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Christian Hlavac, 1.11.2022

Der Kaisergarten im Prater

„Im englischen Geschmacke“

Der Name der Kaiserwiese im Prater verweist auf deren Vorgeschichte: Hier war einst ein privater Garten der Familie Habsburg-Lothringen. Wie er genau ausgesehen hat, lässt sich aufgrund der eher spärlichen Quellen nur erahnen.

Das Areal des ehemaligen „Kaisergartens“ befindet sich am Beginn der Prater Hauptallee, die aus der unter Kaiser Ferdinand I. 1537/1538 angelegten, mehrere Kilometer langen Schneise durch das kaiserliche Jagdgebiet hervorgegangen ist. Wie uns Karten und Pläne zeigen, war der Prater damals und auch in den folgenden zweihundertfünfzig Jahren kein reines Waldgebiet, sondern umfasste neben Gewässern auch Äcker, Wiesen, Viehweiden, Wildgehege und Weingärten. Schon zu dieser Zeit war der Prater Ziel gut besucht. Eines der ältesten Zeugnisse dazu stammt vom Preußen Karl Ludwig von Pöllnitz. Er erzählt in seinem Reisebericht 1729 auch vom Prater, einem „Ort, der starck besucht wird. Bey hellen Tagen ist ein erstaunlicher Zulauf von Menschen daselbst“. Diese und zahlreiche andere Berichte zeigen uns, dass der Prater bereits vor der sogenannten Öffnung im Jahre 1766 durch Kaiser Joseph II. vielen Menschen offenstand. Nicht nur der Hofadel, die Minister und die Hofbeamten, sondern auch Personen anderer gesellschaftlicher Schichten und Reisende wurden eingelassen.

Ein Russe und sein Garten

Obwohl der Prater kaiserlicher Besitz war, durfte der russische Botschafter Dmitrij Fürst Galicyn (Gallizin/Gallitzin) im Jahr 1775 am Beginn der Prater Hauptallee ein rund 250 m² großes Sommerhaus samt Nebengebäuden errichten. Vor dem Sommerhaus erstreckte sich ein eingezäunter, rund 5.500 m² großer Garten im landschaftlichen Stil mit geschwungenen Wegen sowie zahlreichen Blumenbeeten und Sitzgelegenheiten.

Spätestens mit dem Tod Galicyns ging der Besitz an Graf Hoyos und 1794 an die Familie Habsburg-Lothringen – erst an Erzherzog Karl, dann an Kaiserin Marie Therèse, die zweite Frau von Kaiser Franz. Nach Vorgaben des Kaisers wurde der Garten nach seinem Tod (1835) an Erzherzog Franz Karl (1802–1878) übergeben.

Wie das Areal in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts im Detail ausgesehen hat, ist heute weitgehend unbekannt. Nur wenige Pläne zeigen, dass der Kaisergarten auch in dieser Zeit im Stil eines Landschaftsgartens gestaltet war. Dies bestätigt auch Leopold Chimani um 1826: „Gleich bey dem Eintritte in die Haupt-Allee zur Linken ist der kaiserliche Garten mit dem Gartenhause, durch ein einfaches Gitter von derselben getrennt. Aus einer Abtheilung des Waldes ist er zu einem Garten im englischen Geschmacke umgestaltet, und eben so reich an Blumenbeeten als an dem herrlichsten Obste.“

Im Mai 1843 erlebten wenige ausgewählte Personen ein eigenartiges Wettrennen in diesem Garten. Doch es traten nicht – wie man vermuten würde – Pferde an, sondern Knaben. Es waren der damals 13-jährige Erzherzog und spätere Kaiser Franz Josef und seine Spielkameraden, unter anderem die Erzherzöge Karl Ludwig und Ferdinand Maximilian, die ein Rennen auf „Schusters Rappen“ durchführten. Es wurde sogar ein gedrucktes Programm an die Zuseher verteilt. Mit von der Partie waren auch der spätere Ministerpräsident Eduard Taaffe – ein Jugendfreund Franz Josefs – und der spätere Ackerbauminister Julius Falkenhayn.

Kaiserliche Praterfahrt

Spätestens ab Mitte des 19. Jahrhunderts diente der im Lauf der Jahrzehnte deutlich größer gewordene Kaisergarten der kaiserlichen Familie bei entsprechendem Wetter als Ort, um in gemütlicher, fast privater Art im Freien ein Essen einzunehmen. Diese Hoftafeln mit Musikbegleitung fanden meist am 1. Mai statt und waren – nicht immer – Teil der kaiserlichen Praterfahrt in der Hauptallee. Am 1. Mai 1861 – zum Beispiel – kamen Kaiser Franz Josef samt Erzherzogen und Erzherzoginnen gegen halb 5 Uhr in den Prater, stiegen im Kaisergarten ab, nahmen dort das Abendessen ein, während die Musikkapelle des Alexander-Infanterie-Regiments musizierte, und fuhren gegen 8 Uhr wieder in die Hofburg zurück.

Auch Feste wurden im Kaisergarten gefeiert: Im Mai 1863 lud Erzherzog Ludwig Victor zu einem „kleinen Ballfest“ inmitten blühender Fliederbüsche, das bis vier Uhr in der Früh dauerte. Sechs Jahre später gab er einen großen Ball im Kaisergarten anlässlich der anstehenden – aber nie vollzogenen – Verlobung mit Prinzessin Marie, der jüngsten Tochter des damals bereits im Wiener Exil lebenden Königs von Hannover.

Nicht ohne Spuren ging 1873 die Wiener Weltausstellung am Kaisergarten vorüber, denn man wollte die Zufahrtsstraße, die heutige Ausstellungsstraße, verbreitern. Dazu brauchte man auch einen Teil des Gartens. Erzherzog Franz Karl, der in manchem Frühling über einige Wochen das Landhaus im Kaisergarten bewohnt haben soll, überließ aus „allgemeinem Interesse“ der Kommune Wien unentgeltlich 800 m² Gartengrund.

Mit seinem Tod 1878 verringerte sich das Interesse der kaiserlichen Familie am Kaisergarten. Das könnte einerseits mit dem zunehmenden Rummel im Prater, andererseits damit zusammenhängen, dass ab Jänner 1882 sein Sohn Erzherzog Karl Ludwig das Eigentum am Kaisergarten mit Erzherzog Ludwig Victor teilen musste.

Wie kann man sich den Kaisergarten in jener Zeit vorstellen? Einen Einblick gibt uns ein einzigartiger Beitrag in der „Wiener Illustrirten Garten-Zeitung“ aus dem März 1882, der sich merkwürdigen Bäumen in Wien widmet. Demnach „bemerken die zahlreichen Spaziergänger der Hauptallee des Praters im Spätherbste nach dem Laubabfall ein prachtvolles Exemplar eines Epheubaumes, der pyramidenförmig beinahe 15 m hoch emporstrebt und bei 4 m breit ist“ und dabei einen alten Ulmenstamm überdecke. Da der Stamm schon hohl sei, werde es dem Efeu „bald so ergehen, wie einem zweiten noch grössern und schönern Exemplar desselben Gartens, unter dem seinerzeit die Mutter Sr. Majestät, die Erzherzogin Sophie, vielmal ausruhte und der ungefähr vor einem Dutzend Jahren ohne besondere Ursachen oder vorherige Anzeichen dadurch der Vernichtung anheimfiel, dass seine morsche Stütze, ebenfalls eine alte Ulme, plötzlich zusammenbrach.“ Gleich daneben stand laut der Gartenzeitung eine Sicheltanne ohne jeglichen Schutz, „die von keinem der letzten schweren Winter angegriffen wurde und schon einigemal Samen getragen hat.“ Der schönste Baum des Gartens sei aber eine prächtige Ulme, welche am Fuß sieben Meter im Umfange aufweise.

Doch zurück zur privaten Nutzung: 1885 dürfte das letzte Maifest-Essen im Kaisergarten stattgefunden haben. Es verwundert daher nicht, dass in den Medien Gerüchte um einen Verkauf auftauchten. So berichtete das „Neue Wiener Tagblatt“ im Januar 1887, dass der „seit Jahren nicht genutzte Kaisergarten“ aufgelassen und an eine Münchner Braufirma verkauft werden sollte. Laut „Neuer Freier Presse“ vom März 1887 beabsichtigten deutsche Unternehmer, ein Sommertheater zu errichten.

Der Verkauf

Im April 1888 erteilte Erzherzog Ludwig Victor dem Generaldirektor des „Allerhöchsten Privat- und Familienfonde“ als Verwalter des Grundstücks die Vollmacht, den Verkauf seines Anteils am Kaisergarten durchführen zu dürfen. Erzherzog Karl Ludwigs Vollmacht folgte im Mai 1889. Der Grund für diese Vollmachten war klar: Ein englisches Konsortium hatte im April 1888 ein Angebot für das Grundstück in der Höhe von 450.000 Gulden abgegeben. Doch es spießte sich in den darauffolgenden Jahren mehrmals, auch wenn die Tageszeitung „Die Presse“ bereits Anfang Mai 1888 mit positiver Grundstimmung berichtete, dass die englische Gesellschaft Pläne vorgelegt habe. Demnach solle auf einer Fläche von rund vier Hektar ein Arenatheater mit verschiebbarem Dach, ein großer Teich, der im Winter zum Schlittschuhlaufen verwendet werden könne, „eine nur für die reichsten Kreise bestimmte Restauration, eine Reitschule, ein Etablissment für Velociped-Uebungen etc. errichtet werden.“ Ende November 1889 hinterlegte die Gesellschaft aus London namens „Vienna Kaisergarten Syndicate Limited“ eine Anzahlung von 100.000 Gulden.

Vier Monate später gab es eine behördliche Begehung zum Zweck der Baulinienbestimmung für das Vergnügungs-Etablissement in Verbindung mit einem Theater – gemeinsam mit dem Wiener Vertreter der Eigentümer. Da viele wesentliche Fragen zu den konkret geplanten Vorhaben von ihm nicht beantwortet werden konnten, vertagte man. Nebenbei versuchten die Eigentümer „guten Wind“ zu machen, und so stellte man das Projekt – bei dem anscheinend die berühmten Theaterarchitekten Fellner und Helmer für den Entwurf des Arenatheaters vorgesehen waren – dem Wiener Bürgermeister vor.

Doch aus all dem wurde nichts, da die Eigentümergesellschaft das restliche Geld nicht aufbringen konnte. Eine Änderung trat erst ein, als neue Geldgeber in Form der Londoner Aktiengesellschaft „The Vienna Concession Syndicate Limited“ in das Projekt einstiegen. Sie hinterlegten im März 1891 den Restbetrag von 350.000 Gulden. Einer der Hauptaktionäre war der Eigentümer der Pferderennbahn Sandown Park im englischen Esher und Miteigentümer des Londoner Savoy Theatre. Im neu aufgesetzten Kaufvertrag wurde eigens festgehalten, dass sich der Käufer verpflichtet, auf der „Realität unter Wahrung ihres Charakters als Garten, der öffentlichen Benützung und dem öffentlichen Vergnügen gewidmete Etablissements verschiedener Gattung, insbesondere ein den Bedürfnissen Wiens entsprechendes elegantes Sommertheater zu errichten.“
 

Der Englische Garten

Auch wenn es lange gedauert hatte und das Vergnügungsetablissement anders als geplant ausgefallen war, kam es im Juni 1891 zur Eröffnung. Das Areal hieß jetzt nicht mehr „Kaisergarten“, sondern „Englischer Garten“. Der doppeldeutige Name wies einerseits auf die Herkunft der Eigentümer hin, anderseits auf den englischen Landschaftsgartenstil, der das Areal immer noch prägte.

Vom ursprünglichen Plan, ein Vergnügungsetablissement zu errichten, war man – aus welchen Gründen auch immer – abgekommen; von großen Investitionen war nichts zu spüren und zu sehen. Es bot sich, wie die „Neue Freie Presse“ berichtete, nun eine „anmuthige Gartenscenerie“ auf dem Gelände. Umschlossen von duftenden Rosenhecken und flankiert von mächtigen Ulmen und Schwarzpappeln, breitete sich ein ausgedehntes Wiesenparterre aus, auf welchem Hunderte von Tischen und Stühlen zu einem Imbiss oder Getränk einluden. Das einstige Sommerhaus hatte man zu einer Restauration umgewandelt, ebenso ein Glashaus, das durch eine Veranda erweitert wurde. Man richtete auch eine Meierei ein, wo die Gäste bei den Klängen einer Musikkapelle neben Milch und Obers auch Bier, Wein, Liköre und kalte Speisen genießen konnten. Anscheinend führten das eher dürftige Angebot und die geringe Gästeanzahl dazu, dass die sieben Aktionäre der „Vienna Concession Syndicate Limited“ den Garten im darauffolgenden Jahr erst gar nicht mehr öffneten. Es wurde nun still um den Kaisergarten, bis ein Theatermann auf den Plan trat.

Venedig statt London

Im November 1894 übernahm nämlich Theaterdirektor Gabor Steiner als Pächter das rund 50.000 m² große Gelände. Der Eigentümer war inzwischen die ebenfalls in London ansässige „Assets Realisation Company Limited“. Die im Kaisergarten noch bestehenden Gebäude wurden für das neue Projekt Steiners demoliert, so die ehemalige Stallung, das Gärtnerhaus und die Gewächshäuser. Ende Dezember 1894 wurde bei einem behördlich festgelegten Lokalaugenschein das neuartige Projekt besprochen. Gabor Steiner und sein ebenfalls anwesender Architekt Oskar Marmorek sprachen zu diesem Zeitpunkt noch von einer „italienischen Ausstellung“ unter dem Namen „Venedig“, bei dem die zu errichtenden provisorischen Gebäude aus Holz ausgeführt werden sollten. Damals ging Steiner nämlich noch davon aus, dass nach höchstens zwei Saisonen mit der Ausstellung Schluss sein werde. Doch es kam anders: Die ab Ende Februar 1895 errichteten venezianischen Häuser wurden in massiver Bauweise ausgeführt – und die am 23. Mai eröffnete Ausstellung unter dem Namen „Venedig in Wien“ wurde ein großer Erfolg. Mit venezianischen Palazzi und Gondelfahrten auf eigens ausgehobenen Kanälen endete die über 200 Jahre währende Existenz des heute fast vergessenen Kaisergartens.

Literatur und Quellen:

Leopold Chimani: Die beweglichen Bilder, mit der Beschreibung einiger schöner Umgebungen Wiens […]. Wien [um 1826]

Christian Hlavac, Christa Englinger: La bella Austria. Auf italienischen Spuren in Österreich. Wien 2019

Akten im Österreichischen Staatsarchiv und Wiener Stadt- und Landesarchiv

Christian Hlavac studierte Landschaftsplanung an der Universität für Bodenkultur Wien und Architektur an der TU Wien. Er arbeitet als Landschafts- und Gartenhistoriker sowie als Publizist. Im September erschien sein neues Buch „Lilienfeld. Von weißen Mönchen und weißem Sport“ im Christian Brandstätter Verlag.

 

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Kommentare

Maria Weinberger

Wenn dieser Artikel mit dem Bau von Venedig in Wien endet (und damit nicht einmal zum Bau des Riesenrades kommt), dann ist das letzte Bild von 1945, das den zerstörten (ehemaligen) Kaisergarten zeigt, nicht angebracht. Es ist unpassend und gehört in die Fortsetzung, in der die Weiterentwicklung nach Vendig in Wien beschrieben wird.
Das zweite Bild in diesem Artikel, das die Kaiserwiese im heutigen Zustand zeigt, wäre ein wesentlich passenderer Abschluss gewesen.
Bilder bitte zum Text gehörig und nicht eine "Zukunft" zeigend, die im Artikel gar nicht beschrieben wird. Außer, es handelt sich um die Gegenwart.

Redaktion

Sehr geehrte Leser, vielen Dank für Ihr positives Feedback! Im Frühjahr 2023 planen wir einen Beitrag von Christian Hlavac über Venedig in Wien.
Herzliche Grüße, Peter Stuiber (Wien Museum Magazin)

Fritz Zeilinger

Danke für die informative Darstellung der Entwicklung - aber wird es eine Fortsetzung geben, wie es mit Venedig in Wien und danach weiterging. Heute ist die Kaiserwiese ja eher unscheinbar geworden, ohne Attraktionen.

Edgar Schütz

Danke! Sehr interessanter Artikel!

Helmut Rauscher

Sehr interessanter Artikel!
Danke.