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Christine Koblitz, 9.8.2020

Das Raufschaumuseum

Flanieren, Hinaufschauen und Teilen

Während die Museen Corona-bedingt schließen mußten, haben Magdalena Hiller und Gabriel Roland kurzerhand ihr eigenes Museum gegründet: Das Raufschaumuseum. Dort sammeln sie Fotos künstlerischer Fassadengestaltungen von 1919 bis 1989, vor allem, aber nicht nur aus Wien. Geöffnet hat es jederzeit, denn das MdH, wie sie ihr Museum des Hinaufschauens verkürzt nennen, existiert rein virtuell.

Die Idee dazu hatten die beiden schon länger, doch der Lockdown war die ideale Zeit, um sie umzusetzen. Spazieren gehen war eine der wenigen erlaubten Möglichkeiten die Wohnung zu verlassen und die eigene Stadt neu zu entdecken. Fassadenwerke, denen man vorher wenig Beachtung schenkte, bekamen durch das Raufschaumuseum neue Aufmerksamkeit. Wie sehr Magdalena Hiller und Gabriel Roland mit ihrer Initiative einen Nerv getroffen haben, zeigt die rasch wachsende Community mit täglich neuen Einsendungen. Denn die Sammlung wächst mit den Beiträgen der Besucherinnen und Besucher. Diese Interaktion mit den Leuten ist ein wesentlicher Teil des Konzepts.

Crowdsourcing über Instagram

Dafür bietet Instagram das ideale Format und ermöglicht den schnellen Austausch - Social Media im besten Sinn. Wer Abwechslung sucht, findet hier  Anregungen für neue Spaziergänge durch die Stadt. In der Praxis funktioniert das so: jemand sieht ein Wandbild, fotografiert es, postet und tagged es mit @raufschaumuseum. Das MdH teilt die Einsendungen mit kurzen Kommentaren in seiner Story und ordnet sie dem jeweiligen Bezirk in den Highlights zu. Die zweite Ebene der Vermittlung ist die Präsentation einzelner Werke in Form von dreier-Serien im Feed. Sauber nachfotografiert und mit einer kurzen Geschichte zu KünstlerIn oder Gebäude. Für die Auswahl sprechen sie sich ab – unterschiedliche Techniken (Reliefs, Sgraffitos und Mosaike) sind genauso ein Kriterium wie verschiedene Bezirke, Zeitepochen oder der aktuelle Tagesbezug. Wichtig ist den beiden, die Kunstwerke aus verschiedenen Perspektiven zu zeigen, und wie sie im städtischen Kontext zu sehen sind.

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Intern widmen sich Magdalena Hiller und Gabriel Roland der Forschung. Die gefundenen Objekte werden auf einer (noch privaten) Google-Maps-Karte verortet und die vorhandenen Informationen dazu in einer Datenbank dazu notiert. Gespräche über andere Lösungen laufen. Ihr Ziel ist es, empirische oder quantitative Dinge wie Karte, Entstehungszeitraum und Künstler auch über ihre Website sichtbar zu machen. Sie würden gerne mehr machen, doch das geht nicht ohne Finanzierung. Noch ist das Raufschaumuseum trotz aller Professionalität ein Hobby.

Staatliche Aufträge zur sozialen Absicherung von KünstlerInnen

Zu tun wäre genug, denn noch immer wird „Kunst am Bau“ unterschätzt. Über die Gründe dafür läßt sich nur spekulieren. Der Kunstform haften allerlei Makel an. Aus der Sicht der Architekten war sie lange Zeit ein Unwort verknüpft mit der Frage „Ist das Haus allein nicht genug?“. Tatsächlich war die Verbindung von Fassadengestaltung und Bauwerk oft eine unfreiwillige Liaison von ArchitektInnen und KünstlerInnen. Bis 1938 wurde bei staatlichen Projekten rund 1% der Bausumme  für „Kunst am Bau“ verwendet. Auch heute gilt dieser Prozentsatz als unverbindlicher Richtwert. Die Auswahl erfolgte erst ab 1934 durch eine eigene Jury. Das Programm diente sowohl nach dem Ersten wie dem Zweiten Weltkrieg vor allem der Arbeitsbeschaffung und damit der sozialen Absicherung für KünstlerInnen. In den Motiven spiegelt sich durchaus die politische Ideologie der jeweiligen Auftraggeber.

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Kunst am Gemeindebau

Die monumentalen Allegorien in den Gemeindebauten bis 1934 zeugen von der Zuversicht, eine neue Gesellschaft aufzubauen. So weisen im Quarinhof vier Frauenreliefs von Ferdinand Opitz am zentral gelegenen Kindergarten auf den hohen Stellenwert der Kinder hin. Während im Roten Wien die  Arbeiter in heroischen Reliefs dominierten, brachte der Ständestaat eine Rückbesinnung auf idyllische Folklore.

Auch nach dem Zweiten Weltkrieg bilden die Wände das damalige Selbstverständnis der Gesellschaft ab, allerdings konzilianter im Sinne des Wiederaufbaus. Otto Rudolf Schatz feiert in dem überdimensionalen Mosaik „100.000 neue Gemeindewohnungen“ (1957) die kommunalen Sozialleistungen, wobei die Wohnbauten des Roten Wien mitgezählt wurden. Zu finden ist es am Stadtrand, im Franz-Novy-Hof, fernab jeder Repräsentation. Mit der Kunst in den Wohnanlagen wurde eine Denkmalskultur des Privaten geschaffen, schreibt Irene Nierhaus. Die Architekturhistorikerin nennt es „die Formung der öffentlich relevanten Privatsphäre“. Die Themen sind oft sehr konkret mit den Vorstellungen und Aufgaben von Wohnen verbunden. Aus der Zeit heraus schlüssig, aus heutiger Sicht mitunter irritierend. Beispielsweise die „Frauenberufe“ von Hans R. Pippal am Flötzersteig, wo Frauen ausschließlich beim Bügeln oder Kochen dargestellt werden.

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Raufschauen – ein guter Grund, weniger Auto zu fahren

Ohne Anspruch auf Vollständigkeit lädt das Raufschaumuseum dazu ein, diesen Layer in der Stadt zu wieder zu entdecken. In der Sammlung finden sich auch Fassadenwerke privater Auftraggeber. So zierte das Mosaik der Glaserei in der Liniengasse früher das Geschäft des dazugehörigen Betriebs. Auch wenn sich nicht alle Werke sofort datieren lassen, kann man die Phasen der Zwischenkriegszeit und des Wirtschaftswunders, die die Stadt stark geprägt haben, gut erkennen.

Dabei lassen sich über die Jahrzehnte auch Kontinuitäten wie die Idealisierung der Familie und die Darstellung von Tieren, Pflanzen und Jahreszeiten beobachten. Wegen oder trotz der einfachen Bildsprache wirken sie auch heute noch ästhetisch ansprechend.

www.raufschaumuseum.at
instagram.com/raufschaumuseum

Literatur:

Irene Nierhaus: Kunst – am – Bau im Wiener kommunalen Wohnbau der fünfziger Jahre, Wien, 1993

Markus Wieland, Vitus H. Weh (Hg.): Zur Sache Kunst am Bau. Ein Handbuch für das Durchqueren der Standortfaktoren Architektur, Kunst, Design, Staat, Wirtschaft…,Wien, 1998

Claus Pándi: Kunst am Bau. Kommunale Interventionen Wien bis jetzt, Wien, 2009

Harald A. Jahn: Das Wunder des Roten Wien, Band II, Wien, 2014

Wolfgang Kos „Künstler im Staatsdienst“ im  Ausstellungskatalog: Otto Rudolf Schatz und Carry Hauser, Wien, 2016

 

Ein Verzeichnis öffentlicher Kunstwerke in Wien mit Suchfunktion gibt es auf Wien Kulturgut.  

 

Christine Koblitz ist Engagement Managerin im Wien Museum und beschäftigt sich mit Digital Culture & Instagram. Sie kuratierte die Ausstellung „Takeover – Streetart & Skateboarding“ (2019) und entwickelt spielerische Formate wie das AR Escape Game für das Uhrenmuseum (geplanter Release: Herbst 2024).

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Kommentare

Bernhard Strake

Schöner Beitrag, aber bitte der Gabriel heißt Gabriele ROLAND, nicht Roland Gabriel!
ROLAND ist der Nachname!

K. Pribyl

Wieder ein sehr interessanter Beitrag!
Dass ich mich auf Instragram registrieren muss, um ins Museum des Hinaufschauens "reinzukommen", ist für mich ein Wermutstropfen - DAS muss ich mir noch überlegen...