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Ceija Stojka
Wo sind unsere Rom?
„auschwitz ist mein mantel, / bergen-belsen mein kleid / und ravensbrück mein unterhemd. / wovor soll ich mich fürchten?“
Mit Hilfe der Regisseurin und Autorin Karin Berger gab Ceija Stojka 1988 unter dem Titel „Wir leben im Verborgenen. Erinnerungen einer Rom-Zigeunerin“ einen sehr persönlichen Bericht über die Verfolgungen und Vernichtung von Roma und Sinti im Nationalsozialismus heraus. Ceijas Vater Wacker war 1941 nach Dachau deportiert und 1942 in der Euthanasieanstalt Hartheim ermordet worden. Sie selbst wurde als 10jähriges Mädchen gemeinsam mit der Mutter und ihren fünf Geschwistern im Frühjahr 1943 nach Auschwitz Birkenau deportiert. Ihr kleiner Bruder Ossi wurde bei medizinischen Experimenten mit Typhus infiziert und starb. Ceija wurde in das KZ-Ravensbrück überstellt, von dort in das KZ-Buchenwald, danach in das Frauenkonzentrationslager Ravensbrück und weiter nach Bergen-Belsen, wo sie am 15. April 1945 von britischen Truppen befreit wurde.
Ihr beeindruckender Bericht stellte den Beginn einer öffentlichen Auseinandersetzung und Wahrnehmung in einer Gesellschaft dar, die das Schicksal der österreichischen Sinti und Roma weitgehend ignoriert hatte und auch von ihrer Nachkriegsexistenz kaum Notiz nehmen wollte. Der Philosoph Ernst Burger urteilte über das Buch: „Es ist keine Elendsgeschichte geworden, sondern im Gegenteil eine des Stolzes, der Würde, der Noblesse.“ Vielen Roma und Sinti machte dieses Buch Mut, nach außen zu gehen, ihre Identität nicht mehr zu verstecken und sich für ihre Volksgruppe einzusetzen. Auch ihre Brüder Karl und Mongo traten mit eigenen Werken und Berichten an die Öffentlichkeit. Es war aber nicht zuletzt Ceijas unermüdlicher Arbeit auf Vorlesungen, Zeitzeuginnengesprächen mit SchülerInnen, ihrem Charisma und Charme zu verdanken, dass 1993 Roma und Sinti in Österreich als Volksgruppe anerkannt wurden.
Nach der Veröffentlichung ihres Buches begann Ceija Stojka zu malen und in Tusche zu zeichnen. Szenen aus den Konzentrationslagern, Versuche ihre eigene Vergangenheit und die Vernichtung ihrer Volksgruppe zu verarbeiten. „Jeden Tag habe ich auch böse Träume, denn ich habe auch ein schlechtes Leben gehabt als Kind. Aber jene bösen Träume über das Konzentrationslager, alle nehme ich auf, ich zeichne sie mit dem Bleistift. Ich stehe auf und mache ein Bild, damit dieser Traum verewigt bleibt.“ In einem ihrer Gedichte schrieb sie „auschwitz ist mein mantel, / bergen-belsen mein kleid / und ravensbrück mein unterhemd. / wovor soll ich mich fürchten?“ Programmatisch für ihre kreative Kraft, für ihr ganzes Sein, zwischen dem Trauma ihrer Kindheit und ihrer unbändigen positiven Lebenskraft.
Ihre „dunklen“ Bilder, wie sie selbst sie bezeichnete, kreisen um den Horror der Vernichtungslager, während ihre „hellen“ Bilder von den schönen Seiten ihres Lebens erzählen: Vom Reisen, den Erinnerungen an die geliebte Familie, dem Leben in der Natur. Blumenbilder entstehen, die sie ganz besonders liebt, ganze Wiesen voller Blumen, die in ihrer Wohnung gelagert waren. War die Farbe knapp oder keine Leinwand oder Papier vorhanden, bemalte sie Gläser, die mit selbstgemachter Marmelade befüllt auf Lesereisen verkauft wurden. Zum Erzählen und Malen kam auch noch die Musik. 2000 gab sie ihre CD „Me Dikhlem Suno“ („Ich hatte einen Traum“) heraus. Ihre Kreativität verwandelte ihr gesamtes Lebensumfeld in allen Bereichen in Kunstwerke.
Eine Besonderheit stellen ihre Salzteigfiguren da. Für sie waren diese Figuren fast wie lebende Menschen, denen sie Namen gab. In ihrer Vorstellung waren es einerseits die im „Porajmos“ (Romanes für den Völkermord) ermordeten Familienmitglieder, andererseits auch die zukünftigen Generationen, die Ungeborenen als Babyfiguren. Mit allen konnte sie mittels dieser Figuren sprechen, so einen Dialog über die Generationen hinweg führen und damit eine Verbindung zwischen Vergangenheit und Zukunft schaffen: „Wenn du es zuläßt, lebst du mit deinen Leuten, die irgendwann einmal mit dir gelebt haben, und du vergisst sie nicht, sie bleiben in deinem Herzen, in deinem Geist, du denkst an sie.“ All dies war Ausdruck eines Verständnisses von Leben und Natur, in dem in einem Kreislauf alles und alle wiederkehren und sich die Welt ständig erneuert. Ausdruck auch einer tiefen Religiosität, die sie zum Beispiel mit der in ihrem Wohnzimmer befindlichen lebensgroßen Marienstatue kommunizieren ließ.
Ausgestellt wurden ihre Bilder schon früh, wie zum Beispiel 1991 im Kulturzentrum Spittelberg im Amerlinghaus oder 2001 in der Stadtgalerie Kiel. Erstmals zu musealen Ehren kam sie 2004 im Jüdischen Museum Wien, das eine kleine Ausstellung ihres vielfältigen Schaffens zeigte. Für die akademische Kunstgeschichte war sie allerdings nie ein Thema. Dies änderte sich nur langsam und mit Ausstellungen außerhalb Österreichs wie zum Beispiel mit der 2009/10 in Kalifornien, Oregon und Vermont gezeigten Schau „LIVE – DANCE – PAINT. Works by Artist Ceija Stojka“ oder der 2014 in Berlin und Ravensbrück gezeigten Ausstellung „Sogar der Tod hat Angst vor Auschwitz“, in deren Begleitpublikationen erstmals durch die ungarische Kunsthistorikerin Tímea Junghaus eine Einordnung in den kunsthistorischen Kanon erfolgte.
2015 zeigte das Wien Museum in Zusammenarbeit mit dem Landesmuseum Burgenland, der Initiative Minderheiten und dem Romano Centro die umfassende Schau „Romane Thana. Orte der Roma und Sinti in Österreich“, in der auch die Arbeit und das künstlerische Schaffen von Ceija Stojka gewürdigt wurden. Seit November 2019 zeigt das „Reina Sofia“ in Madrid, eines der meistbesuchten Kunstmuseen der Welt, ihr künstlerisches Werk unter dem Titel „Ceija Stojka. Esto ha pasado“ (noch bis 23. März 2020) und gibt ihr damit eine längst fällige Würdigung als eigenständige und originäre Künstlerin.
Lith Bahlmann, Matthias Reichelt (Hg.): Ceija Stojka 1933 – 2013. Sogar der Tod hat Angst vor Auschwitz. Nürnberg 2014
Rudolf Burger: Von der Hölle ins Purgatorium. In: Profil, Nr. 7, 13. Februar 1989.
Petra Cech, Christine Fennesz-Juhasz, Dieter W. Halwachs, Mozes F. Heinschink (Hg.): Fern von uns im Traum … Märchen, Erzählungen und Lieder der Lovara. Te na dikhas sunende … Lovarenge paramiči, tertenetura taj gjila. Klagenfurt / Celovec 2001
Andrea Härle, Cornelia Kogoj, Werner Michael Schwarz, Michael Weese, Susanne Winkler (Hg.): Romane Thana. Orte der Roma und Sinti. Wien 2015
Ceija Stojka: Wir leben im Verborgenen. Erinnerungen einer Rom-Zigeunerin. Wien 1988
Ceija Stojka: Wir leben im Verborgenen. Aufzeichnungen einer Romni zwischen den Welten. Hrsg. Und mit einem Essay von Karin Berger. Wien 2013
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