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Der eiserne Pavillon im Wiener Stadtpark
„Zum Vergnügen des Publikums“
„Nina! Sonntag den 25. April um 8 Uhr Früh im Stadtparke beim Eisenpavillon.“ Mit deutlichen Worten lud im Anzeigenteil des Neuen Wiener Tagblattes vom 22. April 1869 ein „E.W.“ unter der Chiffre 289 zum morgendlichen Stelldichein an einem einst stadtbekannten Treffpunkt, der längst aus dem kollektiven Gedächtnis verschwunden ist. Wir wissen nicht, ob E.W. seine offenbar nur flüchtige Bekanntschaft am darauffolgenden Sonntag traf, und selbst den Ort des geplanten Wiedersehens können wir nicht mehr aufsuchen, wurde doch der erwähnte Pavillon nach dem Zweiten Weltkrieg abgetragen und vermutlich verschrottet. Was von ihm bleibt, sind Zeichnungen, Aquarelle, Fotografien und eine Reihe von Ansichtskarten, die neben Berichten in Zeitungen und Zeitschriften von der Bedeutung dieses verschwundenen Stücks Wiener Architektur- und österreichischer Technikgeschichte zeugen.
Der Wiener Stadtpark entstand auf einer Fläche, die 1860 von Kaiser Franz Joseph der Stadt geschenkt worden war, als eine Art Entschädigung für die umfassenden, von der Kommune stets bestrittenen staatlichen Eigentums-, Planungs- und Nutzungsansprüche an den Stadterweiterungsgründen. Die Anlage des Parks war das erste große und mit zahlreichen Schwierigkeiten verbundene Projekt, das die Gemeindeverwaltung im Ringstraßenareal realisieren konnte. Nachdem der Wettbewerb zur Gestaltung des Parks 1861 kein befriedigendes Ergebnis erbracht hatte, brachte August Zang, Obmann der Stadtpark-Kommission im Gemeinderat, den Landschaftsmaler Joseph Selleny ins Spiel. Zang hatte lange Zeit in Paris gelebt, wo er als erfolgreicher Unternehmer die Popularität des bis heute als „Viennoiserie“ bezeichneten Wiener Gebäcks begründete. Aus der Seine-Metropole brachte er nicht nur den Namen und die Ausrichtung seines 1848 gegründeten liberalen Blattes „Die Presse“ mit, sondern auch die Erinnerung an den Parc Monceau, den er nun – in deutlich kleinerem Maßstab – in Wien verwirklicht sehen wollte.
Sellenys Plan von 1861 wurde aufgrund der hohen Kosten und der Kleinteiligkeit kritisiert, forderte vor allem aber die Vorstellungskraft der ebenso biederen wie prüden Gemeindeväter heraus: Attraktionen wie Lauben, Wasserfälle oder eine künstliche Grotte beim großen Teich wurden als für einen städtischen Park unangebrachte Extravaganzen und „Spielereien“ abgelehnt, die Wege seien für lustwandelnde Paare zu schmal, die schwer einsehbaren Boskette wären der Sittlichkeit in höchstem Maße abträglich, noch dazu, wenn der Park nicht durch ein Gitter verschließbar und daher auch „beim Mondschein“ zugänglich sein würde. Die Kritiker plädierten im Gegenzug für achsiale Durchblicke und große Wiesenplätze – also eine gut einsehbare und damit leicht zu kontrollierende Anlage. Für die entsprechende „Entschärfung“ des Entwurfes sorgte der Gärtner Rudolf Siebeck, dessen Projekt der Ausführung zugrunde gelegt wurde.
Parallel zum Beginn der Bauarbeiten am Park im Frühling 1862 nahm sich der Gemeinderat der künftigen Ausschmückung des städtischen Grünraums an. Wie die Morgen-Post am 14. März 1862 berichtete, erwarb das Stadtpark-Komitee des Gemeinderates „den seit Jahren in der Salmschen Eisengießerei aufgestellten, prachtvollen Pavillon, welcher bei der Londoner Ausstellung viel Aufsehen erregte und für den damals ein Preis von 18.000 fl. verlangt wurde, um den Preis von 3500 fl. (…), um ihn an einem geeigneten Punkte des Parkes zum Vergnügen des Publikums aufzustellen.“
Bereits im Juni 1862 war der Pavillon östlich des Teiches – an der Stelle der von Selleny vorgesehenen Grotte – aufgestellt und Muster der Bronzierung in verschiedenen Farben wurden angebracht, von denen „die für das Auge am meisten gefällige Farbe“ gewählt werden sollte. Im August, kurz vor der Eröffnung des Stadtparks, wurde an der Herstellung eines Mosaikbodens gearbeitet.
Der Hinweis auf die „Londoner Ausstellung“ im März-Bericht hatte zur Folge, dass der Pavillon von der Forschung als Ausstellungsobjekt der ersten Weltausstellung in London 1851 angesehen wurde, obwohl er in keinem der Kataloge verzeichnet war. In Wahrheit war dem Redakteur ein Fehler unterlaufen, denn bei der Ausstellung, auf der das spektakuläre Stück zu sehen gewesen war, handelte es sich um die Erste Allgemeine Deutsche Industrieausstellung in München 1854. Im Amtlichen Katalog ist dort in Gruppe V („Maschinen“) unter der Nr. 3381, „Fürstlich Salm’sche Eisengußmaschinen und Zuckerfabriken zu Raitz – Blansko (Mähren), Absdorf, Wien“ neben mehreren Maschinen und Turbinenrädern auch ein „Gartenhaus aus Gußeisen“ angeführt.
Das Gartenhaus und ein weiteres aufsehenerregendes Produkt der Salm’schen Gießerei, ein Zinkguß der monumentalen Skulpturengruppe des Heiligen Georg mit dem Drachen von Anton Dominik Fernkorn, waren allerdings nicht im eigens für die Ausstellung nach Londoner Vorbild errichteten (und 1931 abgebrannten) Glaspalast, sondern im Botanischen Garten davor aufgestellt. So ist in einem Zeitungsbericht vom Sommer 1854 von einem „eleganten und festgebauten“ Gartenhaus aus der Salm’schen Eisenfabrik die Rede, „das im freien Garten aufgestellt ist und einen freundlichen Anblick gewährt.“ Franz Hanfstaengl hat es auf einer Fotografie festgehalten.
Der ausführliche Ausstellungsbericht in der Wiener Zeitung erwähnt an erster Stelle der als hervorragend angesehenen österreichischen Eisen-, Bronze- und Silberarbeiten „das in Gußeisen von der fürstlich Salm’schen Gießerei in Wien ausgeführte Gartenhaus nach der Zeichnung des Architekten Bergmann in Wien. (…) Die Zeichnung zeigt feinen Geschmack, und es ist nicht zu zweifeln, daß Kenner die technische Ausführung der zarten an Stäben sich hinwindenden Epheu-Blätter, die aus den architektonischen Linien nicht heraustreten und keine bloße naturalistische Kopie natürlicher Verschlingungen sind, mit demselben Vergnügen betrachten werden, als Kunstfreunde die Konzeption des Architekten. Das Gartenhaus dient jetzt auch als Ruheplatz vieler müder Wanderer, die aus dem Glaspallaste sich in diesen Raum flüchten.“
Die Illustrirte Zeitung in Leipzig brachte im November 1854 einen Holzschnitt des Gartenhauses, das als „das großartigste Stück in Gußeisen auf der ganzen Ausstellung und bemerkenswerth wegen seiner reichen und dabei schönen Ornamentierung“ gewesen sei und vergaß nicht zu erwähnen, dass die Salm’sche Eisengießerei bei der Ausstellung die große Denkmünze für den besten Zinkguss (für Fernkorns Heiligen Georg) und die Ehrenmünze für die hohe Qualität ihrer Güsse im Allgemeinen verliehen bekommen hatte. Es ist bezeichnend für die Verbindung von Kunst und Industrie im 19. Jahrhundert, dass das ästhetische Urteil der Kommentatoren nicht auf künstlerische Arbeiten beschränkt blieb, sondern auch auf technische Objekte ausgedehnt und etwa unter den Ausstellungsobjekten der Salm’schen Gießerei auch eine „wunderschöne stative Dampfmaschine mit vertikalen Cylindern“ hervorgehoben wurde.
Um 1840 gegründet, zählte die Fürstlich Salm’sche Eisengießerei im mährischen Blansko zu jenen Industrieunternehmungen, die Hugo Karl Eduard Fürst und Altgraf zu Salm-Reifferscheidt-Raitz (1803-1888) ausgehend von seinen Besitzungen in Mähren ausgebaut bzw. etabliert hatte. Das Wiener Firmenbuch von 1854 nennt neben der Eisenfabrik in Blansko und der Zuckerfabrik in Absdorf in Niederösterreich (jeweils mit Niederlagen in Wien) auch eine Eisengießerei & Maschinenbau-Anstalt in der Marxergasse. Hier wartete der Gartenpavillon im Anschluss an die Münchener Ausstellung auf einen Käufer. Die Salm’sche Gießerei in Blansko, nördlich von Brünn, zählte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu den bedeutendsten Produktionsstätten ihrer Art in der Österreichisch-Ungarischen Monarchie und war bereits auf der ersten Weltausstellung in London 1851 vertreten. Neben allen Arten von technischen Objekten und kunstgewerblichen Gegenständen – darunter auch Eisenmöbeln – wurde hier etwa 1852 das Hentzi-Denkmal für Budapest und 1853 das Kopal-Denkmal für Znaim gegossen, im selben Jahr entstand die bereits erwähnte Gruppe des Heiligen Georg im Kampf mit dem Drachen.
Ein weites Betätigungsfeld eröffnete sich durch die Wiener Stadterweiterung: Das Werk in Blansko lieferte nicht nur die bis heute erhaltene Einfriedung des Burg- und Volksgartens (1864), sondern auch die beiden Pegasus-Gruppen von Vincenz Pilz auf der Loggia der Hofoper (1869), deren Guss mit großen Schwierigkeiten verbunden war. Von Kaiser Franz Joseph wie auch vom Wiener Publikum als zu schwerfällig abgelehnt, wurden die Gruppen bald durch Skulpturen von Ernst Julius Hähnel ersetzt und nach Philadelphia verkauft, wo sie als „Flying Horses“ bis heute vor der Memorial Hall stehen. Im Stadtbild Wiens nach wie vor präsent ist dagegen eine der wohl längsten Lieferungen der Salm’schen Eisengießerei – das unverwechselbare, von Otto Wagner entworfene Stadtbahn-Gitter, das – heute grün, ehemals gebrochen weiß – vor allem entlang von Wienfluss und Gürtel das Stadtbild über viele Kilometer prägt.
Der Pavillon im Stadtpark bildete in der Produktpalette der Salm’schen Eisengießerei die Ausnahme – er war ein für die „Kunstindustrie“ des 19. Jahrhunderts typisches Ausstellungsobjekt, das vor allem das technische Können des Unternehmens bei der Umsetzung eines künstlerisch hochstehenden Entwurfes effektvoll vor Augen führen sollte. Sein Urheber, der Architekt Hermann Bergmann (1816-1886), hatte seine Ausbildung am Polytechnikum in Prag und an der Wiener Akademie der bildenden Künste genossen und war seit 1853 als Baubeamter im Innenministerium tätig. Zu seinen bekanntesten Werken zählen die St.-Elisabeth-Kirche auf der Wieden und die Kirche St. Johannes Evangelist am Keplerplatz in Favoriten. Bergmann, ein Vertreter der Neugotik, wählte für den über kreuzförmigem Grundriss errichteten eisernen Pavillon maurisch-gotische Ornamente. Die durchbrochenen, an Holzsägearbeiten ebenso wie an reich gemusterte Textilien erinnernden Formen schienen den Zeitgenossen gerade für Objekte aus Eisen angemessen - ein Material, das in den Augen der Kunstkritiker keine körperliche „Substanz“ besaß und daher für eine monumentale, aus dem Steinbau abgeleitete Formensprache ungeeignet war.
Überhaupt war das Eisen, von technischen Bauten abgesehen, lange Zeit hindurch nur für besondere Zwecke – etwa für Ausstellungsbauten wie den Londoner Crystal Palace und den Glaspalast in München – und an besonderen Orten zugelassen. Der Pavillon im Stadtpark war in dieser Hinsicht ein charakteristisches Beispiel für die häufige Anwendung von Eisenarchitektur in Gartenanlagen. Erst seit dem Ende des 19. Jahrhunderts konnte sich das Eisen – nicht zuletzt dank der Fortschritte in der Bautechnik – als vollgültiges Baumaterial, das vor den Augen der Betrachter nicht mehr verborgen werden musste, auch bei hochrangigen Bauten etablieren.
Der „Eisenpavillon“ wurde schon bald nach der Eröffnung des Stadtparks im August 1862 zu einem beliebten Treffpunkt – nicht nur wie eingangs erwähnt frühmorgens, sondern auch während des Tages. Eine typische Stadtpark-Szene mit elegant gekleideten Damen, spielenden Kindern und Gouvernanten hielt Franz Alt in einem Aquarell von 1866 fest, zu dem sich ein Skizzenblatt mit Studien für den Pavillon erhalten hat.
Der Pavillon war zugleich Bühne und Kulisse für Aufführungen aller Art – so etwa 1869, als sich täglich ein „ziemlich verwahrlost aussehendes Individuum“ im Park einfand, das „durch Absingen geistlicher Lieder, Vorlesen des Evangeliums etc.“ die Besucher belästigte und anschließend vom Pavillon aus dem anwesenden Publikum den Segen erteilte. Um 1900 schließlich wurde der Pavillon zum beliebten Ansichtskartenmotiv, das durch die in seiner Achse aufgestellte Skulpturengruppe „Befreiung der Quelle“ von Josef Heu 1903 noch zusätzlich an Attraktivität gewann.
Die vier ursprünglich in den Ecken des Pavillons aufgestellten Blumenvasen waren zu jener Zeit bereits verschwunden. Der Rest folgte nach dem Zweiten Weltkrieg, als der Pavillon 1945/46 demontiert und noch einige Zeit hindurch in einem städtischen Materialdepot gelagert wurde – dort verliert sich seine Spur. Auch im Stadtpark selbst finden sich keine Hinweise mehr. Wer aber am Ostufer des Stadtpark-Teichs entlanggeht, mag eine sanfte, plattformartige Ausbuchtung des Weges bemerken, und das diffuse Gefühl haben, dass hier etwas fehlt.
Literatur:
Eva Berger, Christian Hlavac: 150 Jahre Wiener Stadtpark – Erhaltenes und Verschwundenes, in: Denkma[i]l Nr. 13/2013
Eva Berger: Historische Gärten Österreichs. Garten- und Parkanlagen von der Renaissance bis um 1930. Band 3: Wien. Böhlau, Wien-Köln-Weimar 2004, S. 89–91
Christian Hlavac, Astrid Göttche, Eva Berger (Hg.): Historische Gärten und Parks in Österreich, Wien-Köln-Weimar 2011
Andreas Nierhaus (Hg.): Der Ring. Pionierjahre einer Prachtstraße (Ausstellungskatalog Wien Museum), Salzburg 2015
Andreas Nierhaus: Zeigen und Verbergen. Eisen im Monumentalbau des 19. Jahrhunderts am Beispiel der Arbeiten der Firma Ignaz Gridl für den Wiener Kaiserhof, in: Alfred Fogarassy (Hg.): Ignaz Gridl. Eisenkonstruktionen. Ingenieurbaukunst und Innovation im 19. Jahrhundert, Wien 2011, S. 91-99.
Elisabeth Springer: Geschichte und Kulturleben der Wiener Ringstraße (Die Wiener Ringstraße, Bd. 2), Wiesbaden 1979, S. 201-216
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