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Peter Stuiber, 3.11.2022

Der Wiener Arzt Ferdinand Adalbert Junker von Langegg

The Junker from Vienna

Er erfand einen innovativen Narkoseapparat, arbeitete lange Jahre in London und ging vor 150 Jahren als einer der ersten Österreicher nach Japan, über dessen Geschichte er später erstaunliche Bücher publizierte: Ferdinand Adalbert Junker von Langegg hatte eine wechselvolle internationale Karriere, die nicht nur medizinhistorisch unterbeleuchtet ist.

„The Junker“ oder auch der „Junker-Apparat“: Damit ist Ferdinand Adalbert Junker von Langegg in die Medizingeschichte eingegangen – aber meist bloß als Fußnote. In wichtigen medizinhistorischen Sammlungen ist sein innovatives Narkosegerät, das er erstmals in der Medical Times and Gazette vom November 1867 vorstellte, zwar vertreten, z. B. in jener der Londoner Wellcome Collection. Und in manchen Quellen ist sogar die Rede davon, dass „the Junker“ von vielen Anästhesisten bis ins späte 19. Jahrhundert geschätzt und verwendet wurde. Doch wenn dem so war: Warum ist Junker von Langegg, der am 28. Juli 1828 als Sohn des österreichischen k. und k. Landgerichtsrats Ferdinand Junker (von Langegg) geboren wurde und nach Abschluss seines Medizinstudiums in Wien 1854 nach London ging, heute relativ unbekannt?

Bei der Einordnung seiner Leistungen hilft Franz Lackner, emeritierter Professor und ehemaliger stv. Vorstand der Wiener Universitätsklinik für Anästhesie und Allgemeine Intensivmedizin. Lackner, ein Spezialist für die Geschichte der Anästhesie in Wien, beschreibt im Gespräch den historischen Kontext: „Nachdem in Boston 1846 die erste Narkose mit Äther durchgeführt worden war, verbreitete sich diese Methode rasant auch in Europa. In Wien war es der Chirurg Franz Schuh, der sie erstmals angewandt hat. Ursprünglich ist dabei Äther verwendet worden, wegen der beträchtlichen Nebenwirkungen aber auch bald Chloroform, Ethylenchlorid oder eine Mischung von mehreren Substanzen. Hier in Wien sprechen wir von der Billroth-Mischung [benannt nach dem Arzt Theodor Billroth], die bestand aus 80 Prozent Äther, 10 Prozent Chloroform und 10 Prozent Alkohol.“ 

Abgesehen von den zum Teil schweren Nebenwirkungen der Narkotika gab es zwei Hauptprobleme bei der damals üblichen Verabreichung mit einem Bausch oder einer lose aufliegenden Gesichtsmaske: „Erstens war es schwer, die getropfte Menge zu quantifizieren“, so Lackner. „Und zweitens: Da sich das Gemisch frei in der Luft entfaltet, wurde auch der, der getropft hat, sowie der Chirurg benebelt.“ Genau an diesen beiden Punkten setzte Junkers Apparat an, denn erstens sitzt dessen Maske dicht auf dem/r Patienten/in und zweitens lasse sich die verabreichte Dosis genauer bemessen. „Die Maske des Apparats hat zwei Öffnungen: Eine Zufuhr für das Gas, eine fürs Ausatmen des Patienten, mit einem Ventil. Angewandt wird eine sogenannte bubble-through-Technik: Man verwendet ein luftdichtes Glas mit einer Lösung, in die ein Glasrohr hineinragt. Am Ende dieses Glasrohres ist der Schlauch mit einem Ballon. Wenn ich damit Luft hineinblase, dann schäumt die Flüssigkeit auf – deshalb der Begriff „bubble“.“ Der Patient/die Patientin atme dann die mit der Substanz gesättigte Luft ein. Mit dem Ballon konnte man die Verabreichung gut dosieren.

„Doch kein Vorteil ohne Nachteil“, so Franz Lackner: „Es gibt ja bei dem Apparat zwei Outlets: Wenn man die Outlets verwechselt, dann bläst man die Flüssigkeit in das Röhrchen, das zum Patienten geht, und der aspiriert sie dann – und das ist natürlich schlecht…“ Für Lackner ist Junkers Erfindung ein „äußerst cleverer Apparat“, doch über dessen Rezeption oder die Häufigkeit des Gebrauchs wisse man nur wenig. „Da gibt es noch Nachholbedarf, wie bei vielen medizinhistorischen Themen.“ Ein namentlich bekannter, sehr prominenter Anwender des Gerätes findet sich in London, wo Junker nicht nur eine Praxis betrieb, sondern ab 1860 am Samaritan Free Hospital for Women tätig war. Thomas Spencer Wells, einer der führenden Chirurgen Großbritanniens (und Chirurg von Queen Victoria), war dort Junkers Kollege und soll dessen Narkoseapparat zwanzig Jahre lang verwendet haben (das Titelbild unseres Beitrages zeigt den berühmten Chirurgen möglicherweise mit dem Kollegen aus Österreich, der gerade am Narkosegerät hantiert).

Japan importiert westliches Know-how

Junker dürfte in Londoner Medizinerkreisen einigermaßen bekannt gewesen sein. Dennoch verließ er die britische Metropole, zunächst, um im Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 als Chirurg zu dienen, ehe er am Deutschen Krankenhaus Saarbrücken eine Stelle als Chefchirurg einnahm. Der nächste Karriereschritt folgte bald darauf: Im Sommer 1872 brach er nach Japan auf, um dort westliches Know-how weiterzugeben – in einer der spannendsten Umbruchsphasen, wie der Japanologe und Medizinhistoriker Bernhard Leitner erläutert: „1868 ist in Japan die kaiserliche Macht wiederhergestellt worden, nachdem davor die Shogune – also die obersten Feldherren – die tatsächliche Macht innegehabt hatten. Man befürchtete, dass Japan, wie China und andere ostasiatische Länder, zu einer westlichen Kolonie werden könnte. Daher sind im Zuge dieser ´Meji-Restauration´ verschiedenste Bereiche neu aufgestellt und strukturiert worden. Wissenschaft und Technik sollten möglichst schnell importiert werden, um an Europa und die USA aufschließen zu können. Im Zuge dessen gab es die sogenannten ´angestellten Ausländer`. Sie wurden mit exorbitanten Gehältern nach Japan geholt, um dort als Lehrer der ersten Generation zu fungieren. Und so eben auch in der Medizin.“

„Deutsche“ Medizin als Standard

Dass Junker einer dieser ausgewählten Ärzte war, ist nicht zufällig. Denn mit seinem „deutsch-englischen“ Background war er ein idealer Kandidat. „Bei der Meji-Restauration spielte Saigō Takamori, ein Samurai, eine wichtige Rolle“, so Bernhard Leitner. „Dieser hatte gute Beziehungen zum britischen Arzt William Willis und auch zum neuen Regime in Japan.“ Und auch wenn Takamori bald nach dem Machtwechsel selbst entmachtet wurde, blieben die Verbindungen zu Großbritanniens Medizinschule erhalten. Zum anderen habe es einen Meji-Bürokraten namens Sagara Chian gegeben, der seinen großen Einfluss auf die neuen Machthaber geltend machte: Er war Arzt und hatte vor allem deutsche medizinische Schriften rezipiert. „Im Endeffekt entschied sich die Meji-Regierung, ´deutsche` Medizin als Schulmedizin einzuführen, was auch immer darunter zu verstehen war. Also hat man begonnen, deutsche Ärzte – unter ihnen z. B. Leopold Müller und Julius Scriba – nach Japan zu holen. In dieser Kohorte der ersten Ärzte war auch Junker von Langegg. Er wäre aber nicht als Österreicher aufgefallen, sondern wurde von einem japanischen Arztkollegen als „in Preußen geborener englischer Arzt“ beschrieben. Auch heute wird er in der populären Literatur meist als Deutscher geführt.“

Im November 1872 – also vor genau 150 Jahren – begann Ferdinand Adalbert Junker von Langegg mit seinen Vorlesungen an der neu gegründeten medizinischen Hochschule in Kyoto – und war somit der erste österreichische Mediziner in Japan (und einer der ersteren Österreicher im Land überhaupt). Eine durchaus ehrenvolle Aufgabe, wenngleich die erste Adresse Tokyo gewesen wäre, das sich zur führenden Metropole entwickelte. Junker unterrichtete Anatomie, Pathologie, Geburtshilfe, Innere Medizin und Chirurgie und fungierte als Chefarzt an der Universitätsklinik. Sein Vertrag war zunächst auf drei Jahre befristet und wurde 1875 noch um ein Jahr verlängert. Der Kontraktausländer verdiente im ersten Jahr 450 Yen, danach 500 Yen pro Monat – umgerechnet heute rund 15.000 Euro: „Das haben Japaner nicht mal in den höchsten Ämtern verdient“, so Bernhard Leitner. „Europäische Mediziner brachte man in Japan einen sehr großen Vertrauensvorschuss entgegen, man sah sie als Kapazitäten und erwartete viel von ihnen. Diese Erwartungen sind von Junker von Langegg aber offenbar nicht erfüllt worden. Es gibt Überlieferungen, wonach viele Studierende mit ihm unzufrieden waren. Er nehme sowohl den Unterricht als auch die praktische Ausbildung nicht sehr ernst, lautete die Kritik. Im Endeffekt ist es deshalb nicht zu einer weiteren Verlängerung des Vertrags gekommen.“ Überliefert sei außerdem eine Anekdote, wonach Junker forderte, dass die Stadt einen japanischen Garten hätte kaufen sollen, der an sein Haus grenzte. Das wurde abgelehnt, woraufhin er in dem Garten vandaliert, Steinskulpturen umgeworfen und Bäume gefällt haben soll. „Wenn man weiß, wie wichtig die Gartenkunst in der japanischen Kultur ist, dann wäre das ein absolutes Sakrileg gewesen“, so Leitner.

So dürftig die professorale Bilanz des Wieners gewesen sein mag, so bemerkenswert ist dessen außergewöhnliches Interesse an seinem Gastland. Sein Vertrag bescherte ihm täglich Freizeit ab 13 Uhr. Und die dürfte er genützt haben, um sich der japanischen Geschichte und Hochkultur zu widmen, wofür Kyoto ein ausgezeichneter Ort war. Junker von Langegg eignete sich nicht nur eine Fülle an Wissen, sondern auch ausgezeichnete Japanischkenntnisse an, was unter seinen westlichen Kollegen keineswegs üblich war (unterrichtet wurde übrigens auf Deutsch). Als er nach London zurückgekehrte, verpackte er sein Japan-Wissen in zwei Buchpublikationen: „Midzuho-gusa, segenbringende Reisähren; Nationalroman und Schilderungen aus Japan“ (erschienen 1880 im Leipziger Verlag Breitkopf & Härtel) sowie „Japanische Thee-Geschichten: Fu-sô châ-wa. Volks- und geschichtliche Sagen, Legenden und Märchen der Japanen“ (erschienen 1884 im Wiener Verlag C. Gerolds Sohn).

„Die Rezeption Japans in Europa beginnt u.a. mit den deutschen Ärzten, etwa mit Philipp Franz von Siebold und davor Engelbert Kaempfer“, so Bernhard Leitner. „Sie haben alle ihre Japan-Abhandlungen geschrieben, mit einem Fokus auf die Geographie und die Pflanzenwelt, die für Mediziner natürlich besonders interessant war, weil man daraus Medikamente entwickeln konnte. Junker zeigt hingegen in seinen Büchern ein viel umfassenderes Interesse. Er will in seine Bücher alles hineinpacken – Geschichte, Kultur, Sprache, Märchen, alte Chroniken, Teekultur, Alltagskultur. Seine Veröffentlichungen richten sich an ein breiteres Publikum, es sind interessante Lesebücher, aber vielleicht nicht unbedingt auf einem akademischen Niveau.“

Könnte das der Grund sein, weshalb Junker von Langegg es nicht in den Kanon der europäischen Japan-Literatur des 19. Jahrhunderts geschafft hat? Oder hatte es damit zu tun, dass Junker nicht zu den größten medizinischen Kapazitäten in Japan zählte? Einen wirklich prägenden Einfluss auf die moderne japanische Medizin kam ihm am ehesten als Vermittler zu, so Bernhard Leitner: „Er hat nach Japan ein Buch von Henry Maudsley mit dem Titel „Insanity“ mitgebracht. Das war der erste psychiatrische Lehrtext, der ins Japanische übersetzt worden ist. Damit wird in der zeitgenössischen Medizingeschichte Japans der Name Junker von Langegg verbunden, obwohl er selbst mit Psychiatrie nicht wirklich zu tun hatte.“ Darüber hinaus habe eine auf medizinische Geräte spezialisierte japanische Firma namens Shiramatsu einen Junker-Apparat produziert.

Back in London

Und dann? Junker von Langegg ging nach London zurück, Genaueres über sein Leben und seine familiären Verhältnisse liegt nicht vor. Er betätigte sich als Übersetzer und übertrug u.a. Hendriks Zwaardemakers „Physiologie des Geruchs“ ins Deutsche, widmete sich aber auch nicht-medizinischen Themen, etwa in seinem Buch „El Dorado. Geschichte der Entdeckungsreisen nach dem Goldlande El Dorado im 16. und 17. Jahrhundert“, das 1888 bei W. Friedrich in Leipzig erschien.

In seine Heimatstadt Wien übersiedelte er wahrscheinlich erst knapp vor seinem Tod. Fehlende biografische Informationen führten offenbar zu diversen Spekulationen, wie man aus einem Essay des Schriftstellers Gerhard Roth über das Josephinum erfahren kann: Roth wurde von dem Anästhesisten Wolfang Regal in den 1990 Jahren durch die Sammlung des Josephinums geführt. Und dieser habe davon erzählt, dass Junker plötzlich aus London spurlos verschwunden sei, weshalb man ihn sogar als möglichen Tatverdächtigen im Zusammenhang mit den Jack the Ripper-Morden brachte. Dies dürfte wohl eher einer blühenden Phantasie oder missgünstigen Konkurrenten geschuldet gewesen sein: In der „einschlägigen Literatur“ zu Jack the Ripper (so man sie überblicken kann), wird Junkers Name nirgendwo genannt. Und das Täterprofil, wonach der Mörder anatomisch-chirurgische Kenntnisse haben müsse, weil er seine Opfer „ausweidete“, traf wohl auf viele in einer Millionenstadt wie London zu – und wurde ohnehin bald fallengelassen.

Bleiben wir bei den Fakten: Ferdinand Junker von Langegg starb am 20. November 1901 in einem Sanatorium in Purkersdorf (allerdings nicht in dem berühmten Bau von Josef Hoffmann, der erst 1904/05 entstand) und wurde am Evangelischen Friedhof Matzleinsdorf beerdigt. Das Familiengrab existierte noch bis 1942, dann wurde die Grabanlage mit der Nummer 1-116 neu vergeben.

Quellen und Links:

K. Bryn Thomas: Ferdinand Edelbert Junker, in: Anaesthesia, 1973 (28), 531-534

Franz Lackner: Anästhesien bevor es Anästhesisten gab - am Wiener Allgemeinen Krankenhaus vor 1961, in: A+IC News, November 2012

Max Neuburger: Zur Zentenarfeier der Narkose, in: Wiener Klinische Wochenschrift, 28. März 1947

Wikipedia-Eintrag zu Ferdinand Adalbert Junker von Langegg

Junker: Narkosegerät (anaesthesia.de)

Junker von Langegg Bücher als Digitalisate:

„Midzuho-gusa, segenbringende Reisähren; Nationalroman und Schilderungen aus Japan“ in der Digital Library des Hathi Trusts.

„Japanische Thee-Geschichten: Fu-sô châ-wa. Volks- und geschichtliche Sagen, Legenden und Märchen der Japanen“ auf Google Books.

Peter Stuiber studierte Geschichte und Germanistik, leitet die Abteilung Publikationen und Digitales Museum im Wien Museum und ist redaktionsverantwortlich für das Wien Museum Magazin.

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Kommentare

Redaktion

Sehr geehrte Frau Dr. Schopf, sehr geehrter Brigitte, vielen Dank für Ihre Rückmeldung zu diesem Beitrag! Ihr Feedback freut uns sehr! Herzliche Grüße, Peter Stuiber (Wien Museum Magazin)

Dr Jutta schopf

Toller Artikel, spannend. Herzlichen Dank

Brigitte

Vielen dank für diesen artikel. Er ergänzt wunderbar eine schilderung in familienbriefen (aus 1874)*. Und korrigiert andere angaben aus dem netz, wie todesort London.

Brigitte

*und einer in Josef Lehnerts 'Um die Erde', 1878.