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Alexander Juraske, 15.6.2023

Der Fußball-Nationalspieler Otto Fischer

Bewundert, ermordet, vergessen

Otto Fischer war ein „Absolvent“ der weltberühmten „Wiener Schule“ des Fußballs in der Zwischenkriegszeit. Er spielte u.a. bei der Vienna und bei Hakoah, trug siebenmal das Trikot der Nationalmannschaft und feierte nach seinem Karriereende Erfolge als Fußballtrainer in der lettischen Hafenstadt Liepāja. Dort wurde er 1941 von den Nationalsozialisten verhaftet und erschossen.

Das Ereignis des Vienna-Hakoah Spieles war das vierte Tor, das Fischer, ebensogut als „Schloime“ bekannt, zustande brachte... Einige Meter nach der Mittellinie trat er die Tour ins Feindesland an und bekam es mit allen auf der rechten Seite stationierten Mannen Hakoahs zu tun. Ueber Heß ging er hinweg, als ob überhaupt kein Gegner dastünde, dann kam Scheuer an die Reihe… Als Scheuer erledigt war, stürzte Fabian aus dem Kasten, auch er wurde überspielt… Schon war der Weg zum Erfolg frei, da tauchte noch ein Hindernis auf, Guttmann war herbeigesprungen, er konnte aber Fischer nur durch einen Rempler zum Wanken bringen, den Ball behielt der Vienna-Mann vor sich, und endlich folgte dann auch der alles krönende Schuß.
 

Das schrieb das Sport-Tagblatt am 30. März 1926 auf seiner Titelseite über ein Tor von Otto „Schloime“ Fischer für den First Vienna Football-Club beim 5:4-Sieg über den Sportclub Hakoah. 25.000 Zuschauer hatten das Spiel im Stadion Hohe Warte verfolgt. Vor den Zuschauermassen auf der Hohen Warte war Edeltechniker Otto Fischer in seinem Element und dribbelte so auch in das österreichische Nationalteam, dessen Farben er siebenmal trug.

Ein Bub aus Favoriten

Otto Fischer wurde am 1. Jänner 1901 als fünftes und jüngstes Kind in die jüdische Familie von Heinrich und Netty Fischer, die beide aus Mähren nach Wien gekommen waren, geboren. In der Familie wurde die jüdische Religion aktiv gelebt und die Feiertage eingehalten. Fischers Vater Heinrich, ein überzeugter Sozialdemokrat und Gewerkschaftsmitglied, arbeitete als Vertreter bei einer Favoritner Spirituosen Firma. Seine Mutter Netty führte den Haushalt der Familie, die in der Buchengasse 44 in Favoriten wohnte. „Schloime“, der Jüngste, war der Liebling seiner sonst strengen Mutter.

Schon als Kind jagte Fischer mit seinen Freunden in den Gassen und „Gstetten“ Favoritens dem „Fetzenlaberl“ nach. Als Jugendlicher schloss er sich zunächst dem Sportclub Hertha an, der für seine ausgezeichnete Jugendarbeit bekannt war. Der bekannteste unter den jungen Herthanern war ein gewisser Matthias Sindelar, der in der ebenfalls im 10. Wiener Gemeindebezirk befindlichen Quellenstraße aufwuchs.

1917 schaffte der junge Fußballer Otto Fischer den Sprung in die Kampfmannschaft der Hertha und etablierte sich auf der Position des linken Außenstürmers sofort zum Stammspieler.

Die Anfänge der Karriere von Otto Fischer fielen in eine Zeit, als der Fußballsport in Wien ein Massenphänomen wurde. Damit bot sich vielen Spielern aus ärmeren Bevölkerungsschichten – viele von ihnen stammten wie Fischer aus einer der vielen in Wiener Arbeiterbezirken lebenden böhmisch-mährischen Familien –, die Möglichkeit gutes Geld in wirtschaftlich turbulenten Zeiten zu verdienen. Obwohl noch Amateursport, floss immer mehr Geld in den Fußball. Auch in der Ersten Tschechoslowakischen Republik nahm die Popularität des Fußballsports rasant zu. Im Gegensatz zu Österreich war auch die ökonomische Lage in der Tschechoslowakischen Republik stabiler. So gingen einige Spieler aus Wien in den Nachbarstaat. Auch Otto Fischer nahm 1920 kurzzeitig ein Angebot des deutschböhmischen Karlsbader FK an.
 

Nationalspieler

Doch schon im August 1921 kehrte er wieder zu seinem Stammverein Hertha zurück und landete schließlich im Sommer 1922 beim First Vienna Football-Club. Schon bei seinem Debüt Mitte Oktober gegen den Sportclub Hakoah fiel der junge Flügelstürmer mit blendender Technik und brillanten Läufen auf. Im neuen Umfeld einer nationalen Spitzenmannschaft brillierte Fischer und spielte sich auch ins Notizbuch von Bundeskapitän Hugo Meisl, der ihn im September 1923 erstmals in die österreichische Nationalmannschaft berief. Am 23. September 1923 feierte er dort sein Debüt in der österreichischen Nationalmannschaft gegen Ungarn. Am 5. Mai 1925 gegen Ungarn folgte sein dritter Einsatz mit dem Adler auf der Brust. Beim 3:1-Sieg Österreichs über Ungarn vor 45.000 Zuschauern bereitete Fischer alle drei Tore der Gastgeber vor.

Wechsel zu Hakoah

Kurz zuvor war mit Start der Saison 1924/25 in Österreich, dem ersten europäischen Land außerhalb der britischen Inseln, der Profifußball eingeführt worden. Zwar gehörte die Vienna zu den besten Wiener Mannschaften, doch mit zwei Vizemeisterschaften und dem zweimaligen Einzug ins Cupfinale, wobei man beide Finalspiele verlor, blieb Otto Fischer mit seinem Verein ein Titelgewinn verwehrt. Um eine neue Herausforderung zu suchen, wechselte er im Herbst 1926 für die Ablöse von 2.500,- Schilling zum Sportclub Hakoah. Dieser Betrag entsprach mehr als dem Zehnfachen des für 1926 staatlich festgesetzten Existenzminimums eines männlichen, ledigen Industrieangestellten von 200,- Schilling im Monat.

Der bekannteste jüdische Sportverein Wiens hatte 1925 die erste Profimeisterschaft gewonnen, befand sich in finanziellen Schwierigkeiten und war aufgrund des Weggangs einiger Leistungsträgers in einer Phase personellen Umbruchs. Mit der Hakoah nahm Otto Fischer an der zweiten Nordamerika-Reise teil, bei der 19 Spiele in den USA und Kanada absolviert wurden. Mit guten Leistungen machte er derart auf sich aufmerksam, sodass ihn sogar der New York Giants F.C. verpflichten wollte. Der Transfer kam allerdings nicht zustande, weil die Hakoah eine Ablösesumme von 7.000, - Schilling verlangte, die die US-Amerikaner nicht zu zahlen bereit waren. Da die Nordamerika-Tournee in finanzieller Hinsicht ein Verlustgeschäft war, vergrößerten sich die wirtschaftlichen Turbulenzen der Hakoah. Im Winter 1927 musste sie deshalb arrivierte Spieler abgegeben. Auch Otto Fischer hatte die Hakoah zu verlassen und übersiedelte zum Sportclub Wacker.

Mit dem Meidlinger Verein fand er zu alter Stärke und beendete die Meisterschaft auf dem vierten Rang. Aufgrund seiner hervorragenden Leistungen spielte er sich erneut ins österreichische Nationalteam. Am 28. Oktober 1928 kam er beim Länderspiel gegen die Schweiz vor 40.000 Zuschauern zu seinem siebenten Einsatz. Doch es sollte sein letzter sein: Schon nach 15 Minuten erlitt Fischer nach einem Foul eine schwere Knieverletzung, die ihn für die gesamte Saison ausfallen ließ. Im Sommer 1929 kehrte er zum Sportclub Hakoah zurück. Doch schon bei seinem ersten Meisterschaftseinsatz für die Hakoah, brach nach fünf Minuten die Knieverletzung auf und verhinderte seinen Einsatz. An eine Fortsetzung der Karriere war nicht mehr zu denken. Nach 13 Saisonen in der obersten Spielklasse beendete Otto Fischer im Alter von 29 Jahren seine aktive Laufbahn. In 173 Meisterschaftsspielen hatte er 52 Tore erzielt und im Zeitraum zwischen 1923 und 1928 siebenmal das österreichische Nationaltrikot getragen. Zu seinen besten Zeiten gehörte er zu den bekanntesten Spielern Österreichs, dessen technischen Einlagen und Sturmläufe das vom Publikum begeisterte. Als Person öffentlichen Interesses, die der Spitzname „Schloime“ als Juden identifizierte, hatte Otto Fischer aber auch zahlreiche für Wien so typischen antisemitischen Anfeindungen, erlebt.

Absolvent der „Wiener Schule“

Auch nach dem Ende seines aktiven Sportlerlebens, sollte sich in Fischers Leben weiterhin alles um den Fußballsport drehen und folgerichtig wechselte er vom Spielfeld auf die Trainerbank. Ehemalige Spieler aus Österreich waren Vertreter der „Wiener Schule“ und daher als Trainer im Ausland höchst begehrt. Sie galten als Exportschlager der Ersten Republik zumal nur wenige hauptamtliche Stellen in Österreich verfügbar waren. Viele ehemalige Spieler wanderten daher ins Ausland ab. Dabei halfen Beziehungen und Netzwerke zu ehemaligen Mannschaftskollegen oder Trainern, über die Jobangebote oder Empfehlungen weitergeleitet wurden. Fischers Weg führte ihn zunächst zum FK Macva nach Nordserbien, dann zum böhmischen DSV Saaz sowie zwischenzeitlich zu HSK Concordia Zagreb. Bei all seinen Stationen, über die in den Wiener (Sport-)Zeitungen regelmäßig berichtet wurde, legte der ehemalige Nationalspieler seine Schwerpunkte auf die Weiterentwicklung der technischen Fertigkeiten seiner Spieler, die es ihnen ermöglichen sollte, einen technisch hochwertigen Angriffsfußball im Sinne der Wiener Schule zu spielen.

1936 erhielt Fischer ein Angebot von Olimpija (Olympia) aus der Hafenstadt Liepāja (Libau) und wechselte schließlich in die drittgrößte Stadt Lettlands. Ein Viertel der 65.000 Einwohner Liepājas war deutschsprachig und auch die jüdische Gemeinde der Stadt war wie vielerorts in Lettland integraler Bestandteil des gesellschaftlichen Lebens. Allerdings wuchsen auch im Baltikum der 1930er Jahre Antisemitismus und die Fremdenfeindlichkeit. Fischers Verpflichtung nach Lettland war kein Zufall, denn er konnte auf sein Netzwerk aus Wien zurückgreifen, mehrere ehemalige Herthaner arbeiteten zu diesem Zeitpunkt bereits als Trainer in Lettland. 

Fischer setzte beim Training des ihm anvertrauten Vereins auf eine angepasste Variante des Kurzpassspiels der „Wiener Schule“. Derart konnte er mit Olimpija die Vorherrschaft der Vereine aus der lettischen Hauptstadt Riga brechen. Der kompromisslose Offensivfußball führte 1936 sowie 1938 schließlich sogar zur Meisterschaft: Von Ovationen des dankbaren Publikums begrüßt verlassen Olympias Meisterspieler, ihren Trainer auf den Händen tragend, das Feld. Olympia hat sich diesen Sieg und damit die Meisterschaft Lettlands, gegen die stärkste Konkurrenz, im wahrsten Sinne dieses Wortes, erkämpft, schrieb die Libausche Zeitung am 23. Mai 1938 nach Spielende über den meisterschaftsentscheidenden 4:0-Sieg über den Mitkonkurrenten Rigas FK.
 

Verfolgung und Tod

In Liepāja war Otto Fischer eine rundum bekannte und verehrte Persönlichkeit des öffentlichen Lebens und er verlebte die schönste Zeit seiner Trainerkarriere in der Stadt an der Ostsee. In den Wintermonaten, wenn die Fußballsaison in Lettland ruhte, besuchte er seine Familie in Wien. Als er nach einem Besuch im Winter 1937/1938 seine Familie und Wien am 26. Jänner 1938 Richtung Lettland verließ, sollte es jedoch ein Abschied für immer sein. Durch den „Anschluss“ Österreichs an Nazideutschland im März 1938 war für den jüdischen Wiener eine Rückkehr unmöglich. Zunächst war Lettland noch ein sicheres Drittland, es wurde 1938/1939 zu einem der letzten Zielorte jüdischer Flüchtlinge, dass eine Einreise ohne Visum gestattete.

Mit Abschluss des deutsch-sowjetischen Nichtangriffsvertrags und der daran anschließenden territorialen Umgestaltung Osteuropas fiel das Baltikum vorerst in den sowjetrussischen Machtbereich. Am 16. Juni 1940 marschierte die Rote Armee in Lettland ein. Der sowjetische Terror folgte, der im Gegensatz zu den Nationalsozialisten seine Opfer unabhängig ihrer „rassischen“ Zugehörigkeit betraf. Wie alle Bereiche des täglichen Lebens wurde auch der Sport „sowjetisiert“: Aus den führenden Vereinen wurden Dinamo-Mannschaften und ihre Spieler wurden zum Heer einberufen. Am 10. Juni 1941 heiratete Fischer seine Lebensgefährtin, die jüdische Lettin Anna Lemkina, die aus der Nähe von Liepāja stammte. Zwar blieb er Trainer, aber sein Status als deutschsprachiger Ausländer war prekär. Mit dem „Unternehmen Barbarossa“ erfasste der Zweite Weltkrieg endgültig das Baltikum und Lettland wurde ohne große Gegenwehr Ende Juni-Anfang Juli 1941 von Nazi-Deutschland überfallen und besetzt.

Sofort startete die Jagd auf Juden und Jüdinnen wie Kommunisten und Kommunistinnen. Schon am 4. Juli 1941 erfolgten in Liepāja die ersten Erschießungen durch nationalsozialistische Einsatzgruppen unter Beteilung lettischer Hilfspolizisten. In den nächsten Monaten folgen weitere Massaker. Auch Fischer wurde verhaftet. Funktionäre seines Sportvereins versuchten vergeblich bei den Besatzern zu intervenieren. Im Laufe des Juli 1941 soll Otto Fischer laut herrschender Annahme im Zuge von Massenerschießungen ermordet worden sein. Neuesten Erkenntnissen von Ilana Ivanova, Direktorin der Liepaja Jewish Heritage Foundation, zufolge, die derzeit Gegenstand einer Überprüfung sind, geht man allerdings von einem späteren Todeszeitpunkt aus. Auch Anna Fischer fiel den Nationalsozialisten zum Opfer. Über 90.000 Jüdinnen und Juden wurden insgesamt in Lettland ermordet. Darunter befanden sich die einheimische jüdische Bevölkerung, jüdische Flüchtlinge, die sich schutzsuchend in Lettland aufhielten, sowie Juden und Jüdinnen, die nach Lettland deportiert worden waren.

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Auch der Großteil von Fischers in Wien lebender Herkunftsfamilie wurde durch die Nationalsozialisten ermordet. Seine Mutter Netty Fischer wurde 1943 im Ghetto Theresienstadt umgebracht. Sein Bruder Hugo Fischer sowie dessen Ehefrau Ilona und die gemeinsame Tochter Gerda überlebten die 1942 erfolgte Deportation ins Konzentrationslager Auschwitz nicht. Lediglich seine Schwester Ernestine und ihre beiden Kinder Paul und Alice überlebten den nationalsozialistischen Terror. Sein Schwager Robert verstarb nach der Befreiung Mitte Mai 1945 in Theresienstadt.

Nach 1945 geriet Otto Fischer, der gebürtige Wiener und jüdische Spieler mit der höchsten Anzahl an Länderspieleinsätzen für Österreich, in Vergessenheit.
 

Literatur:

Alexander Juraske, Otto Fischer – Eine biografische Erinnerung an einen vergessenen Fußballstar aus Wien, in: Wiener Geschichtsblätter 77. Jahrgang, Heft 4/2022, S. 261 – 291.

Alexander Juraske, freier Historiker, Studium der Geschichte und Alter Geschichte in Wien und Athen. Forschungsschwerpunkte: Sport- und Fußballgeschichte sowie Wiener Stadtgeschichte. Zuletzt (zusammen mit Agnes Meisinger und Peter Menasse) Hans Menasse – The Austrian Boy. Ein jüdisch-österreichisches Leben zwischen Wien, London und Hollywood, Wien 2019. Aktuelles wissenschaftliches Projekt „Der First Vienna Football Club in der Zeit des Nationalsozialismus“ (Arbeitstitel).

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