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Thomas Keplinger, 6.2.2023

Der Flakturm in der Stiftskaserne

Ein unbekannter Riese

Bis heute versinnbildlichen die monumentalen Flaktürme den Schrecken der NS-Zeit. Der zentralste, zugleich geheimste von ihnen ist der ehemalige Geschützturm in der Stiftskaserne General Spannocchi. Er war nicht nur militärischer Arbeitsplatz, sondern auch Luftschutzbunker für die Zivilbevölkerung. Bei Fliegeralarm bezog NS-Bürgermeister Hanns Blaschke im Turm seinen Befehlsstand, von dem aus er etwa mit dem „Schirach-Bunker" am Gallitzinberg kommunizierte.

Wie große graue Fremdkörper ragen die sechs Wiener Flaktürme paarweise aus dem Stadtbild hervor. Fünf von ihnen stehen relativ frei in Parks und werden teils gar nicht, teils friedlich genutzt. Der Turm in der Stiftskaserne hingegen entzieht sich fast allen Blicken und verschwindet aus dem Alltag. Nur aus der Entfernung betrachtet erscheint sein oberstes Stockwerk über den Dächern der Häuser.
 

Paarweise Türme

Insgesamt wurden im damaligen Deutschen Reich acht Turmpaare errichtet: drei in Berlin, zwei in Hamburg und drei in Wien. Zuständig für die Gestaltung aller Türme war der Berliner Architekt Friedrich Tamms, seine Vertretung in Wien war Robert Ruschitzka. Diese Bauwerke erfüllten primär zwei Aufgaben: Zum einen Schutz des Stadtkerns vor angreifenden Bomberverbänden, zum anderen Bereitstellung bombensicherer Luftschutzräume für die Zivilbevölkerung.

Nach Fertigstellung des ersten Turmpaars im Arenbergpark begannen im Oktober 1943 die Bauarbeiten zur Errichtung des Leitturms im Esterházypark und des dazugehörigen Geschützturms in der Stiftskaserne. Im Juli 1944 wurden auch diese beiden Betonkolosse in Betrieb genommen.

Die paarweise Errichtung dieser Bauwerke folgte einem klaren Prinzip: Radargeräte auf den Leittürmen maßen die Daten der anfliegenden Bomber, die an die Geschütztürme übermittelt wurden. Die Soldaten der Gemischten Turmflak-Abteilung 184 justierten entsprechend dieser Werte die Fliegerabwehrkanonen (Flak). Um die Feuerleitung zu vereinfachen, befanden sich die obersten Plattformen eines Flakturmpaars auf der gleichen Seehöhe – jeder Turm hat deshalb eine andere Bauhöhe.

Nur in Wien entstanden im Augarten und in der Stiftskaserne Geschütztürme der dritten Bauart. Diese unterschied sich im Vergleich zu den monströsen kubischen Geschütztürmen der ersten und zweiten Bauart, wie sie in Berlin, Hamburg und im Wiener Arenbergpark errichtet wurden, durch eine zylindrische Bauform mit sechzehneckigem Grundriss.

Die Erbauer der Türme

Wie weiter oben geschildert, entstanden die Wiener Flaktürme nach Plänen von Friedrich Tamms unter der Regie des Stadtbauamts. Der überwiegende Teil der Arbeitskräfte, die auf den Baustellen zum Einsatz kamen, bestand aus Kriegsgefangenen – dazu kamen Zivilarbeiter und Häftlinge aus Konzentrationslagern. Angehörige verschiedenster Nationen mussten hier schuften: Italiener, Franzosen, Belgier, aber auch Tschechen, Serben und Osteuropäer. Ihre Unterbringung erfolgte in Lagern. Den Baustellen im Esterházypark und in der Stiftskaserne am nächsten befand sich das „Lager IV“, auch „Lager Freihaus“ genannt. Es befand sich im mittlerweile nicht mehr bestehenden Gebäudekomplex zwischen Wiedner Hauptstraße 10 und Operngasse 13, etwa dort, wo heute Student*innen der Technischen Universität in den Büchern ihrer Bibliothek versinken. Die Arbeit auf den Baustellen der Flaktürme war gefährlich. Abstürze aus großer Höhe und Berichte anderer Unfälle sind überliefert. Viele Zwangsarbeiter verloren hier ihr Leben oder ihre Gesundheit.

Die militärischen Dienststellen im Flakturm in der Stiftskaserne

Da keine Gesamtpläne existieren, kann die räumliche Einteilung nur anhand der Organisation anderer Türme angenähert werden. Demnach dienten wahrscheinlich die oberen fünf Etagen dem militärischen Betrieb. In diesem Bereich richteten sich neben der 2. Batterie der bereits erwähnten Turmflak-Abteilung 184 das Flugwachkommando (Fluko) und das Warnkommando (Wako) ein. Das Fluko wertete die Messdaten des am Leitturm montierten Funkmessgeräts FuMG 65 aus, um ein umfassendes Bild der Luftlage zu erstellen. Hier arbeiteten der sogenannte Auswerteleiter, ein Fluko-Zugführer, ein Flak-Offizier, Flak-Soldaten und Luftnachrichtenhelfer*innen. Das Wako setzte vermutlich auf Grundlage der vom Fluko gewonnenen Erkenntnisse die Abwehr der anfliegenden Bomber in Gang. Vier von Stahlkuppeln überdeckte 12,8-cm-Zwillings-Flak ragten dann den Flugzeugen entgegen.
 

Der Bürgermeister im Flakturm

Die unteren vier Stockwerke des Turms dienten wohl der zivilen Nutzung. So gestaltete Tamms im vierten Stock Räume für die Reichspost, die für die Aufrechterhaltung der Kommunikation verantwortlich war sowie den Befehlsstand des Bürgermeisters Hanns Blaschke. Dessen sogenanntes Schnellkommando bestand aus Sekretärinnen, Fahrern, Meldern und Referenten, die ab 14. August 1944 bei Fliegeralarm ihre Arbeits- und Aufenthaltsräume im Turm aufsuchten.

Wie aber kamen die Angehörigen des Befehlsstabs im Alarmfall vom Rathaus zum Flakturm? Ein Schreiben vom August 1944 gibt zwar darüber Auskunft, allerdings trägt es den Vermerk „Überholt“. Demnach verloren die folgenden Informationen eventuell schon bald ihre Gültigkeit – dennoch zeigen sie, wie die Transportfrage ursprünglich gelöst war: In der Zentralgarage des Rathauses musste jederzeit ein Daimler Rüstwagen aufgetankt bereitstehen. Deutete die Luftlage auf den Einflug alliierter Flugzeuge hin, versetzte die Telefonzentrale des Rathauses die Zentralgarage in erhöhte Aufmerksamkeit, worauf sich der Wagen in den Hof 3 des Rathauses bewegte. Kündigten die Sirenen den definitiven Anflug von Flugzeugen an, so begaben sich Bürgermeister und Befehlsstab zu diesem Rüstwagen und fuhren zum Flakturm, der über eine LKW-Einfahrt verfügte.

Etwa ab Mitte Oktober forderte Blaschke nach Luftangriffen die Übermittlung von Schadensmeldungen in seinen Befehlsstand, um sich einen Überblick über die Lage zu verschaffen. Zu diesem Zweck erfolgte hauptsächlich in den Bezirkshauptmannschaften, verschiedenen Amtsstellen, aber auch in den Gas-, Wasser- und E-Werken sowie im Krankenhaus Lainz die Einrichtung von Meldeköpfen. Diese sammelten die Meldungen und übermittelten sie an den Bürgermeister im Flakturm. Nach jedem Luftangriff fand eine Lagebesprechung im Befehlsstand statt – nach Tagangriffen um 20 Uhr, nach nächtlichen Angriffen um 11 Uhr. Außer dem Bürgermeister nahmen Vertreter städtischer Dienststellen und die Bezirkshauptmänner der bombengeschädigten Bezirke daran teil, um die dringendsten Sofortmaßnahmen zu besprechen.

Zum Zwecke der Kommunikation zwischen den höchsten Behörden im Raume Wien bestand zwischen Baldur von Schirachs Gaubefehlsstand am Gallitzinberg und Blaschkes Befehlsstand im Flakturm eine Telefonleitung. Diese verlief über die Telefonzentrale des Rathauses, wodurch infolge der starken Beanspruchung nach Luftangriffen die Verbindung zwischen „Schirach-Bunker“ und Flakturm verzögert oder gar nicht zustande kam. Erst Ende Oktober 1944 löste die Gemeindeverwaltung das Problem in Zusammenarbeit mit der Reichspost durch die Verlegung einer direkten Leitung zwischen den beiden Befehlsständen.
 

Menschen im Schutzraum

Blaschke und sein Befehlsstab waren nicht die einzigen Zivilisten im Turm. Manfried Rauchensteiner erwähnte in seinem Büchlein „Die Stiftskaserne. In Krieg und Frieden“ die Zahl von etwa 16.000 Schutzsuchenden, die im Geschützturm Platz fanden. Diese Menge erscheint vielleicht etwas hoch gegriffen, Zeitzeugen zufolge füllten aber die Menschen eng aneinander gedrängt jeden verfügbaren Raum, sodass zweifellos viele Tausend Schutzsuchende stundenlang im Turm auf das Ende des Fliegeralarms warteten.

Mit zunehmender Intensität des Luftkriegs stieg der Wert bestehender Luftschutzanlagen. Deshalb ordnete Hitler an, der Zivilbevölkerung keine weiteren Schutzräume durch bombensichere Verlagerungen von Rüstungsbetrieben oder anderer Interessenten zu entziehen. Das galt auch für die Wiener Flaktürme, in denen gesamt etwa 40.000 Personen Schutz fanden (* Eine Ausnahme von dieser Regelung bildete der Geschützturm im Augarten, dessen Schutzräume die Bevölkerung offenbar schon vor seiner Fertigstellung aufsuchte. Dieser Turm wurde ab Ende November 1944 für die zivile Nutzung gesperrt. Auch der dazugehörige Leitturm stand nur Frauen mit Kindern und Personen älter als 65 Jahre zur Verfügung.)

Die Auswirkungen des oben erwähnten Hitler-Erlasses bekam Regierungspräsident Hans Dellbrügge im Dezember 1944 zu spüren. Trotz des Hinweises auf die entscheidende militärische Bedeutung erntete er eine Absage des Stadtbauamts, als er Schnellpressen einer kartographischen Dienststelle im Flakturm unterbringen wollte. Ob möglicherweise schon kurz nach der Eröffnung des Turms Rüstungsbetriebe ihre Produktionsstätten hierher verlagerten, ist nicht im Detail bekannt. Überliefert blieb hingegen die „Anregung“ einer Mitarbeiterin des damaligen Deutschen Roten Kreuzes von März 1945. Sie beschwerte sich beim Bürgermeister über die abfällig sogenannten „Bunkerwanzen“. Damit meinte sie unter Berufung auf den Wiener Volksmund jene Menschen, die aus Angst vor Luftangriffen schon frühmorgens „mit Sack und Pack in den Stiftsbunker fahren“. Kontrollen der Fahrgäste in den überlasteten Straßenbahnen, so meinte sie, könnten dieses Verhalten beenden. Wegen Undurchführbarkeit und der bevorstehenden „Neuordnung des Bunkerbetriebes“ kam ihre vorgeschlagene Maßnahme nicht zur Anwendung. Anscheinend dachte Blaschke an strengere Zutrittsregeln für die Schutzräume im Flakturm.

Ein kurzer Blick in die Nachkriegszeit

Mitte April 1945 war der Krieg in Wien zu Ende. Die Turmflak-Batterie hatte in tagelangem Dauerfeuer so gut wie alle noch lagernden Granaten gegen das Vorrücken der Roten Armee abgeschossen, ehe sie am 8. April das Feuer einstellte. Nach Kriegsende quartierte sich bis Ende Juni 1945 die sowjetische Besatzungsmacht in der Stiftskaserne ein, ab September dieses Jahres die Amerikaner mit Infanterie-, Pionier- und Militärpolizei-Einheiten sowie dem „Provost Marshal of Vienna“. Der Flakturm wurde nun als Depot für Geräte, Treibstoffe und Munition verwendet.

Zahlreiche Aufschriften dieser Zeit blieben am Turm erhalten. Rauchensteiner entdeckte in den 1970er Jahren etwa „One Way“, „No Parking“, „Exit“ und „East“, während 2021 „One Way“, „Exit“ und „North“ unter den Ranken des wilden Weins, der den grauen Beton heute überwuchert, zu erkennen waren. Unsichtbar darunter verborgen befinden sich gemäß Rauchensteiners Bericht außerdem weitere Aufschriften aus der NS-Zeit über den entsprechenden Eingängen, nämlich „Nur für Wehrmachtpersonal und Körperbehinderte“ sowie „Nur für Turmbatterie“. Ähnliche Hinweise sind heute noch an den Türmen im Arenbergpark zu finden.

1955 zog das Österreichische Bundesheer wieder in die Stiftskaserne ein. Der Flakturm, in dem heute das Informations-Kommunikations-Technologie-(IKT-) und Cybersicherheitszentrum untergebracht ist, gilt als militärisches Sperrgebiet.

Aufschriften aus der Besatzungszeit

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Grau in graue Aufschriften lassen sich nach jahrzehntelanger Verwitterung erst dank elektronischer Bildbearbeitung in gut lesbare Form bringen. Foto und digitale Bildbearbeitung: Thomas KeplingerGrau in graue Aufschriften lassen sich nach jahrzehntelanger Verwitterung erst dank Bildbearbeitung in gut lesbare Form bringen. Foto und digitale Bildbearbeitung: Thomas Keplinger

Quellen und Danksagung

Die Inhalte des Artikels beruhen auf Akten der Magistratsdirektion im Wiener Stadt- und Landesarchiv, Akten des Österreichischen Staatsarchivs sowie Marcello La Speranzas Buch „Flakturm-Archäologie“ (Berlin 2012) und dem Artikel „Mahnmale des Bombenkrieges“ (Magazin Truppendienst 2018) von Gerold Keusch.

Ich danke dem Österreichischen Bundesheer für die Genehmigung, die Aufschriften am Flakturm fotografieren und veröffentlichen zu dürfen. Marcello La Speranza gilt mein Dank für die Übersendung der Schiffmann-Bilder und die Erlaubnis, sie für diesen Artikel zu verwenden. Weiters danke ich Monika Grußmann vom Bezirksmuseum Neubau für die freundliche Beratung und den freien Zugang zu Archiv und Bibliothek. 

Thomas Keplinger hat Geschichte an der Universität Wien studiert. Er betreibt das detailhistorische Forschungs- und Dokumentationsprojekt „Worte im Dunkel“. Darin widmet er sich in Form eines Blogs Beschriftungen, Graffiti, Schildern, Aushängen, Zeichnungen und Symbolen des Zeitraums zwischen 1932 und 1955, die noch heute dort anzutreffen sind, wo sie einst angebracht oder aufgehängt wurden.

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Kommentare

Manfred Chobot

Sehr geehrter Herr Keplinger,
am 13. April 1985 hat der ORF Wien in der Sendereihe die "Donauwelle" das Feature "Totem und Tabu - Die Wiener Flaktürme" gesendet. Es dokumentiert eine Begehung des Flakturms im Arenbergpark, ein Interview mit dem Architekten Robert Ruschitzka, ein Gespräch mit Bürgermeister Zilk und vieles andere mehr. Ich besitze eine digitale Kopie der Sendung. Eine bearbeitete Textfassung enthält mein Buch "Lebenslänglich Wichtelgasse, Wiener Erkundungen" (Löcker Verlag 2012).
Mit herzlichen Grüßen, Manfred Chobot