Erwachungsmoment!“, meint sie lachend. Seit damals sind Orte ein wichtiger künstlerischer Anknüpfungspunkt Kunyiks. Sitespecific ist auch ihr Umgang mit Licht in der Ausstellung in der Startgalerie. Kunyik verzichtet hier neben der Projektion gänzlich auf künstliches Licht, was die Installation an die tageszeit- und wetterbedingte Lichtsituation bindet.
Kunyik studierte zuerst Soziologie an der Universität Wien, später bei Monica Bonvicini in der Klasse für Performative Kunst und Bildhauerei, dann Typographie und Bewegtbild bei Esen Karol an der Bilgi Universität in Istanbul und abschließend Video und Videoinstallationen bei Dorit Margreiter an der Akademie der bildenden Künste in Wien. Ihre künstlerische Herangehensweise bewegt sich zwischen Abstraktion und Narration und zielt oft auf eine Inszenierung von Inszeniertheit. Das Poetische und Politische sind dabei zentrale Aspekte von Kunyiks Arbeit. Aber auch soziologische Ansätze wie das bereits erwähnte Bewusstsein für das Körperliche – welches sich nicht zuletzt in der Ausstellungschoreographie zeigt, die dem Besuch durch Kunyiks architektonische Intervention eingeschrieben ist –, die Bewegung zwischen Theorie und Materialarbeit sowie Strukturen und latente Bedeutungen wirken stark mit hinein. Ein weiterer roter Faden ist das Performative, das in allen ihren Arbeiten sichtbar wird: „Jeder Anlass, jeder Ort, jedes Material verlangt nach einem anderen Umgang. Das kann sich medial äußern oder in einer bestimmten Geste – dem möchte ich akkurat begegnen“, so die Künstlerin. Und diese Begegnung sieht dann ungefähr so aus: „Von der Situation, dem Ort, der Geste, dem Wort, dem Bild oder dem Material – in den Raum, an die Wand, vor, dann hinter die Kamera, an den Rechner, über’s Papier, ins Gespräch und auf Umwegen ... wieder zurück.“
Hannahlisa Kunyik ist bildende Künstlerin und lebt in Wien. Sie arbeitet mit Performance, Installation, Film und Video, Fotografie, Sprache und Druck. Letzte Soloausstellungen zeigte sie im MOM Art Space, Hamburg, What keeps me alive, und in der Galerie VIN VIN, Wien, Great Wall Something, 2019. Für ihre Arbeit erhielt sie Auszeichnungen wie das Start-Stipendium für Medienkunst, das Aufenthaltsstipendium für Shanghai oder das Ö1 Talentestipendium. Werke von ihr sind in der Sammlung des Wien Museums, in den Landessammlungen Niederösterreich und in Privatsammlungen vertreten.
Hannahlisa Kunyiks Ausstellung „Paukhofstraße“ ist noch bis 19. September 2021 in der Startgalerie im Wien Museum MUSA zu sehen.
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