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Susanne Breuss, 11.10.2020

Das Kosmetikinstitut von Helene Pessl

Schönheit aus dem Dianabad

Nach mehr als 200 Jahren ist es bald Geschichte: das Dianabad im zweiten Wiener Gemeindebezirk. Anlass genug, einen Blick auf einen eher unbekannten Aspekt dieses traditionsreichen Bads zu werfen: In der Zwischenkriegszeit gab es dort ein in der ganzen Stadt bekanntes Kosmetikinstitut. Geleitet wurde es von der in Schönheitsdingen äußerst umtriebigen und innovativen Helene Pessl.

Das Bad als Verschönerungsanstalt

Heute geht man ins Hallenbad, um zu schwimmen, in der Sauna zu schwitzen oder um sich bei einer der beliebten Wasserattraktionen zu vergnügen. Bis vor einigen Jahrzehnten waren Bäder auch Orte der Körperhygiene und der Schönheitspflege – nicht zuletzt wegen der noch lückenhaften Versorgung der Wohnungen mit Badezimmern und Fließwasseranschluss. Wenn man schon für ein Wannen- oder Brausebad in eine kommunal oder privat geführte Badeanstalt gehen musste, lag es nahe, gleich auch die Frisur richten oder eine Schönheitsbehandlung durchführen zu lassen. Zur Infrastruktur vieler Bäder zählten daher Frisier- und Kosmetiksalons. In den Sammlungen des Wien Museums finden sich einige historische Bildzeugnisse solcher Etablissements: Beispielsweise eine Zeichnung aus dem Jahr 1883, die Frisierdienste im Salon des Esterházybads zeigt oder eine Reklamepostkarte des Centralbads von ca. 1908, auf der unter anderem die Friseurabteilung abgebildet ist. Gleich eine ganze Bildserie, aufgenommen von dem Fotografen Robert Haas im Jahr 1937, dokumentiert verschiedene Schönheitsbehandlungen im Kosmetikinstitut im Dianabad.   

Dessen Betreiberin Helene Pessl zählte in der Zwischenkriegszeit zu den bekanntesten und engagiertesten Schönheitsspezialistinnen Wiens. Geboren wurde sie 1882 als Tochter des Cafetiers Ignaz Isak Herz und dessen Frau Charlotte, verheiratet war sie mit Sigmund Pessl. Letzterer zählte zu den renommiertesten Wiener Friseuren, er führte einen vornehmen Salon auf der Kärntnerstraße und betrieb mehrere Filialen im In- und Ausland. 1922 übernahm die Firma auch den Schönheitspflege- und Damenfrisiersalon im Dianabad. Dieser ging 1925 nach der Scheidung des Paars an Helene Pessl, ebenso wie die auf der Josefstädterstraße angesiedelte Pessl’sche Parfümeriefabrik. Margit (Margarete), die jüngere der beiden Töchter, war zeitweise ebenfalls im mütterlichen Schönheitsetablissement im Dianabad tätig, die ältere Tochter Yella (Gabriela) machte als Cembalistin Karriere. Ab 1927 unterhielt Helene Pessl eine Beziehung mit Alexander Wunderer, Oboist und Präsident der Wiener Philharmoniker. 

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Schönheit für alle

Helene Pessl hatte einen modernen Zugang zu körperlicher Schönheit: Sie verstand sie nicht als etwas Natürliches und Unveränderliches, sondern als etwas Gemachtes, als etwas, an dem man beständig arbeiten muss und das man lernen kann. Solche Körperbilder gewannen ab den 1920er Jahren stark an Bedeutung und sie drängten ältere, teils stark moralisierende Vorstellungen zurück, nach denen besonders der sichtbare Gebrauch von Schminke für „anständige“ Frauen tabu war. Indem der weibliche Körper in den 1920er Jahren von der früher üblichen Fülle an einengenden Textilien und Korsetts befreit wurde, machte man ihn auch sehr viel sichtbarer. Trotz aller körperfreundlichen Tendenzen entstanden dadurch neue Zwänge und Anpassungsdruck an neue Ideale. Kein Wunder also, dass pflegende, gestaltende und korrigierende Techniken einen Boom erlebten – und damit auch das Kosmetikgewerbe.  

Nachdem Schönheit und Gepflegtheit lange als eine Angelegenheit elitärer und privilegierter Gesellschaftsschichten gegolten hatten, erlebten sie nach dem Ersten Weltkrieg einen Demokratisierungsschub. Das hatte nicht nur mit dem neuen republikanischen Selbstverständnis der Menschen zu tun, sondern auch mit der Umstrukturierung der Arbeitswelt. In den vielen neuen Angestelltenberufen spielten Aussehen und Kleidung eine viel wichtigere Rolle als bei schmutzigen und körperlich strapaziösen Tätigkeiten. Ab den 1920er Jahren wurden viele kosmetische Produkte dank Massenproduktion billiger und damit für mehr Menschen erschwinglich. Zudem kamen zahlreiche neu entwickelte Produkte auf den Markt. 

Helene Pessl richtete sich mit ihren kosmetischen Dienstleistungen und Produkten ausdrücklich an breite Bevölkerungsschichten, nicht nur an verwöhnte „Luxusdamen“, wenngleich sie solche ebenfalls zu ihrem Kundenkreis zählte. Jede und jeder habe ein Anrecht auf Schönheit, wurde sie nicht müde zu betonen. Immer wieder rückte sie die arbeitende Frau in den Fokus der Aufmerksamkeit und offerierte auf sie abgestimmte Tipps und Behandlungen. Als sich im Zuge der Weltwirtschaftskrise Ende der 1920er Jahre die Situation für viele verschlechterte und die Arbeitslosenzahlen dramatisch anstiegen, bot sie sogar kostenlose Kurse für Erwerbslose an. Die Idee dahinter: Wer gepflegt auftritt, hat bessere Chancen, eine Stelle zu ergattern. Belegt ist das durch zeitgenössische sozialwissenschaftliche Studien, für die Mitarbeiter von Arbeitsämtern befragt wurden: Durch den zunehmenden Konkurrenzdruck erlangte neben der fachlichen Qualifikation das Aussehen eine immer größere Bedeutung. Sich schön zu machen, verlor also das Odeur der Eitelkeit und des unnötigen Luxus, es avancierte stattdessen zu einer Überlebensstrategie im immer härter werdenden „Daseinskampf“. Frauen waren aufgrund der Geschlechterrollen zwar stärker davon betroffen, zumal es kriegsbedingt einen hohen „Frauenüberschuss“ gab, es betraf jedoch zunehmend auch Männer.   

Erfolgreiches Marketing

„Pessln ist himmlisch“, behauptet ein Werbeplakat für die Schönheitsklinik von Helene Pessl aus dem Jahr 1928. Wer solcherart mit seinem Familiennamen Reklame macht und ihn als Synonym für Schönheitsbehandlungen beziehungsweise deren Inanspruchnahme verwendet, benötigt entweder eine ordentliche Portion Selbstbewusstsein oder erfreut sich bereits eines hohen Bekanntheitsgrads. In diesem Fall trifft wohl beides zu. Helene Pessl, von der Presse als eine der tüchtigsten und klügsten Frauen Wiens bezeichnet, war keineswegs eine Unbekannte, zumal der Name Pessl schon seit längerem durch den Frisiersalon ihres (Ex-)Gatten Sigmund und die Firma für Kosmetikerzeugung einen guten Ruf hatte. „Pessl“ war also eine seit Jahrzehnten gut eingeführte Marke, mit einer Strahlkraft weit über die Stadtgrenzen hinaus. Zudem wusste sich Helene Pessl sehr geschickt der modernen Marketingmethoden zu bedienen. Ihr Name zählte jedenfalls rasch zu den prominentesten im damals auch in Wien boomenden Schönheits- und Kosmetikgewerbe und sie war eine der medial präsentesten Figuren dieser Branche. 

Dass sie sich bezüglich Werbung auf der Höhe der Zeit befand, erschließt sich außerdem aus ihren Publikationen, in denen sie nicht nur über Schönheitsthemen schrieb, sondern angehende Kosmetikerinnen auch über Reklametechnik und Betriebsführung aufklärte. Die Ratschläge sind so gehalten, dass sie durchaus mit geringen Mitteln und ohne die Unterstützung von professionellen Werbefachleuten umgesetzt werden konnten. Das war vermutlich nicht nur der wirtschaftlich prekären Zeit geschuldet, sondern darüber hinaus der Tatsache, dass in dem vorwiegend weiblich geprägten Berufsfeld das große Geld nur in Ausnahmefällen zu machen war – nicht alle waren so erfolgreich wie sie selbst. 

Sie konnte es sich unter anderem leisten, ein neues Behandlungsstudio 1933 von dem Architekten Walter Sobotka in einen „Traum aus Rosa mit raffiniert verteilten schwarzen Effekten“ verwandeln zu lassen, wohl wissend, dass eine kultivierte und ästhetisch anregende Atmosphäre gut fürs Geschäft ist. Die exquisite Ausstattung wurde wiederum in ihren Werbeeinschaltungen thematisiert: Helene Pessl betonte, dass sie keine kosmetischen „Dutzend-Traitements“ verabfolge und sich daher auch nicht mit einem gewöhnlichen architektonischen Rahmen zufrieden gebe. In ihrem schön und heiter eingerichteten Salon sollte man aller Hast und Hässlichkeit des Alltags entrücken können.          

Neben diesen Werbemaßen spielten für Helene Pessls Erfolg ihre umfassende publizistische Arbeit sowie ihre Unterrichtstätigkeit eine wichtige Rolle. In unzähligen Zeitschriftenartikeln und Buchpublikationen behandelte sie sowohl für das Fach- wie für das Laienpublikum die moderne Kosmetik in Theorie und Praxis. In den 1930er Jahren brachte sie für ihre Kundinnen und die von ihr ausgebildeten Kosmetikerinnen eine eigene Zeitschrift heraus. Gewiss war sie mit dieser intensiven Publikationstätigkeit auf die Werbewirkung und den Profit für ihr Geschäft bedacht. Darüber hinaus dürfte es ihr aber tatsächlich ein persönliches Anliegen gewesen sein, Kosmetik zu popularisieren und möglichst vielen Menschen zugänglich zu machen. Sie zählte in der Zwischenkriegszeit nicht nur zu jenen „neuen Frauen“, die selbst aus alten Geschlechterrollen ausbrachen und ein eigenständiges Leben für sich in Anspruch nahmen, sondern auch zu jenen, die ihr Engagement für die Modernisierung der Lebensverhältnisse auch in den Dienst von anderen stellten. 

Dazu zählte nicht zuletzt ihre Tätigkeit als Lehrerin. In ihrer vom Wiener Stadtschulrat genehmigten Kosmetikschule im Dianabad bildete sie zahlreichen Nachwuchs aus dem In- und Ausland aus und sorgte damit für die Weitergabe ihrer Konzepte und Methoden ebenso wie sie an der Herausbildung und Professionalisierung eines neuen weiblichen Berufsfeldes beteiligt war. Kosmetikerin war für Pessl der aktuellste Frauenberuf. Deutlich mehr Frauen als zuvor mussten aufgrund der durch den Weltkrieg verursachten sozialen Umwälzungen einer Erwerbsarbeit nachgehen, viele von ihnen verfügten allerdings über keine berufliche Ausbildung, da sie auf ein Leben als Ehefrau und Mutter vorbereitet worden waren. Die Qualifikation für das Kosmetikgewerbe konnte in relativ kurzer Zeit erworben werden und die Nachfrage nach kosmetischen Behandlungen war im Steigen begriffen. Eine durchaus zukunftsträchtige Perspektive also, zumal Pessl Wert auf eine moderne Ausbildung legte: Die Vermittlung neuer medizinischer, physikalischer, chemischer und technischer Kenntnisse bildete einen wichtigen Bestandteil ihres Unterrichts. Kosmetikunterricht bedeutete ihr also nicht die Enthüllung der „Geheimnisse“ der Schönheit, sondern die Einführung in wissenschaftlich fundierte Grundlagen. Damit war sie offensichtlich erfolgreich, denn 1933 konnte sie die Schule bedeutend vergrößern.  

„Arisierung“ und Exil

Am 4. Mai 1938 stellte der Friseur Robert Maurer ein Gesuch an die Landesleitung der NSDAP betreffend „Übernahme eines jüdischen Geschäftes“. Das Objekt seiner Begierde: „der „jüd. Frisiersalon und Schönheitspflegeschule im ‚Dianabad‘ (Pessl)“. Seine Begründung: „Durch meine Tätigkeit während der illeg. Zeit wurde mein Geschäft in Mitleidenschaft gezogen, da ich durch die Konkurrenz als Nazifriseur von 5 Angestellten auf Alleinarbeit mit Frau herunterkam. […] Es wäre jetzt Gelegenheit meine wirtschaftliche Lage zu verbessern“. Diese günstige Gelegenheit wurde ihm gewährt, schon kurz darauf war er der neue Inhaber. Eine im Zuge des Verfahrens erstellte Liste veranschaulicht den damaligen Umfang des Unternehmens: „Frau Helene Pessl betreibt mit dem Sitze in Wien II. Dianabad einen Frisiersalon (ca. 20 Kabinen, einen Frisierraum im Schwimmbad, 1 Frisierraum im Sonnenbad), eine Kosmetikschule, 1 Kosmetikstudio, 1 Verkaufsstand in der Halle des Dianabades, sowie die Erzeugung und den Verkauf kosmetischer Artikel.“ 

Zunächst wurde der gut eingeführte „jüdische“ Markenname „Helene Pessl“ auch von Robert Maurer beibehalten, aufgrund eines entsprechenden Verbots musste er dann aber abgeändert und ebenfalls „entjudet“ werden: Ab Ende 1941 wurden die kosmetischen Produkte als „Wiener Edelkosmetik“ unter dem Namen Paraderma verkauft – unter Beibehaltung des bekannten Pessl’schen Markenlogos, bestehend aus einem P in einem Dreieck. Neu war der Name nicht, bereits seit den 1920er Jahren zählte eine Hautcreme mit dieser Bezeichnung zu den kosmetischen Erzeugnissen der Firma Pessl. Maurer dürfte ihn als Markennamen übernommen haben, um das Logo beibehalten zu können. Er konnte Umsatz und Gewinn steigern, da die Produkte nun auch ins „Altreich“ respektive Deutschland verkauft werden konnten, was zuvor wegen Einfuhrverboten nicht möglich war. Ebenso konnte der Mitarbeiterstand von zuvor 18 Angestellten auf 51 Angestellte erhöht werden.     

Helene Pessl selbst, die durch ihre unermüdliche Arbeit das Dianabad überhaupt erst zu einem kosmetischen Hotspot von Wien gemacht hatte, gelang 1938 die Flucht nach New York, wo schon ihre Tochter Yella lebte. Nach dem Krieg konnte sie sich mit einer Kinderkosmetikmarke etablieren. 1953 übersiedelte sie zurück nach Österreich, um sich um den erkrankten Alexander Wunderer zu kümmern. Im Jahr darauf starb sie, gemeinsam mit dem 1955 verstorbenen Wunderer ist sie auf dem Friedhof St. Gilgen begraben.
 

Ausführlicher zum Thema:

Susanne Breuss: „Pessln ist himmlisch“. Eine Wiener Familie im Dienst der Schönheit. Sigmund, Helene und Margarete Pessl, in: Dies. (Hg.): Mit Haut und Haar. Frisieren, Rasieren, Verschönern, Ausstellungskatalog Wien Museum, Wien 2018, S. 230-243. 
 

Susanne Breuss studierte Europäische Ethnologie, Geschichte, Philosophie und Soziologie an der Universität Wien und an der TU Darmstadt und war von 2004 bis 2023 Kuratorin im Wien Museum. Sie unterrichtet an der Universität Wien und schrieb für die Wiener Zeitung. Im Zentrum ihrer Arbeit stehen historische und gegenwärtige Alltagskulturen sowie museologische Fragen. 

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