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Ausstellung Thomas Hitchcock
Kunst als Köder?
Kunstwerke strahlen oft eine omnipräsente Anziehungskraft aus, mit der die Versuchung oder vielleicht sogar Gefahr einhergeht, sich in ihnen zu verlieren. In der Startgalerie im Wien Museum MUSA wandelt man aktuell durch einen Parcours aus sechs hängenden Glasobjekten, die die Betrachter*innen auf eine ganz eigene Weise in ihren Bann ziehen. Ihre Formen wirken undefiniert und organisch, sie „floaten“ regelrecht durch den Raum. Fast könnte man meinen, dass sie sich weiterbewegen und dabei verändern – man also nur eine kurze „Momentaufnahme“ ihrer aktuellen Figur erfasst, wie der Künstler Thomas Hitchcock es beschreibt. Die Verbindungen der Glasscheiben aus gelötetem Zinn auf Kupferband erinnern an Adern und sind so gesetzt, dass sie sich außerhalb der Figuren fortzusetzen scheinen: „Ich würde mir wünschen, dass sich der/die Betrachter*in vorstellt, es gehe dann so weiter – man also nur einen Ausschnitt einer Art Vernetzung sieht, die unsichtbar bleibt“, so Hitchcock.
Der in der Steiermark geborene Künstler mit englischen Wurzeln schloss 2017 sein Studium an der Universität für Angewandte Kunst Wien bei Brigitte Kowanz ab und lebt nach längeren Aufenthalten in Lissabon und Berlin nun wieder in Wien. Hitchcock arbeitet vorwiegend skulptural, setzt aber bereits seit einiger Zeit immer wieder Gläser in seinen Arbeiten ein. Die in der Startgalerie gezeigten Objekte bestehen aus mundgeblasenem Echt-Antikglas, einem Material, das vor allem für Kirchenfenster und Bleiverglasungen verwendet wird und heute nur noch schwer zu bekommen ist.
Hitchcock – nein, weder ein Künstlername noch gibt es eine wissentliche Verwandtschaft zum gleichnamigen Filmregisseur – hat sie mittels Tiffany-Technik und Glasmalerei bearbeitet. Sehr ästhetisch aufgebaut, bleiben sie gleichzeitig verschlossen und flach: „Die Figuren haben etwas von Ködern und greifen das Thema des Verführens auf. Sie ziehen den Betrachter in ihren Sog, wobei aber nicht ganz klar ist, was diese Objekte eigentlich darstellen“, erklärt Hitchcock. Insofern sind auch die Motive der Glasmalerei ausgewählt: Fast sakral anmutende, ins Glas eingebrannte Ornamente, Hände und Faltenwürfe wecken Assoziationen zu Gemälden alter Meister und tragen zur Ambivalenz der Arbeiten bei: Sind das wirklich Kunstwerke oder geht es nur um eine bestimmte Situation, die erzeugt werden soll?
„Viele Kunstwerke haben die Qualität verführen zu können, indem sie Interesse erwecken und faszinieren. Es gibt sehr unterschiedliche Möglichkeiten, damit umzugehen. Oftmals besteht aber ein starker Fokus auf reine Ästhetik, der ich zugegebenermaßen ja auch erliege“, so Hitchcock. „Aber ich glaube, es geht eben um Wichtigeres als nur die Wirkung einer Arbeit - vor allem in der Situation der Ausstellung besteht großes Potenzial, eine thematische Auseinandersetzung mit dem Publikum zu teilen und zu verhandeln. Diesen Moment und welche Position ich als Künstler darin einnehme, möchte ich in der Ausstellung komplexer besprechen.“ Kritik am System des Kunstmarkts fließt ebenfalls mit ein, aber man dürfe „natürlich nicht pauschalisieren, nicht jeder, der sich da bewegt, ist nur auf die oberflächliche ästhetische Arbeit fokussiert“.
Die Frage nach Agency, die sich zwischen Kunstproduktion und Betrachtung situiert, spielt für Hitchcock eine wesentliche Rolle. Hier geht es ihm vor allem um die Ausstellung an sich, die er als wichtigen Moment sieht, in dem die Installation selbst aber auch der Künstler und die Betrachter*innen jeweils ihren Part spielen. In weiterer Folge ist eine Publikation über luuuuure geplant, bei der Hitchcock unterschiedliche Kollaborateur*innen aus und um das Kunstfeld herum einlädt, darüber zu schreiben und der Themenstellung breiter Raum zu geben: „Dafür ist das jetzt vielleicht ein erster Startpunkt.“
Thomas Hitchcock, geboren 1989 in Bruck/Mur (AT), schloss 2017 sein Studium an der Universität für angewandte Kunst Wien bei Brigitte Kowanz ab. Er studierte außerdem an der ENSAPC in Paris und war 2020 Teil des Independent Study Programme Maumaus in Lissabon. Seine letzten Projekte fanden 2020 in einem von ihm kuratierten interdisziplinären Gruppenausstellungsformat mit der gleichnamigen Publikation intermezzo in Lissabon statt und sind seit 2018 als Kunst im öffentlichen Raum in der Neugestaltung des Peter-Alexander-Platzes unscene in Wien-Grinzing zu betreten. Einige seiner Objekte wurden bereits durch das Land Steiermark und die Sammlung der Universität für angewandte Kunst Wien angekauft.
Die Ausstellung „Luuuure“ ist noch bis 7. November in der Startgalerie im Wien Museum MUSA zu sehen.
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