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Barockfürst Johann Adam Andreas I. von Liechtenstein
Herkules in der Rossau
Nach der siegreich zerschlagenen zweiten Osmanischen Belagerung von Wien 1683 setzte in den folgenden Jahren in und um die Stadt ein regelrechter Bauboom ein. Zum Zeichen des Sieges und sich künftig vor solchen Angriffen sicher fühlend errichteten das Kaiserhaus und die adeligen Familien außerhalb der Stadtmauer prachtvolle Sommerresidenzen und phantasievolle Gartenpalais, eingebettet in aufwändige und geometrisch strukturierte Parkanlagen nach französischem Vorbild.
Johann Adam Andreas von Liechtenstein war einer der wesentlichen Protagonisten dieser Ära. Obwohl er ererbte Schulden abzutragen hatte, gelang es ihm, die fürstlichen Betriebe und Güter so zu modernisieren und effizient zu führen, dass er schlussendlich zu den wohlhabendsten Männern seiner Zeit zählte. Dieses Vermögen erlaubte ihm nunmehr, seiner Leidenschaft des Bauens und des Kunstsammelns nachzugehen, damit lebte er den barocken Zeitgeist des Adels schlechthin.
Das Gartenpalais in der Rossau
Für sein Sommerprojekt vor den Toren der Stadt erwarb der Fürst große Grundstücke in der Rossau. Denn er wollte nicht nur ein Gartenpalais mit Park errichten, sondern ein regelrechtes barockes Stadterweiterungskonzept verwirklichen: ein Musterdorf, dessen Zentrum das fürstliche Anwesen sein sollte. Kein Geringerer als der Stararchitekt jener Zeit wurde beauftragt, diese Visionen in Zeichnungen und Architekturpläne zu übertragen, Johann Bernhard Fischer von Erlach (1656 – 1723). Doch lediglich das Belvedere am Ende des Parks wurde nach seinen Plänen errichtet (siehe Beitrag von Andreas Nierhaus). Fischers Entwurf des Palais, eine visionäre Mischung römischer Vorbilder und Zitat nach den bedeutendsten Architekten Italiens der Zeit, fand wohl als zu teuer keinen Anklang.
Denn der Fürst beauftragte 1688 den in Bologna ausgebildeten Domenico Egidio Rossi (1659 – 1715) mit einem neuen Entwurf für einen sogenannten „Palazzo in Villa“. Johann Adam wollte kein verspieltes Gartenschlösschen, sondern einen prächtigen, nachgerade urban anmutenden Palast im Grünen. Rossis Zeichnung zeigt einen hohen Mittelbau von vier, um ein Halbgeschoß niedrigeren Baukörpern umgeben, die vor allem zu den Seiten und zum Park hin vorkragen. Der Eingangsfassade sind außen jeweils Treppen vorgelagert, über die man vom Ehrenhof direkt ins Pianio Nobile gelangen würde. 1692 sollte der aus Lucca stammende Domenico Martinelli (1650 – 1718) als leitender Architekt den Bau weiterführen.
Er überarbeitete die Pläne seines Vorgängers und erhöhte die ursprünglich niedriger gedachten Seitenflügel auf die gleiche Traufhöhe wie sie der Mittelbau zeigt. Damit schuf Martinelli die geschlossene Fassadenwirkung und die blockhaftere Kubatur des Gebäudes. Die bei Rossi noch außen befindlichen Treppen sind nun ins Innere verlegt und nehmen die ehrenhofseitigen Seitenflügel ein. Beide Anlagen sind mit Adneter Marmor ausgestattet, wobei jede Stufe von einem Marmor-Monolith gebildet wird, die per Schiff über Inn und Donau nach Wien gebracht worden waren. Allein die Treppen ließ sich der Fürst über 5.000 Gulden kosten.
Für die weitere Innenausstattung bemühte sich Fürst Liechtenstein um Meister aus dem Süden: so konnte er für die Stuckarbeiten Santino Bussi (1664 - 1736) gewinnen, der aus dem Tessin stammt, und den außergewöhnlich kleinteilig und detailliert scharf modellierten Stuckdekor zwischen 1704 und 1708 fertigte.
Marcantonio Francheschini (1648 – 1729) ließ sich zwar nicht bewegen, seine Heimatstadt Bologna zu verlassen und nach Wien zu reisen, jedoch schuf er zwei umfangreiche mythologische Gemäldezyklen, die die Wände einiger Festräume im Obergeschoss und das sogenannte Damenappartement im Erdgeschoss ursprünglich zierten. Francheschini zählt zu den eher in klassizistischer Manier arbeitenden Meistern mit kühlerer Farbpalette, ähnlich dem damals hochbegehrten römischen Maler Carlo Maratta (1625 – 1713) und er kam dem Auftraggeber beim Wunsch nach möglichst unbekleideten weiblichen Körpern weitestgehend entgegen.
Den Höhepunkt der Ausstattung, die Decke des zentralen großen Festsaales, schuf der damals wohl prominenteste Freskant und größter Meister perspektivischer Illusionsmalerei, Fra Andrea Pozzo (1642 – 1709).
Deckenfresko im Festsaal: „Leben und Apotheose des Herkules“ von Andrea Pozzo:
Wohl auf Empfehlung des Neffen des Fürsten, Anton Florian, berief Kaiser Leopold I. Pozzo nach Wien, wo dieser in der Jesuitenkirche (Universitätskirche), der Peterskirche und an einigen anderen Standorten in der Residenzstadt arbeitete. Der einzige „private“ Auftrag kam von Johann Adam. Er konnte den italienischen Meister der Perspektive für die Ausgestaltung seines Festsaals gewinnen, dessen Freskenprogramm sich schon allein aufgrund der großen architektonischen Dimensionen anbot, die wahrlich „herkulisch“ sind. Der heute Herkulessaal genannte zentrale Festraum weist eine Seitenlänge von jeweils etwa 25 Metern auf und erreicht eine lichte Höhe über beide Obergeschosse von 14,1 Metern. Damit gilt er als einer der größten in Privatbesitz befindlichen barocken Profanräume nördlich der Alpen.
Inhaltlich vorbereitet wird die Herkules-Thematik bereits im westlichen Treppenhaus mit Johann Michael Rottmayrs „Kampf der Olympischen Götter mit den Giganten“: Zu sehen ist zwischen den kämpfenden Göttern auch Herkules mit Löwenfell und Keule. Denn er war die ausschlaggebende Figur in dieser Auseinandersetzung, nur seine Teilnahme garantierte Zeus den Sieg, so lautete der Orakelspruch.
Pozzo beginnt die Erzählung in seiner keiner Chronologie folgenden Darstellung, die er in den Sommern der Jahre 1704 bis 1708 ausführte, an der Westseite der Decke. Die Szenen aus dem Heldenleben sind oberhalb des umlaufenden, dreidimensionalen Gesimses vor einer Zone gemalter Scheinarchitektur dargestellt. Zentral in der Mitte jeder Raumseite erheben sich dreibogige, säulengeschmückte Triumphbögen über reichverzierten Balustraden. Die Ecken bilden kreisrund zurückspringende Loggien um trommelförmige Sockel, auf denen ebenfalls Szenen der Sage spielen. Die extreme Untersicht und die eindrucksvolle perspektivische Verkürzung suggerieren somit zwei weitere Geschosse, bevor sich der Blick in den Wolkenhimmel öffnet, der allein das Reich der Göttinnen und Götter ist.
Zeus hatte sich in Alkmene verliebt. In Gestalt ihres Gemahls Amphytrion wohnte ihr der Göttervater bei und zeugte so den Sohn, der ihn gegen die Giganten unterstützen sollte. Zeus´ eifersüchtige Gattin Hera sandte dem erst wenige Monate alten Kind zwei furchtbare Schlangen in die Wiege, sodass diese den Fehltritt ihres Gatten gleich wieder beseitigen würden. Doch schon der kleine Herkules stellte sich als unerschrockener Kämpfer heraus, der die beiden Schlangen erwürgte und somit in der Wiege seine erste Heldentat beging.
In der Nord-West-Ecke verdichtet Pozzo den berühmten Dodecathlos des Halbgottes, die zwölf außergewöhnlichen Heldentaten, zu einer Schlüsselszene – den Kampf mit dem Nemeischen Löwen. Dieser wird auf einer Art Rundsockel herausgestellt. Hinter dem im Sprung befindlichen Löwen steht breitbeinig der muskulöse Held und greift gerade nach dem Rachen des gewaltigen Tieres, um ihn zu erwürgen. Löwenkopf und Fell wird Herkules künftig als Rüstung tragen. Vor und neben dem Sockel sind weitere ungeheuerliche Kreaturen zu sehen, etwa ein Stierkopf als Symbol für das Ausmisten des Viehhofes des Königs Augias. Die beiden geflügelten Frauenkörper in der Mitte sollen die „Stymphalischen Vögel“ darstellen, ganz rechts erkennt man den dreiköpfigen Höllenhund Zerberus. Wesentlich wäre noch die neunköpfige Hydra, in deren giftige Galle Herkules seine Pfeile taucht, um sie in absolut tödliche Geschosse zu wandeln, die Pozzo hier allerdings nicht darstellt.
In der Mitte der Nordwand wird Herkules thronend dargestellt. Bisher wurde die Szene gerne als „Herkules am Scheideweg“ interpretiert, eine Episode aus seiner Jugend, bei der er sich zwischen einem Leben als Held, das voller Mühsal und Plage ist, und einem Dasein in Müßiggang und Bequemlichkeit entscheiden muss. Die weibliche Figur links neben ihm in Rot und Gelb wurde als die Personifikation der Glückseligkeit, als Verheißung der irdischen, aber vergänglichen Freuden, angesehen. Rechts in reiner, weißer Kleidung die Personifikation der Tugend, auf den ewigen Ruhm hinweisend. Da die beiden seitlichen weiblichen Figuren eher passiv dargestellt sind und nicht mit Herkules interagieren, ist wohl der innere Kampf der Entscheidungsfindung hier nicht gegeben. Außerdem hält die linke Figur einen Palmzweig, der gemeinhin als Friedenssymbol gilt, und die Szene kann somit eher als Pendant zur "Herkules bei Omphale"-Darstellung gegenüber gelesen werden.
An der Südseite des Saals finden wir diese Episode: Herkules sitzt mit dem Spinnrocken auf einer Art Gesims vor dem konkav geschwungenen Balkon über ihm. Links lehnt Omphale, die Königin von Lydien. Ihr musste der Held drei Jahre lang dienen, als Sühne für einen begangenen Mord.
In der Süd-West-Ecke wird die Nessus-Geschichte erzählt. Herkules und seine nunmehrige Gemahlin Deianeira gelangen an einen Fluss, wo sie den Kentauren Nessus, ein mythisches Zwitterwesen mit Pferdekörper und menschlichem Oberkörper, antreffen. Er bot sich an, Deianeira sicher über das Gewässer zu tragen, doch währenddessen berührte er sie unschicklich. Auf ihre Hilferufe hin schießt ihm Herkules einen Pfeil in die Brust, sodass er Deianeira fallen lässt, was uns Pozzo schildert.
Nicht lange danach folgt schon der Tod des Herkules, dem eben jene gerade beschriebene unheilvolle Begegnung vorausgeht, und den Pozzo in der Mitte der Ostwand darstellt. Der sterbende Kentaure Nessus hat nämlich Deianeira noch seine listige Rache ins Ohr geflüstert: eben habe Herkules seine unbändige Liebe zu Deianeira bewiesen und sie aus einer Gefahr gerettet. Doch – würde das immer so bleiben? Sein Blut könne helfen, denn es wäre ein magisches Liebeselixier. Sollte Deianeira einmal meinen, ihres Gemahls Zuneigung würde schwinden, solle sie ein Untergewand mit dem Kentaurenblut färben, und sobald Herkules dieses anziehen würde, würde er erneut in unsterblicher Liebe zu Deianeira entbrennen. So bewahrt sie etwas von dem Blut. Einige Zeit später erobert Herkules die Stadt Öchalia und sendet die Gefangenen zu Deianeira. Unter diesen ist die junge und schöne Prinzessin Jole. Allein ihretwegen habe Herkules die Stadt erobert, flüstert ihr ein Bote zu. Die eifersüchtige und verunsicherte Deianeira erinnert sich des Kentaurenblutes, färbt ein Hemd damit und lässt es zu ihrem Gemahl bringen. Herkules zieht es freudig an und beginnt seine Dankopfer für den Sieg. Doch nun greift die Rache des Nessus: Denn in dessen Blut war etwas vom Gift der lernäischen Hydra gelangt, in das einst Herkules seine Pfeilspitzen getaucht hatte. Und so wird der Held von diesem Gift unsäglich gepeinigt, es verursacht ihm unvorstellbare Qualen, sodass er nur noch sein Leben beschließen will. Er errichtet einen Scheiterhaufen und bittet seine Freunde, diesen zu entfachen, damit seine unwürdige Pein endet: "Kein Speer, kein wildes Tier des Waldes, kein Gigantenheer hat mich überwältigt; die Hand eines Weibes hat mich vertilgt!"
Die Himmelszone ist in vier von den Raumecken ausgehende Wolkenpyramiden unterteilt. An der Spitze der nordwestlichen ist der wiedererstandene Herkules zu sehen, der die erhobene Rechte nach seinem Vater Zeus ausstreckt, der das Zentrum der Gesamtkomposition bildet. Zeus zeigt Herkules schon die goldene Krone, mit der ihn zum neuen Olympier krönen wird. Begleitet wird der Held von Tugendpersonifikationen, die ihm einen Lorbeerkranz reichen und dazu musizieren, während Chronos mit der Sense als Symbol der Vergänglichkeit, die Personifikation des Neides, Pozzo stellt diese als halbnackte Alte mit von einer Schlange umwundenem Arm und strähnigem Haar dar, sowie weitere Laster den Olymp zu verlassen haben. Auf der folgenden Wolkenformation sitzen Apollon mit Lyra und Pallas Athene nebeneinander. Diana mit Speer und ihren Jagdhunden bildet das hell gemalte Zentrum der Gruppe, über ihr finden sich die drei Grazien. Der Kriegsgott Ares mit Schwert und rotem Mantel wird von Pozzo in Rückenansicht dargestellt, unter ihm vor der dunklen Wolke lagert Saturn und außen Äolus mit den Winden. In der Mitte der Südseite schweben Hades mit Zweizack und Hephaistos mit Schmiedehammer über dem Arkadengiebel, auf dem Gesims dessen haben sich die Parzen niedergelassen.
Der Apotheose gegenüber liegt die nun folgende Gruppe, die die Jahreszeiten darstellt: Der sichtlich trunkene Dionysos, der den Herbst symbolisiert, ist umgeben von bocksbeinigen Satyrn, die Trauben naschen und trinken. Der Frühling präsentiert ein Füllhorn voller Blumen, der Sommer eine Ährengarbe und als weißbärtiger Mann gehüllt in einen beigen Mantel ist der Winter zu sehen.
Die vierte Wolkenzone wird vom Sonnengott Helios gebildet, der seinen Vierspänner kräftig antreibt, die Horen, Personifikationen der Stunden, umgeben ihn. Vorab, schon über Dionysos schwebend, die Morgenröte Aurora, deren rosenfarbenes Gewand hinter einer dunklen Wolke hervorschimmert. In der Nordwestecke sind außerdem der Meeresgott Poseidon mit Dreizack und Charon mit seinem Ruder zu sehen, dazu dient Götterbote Hermes mit Flügelhelm und Caduceus als Vermittler des Ereignisses an die Betrachtenden.
Pozzo zeigt die handlungsreichen Geschehnisse vor der Scheinarchitektur, und schließt in der Himmelszone die wenig verkürzten, oft sogar bildparallel gegebenen Figuren stärker zu einer flächigeren Bildkomposition zusammen, als das bei seinen übrigen Arbeiten der Fall ist.
Andrea Pozzo erhielt sein Salär in fünf Raten ab 7. November 1704. Bis 22. Oktober 1708 zahlte Johann Adam Andreas 7.500 Gulden für das Fresko an den Meister. Wenn Herkules als Identifikationsfigur des Fürsten, und Zeus als jene des Kaisers gelesen wird, stellt der Saal sogar eine Ruhmeshalle des Hauses Liechtenstein dar.
Der „Decius Mus-Zyklus“ von Peter Paul Rubens (1577 – 1640):
1692 gelang Johann Adam ein großartiger Ankauf für seine Kunstsammlung: Der „Decius Mus-Zyklus“ von Peter Paul Rubens. Damals glaubte man noch, dessen Schüler Antonis van Dyck wäre der Urheber, wie im Angebotsschreiben des Antwerpener Kunsthändlers Marcus Forchondt vom 7. Juli 1692 nachzulesen ist, dennoch zeigt es, dass Fürst Liechtenstein nicht nur die italienische Kunst liebte, sondern auch den Bestand an niederländischer resp. flämischer Kunst zu mehren trachtete.
Die kolossalen Gemälde entstanden zwischen 1616 und 1618 im Auftrag des Tapisserie-Herstellers Jan Raes I. (1574 – 1651), der in Brüssel eine Manufaktur für die textilen Wandbehänge besaß. Rubens erzählt hier nach Titus Livius (59 v. Chr. – 17 n. Chr.) in seinem ersten Bilderzyklus die Geschichte des Publius Decius Mus, der im 4. Jahrhundert v. Chr. lebte und 340 v. Chr. Konsul der Römer wurde.
Das junge Rom stand im Krieg mit einem benachbarten Volksstamm, den Latinern, doch gelang es keiner der beiden Kriegsparteien diesen Konflikt für sich zu entscheiden. Eines Nachts hatte Konsul Mus, in Kriegszeiten oberster Heerführer, einen Traum: er träumte, nur derjenigen Partei würde der Sieg zufallen, deren Anführer sich freiwillig in der nächsten Schlacht opfere. Da die Römer nie große Macht in nur einer Hand bündeln wollten, gab es üblicherweise zwei Konsuln, die sich gegenseitig kontrollieren und unterstützen sollten. Zweiter Konsul mit Decius Mus war Titus Manlius, der just in der gleichen Nacht denselben Traum hatte. Nun wussten die Konsuln nicht, wer denn nun gemeint sei, denn einen Traum verstand man in der Antike als Nachricht von den Göttern. Die Erzählung von dem Traum und die Beratschlagung über die weitere Vorgehensweise zeigt das erste Bild des achtteiligen Zyklus. Wollte man den Willen der Götter damals ergründen, dann konnte man sich an spezielle Priester wenden – die Auguren oder Haruspizien. Diese interpretieren den Vogelflug oder betrachten die Organe von Opfertieren. So schlachten beide Konsuln jeweils einen Stier. Die Leber dieser Stiere werden dem Haruspex auf einer silbernen Schale zur Betrachtung und Interpretation gereicht. Die anatomisch veränderte Form der Leber des Opferstieres von Decius Mus ist der Hinweis, dass die Götter dessen Seele als Preis für den Sieg der Römer fordern. Darauf deutend blickt der Haruspex den Konsul fragend an. Decius deutet mit beiden Händen auf sich, damit wird seine Überraschung ob des Orakels als auch seine sofortige Bereitschaft zum Opfertod für die höhere Sache von Rubens deutlich gemacht.
Das dritte Bild zeigt die Weihe des Decius Mus an die Götter der Unterwelt, das vierte die Entlassung der Liktoren, der Leibwachen höherer römischer Offizieller. Decius Mus ist im Begriff, auf sein treues Schlachtross zu steigen, um in die Schlacht gegen die Latiner einzutreten. Diese fand 338 vor Chr. in der Nähe des Vesuv statt.
Der Tod des Decius Mus
Der Kampf zwischen Römern und Latinern und der Tod von Decius Mus wurden von Rubens in einer einzigen monumentalen Komposition verschmolzen. Vor dem Hintergrund angreifender Römer und fliehender Latiner erhebt sich die Hauptgruppe monumental über einigen tödlich verwundeten Kriegern. Die Körper der Pferde sind die Träger von Rubens‘ Komposition: Eingerahmt von zwei braunen Pferden, von denen das eine bereits gestürzt ist und das andere mit ausschlagenden Hinterbeinen gezeigt wird, bäumt sich das grau gesprenkelte Ross des Konsuls in einer Levade auf.
Rubens lässt hier seine Studien der Meister des Cinquecento während seiner Zeit in Italien einfließen, vor allem jene der Werke Leonardo da Vincis. Es ist bekannt, dass Rubens in seinen Szenen von Hetzjagden und Schlachten – und nirgendwo mehr als in seiner Darstellung des Todes von Decius Mus – dem Beispiel Leonardos berühmter Schlacht von Anghiari folgte. Rubens konnte diese Darstellung kriegerischer Leidenschaft nicht im Originalzustand studieren, da Leonardos Wandgemälde kurz nach seiner Fertigstellung verloren ging, vielleicht sah er aber noch Teile des Entwurfskartons. Das Prinzip, nach dem Leonardo seinen Kampf gestaltet hatte, ist im vorliegenden Gemälde offensichtlich aufgegriffen. Beide Darstellungen bringen die entscheidenden Punkte des Geschehens durch die Pferde zum Ausdruck, die sich deutlich über das sie umgebende Gemetzel erheben. Kompositorisches Zentrum im Kreuzungspunkt der Bilddiagonalen ist jedoch das Gesicht von Decius Mus. Und wie ein christlicher Märtyrer erblickt er einen sich öffnenden Himmel.
Während Rubens sich normalerweise genau an den Text von Livius hält, weicht der Künstler hier in einem wichtigen Detail ab: Laut dem antiken Autor wurde Decius Mus durch Pfeile erschossen, aber in Rubens‘ Gemälde wird er durch den Stoß eines Speers getötet. Nur so konnte er den Tod des Helden in einem einzigen konzentrierten Bild darstellen. Unter der vollen Wucht des Stoßes fällt der Konsul vom Pferd, in einer kraftvollen Diagonale führt der Speer in die Mitte der Komposition und betont so die tödliche Wunde. Die „hasta“, wie der lange Speer genannt wurde, war vor allem bei der Reiterei gebräuchlich und dem Kriegsgott Mars heilig. Als Symbol des Gottes selbst wurde die „hasta“ in seinem Tempel in Rom auf dem Palatin verehrt und sogar angebetet. Unter Berücksichtigung dieses römischen Glaubens weiht Decius Mus somit seinen Tod dem Kriegsgott Mars – das männliche Opfer des Einen für die Vielen. Der Held, der sich mutig dem Willen der himmlischen Mächte unterwirft, begegnet seinem Tod mit offenen Augen und innerlicher Beherrschung. Das Orakel ist erfüllt und die Götter halten ihr Versprechen: links im Gemälde gehen die Römer siegreich voran, während am rechten Bildrand die Latiner in Panik zu fliehen beginnen.
Victoria und Virtus
Seit dem ersten gedruckten Katalog der Galerie Liechtenstein (1767) gilt dieses Gemälde, das als „Triumphierende Roma“ bezeichnet wird, als Abschlusswerk des Decius-Mus-Zyklus. Darauf soll links Victoria, die geflügelte Göttin des Sieges, Roma, der bewaffneten Göttin der römischen Hauptstadt, erkennbar an Helm, Kurzschwert und Lanze, einen Lorbeerkranz darreichen. Roma setzt ihren Fuß auf den Globus, um ihre weltweite Herrschaft anzudeuten. Doch diese Deutung ist nicht zutreffend, da es sich in Wirklichkeit bei dem Gemälde um einen kombinierten Karton für zwei separate Wandteppiche handelt, die jeweils eine einzelne Figur darstellen.
Der Vertrag vom 9. November 1616, in dem Jan Raes und der Genueser Kaufmann Francesco Cattaneo vereinbarten, den Decius-Mus-Wandteppichzyklus zu wirken, bezieht sich nicht nur auf die Hauptstücke, sondern auch auf drei solcher schmalen Behänge (der dritte stellt ein „Trophäum“ dar, wofür in der Antike ein Baumstamm mit Rüstungsteilen und Waffen der Feinde behängt wurde). Diese sind nicht direkt Teil der erzählerischen Handlung, sondern liefern eine kommentierende Anmerkung. Somit sieht man die beiden weiblichen Personifikationen heute als Lobpreisung der Heldentat des Konsuls und nicht als allgemeinen Hinweis auf ein triumphierendes Rom. Tatsächlich deuten verschiedene Darstellungen von Rubens und seinen Vorgängern darauf hin, dass hier nicht die Göttin Roma, sondern die Figur der Virtus, der Verkörperung militärischer Tugend, dargestellt wird. Zusammen bezeichnen die Figuren von Victoria und Virtus die beiden Eigenschaften, die die Tat von Decius Mus prägen: Es war die römische Tugend dieses Mannes, die Rom den Sieg bescherte.
Die Bilderfolge über Decius Mus gehört seither und bis heute zu den besonderen Schätzen der Fürstlichen Kunstsammlung. In der derzeitigen Sonderausstellung sind lediglich fünf der insgesamt acht Gemälde ausgestellt, erstmals aber in Wien zu sehen sind „Victoria und Virtus“.Johann Adam Andreas hat zweifelsohne das Ansehen seiner Familie und damit seiner Dynastie gemehrt und die nachfolgenden Generationen nachhaltig geprägt. Als derjenige, der die beiden Herrschaften Vaduz und Schellenberg erworben hat, die das heutige Fürstentum Liechtenstein bilden, als Bauherr und Kunstsammler, als Mäzen und wirtschaftlich fortschrittlich denkender Fürst ist er nicht nur eine der herausragendsten Persönlichkeiten des Fürstenhauses, sondern des barocken Wien schlechthin – ein wahrhafter Herkules der Künste.
Hinweis:
Die aktuelle Sonderausstellung über Johann Adam Andreas I. von Liechtenstein ist im Gartenpalais Liechtenstein noch bis 1. April 2024 bei freiem Eintritt zu sehen. Viele der Kunstwerke sind dabei zum ersten Mal in Wien ausgestellt und illustrieren die große Bandbreite der Sammlung und den erlesenen Geschmack des Sammlers Johann Adam.
Literatur:
Koja, Stephan (Hg.): Herkules der Künste. Johann Adam Andreas I. von Liechtenstein und das Wien um 1700, Ausstellungskatalog, München, 2024
Kräftner, Johann (Hg.): Liechtenstein Museum Wien. Die Sammlungen, München-Berlin-London-New York, 2004
Baumstark, Reinhold: Peter Paul Rubens: The Decius Mus Cycle; in: The Metropolitan Museum of Art: The Collections of The Prince of Liechtenstein, New York, 1985
Karner, Herbert (Hg.): Andrea Pozzo (1642 - 1709). Der Maler-Architekt und die Räume der Jesuiten, Veröffentlichungen zur Kunstgeschichte, ÖAW, Wien, 2012
Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Altertums, Wien, 1949
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Vielen Dank für den Beitrag - kleiner Hinweis: Ist der häufige Wechsel von griechischen und römischen Götternamen beabsichtigt?