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Peter Stuiber, 27.6.2024

Bomben gegen Minderheiten in Österreich 1993-1996

Explosive Mischung

Eine Ausstellung im Volkskundemuseum erinnert an die Briefbomben-Serie und den Rohrbomben-Anschlag in Oberwart bzw. an die Rohrbombe an einer Klagenfurter Schule. Neben einer Chronologie der Ereignisse beleuchtet die Schau die gesellschaftlichen und politischen Hintergründe des rechtsextremen Terrors, der vor rund 30 Jahren die Republik erschütterte – aber danach kaum aufgearbeitet wurde.

Gleich eines vorweg: Diese Ausstellung geht an die Substanz, sie ist von beklemmender Aktualität – und man muss sich Zeit dafür nehmen, denn hier wurde aus dem Vollen geschöpft. Das Projekt der Initiative Minderheiten ist wie ein begehbares Kompendium aus Bildern, Dokumenten, Erläuterungen, Medienberichten sowie Video-Interviews mit Zeitzeug:innen und Expert:innen – gepackt in zwei Räume des Volkskundemuseums, das vor der anstehenden Generalsanierung ein dichtes Programm bietet.

In den Jahren 1993 bis 1996 wurden an 25 Personen Briefbomben versandt, es explodierte eine Rohrbombe in Oberwart, die vier Roma tötete, eine weitere wurde im August 1994 an der zweisprachigen Schule in Klagenfurt entdeckt und zerfetzte dem Polizisten Theo Kelz, der sie untersuchen wollte, beide Hände. Vier Tote, vier lebensgefährlich Verletzte und neun weitere Verletzte: So lautete die Bilanz einer Serie von Verbrechen, deren Mastermind Franz Fuchs erst bei einer Verkehrskontrolle zufällig in die Fänge der Polizei geriet.

Die Erleichterung darüber war groß: Nicht nur weil Angehörige von Minderheiten oder exponierte Personen des öffentlichen Lebens jahrelang in Angst leben mussten. Dass die „Bajuwarische Befreiungsarmee“, die sich zu den Anschlägen bekannt hatte, keine größere rechtsextreme Gruppierung, sondern die „Erfindung“ eines Einzeltäters zu sein schien, sorgte einerseits zurecht für Aufatmen – hatte aber andererseits den fatalen Effekt, dass man Fuchs fortan als autonom handelnden Psychopathen bezeichnen konnte und die aufgeheizte „Stimmung“ im Land sowie das Milieu, in dem der gelernte Vermessungstechniker sich radikalisierte, kaum beachtete.

Die Ausstellung mit dem Titel „Man will uns ans Leben“ Bomben gegen Minderheiten 1993–1996 korrigiert dieses Selbstbildnis, indem sie etliche historische Fakten in Erinnerung ruft. Die politische Lage hatte sich bereits seit dem Jahr 1986 grundlegend geändert. Waldheim war zum Präsidenten gewählt worden, der Kulturkampf rund ums Gedenkjahr 1988 tobte (Peymann, „Heldenplatz“, Hrdlicka-Denkmal etc.), Jörg Haider hatte der FPÖ einen stramm rechten Kurs verpasst und setzte gezielt antisemitische und rassistische Tabubrüche ein. Sein Anti-Ausländervolksbegehren „Österreich zuerst“ (1992/93) rief zwar die Zivilgesellschaft auf den Plan, die mit dem Lichtermeer antwortete. Doch da waren etliche Dämme schon gebrochen. So gab es im Jahr 1993 in Österreich 17 Brandanschläge auf Unterkünfte von Flüchtlingen und Arbeitsmigrant:innen, das waren im Verhältnis zur Bevölkerungszahl doppelt so viele wie in Deutschland – dennoch beruhigte man sich damit, dass „bei uns noch keine Asylheime brennen“.

„Klagenfurt ist eine deutsche Stadt“

Der latente bis offen zur Schau getragene Rassismus und der Nationalismus hatten allerdings schon länger „Tradition“: „Solange ich Landeshauptmann bin, kommt in Klagenfurt keine zweisprachige Schule in Frage. Klagenfurt ist eine deutsche Stadt.“ Das Zitat aus der Ausstellung stammt nicht von Jörg Haider, sondern von einem seiner Vorgänger, dem SPÖ-Granden Leopold Wagner, der von 1974 bis 1988 Landeshauptmann von Kärnten war. An die solcherart aufbereitete Grundstimmung erinnert die Ausstellung ebenso wie an jene vielen Briefbomben-Opfer, an die man kaum mehr denkt, etwa Pfarrer August Janisch oder die ORF-Redakteurin Silvana Meixner.

Johanna Dohnal, Madeleine Petrovic, Terezija Stoisits, Helmut Schüller – an sie und viele weitere Personen waren ebenfalls Briefbomben adressiert, die allerdings abgefangen werden konnten. Es gibt unzählige berührende Aspekte der Schau, andere wiederum sorgen für fassungsloses Kopfschütteln: Etwa dass der Vierfachmord an den Roma in Oberwart zunächst ohne Zögern einer Roma-„Clanfehde“ zugeschrieben wurde, obwohl es dafür keinerlei Anzeichen gab und noch dazu vor Ort die berüchtigte Tafel mit „Roma zurück nach Indien“ gefunden wurde. Oder dass nicht nur Franz Fuchs die Ermittler auf Trab hielt: Rund 6000 (!) Briefbombenattrappen wurden in jenen Jahren versendet. Lauter Einzelfälle. Oder dass Jörg Haider medienwirksam seinen „väterlichen Freund“ Helmut Zilk – dessen Hand von einer Briefbombe zerfetzt wurde – im AKH besuchte und fortan Mäßigung versprach.

Kuratiert wurde die Ausstellung von Vida Bakondy, Cornelia Kogoj und Gamze Ongan von der Initiative Minderheiten. „Für uns war die Erarbeitung eine sehr aufregende, von Leidenschaft getragene und manchmal auch emotional herausfordernde Zeit. Das Thema war so spannend, der historische Kontext – die späten 1980er und 1990er Jahre – für dieses Land so prägend. Wir mussten aber auch feststellen, dass hierzu bisher keine umfangreiche historische Aufarbeitung aufliegt – es gibt nur ein zentrales Buch, vom Journalisten Thomas Vasek, das dieses Thema zeitnah, 1999, in Form einer umfangreichen Dokumentation aufarbeitet. D.h. wir hatten den Eindruck, dass über diese Jahre des innenpolitischen Terrors in gewisser Hinsicht eine Wolke des Vergessens schwebt. Dieser Eindruck hat sich dann im Laufe der Recherchen auch bestätigt. Nicht vergessen haben selbstverständlich die Adressat:innen der Briefbomben, die Betroffenen und Angehörige der Opfer. Vor allem in Gesprächen mit Zeitzeug:innen hörten wir nicht nur einmal den Satz: ´Es gibt keine kollektive Erzählung über diese Zeit…`. Manche sprachen mit uns zum ersten Mal über diese Ereignisse.“ Im Unterschied zu den Briefbomben sei allerdings das Attentat von Oberwart ob der Tragödie und der Dimension viel stärker ins kollektive Gedächtnis des Landes eingegangen. Es wurde literarisch und in Ausstellungen und Buchprojekten „verarbeitet“.

„Auch Einzeltäter kommen nicht aus dem Nichts“

„Noch bevor die intensive Recherchephase begann, stand für uns das Richard von Weizsäcker-Zitat ´Auch Einzeltäter kommen nicht aus dem Nichts` als eine Art Leitsatz“, so die Kuratorinnen. „Überrascht haben uns dennoch die Art und Anzahl der tätlichen, rechtsextremen Angriffe auf Minderheiten in Österreich noch im Vorfeld der Terrorjahre. Diese entnahmen wir den Sicherheitsberichten des Innenministeriums aus den Jahren 1992 und 1993. Überraschend war auch das Ausmaß des Terrors: die große Zahl der Adressat:innen und die vier langen Jahre der unmittelbaren Gefahr, der Ungewissheit und der Angst – man muss sich vorstellen, was es für die potentiellen Opfergruppen bedeutet haben muss! Es war uns jedenfalls wichtig, in der Ausstellung diese ungeheure Dimension des Geschehenen zu veranschaulichen. Verstörend waren auch die Zeugnisse öffentlicher und halböffentlicher Zustimmung für die Taten, etwa dass es den Opfern rechtgeschehe.“

Vieles in der Ausstellung erinnere zwangsläufig an die heutige Situation, doch es gebe auch Unterschiede: „Wurde damals noch im Zusammenhang mit der Verharmlosung der NS-Zeit und dem Anti-Ausländer-Volksbegehren von politischen Tabubrüchen durch Jörg Haider gesprochen, sind diese Tabus heute schon längst weggefallen, inklusive Tabu Antisemitismus. Damals gab es ein klareres Bekenntnis gegen rechts, auch von konservativer Seite. Heute sind rechtsextreme Diskurse Normalität.“

Hinweis

Die Ausstellung „Man will uns ans Leben“ Bomben gegen Minderheiten 1993–1996 ist noch bis 25. August bei freiem Eintritt im Volkskundemuseum zu sehen und wird im Herbst im kärnten museum in Klagenfurt gezeigt. Zur Ausstellung erschien eine Sondernummer der Zeitschrift Stimme.

Peter Stuiber studierte Geschichte und Germanistik, leitet die Abteilung Publikationen und Digitales Museum im Wien Museum und ist redaktionsverantwortlich für das Wien Museum Magazin.

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