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Thomas Keplinger, 14.3.2021

Beatrixbad

„Mit der größten Bequemlichkeit ausgestattet“

Die wenigsten der Bäder, die vor 1900 erbaut wurden, sind noch in ihrer ursprünglichen Substanz erhalten geblieben. Deshalb war es ein besonderer Glücksfall, als 2010 die Reste des einstigen Beatrixbads kurzfristig „auftauchten“. Zur Geschichte einer Wiener Institution.

Mitte des 19. Jahrhunderts erlebten die Bäder Wiens einen beachtlichen Aufschwung, der bis heute andauert. Gab es 1826 nur 13 Schwimm- und Warmbadeanstalten, so vervielfachte sich diese Zahl im Laufe der Jahrzehnte. Um 1888 begannen die Bauarbeiten zu dem Gebäudekomplex zwischen Münzgasse, Linke Bahngasse und Beatrixgasse. Josef Freiherr von Wieser war der Eigentümer der Liegenschaft und zeichnete auch für die Architektur verantwortlich – die Baugesellschaft Dehm & Olbricht übernahm die Ausführung.

 

 

Als das Gebäude zwei Jahre später fertiggestellt wurde, beschrieb es die Allgemeine Bauzeitung von 1890 als vollkommen gelungenes, komfortables, elegantes Wohn- und Gewerbegebäude mit Warm- und Kaltwasser in allen Wohnungen. Auch das Beatrixbad fand hier erstmals Erwähnung: „Im Hoch-Parterre ist eine reich eingerichtete Badeanstalt, im Tief-Parterre die Turbinen und Dampfmaschinen-Anlage mit den nothwendigen Kesseln untergebracht.“

Die ersten Tage des Bades


Am Sonntag, dem 6. Juli 1890 war es soweit: Das Beatrixbad wurde eröffnet und als „mit der größten Bequemlichkeit ausgestattet“ beschrieben. Die Adresse lautete damals noch Linke Bahngasse 5, ehe sie sich später im Zuge einer Neuparzellierung zur Hausnummer 9 wandelte. Das Bad lockte seine Besucher*innen mit Dampf- und Wannenbädern sowie Kaltwasserkuren. Doch noch fehlte etwas, das wir heute in keinem Bad missen möchten: das Schwimmbecken. Dieses befand sich noch im Bau und öffnete erst am Donnerstag, dem 6. August 1891 seine Pforten. Im Deutschen Volksblatt schwärmte der Verfasser des Artikels, der anlässlich der Eröffnung abgedruckt wurde, von dem Bad, „das durch die Eleganz und Bequemlichkeit seiner Einrichtung auffällt.“

Doch nicht nur das – dieser Artikel gibt durch seine detailverliebte Informationsflut einen genauen Einblick in die frühesten Tage des Beatrixbades: „Das Schwimmbassin, das sich schon in den ersten Tagen nach seiner Eröffnung eines sehr guten Zuspruchs erfreute, ist 21 Meter lang, die Wände sind rings mit weißem Marmor belegt und auf dem cementirten Fußboden erblickt das Auge jeden zum Zwecke des Tauchens in’s Wasser geworfenen Kreuzer. Auch die Innenwände sind noch 1,5 Meter über dem Fußboden mit Marmor bedeckt und mit messingenen Anhaltstangen versehen. Ueberall ist der Fußboden mit Teppichen belegt und in allen Theilen des Bades findet sich die elektrische Beleuchtung, die zu dem Hellgrau der ölgestrichenen Wände, dem Weiß des Anstrichs der Cabinen, dem Weiß des Marmors wunderbar harmonirt. In sämmtlichen Cabinen und auch sonst an passenden Stellen des Bades finden sich große Spiegel. Von nur diesem Bade eigenthümlichen Neuerungen bemerken wir, daß eigene Cabinen zum Ablegen der Schwimmwäsche und Anlegen des Mantels vorhanden sind – zu unterscheiden von den Cabinen, die dem An- und Auskleiden dienen sollen, ferner Ruhepolster in einem Vorraume zum Zwecke des Abkühlens vor und des Abtrocknens nach dem Bade, endlich die stets der Jahreszeit angemessene angenehme Durchwärmung sämmtlicher Räume.
Das Wasser wird aus zwei Brunnen mit bestem Quellwasser geschöpft. Im Schwimmbade stehen Douchen von 8 bis 40 Grad zur Benützung. Wenn wir noch erwähnen, daß die Bedienung aufmerksam und die Wäsche peinlich sauber ist, so haben wir wohl genügend viele Vorzüge dieses neuen Bades aufgezählt.“

Der Preis für zehn sogenannte Abonnementkarten, die den Eintritt ermöglichten, betrug drei Gulden, was heute circa 40 Euro entspräche. Anfangs herrschte Geschlechtertrennung: Damen hatten nur montags, mittwochs und freitags bis 12 Uhr Zutritt zum Schwimmbecken. Die generelle Öffnungszeit erstreckte sich von 6 bis 20 Uhr.


Das Heil- und Kurbad


Das Beatrixbad diente jedoch nicht nur dem entspannenden Schwimmen und Plantschen, sondern galt darüberhinaus als Heil- und Kuranstalt, für die ein ärztlicher Leiter bestellt wurde. 1892 war dies Wilhelm Sperber, der sich am heilpraktischen Puls der Zeit bewegte, als er hier ab April dieses Jahres das sogenannte Gärnter’sche Zwei-Zellen-Bad einführte. Darunter verstand man ein Bad, in dessen Anwendung verschiedene Stoffe wie Quecksilber oder Eisen durch elektrische Wirkung in den Körper eindrangen und dort ihre Wirkung gegen Neurosen und Ernährungsstörungen, chronische Rheumatismen und viele andere Erkrankungen entfalten sollten. Selbst im Falle von Chlorose (Bleichsucht) und Anämie soll sich das elektrische Eisenbad äußerst heilkräftig ausgewirkt haben. Darkauer Jodsalzbäder rundeten das Angebot ab.

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Im Laufe der Zeit erweiterte sich das Portfolio. 1900 wurde das Beatrixbad wegen seiner zahlreichen Erfolge bei Herzleiden, Katarrhen, Gicht, Rheuma, Nervenleiden und anderen Erkrankungen gerühmt. Es gab verschiedene Behandlungsmöglichkeiten wie etwa elektrische Zweizellenbäder, Bäder mit Eisen- und Quecksilberzusatz, Kohlensäure-, Moorsalz- und Fichtennadelbäder, Dampfbäder und ein sogenanntes Inhalatorium. Bis 1912 wurde das obige Angebot um Heißluftkuren, Lichtbäder, Sauerstoff- und Sodabäder sowie Radiumbäder und -kuren erweitert. Heilgymnastik und Massage fanden in diesem Jahr erstmals Erwähnung. Nachdem 1914 der Erste Weltkrieg ausgebrochen war, kamen verwundete Soldaten in den Genuss der im Beatrixbad angebotenen Kuren. Im ersten Stock wurde zu diesem Zweck das Reservespital Nr. 8 eingerichtet.
Die Zahl der Kuren und Behandlungen, die das Bad 1924 zu bieten hatte, füllte in der Annonce bereits mehrere Zeilen. Hier wurden unter anderem Luftperlbäder, Diathermie, Höhensonne, Solluxlampe, Faradisation, Galvanisation oder Schlammpackungen gegen Rheumatismus, Nervenentzündungen, Gebärmutter- und Eierstockentzündungen, Fettsucht, Gicht oder Haarausfall angeboten. Ein Kupon von 1935 offenbart erneut den Fortschritt: Eine italienische Ischias-Schnellkur, ein „Darmbad-Enterocleaner“ oder eine „Bergonié-Paraffinpackung“ konnten dank ihm günstiger in Anspruch genommen werden.

Ein neuer Eigentümer, jüdischer Sport und das traurige Ende des Bades

Im Jänner 1920 übernahm der aus Ostgalizien stammende Jude Isacher Bursztyn die 1919 gegründete Beatrix-Bad-Gesellschaft m.b.H. und damit den Betrieb des Bades. Als Folge des antisemitischen Arierparagrafen, der im deutschsprachigen Raum bis 1920 in den Statuten nahezu aller „deutschen“ Vereine verankert wurde und die Mitgliedschaft jüdischer Menschen ausschloss, gründeten diese ihre eigenen Clubs.
So erfüllte das Beatrixbad unter der Leitung der Familie Bursztyn neben seiner Nutzung als Heil- und Kuranstalt die Funktion einer Sportstätte mit hoher jüdischer Beteiligung. Hier trafen sich etwa die Schwimmsektionen der Vereine Hakoah, Hechawer, Hasmonea, Hakadur, Young Jewish Sporting Club, Makkabäa (Maccabi), Jüdischer Amateurklub, Jewish Allround Sporting Club, aber auch von nichtjüdischen Vereinen wie dem I. Vienna Football Club.

1937 forderten die schlechten wirtschaftlichen Zeiten ihren Tribut. Am 9. Juli meldete die Kleine Volkszeitung: „Beatrix-Bad unter dem Hammer“. Mit einem Schätzwert von 644.834 Schilling begann am 11. August die Versteigerung. Der Fabriksbesitzer Viktor Alder ging mit 409.500 Schilling als Höchstbieter aus dem Duell mit Oskar Blau hervor. Am 20. November wurde der Ausgleich der Beatrix-Bad-Gesellschaft angemeldet, wobei festgestellt wurde, dass der Versteigerungserlös die Verbindlichkeiten nicht abdeckte und etwa 75.000 Schilling an Forderungen offen blieben. Die Einleitung des Konkursverfahrens folgte zwei Wochen später, als die Geschäftsführer den Ausgleichsantrag aus finanziellen Gründen zurückzogen.

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Vermutlich wurde der Betrieb im Beatrixbad vor der Versteigerung eingestellt. Das traurige Schicksal jener Tage wollte es, dass quasi mit dem Bad auch dessen letzter Heizer starb: Adalbert Kölbl fiel am 17. September 1937 – dem Tag, an dem die Rotunde niederbrannte – von einem Apfelbaum, wie mir dessen Enkel im Rahmen eines Interviews verriet. Nach dem „Anschluss“ an das Deutsche Reich flüchteten einige Mitglieder der Familie Bursztyn nach Israel und Polen, während die in Wien verbliebenen Familienangehörigen verhaftet wurden. Zu ihnen gehörte mit hoher Wahrscheinlichkeit Josef Burstyn. Er lebte 1938 in einer Wohnung oberhalb des Bades und wurde am 2. April 1938 in das Konzentrationslager Dachau deportiert. Im September des gleichen Jahres überstellte man ihn in das KZ Buchenwald und von dort am 16. Oktober 1942 nach Auschwitz, wo er am 19. Dezember ermordet wurde. Auch seine Ehefrau Blanka überlebte Auschwitz nicht.

Am 23. Februar 1942 wurde das Unternehmen aus dem Handelsregister gelöscht. Die letzte Nutzung des Schwimmbeckens erfolgte in den Jahren des Bombenkriegs. Ein Leuchtstreifen, der sich über die Marmorplatten des gesamten Beckenrands zog, kündete von seiner Zweckentfremdung als Luftschutzraum. Nachdem das Bad 2010 vor Beginn der Revitalisierungsarbeiten des Gebäudekomplexes erforscht wurde, geriet es erneut in Vergessenheit.

Thomas Keplinger hat Geschichte an der Universität Wien studiert. Er betreibt das detailhistorische Forschungs- und Dokumentationsprojekt „Worte im Dunkel“. Darin widmet er sich in Form eines Blogs Beschriftungen, Graffiti, Schildern, Aushängen, Zeichnungen und Symbolen des Zeitraums zwischen 1932 und 1955, die noch heute dort anzutreffen sind, wo sie einst angebracht oder aufgehängt wurden.

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Kommentare

Alfred Edlinger

Geschätzte Damen und Herren, Ihr Artikel ist sehr interessant ! Viktor Alder ist mein Urgrossvater mütterlicherseits, er war ein österr. Industriepionier ( Chemische und Munitionsfabriken in Oberlaa, Neufeld an der Leitha, Gudrunstrasse/Wien). Alder hat mehrere wesentliche Erfindungen gemacht, dürfte mit Familie Burstyn bekannt gewesen sein. Günther Burstyn (1879 - 1945) gilt als Erfinder des modernen Panzers. Alder hat panzerbrechende Munition entwickelt und produziert, neben Leuchtspurmunition, Alder B-Patrone und hatte ein Monopol für die Herstellung von Zündkapseln, wo Alder als weltweit führend galt. Dies basierend auf der Würfelzuckerpresse seines Schwiegervaters Jakob Christoph Rad (Erfinder des Würfelzuckers, kaiserl. Patent/Privileg von 1843 )- eine leicht skurille Geschichte !
Ich selbst habe in der Beatrixgasse 14 b gewohnt .Beste Grüsse und herzlichen Dank für Ihren Artikel , Alfred Edlinger

Redaktion

Sehr geehrter Herr Tatzber,
wir können Ihnen, falls Sie das wünschen, gerne Screenshots des Artikels als PDF zukommen lassen. Unsere Beiträge sind ausschließlich digital verfügbar. Sollte es sich einmal im Rahmen einer Kooperation mit einem Verlag die Möglichkeit ergeben, ausgewählte Beiträge auch zu drucken, dann geben wir gerne Bescheid!
Herzliche Grüße, Peter Stuiber (Wien Museum Magazin)

Thomas Keplinger

Sehr geehrter Herr Fink,

ja, das Haus steht noch. Es wurde renoviert, der Keller blieb meines Wissens allerdings ungenutzt.

Thomas Keplinger

Danke, Herr Tatzber!
Ob der Beitrag vom Wien Museum eines Tages in Papierform veröffentlicht wird, entzieht sich leider meiner Kenntnis.

Thomas Keplinger

Sehr geehrter Herr Wlcek,
danke, freut mich sehr, dass Ihnen der Artikel gefällt! Es war mir schon seit längerer Zeit ein Anliegen, zum Beatrixbad einen Beitrag zu verfassen, der etwas gehaltvoller ist als die Informationen, die bisher dazu in Büchern oder im Internet zu finden waren.

Christian Fink

Sehr geehrter Herr Keplinger,

was ist aus dem Bad nach 2010 geworden? Steht das Haus noch?

Michael Tatzber

Beitrag äußerst interessant! Wuchs in der Rechten Bahngasse auf und ging in die Schule in der Sechskrügelgasse, 1. Klasse 1941! Möchte den Beitrag drucken, aber entweder ist mein Drucker falsch eingestellt oder kaputt. Schade! Kommt vielleicht eine Broschüre oder ein Buch? Wäre sehr interessiert! Wäre auch an einer Diskussion möglich?

Alfred Wlcek

Stand vor etwa 2 Monaten vor dem Haus im Zuge einer Begehung des ehemaligen Wr. Neustädter Kanals. Vom optischen Eindruck geleitet suchte ich im Internet Infomationen, aber ausser der Bezeichnung "Beatrixbad" wurde ich nicht fündig. Auch spätere Recherchen ergaben keine brauchbare Infomationen. Deshalb danke ich Ihnen für diesen sehr infomativen Artikel.
Es sei noch angemerkt, das der ärztliche Leiter Wilhelm Sperber auch im Wienwiki unbekannt ist.

Thomas Keplinger

Danke, Frau Ahrens! Freut mich, wenn Ihnen der Artikel gefällt. Selbst einige der Bewohner des Hauses wussten 2010 nichts vom Bad in ihrem Keller.

Annette Ahrens

Oh wie fein dieser Beitrag, hab lange in der Beatrixgasse gewohnt ! Wusste nix von dem Bad, somit Danke für das Recherchieren und Aufspüren!