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Matthias Cremer und Peter Stuiber, 31.8.2022

Der Donaukanal in den 80ern

An der schönen kleinen Donau

Der Fotograf Matthias Cremer hat Mitte der 80er Jahre den Donaukanal dokumentiert: Einige der Fotos sind derzeit in unserer Ausstellung zur Straßenfotografie zu sehen. Cremer kennt den Donaukanal seit seiner Kindheit: Im Interview erzählt er über dessen Charme, Fußbälle im Wasser, den abgerissenen Fischmarkt und den verschwundenen Park am Franz-Josefs-Kai.

Peter Stuiber

Wie kam es zur Donaukanal-Serie, von der wir eine Auswahl in der Sammlung haben, die schon 1986 im Otto Wagner Pavillon Karlsplatz gezeigt wurde?

Matthias Cremer

Sie entstand in der Zeit, als ich beschlossen haben, mit dem Fotografieren Geld zu verdienen, das war 1983. Ich hatte schon regelmäßig Bilder im „Falter“ veröffentlicht – und meinen ursprünglichen Plan, Chinesisch zu studieren, aufgegeben. Erich Lessing war damals Gastprofessor an der Angewandten und ich durfte ein Semester in seiner Klasse mitmachen. Dank Lessings Fürsprache erhielt ich dann auch ein Kunststipendium der Stadt Wien, um das ich mich beworben hatte: Das hat es mir ermöglicht, mich ein halbes Jahr lang fotografisch mit dem Donaukanal auseinanderzusetzen.

PS

Stand das Thema Donaukanal von Beginn an fest? Woher kommt das Interesse daran?

MC

Ich bin selber im ersten Bezirk aufgewachsen, ganz in der Nähe des Donaukanals, in einem Haus am Salzgries, beim Passauer Platz. Ich bin mit meinem Bruder sehr viel in der Gegend herumgekommen, als wir zwischen 6 und 10 Jahre alt waren. Im Sommer waren wir oft im Kinderfreibad im Franz-Josefs-Park, den es heute ja leider nicht gibt. Die Leute dort haben zu uns Kindern gesagt: Kommt´s zu uns, das ist sicherer als wenn ihr in den Donaukanal schwimmen gehts…

PS

Gerade in jüngerer Zeit wurde das Schwimmen wieder thematisiert, nämlich u.a. von Student:innen der Angewandten… Das heißt, in den 60er Jahren war es üblich, im Donaukanal zu schwimmen?

MC

Ja, durchaus. Auch wenn die Wasserqualität sicher nicht so gut war wie heute, denn es wurden ja noch Abwässer hineingeleitet. Mich hätte das Baden im Donaukanal allerdings nicht gefreut.

PS

Woran erinnerst Du Dich noch? Wie war es am Donaukanal in den 60er Jahren?

MC

Es war stellenweise durchaus lebendig. Es gab ja noch den Zentralfischmarkt, da sind ständig Lastwägen rauf- und runtergefahren. Und es gab Fußballkäfige, wo die Größeren gespielt haben. Wir Kleineren haben davor gespielt. Wenn der Ball ins Wasser fiel, war das kein Problem: Spätestens bei der Urania ist er seitlich angeschwemmt worden und man musste ihn nur noch rausfischen oder in eine der Rettungszillen steigen. Beim Fischmarkt war viel Publikum. Aber zum Flanieren oder Fahrradfahren ist damals niemand auf den Donaukanal gekommen. Für uns Kinder war er jedenfalls ein Abenteuerspielplatz wie andere Orte in der Stadt, die brachliegen – etwa Baulücken zwischen den Häusern, hinter den Plakatwänden.

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PS

Hat sich bis in die 80er Jahre etwas an der Atmosphäre beim Donaukanal geändert?

MC

Nicht wirklich. Extrem schade war, dass im Zuge der Verbreiterung der Fahrbahnen für Autos der Franz-Josef-Park [Quai-Park] weggekommen ist: Damit wurde die natürliche Verbindung zum Kanal unterbrochen. Früher konnte man vom Park auf den Donaukanal schauen. Danach hat die riesige Straße dafür gesorgt, dass es am Donaukanal noch entrischer wurde. 1972 gab es einen Salmonellenskandal beim Fischmarkt, der wenig später abgerissen wurde – das habe ich als 16Jähriger antizipiert und die Gebäude fotografisch dokumentiert. Bei der Marienbrücke, wo der Fischmarkt war, gab es dann etwas später eine Art Show-Boot mit einer Bar. Damit wollte man der Gegend ein wenig Leben einhauchen, wobei es irgendwie billig wirkte. Das Boot ist später abgebrannt.

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PS

Hättest Du Dir je denken können, dass der Donaukanal einmal so populär wird wie er heute ist?

MC

Ich hab mich immer gefragt, warum das nicht schon früher so war. Ich war in den 70er Jahren in Paris und dachte beim Anblick der Seine, die damals echt grindig war: Der Donaukanal ist doch viel schöner! Der Donaukanal ist das Idyll, das die Seine gerne wäre! Man hat ja auch in Wien immer wieder versucht, das Image des Kanals zu verbessern, etwa indem man ihn „kleine Donau“ nennen wollte, was sich nicht wirklich durchgesetzt hat. Erst mit den Joggern und Radfahrern hat sich dann langsam was getan. Und dann hat es „Peng!“ gemacht – spätestens mit Corona.

PS

Freut es Dich, dass der Kanal zum Treffpunkt geworden ist?

PS

Ja, klar, sehr sogar! Ich find´s auch total okay, dass es an manchen Stellen so dicht ist, dass man kaum vorbeikommt. Denn der Donaukanal ist so lang, dass überhaupt keine Gefahr besteht, dass das überall so ist. Ich kann nur wirklich jedem empfehlen, ihn ganz abzufahren oder abzugehen… es gibt hier soviel Unterschiedliches, einfach großartig!

PS

Noch ein Wort zu Deiner Donaukanal-Serie aus den 80er Jahren. Welchen Blick hast Du jetzt darauf?

MC

Für mich war diese Serie persönlich sehr wichtig: Es wurde eine Art Fingerübung für meinen Beruf. Denn ich bin zu manchen Stellen zehnmal gegangen, um das richtige Foto zu kriegen. Und das hat mir dann unheimlich geholfen, als ich später beim „Standard“ als Fotograf angefangen habe. Da musste alles viel schneller gehen. Dieses Erfassen innerhalb von Sekunden: Das habe ich gelernt, als ich am Donaukanal unterwegs war. Übrigens sind damals zwischen 3000 und 5000 Fotos entstanden. Nur rund 40 sind in einer Publikation erschienen, etwa gleichviel waren in der Ausstellung im Otto Wagner Pavillon zu sehen. Es gibt also noch viel mehr Material.

Die Ausstellung „Augenblick! Straßenfotografie in Wien“ ist noch bis 23. Oktober im Wien Museum MUSA zu sehen.

Matthias Cremer, 1956 in Wien geboren, 1972 mit der Fotografie begonnen, 1982 ab erste Veröffentlichung im „Falter“, „Time Magazine“; 1983 ein Semester bei Erich Lessing auf der Angewandten, 1986 Stipendium der Stadt Wien und Ausstellung im Otto Wagner Pavillon Karlsplatz, 1988 bis 2021 Pressefotograf bei der Tageszeitung „Der Standard“. Verheiratet, zwei Töchter, lebt in Wien und im Burgenland.

Peter Stuiber studierte Geschichte und Germanistik, leitet die Abteilung Publikationen und Digitales Museum im Wien Museum und ist redaktionsverantwortlich für das Wien Museum Magazin.

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Kommentare

Karin Keltscha

Ich hätte das Bad, die G'stettn uns den Fischmarkt gerne erlebt. Fischmarkt und Kinderbäder fehlen in der Stadt.