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Gerhard Milchram, 10.4.2020

Brand des Stephansdomes 1945

„Die Russen waren es“ – nicht

Der Brand des Stephansdomes im April 1945 ist ein nationaler Mythos. Jahrzehntelang wurde erzählt, sowjetische Soldaten hätten den Brand gelegt. Mittlerweile ist dies widerlegt, doch die historische Wahrheit ruft immer noch heftige Reaktionen hervor.   

2011 zeigte das Wien Museum eine Ausstellung zu den mittelalterlichen Originalplänen des Stephansdomes. In 17 Kapiteln wurden dabei Aspekte rund um den Bau der Kirche abgehandelt. Die Besucherinnen und Besucher der Ausstellung zeigten sich bei Führungen und Einträgen im Besucherbuch fasziniert und begeistert von Baugeschichte und den dazu vom wissenschaftlichen Team aufbereiteten Themen. Dennoch gab es einen Aspekt der Ausstellung, der heftigen Widerspruch, sowohl im Besucherbuch als auch bei Führungen, auslöste. Es war dies die Darstellung der Ereignisse, die 1945 zum Brand des Domes führten.

Im Kapitel „Die Zerstörung des Domes 1945“ schrieben die Austellungsmacher_innen: „Unmittelbar vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs, den der Dom zunächst weitgehend unbeschadet überstanden hatte, kam es zur größten Brandkatastrophe seiner Geschichte. In der Nacht vom 11. auf den 12. April griffen Brände, die von einheimischen Plünderern in den umliegenden Geschäftshäusern gelegt worden waren, auf den mittelalterlichen Dachstuhl des Domes über, der vollständig verbrannte. […]“ Vor allem ältere Besucher_innen konnten oftmals schwer damit umgehen, dass die Wahrheit über den Dombrand eine andere war als jene ihrer Erinnerung.

„Schlecht recherchiert"

Die Kuratorin Michaela Kronberger erzählt von einem Vorfall bei einer ihrer Expertenführungen: „Als wir mit der Gruppe zum letzten Kapitel der Ausstellung kamen, zeigte sich ein Besucher sehr bestürzt. Er wünschte Aufklärung warum wir gerade bei einem so emotionalen Thema die Tatsachen schlecht recherchiert hätten und eine solch falsche Darstellung präsentieren. ‚Wissen Sie nicht, dass der Dom von den Russen in Brand gesteckt wurde?‘, meinte er und war von dieser Ansicht auch nicht mit Argumenten abzubringen.“

 

Erzählungen über den Brand des Stephansdomes berichten die erinnerten Reaktionen auf den Brand und die Zerstörung des Domes dem die Wiener offensichtlich nicht gleichgültig gegenüberstanden. Die Tränen sollen Angesichts des brennenden Domes geflossen sein. Als sinnlose Zerstörung in den letzten Kriegstagen empfand man den Brand. Der unmittelbare Zeuge, der spätere Hochschulseelsorger Karl Strobl, erzählte die Geschichte einer alten Wienerin, „die über den brennenden Dom weinte“, dabei kamen ihm die Klagelieder des Propheten Jeremia mit der Rede von der einsam sitzenden Stadt, die wie eine Witwe sei, „die Fürstin über die Lande, sie ward zur Fron erniedrigt!“ (Kl, 1,1) in den Sinn. Angesichts der erst kurz zurückliegenden Karwoche für einen katholischen Geistlichen nicht weiter verwunderlich, gehören diese Texte doch zur Karfreitagsliturgie. (Karfreitag 1945 war am 30. März)

Erinnerungen wie diese gaben aber auch die Rezeption der Geschichte vor. Dabei müssen wir uns vor Augen halten, dass die nationalsozialistische Ideologie und Propaganda von den Sowjetsoldaten nur als „slawischen Untermenschen“ und „jüdischen Bolschewisten“ sprachen und ständig die Angst vor dem „Einfall asiatischer Horden“ ins Deutsche Reich und der Rache der Roten Armee an der deutschen Bevölkerung geschürt wurde.

 

Gleichzeitig war weiten Teilen der Bevölkerung mehr oder minder bewusst, welche Gräueltaten die deutsche Armee in der Sowjetunion begangen hatte. Soldaten auf Urlaub hatten davon erzählt und hinter vorgehaltener Hand wurde es weitererzählt, und man hatte auch eine Ahnung von den Massenmorden an Juden und den sowjetischen Kriegsgefangenen. Man ahnte, dass die Soldaten der Sowjetunion keinen Grund hatten, Gnade zu üben. Bestätigt sah man sich später auch durch die massenhafte sexuelle Gewalt, die Sowjetsoldaten gegenüber Frauen in denen von ihnen befreiten Gebieten ausübten, und auch durch zahlreiche andere Übergriffe. Auch wenn sich die Sowjetführung rasch dazu entschlossen hatte, gemäß der Moskauer Deklaration gegenüber dem „friedlichen österreichischen Volk“ Schonung walten zu lassen, so war es anfangs schwer möglich, den Soldaten Einhalt zu gebieten.

Daher passte es auch gut ins Bild, dass sich über Jahrzehnte hartnäckig die Erzählung hielt, die Sowjetarmee hätte den Stephansdom in Brand geschossen und wäre für dessen Zerstörung verantwortlich. Ein durch Wiener Plünderer ausgelöster Brand, der letztendlich zur Zerstörung des Domes, des emotionalen Wahrzeichens des Landes, geführt hatte, hätte zu sehr der österreichischen Nachkriegserzählung von Österreich als erstem Opfer des Nationalsozialismus und dem Nachkriegskonsens des Schweigens über die eigene Beteiligung und die Verstrickungen im NS-Staat widersprochen.

Eine Zerstörung durch die „Russen“ passte besser ins Bild in einem Land, in dem es 550.000 ehemalige Nationalsozialisten gab, die oberflächlich „entnazifiert“ wurden und von denen auch jene, die in schlimmste Verbrechen verstrickt waren, kaum juristisch verfolgt wurden. Eine Auseinandersetzung, die wissenschaftlich und gesellschaftlich erst viel später erfolgen sollte und bis heute anhält.


Weiterführende Literatur:

Kurt Bauer: Die dunklen Jahre. Politik und Alltag im nationalsozialistischen Österreich 1938 bis 1945. Frankfurt am Main, 2017.

Michaela Kronberger, Barbara Schedl (Hg.): Der Dombau von St. Stephan. Die Originalpläne aus dem Mittelalter, Ausstellungskatalog Wien Museum, Wien 2011.

Vor 74 Jahren brannte mit dem Stephansdom das Herz von Wien, in: www.erzdioezese-wien.at/site/nachrichtenmagazin/schwerpunkt/kirchekunst/derstephansdom/article/73593.html (abgerufen am 8 4. 2020)

https://www.geschichtewiki.wien.gv.at/Stephansdombrand (abgerufen am 8.4.2020)

NS-Kriegspropaganda, in: Lemo. Lebendiges Museum. www.dhm.de/lemo/kapitel/der-zweite-weltkrieg/innenpolitik/ns-kriegspropaganda.html (abgerufen am 8. 4. 2020)

Gerhard Milchram, Studium der Geschichte, Publizistik und Kommunikationswissenschaft in Wien. Studien- und Forschungsaufenthalte in Israel, Absolvent der internationalen Sommerakademie für Museologie der Universitäten Klagenfurt, Wien, Graz und Innsbruck, ab 1993 Kulturvermittler und wissenschaftlicher Mitarbeiter und von 1997 – 2010 Kurator im Jüdischen Museum Wien. Seit 2011 Kurator im Wien Museum.

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