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Das Wunderteam in London
„Die Sensation Europas“
„Das Wunderteam“ an der Stamford Bridge, das Paul Meissner im Auftrag des Wiener Kulturstadtrates Viktor Matejka 1948 in Öl malte, erzählt viel über seinen Entstehungszeitraum, die unmittelbaren Nachkriegsjahre. Warum erinnerte sich Viktor Matejka allerdings ausgerechnet an dieses Spiel und setzte diesem ein in der österreichischen Fußballgeschichte einzigartiges Denkmal? Was war los an der Stamford Bridge 1932? Es ist verführerisch, die Geschichte dieses Spiels von seinem Ausgang her zu erzählen, von der 3:4-Niederlage gegen England. In den nationalen Mythen Europas nehmen Niederlagen nicht selten einen besonderen Platz ein: die Niederlage der Serben gegen die Osmanen in der Schlacht am Amselfeld 1389 oder die der Ungarn im Befreiungskampf gegen Österreich 1849. Diese Erzählungen setzen, um zu wirken, zwei Behauptungen voraus: die eines übermächtigen Gegners und die einer tapferen Gegenwehr, um am Ende das zu ergeben, was man im Sport, aber auch im Alltag den ,moralischen Sieg‘ nennt.
Die erste Voraussetzung war unbestritten 1932 erfüllt. England war auf eigenem Boden noch nie besiegt worden. Von einem Kampf David gegen Goliath ist in den Vorberichten zu lesen, von der „kläglichen Nichtigkeit Österreichs“ gegenüber der „Weltmacht“ Englands. Dieser Vergleich meinte nicht nur die einschüchternde Bedeutung Englands im Fußball, sondern auch Unterschiede in den physischen und psychischen Voraussetzungen der Spieler. Die Österreicher kämen aus einem verarmten Land, aus einer schweren Depression und wären durch die mangelhafte Ernährung auch körperlich den Engländern unterlegen. Was ihnen blieb, und hier hatte der Vergleich mit David eine über die umgangssprachliche Verwendung hinausgehende Bedeutung, waren Jugendlichkeit und Intelligenz, wobei sich beides auf den neuartigen Spielstil der Österreicher bezog. David gegen Goliath hieß Geist und Jugend gegen Kraft und Tradition.
„Wikingerfahrt“ und „Heldenkampf“
Die zweite Voraussetzung hatte allerdings einen Haken, der dem Spiel und seinen Bedeutungen eine andere Richtung gab. Denn die Erzählung der glorreichen Niederlage benötigt auch die Bedrohung. Bei Stamford war hingegen das Umgekehrte der Fall. Von einer „Wikingerfahrt“ oder einem „Heldenkampf“ in Anlehnung an militärische Abenteuer ist zu lesen. Nicht der Große bedrohte den Kleinen, sondern der Kleine forderte den Großen heraus. 6.000, schrieb die Arbeiter-Zeitung, verabschiedeten die Mannschaft am Wiener Westbahnhof. Ein Amateurfilm hält eindrucksvoll das Gedränge um Rudi Hiden und Walter Nausch am Vorplatz des Bahnhofes fest und zeigt die Begeisterung bei der Abfahrt des Zuges. „Wir gehören zu euch und ihr gehört zu uns“, fasste das Sport-Tagblatt die Atmosphäre dieses Tages zusammen. Passend zur verwegenen Unternehmung war von einer „stürmischen Überfahrt“ über den Ärmelkanal die Rede.
Je näher der Spieltermin rückte, desto mehr machte sich Optimismus in den Berichten bemerkbar, in die sich dann allerdings gegen den großen Tag hin wieder Zweifel und Zweckpessimismus mischten. Wie stark sind die Engländer wirklich? Ein gutes Spiel zwischen Aston Villa und Sheffield Wednesday, das von der österreichischen Mannschaft beobachtet wurde, dämpfte die Zuversicht. Konnte der angeschlagene Gschweidl überhaupt spielen? Wie würde das Wetter werden? Kämen Regen und Nebel den Engländern zu Hilfe? Könnten die Wiener auch auf dem zu erwartenden tiefen englischen Boden ihr raffiniertes Spiel machen? Diese Spannung, wie sie die Presse überlieferte und wohl auch miterzeugte, versetzte die Stadt, wie es scheint, in einen hohen Erregungszustand. Von „Fieber“ oder „Epidemie“ ist die Rede. Der Absatz von Radioapparaten war sprunghaft angestiegen, da das Spiel mittels Unterseekabel live übertragen wurde.
„Wien hört den Länderkampf“, titelte das Sport-Tagblatt. Kaffeehäuser warben mit der Übertragung des Spiels. Die „Winterhilfe“ installierte Lautsprecher auf dem Heldenplatz, wo gegen eine Eintrittsgebühr von 20 Groschen Willy Schmieger live aus London berichtete und laut Arbeiter-Zeitung „eine Stunde lang lautloses Schweigen“ herrschte. Der parlamentarische Finanz- und Budgetausschuss vertagte seine Nachmittagssitzung. Die Ravag bereitete für den Abend eine Reportage auf Schallplatte vor.
Worauf gründete dieser Übermut? Fußballerisch gesehen auf einer beeindruckenden Siegesserie der österreichischen Mannschaft. Ungarn, Deutschland, Schottland, Frankreich, um nur einige Gegner zu nennen, waren in den letzten beiden Jahren vom Platz gefegt worden. Das Spiel der Österreicher war als „Wiener Spiel“ zu einer internationalen Marke geworden, die mit Eleganz und Spielwitz assoziiert wurde. Als das beste Team vom Kontinent wurde die Mannschaft auch in England angekündigt. Zahlreiche ,Delegationen‘ aus europäischen Ländern reisten zum Match nach London an. Über den Fußball hinaus erweckte das Spiel aber auch ganz andere Erwartungen, die sowohl in die Zukunft wie in die Vergangenheit gerichtet waren. „Nur ein Fußballmatch?“ fragte die Arbeiter-Zeitung und beantwortete die Frage umgehend selbst. Österreich könne in London vor aller Welt das Image des verarmten, krisengeschüttelten Landes korrigieren und über den Fußball hinaus auf seine Leistungen im kulturellen und wissenschaftlichen Bereich aufmerksam machen. So gesehen wurde von Stamford ein großer Imagegewinn erwartet. „So viel Reklame und Propaganda für unser Land ist schon seit langem nicht gemacht worden“, stellte die Neue Freie Presse fest.
Der Blick in die Vergangenheit hingegen erinnerte nicht nur an die Rolle Englands als große Fußballnation, die es herauszufordern galt, sondern auch an jene des einstigen Kriegsgegners, mit dem noch eine Rechnung offen wäre. Von einer Begeisterung wie in den Kriegsjahren sprach ein Redakteur des Sport-Tagblattes. Auch die Bilder der unter Jubel abreisenden Mannschaft mögen daran erinnert haben. Aus dieser Perspektive kam Stamford die Bedeutung zu, das Rad zurückzudrehen und dem Fußball die Erinnerung an einstige Größe zurückzugeben, die nicht zuletzt durch Englands Schuld verloren gegangen wäre. Felix Salten meinte am Tag nach dem Spiel, dass es gerechterweise so hätte ausgehen sollen, wie auch der Weltkrieg hätte enden sollen: unentschieden. Unter diesem Aspekt mag die Niederlage bitterer erlebt worden sein als es an der Oberfläche den Anschein hatte. Denn in den Berichten nach dem Spiel war der Zweckpessimismus von davor in einen Zweckoptimismus übergegangen. „Es liegt also nicht der geringste Grund vor, wegen dieser Niederlage den Kopf hängen zu lassen“, spendete das Neue Wiener Tagblatt seinen Lesern Trost. Trotz der Enttäuschung herrschte in der Presse Einigkeit, dass sich Österreich über den Fußball hinaus hervorragend geschlagen hätte und dafür viel internationales Lob, vor allem seitens des knapp überlegenen Gegners ernten konnte. Einen tiefen Eindruck hinterließ auch die Fairness der Engländer. „Zum Abbusseln“ fand sie das Sport-Tagblatt. Nicht unbemerkt blieb allerdings die Abschlussschwäche der Österreicher. Zu wenig effizient waren die Angriffe ausgefallen. Das hatten auch die englischen Kommentare verwundert festgestellt.
„Triumphfahrt“ nach Wien
Stamford 1932 bot Stoff für verschiedene Gefühlslagen und Interessen, überliefert aber vor allem einen überraschend starken Österreich-Patriotismus. Die tiefen politischen Gräben der 1930er-Jahre äußerten sich in den Zeitungen nur in sprachlichen Details. Die Arbeiter-Zeitung betonte im Begriff „Professionalfußballkampf“ ihre prinzipielle Ablehnung des Profifußballs, zeigte sich dann aber in der Berichterstattung nicht minder engagiert als ihre Konkurrentinnen. Auch die Deutschösterreichische Tages-Zeitung, das Organ der österreichischen Nationalsozialisten, verriet ihre Gesinnung nur an einzelnen Begriffen und sprach von einem „Kriegsplan gegen England“. Die Euphorie blieb allem Anschein nach nicht auf die Hauptstadt beschränkt, sondern erfasste auch die Bundesländer, soweit sich das aus den Zeitungen schließen lässt. Vom „größten Fußballereignis aller Zeiten“ schrieb das Vorarlberger Volksblatt. Die Rückreise der Mannschaft, die noch im „Vorbeigehen“ Belgien 6:1 deklassiert hatte, wurde als „Triumphfahrt“ bezeichnet. Entlang der Bahnstrecke, von Schärding über Linz, Amstetten, St. Pölten bis nach Wien herrschte ,großer‘ Bahnhof. In Linz wurde das Team mit einer „riesengroßen“ Linzertorte geehrt, in St. Pölten überreichte die Tabakregie ein großes Paket Zigaretten, ab dem Wienerwald soll die Bahntrasse von Jubelnden gesäumt gewesen sein und am Wiener Westbahnhof herrschte das Gedränge tausender Anhänger. Die Bundesregierung trat im Hofwartesalon zur Begrüßung an und bei der anschließenden Fahrt durch die Mariahilfer Straße kam der Bus mit den Spielern kaum durch die Menge.
Wie immer man Patriotismus misst und für wie aussagekräftig man die Begeisterung für eine Fußballmannschaft hält, die These der mangelnden Identifikation der Österreicher mit ihrem Land bestätigt Stamford 1932 zumindest nicht. Das mag auch die eingangs gestellte Frage beantworten, warum sich Viktor Matejka ausgerechnet an dieses Spiel erinnerte und diesem ein Denkmal in Öl setzte. Als es nach 1945 darum ging, ein Nationalbewusstsein aufzubauen, konnte man zumindest an ein Ereignis anknüpfen, bei dem die Österreicher über alle Differenzen hinweg ihren ,eigenen‘ und nicht ,fremden‘ Helden zugejubelt hätten.
Dieser Text stammt aus dem (mittlerweile vergriffenen) Katalog zur Ausstellung „Wo die Wuchtel fliegt“, die 2008 anlässlich der Fußball-Europameisterschaft im Wien Museum stattgefunden hat.
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