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Der Goldene Sonntag
Zwischen „Milliarden-Umsätzen“ und „bitterer Enttäuschung“
„Glückliches Berlin!“: Mit dieser Schlagzeile betitelte das Neue Wiener Tagblatt am 27. Dezember 1888 einen Beitrag zum „Goldenen Sonntag“. Denn anders als in Wien gab es in der deutschen Hauptstadt am Sonntag vor Weihnachten bis in den Abend hinein geöffnete Geschäfte, die – so das Blatt – die Erwartungen des Handels voll erfüllten und „zu ungezählten Tausenden (…) an diesem Tage das Geld in die Kassen der Berliner Geschäftsleute“ rollen ließ.
Die Wiener Geschäftswelt wollte von diesem Erfolgsmodell ebenfalls profitieren. Hier hatten die Geschäfte seit der 1885 erlassenen Novelle zur Gewerbeordnung am Sonntag ab 12.00 Uhr Mittag zu schließen. Die Wiener Kaufmannschaft bemühte sich zwar, eine Ausnahmeregelung für den Sonntag vor Weihnachten zu erwirken. 1888 machte sie mit Unterstützung von Bürgermeister und Gemeinderat eine Eingabe beim Handelsminister. Die Bemühungen scheiterten jedoch zunächst noch: „Kein goldener Sonntag – eiserne Sonntagsruhe“, hieß es in Wien.
Doch 1893 war er schließlich so weit: Anfang Dezember wurde die Verordnung über die Sonntagsruhe für den Sonntag vor Weihnachten außer Kraft gesetzt. Dem Handel war es somit gestattet, bis 7.00 Uhr abends Geschäfte zu machen. Dass dies unbedingt notwendig sei, hatte Mitte November einmal mehr das Neue Wiener Journal bekräftigt: „Aber die Mehrheit entschließt sich erst im letzten Augenblicke und so kommt es, daß, je näher das Fest heranrückt, desto stärker der Andrang in den Geschäften wird.“ Dementsprechend jubelte das Neue Wiener Tagblatt über die neue Regelung und schrieb am 11. Dezember 1893: „Es wäre eine kaum zu berechnende Summe an entgangenem Gewinn gewesen, wäre diese Verordnung nicht erfolgt.“
Der Erfolg scheint den Bemühungen der Geschäftswelt recht zu geben. Die Neue Freie Presse resümierte am 27. Dezember 1893: „Ein unbeschreibliches Gewühl herrschte auf dem Kohlmarkt, Graben und in der Kärntnerstraße. In dieser Straße war es in den Abendstunden stellenweise schwer, weiter zu kommen; die Wagen bewegten sich nur im Schritt vorwärts. (…) aus den Bezirken und den alten Vororten waren Tausende in die Stadt gezogen, um die Herrlichkeit der glänzend erleuchteten Auslangen zu bewundern. Das Gewühl dauerte bis gegen 7 Uhr Abends (…) Nicht blos in der inneren Stadt, wo in einzelnen großen Niederlagen ein bedeutender Umsatz erzielt wurde, sondern auch in den Bezirken hat sich der ‚goldene Sonntag‘ glänzend bewährt, denn thatsächlich haben viele Festspender den freien Tag abgewartet, um ihre Auswahl zu treffen.“
Daher blieb der Goldene Sonntag von 1893 – selbst nach Einführung des Sonntagsruhegesetzes von 1895 – keine Ausnahme. Auch das mediale Interesse riss nicht ab, Jahr für Jahr wurde über den Goldenen Sonntag berichtet. 1897 brachte er den Händlern laut dem Abendblatt Das Vaterland eine „bittere Enttäuschung“. 1899 herrschte laut Neuem Wiener Journal in den Abendstunden ein „riesiges Gedränge“ und die Österreichische Illustrierte Zeitung bezeichnete den Goldenen Sonntag im Jahr 1900 als „Der Sonntag der Freude“. Oft wurden Erfolg oder Misserfolg des Handelstags mit dem Wetter in Verbindung gebracht. Gab es mildes, freundliches Wetter, lockte es „ungezählt Tausende“ zum Einkauf. War das Wetter schlecht, konnte der Sonntag höchstens als „leichtvergoldeter Sonntag“ bezeichnet werden oder war gar „ein recht trauriger Goldener Sonntag“. Der Goldene Sonntag – der auch am Heiligen Abend selbst sein konnte – wurde allerdings nicht von allen Medien gepriesen. Die Arbeiter-Zeitung von 1903 kritisierte den Geschäftsgewinn als „falsches Gold“ und sah die Handlungsgehilfen gezwungen, „in diesen Wochen der längsten Arbeitszeit und der schwersten Arbeit des Sonntags zu entbehren.“
Trotz kritischer Bemerkungen waren der Goldene Sonntag und der inzwischen ebenfalls eingeführte Silberne Sonntag – der zweite Einkaufssonntag vor Weihnachten – bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs allgemein beliebte und positiv besetzte Einkaufstage. Auch 1914 war die Stimmung mehrheitlich noch gut. Laut dem Neuen Wiener Tagblatt entwickelte sich der Goldene Sonntag besser als zu erwarten war. Auch auf sogenannte „Liebesgaben“ für Soldaten im Feld wurde mittels Feldpostsendungen geachtet. Jedoch wurden diese bereits am Beginn der Weihnachtssaison berücksichtigt, damit sie zu Weihnachten auch wirklich ankamen.
Nachdem der Krieg bereits 1914 erste Schatten auf das Weihnachtsgeschäft geworfen hatte, wurden diese in den Folgejahren durch die politischen und wirtschaftlichen Ereignisse immer größer. 1918 sind in der Berichterstattung über den Goldenen Sonntag Ernüchterung, Wehmut, Melancholie und sogar Galgenhumor spürbar.
Die Lage blieb auch in den Folgejahren unstet. 1928 wurde der Goldene Sonntag (noch) mehrheitlich positiv bewertet. Das Kleine Blatt titelte am 24. Dezember überschwänglich: „Ein glänzender ‚Goldener Sonntag‘ – Milliardenumsätze“. Die Illustrierte Kronen-Zeitung vermeldete ebenfalls „Rekordumsätze“ und „endlose Prozessionen von Kauflustigen“. Nur die kommunistische Zeitung Die Rote Fahne kritisierte die schwierige Lage der Arbeiterschaft, das Heer an Arbeitslosen, die Teuerungsrate und die verfehlte Wirtschaftspolitik Österreichs.
Als einen Goldenen Sonntag „der Billigkeit und der gesunkenen Kaufkraft der breiten Schichten der Bevölkerung“ sah die Arbeiter-Zeitung den Einkaufstag des Krisenjahres 1929. Sie prognostizierte „ein Weihnachtsfest der schweren wirtschaftlichen Depression und der schrecklichen Arbeitslosigkeit“. In der Geschäftswelt wurde scheinbar mit Preisreduzierungen um Kunden geworben. Das Modenpalais Julius Krupnik in der Kaiserstraße warb am Goldenen Sonntag beispielswiese mit „rücksichtslos reduzierte(n) Preise(n)“.
Einer schleppenden Erholung in den 1930er Jahren folgte mit dem Zweiten Weltkrieg die nächste Katastrophe. Wie dem Neuen Wiener Tagblatt 1939 zu entnehmen ist, gab es inzwischen – vermutlich seit 1933 – auch einen Kupfernen Sonntag, der den dritten Einkaufssonntag vor Weihnachten bezeichnete. Allerdings dürfte sich dieser Einkaufstag nicht als fixe Größe im Weihnachtsgeschäft etabliert haben.
Das erste Weihnachtsfest nach dem Krieg verdeutlicht die triste wirtschaftliche und soziale Not. Die Österreichische Volksstimme titelte am 20. Dezember 1945: „Reduzierter Weihnachtsrummel – Kein silberner und kein goldener Sonntag“ und folgerte: „Wer heuer seinen Lieben etwas kaufen will, hat viel Mühe, bis er überhaupt ein Geschenk findet.“ Der Handel war auf ein Minimum an Gütern reduziert: „Originell muten aus der Kriegszeit zurückgebliebene Verdunkelungsrouleaus an. Sie sind zwar durch aufgemalte Arabesken und andere Verzierungen verschönt, doch was soll man mit diesem Requisit anfangen?“
Vier Jahre nach Kriegsende zeichnete sich bereits ein ganz anderes Bild vom Goldenen Sonntag ab. Ein Foto von der Mariahilfer Straße zeigt, wie sich an diesem Tag Menschenmassen in der Einkaufsstraße drängten. Wie die Zeitung Neues Österreich am 20. Dezember 1949 berichtete, ging es hier „zeitweise ausgesprochen lebensgefährlich zu“. Jeder Käufer „mußte sich drängen und quetschen, er mußte schieben und sich schieben lassen, um vorwärts zu kommen.“ Aber nicht nur hier, auch in anderen Geschäftsstraßen der Stadt herrschte reger Einkaufsbetrieb. Besonders begehrte Artikel waren dem Zeitungsbericht zufolge „Nylons und Pelzschuhe“: „Wer Strümpfe anzubieten hatte, machte an diesem Goldenen Sonntag das beste Geschäft. Man könnte meinen, daß alle Wienerinnen bis zum Samstag bloßfüßig herumgelaufen sind, so groß war die Nachfrage.“ Auch vor dem Stephansdom entwickelte sich eine Menschenschlange, um für 5 Schilling eine Postkarte samt Sonderstempel zu ergattern. Mit jedem Postkartenkauf wurde der Kauf eines Dachziegels für die Wiedererrichtung des Stephansdomes unterstützt. So fanden an diesem Einkaufssonntag „1500 Dachziegel ihre Abnehmer“.
Der Wirtschaftsaufschwung der nächsten Jahre machte den Goldenen Sonntag rasch wieder zu einer neu belebten Selbstverständlichkeit im Weihnachtsgeschäft. Ingeborg Bachmann widmete sogar eine Folge der „Radiofamilie“ dem Goldenen Sonntag und ließ die Protagonisten des Hörspiels, Frau Vilma und Frau Liesl Floriani, neben anderen „kaufwütigen Damen“ im Gedränge der Großkaufhäuser herumschwirren. Gesendet wurde das Hörspiel – wenig überraschend – am Goldenen Sonntag 1952.
Der letzte Goldene Sonntag – ebenso wie der letzte Silberne Sonntag – fand in Wien zur Weihnachtszeit 1960 statt. Im November 1961 hob der Wiener Landeshauptmann Franz Jonas die Verordnung zu den „Sonderbestimmungen über die Sonntagsarbeit im Kleinverkauf am Silbernen und Goldenen Sonntag“ auf. Damit musste der Handel an den Sonntagen vor Weihnachten geschlossen bleiben. Die katholische Bevölkerung nahm diese Entscheidung, wie es in einer APA-Meldung hieß, mit großer Befriedigung auf und gab der Hoffnung Ausdruck, dass es auch in anderen Bundesländern zu einer Geschäftssperre an den Sonntagen vor Weihnachten kommen möge. Als Ersatz für die verkaufsfreien Sonntage wurden in Wien 1961 die vier Samstage vor Weihnachten zu „langen“ Einkaufssamstagen. Der Verlust der Verkaufssonntage dürfte den Handel dadurch kaum getroffen haben. Wie die APA im Dezember 1965 meldete, hatten sich in der Wiener Geschäftswelt der Silberne und Goldene Samstag sehr gut eingeführt, sodass niemand mehr dem Silbernen und Goldenen Sonntag nachtrauerte.
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Kommentare
Noch ein Link zum Hörspiel ... Weihnachtsstress im Ohr :)
Lieb Astrid, Danke für diesen wunderbaren Beitrag und die wertvollen Bildquellen! Annette Ahrens