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Tabea Rude, 14.10.2019

Dezimalisierungsversuche unserer Zeitrechnung

Der Tag zählt 100 Zeiten

Die Einführung des metrischen Systems hat sich im Bereich der Zeitmessung bis jetzt nicht durchgesetzt, jedoch gab es spannende Ideen und auch praktische Umsetzungen.  Zwei Objekte mit solchen Ideen finden sich in der Uhrensammlung der Stadt Wien.

Das metrische Einheitssystem, wie wir es heute in Europa kennen, wurde erstmals im Rahmen der französischen Revolution in Frankreich 1793 eingeführt. Es sollte die Effizienz steigern und wurde von vielen Befürwortern als Repräsentant der „natürlichen“ und rationalen Ordnung gesehen - und sollte natürlich auch ganz klar mit der christlichen Tradition brechen. Der Mensch hatte zehn Finger, das Rechnen auf Zehnerbasis erschien also logisch. Die Dezimalisierung in Frankreich wütete so allumfassend, dass nicht bei Metern und Kilogramms aufgehört wurde. 1795 wurde der dezimale Franc eingeführt, Temperaturen wurden nicht mehr von der in 80 Teile gegliederten Reaumur-Skala abgelesen, sondern in Celsius. Es folgte die Kalenderreform und die Dezimalisierung der Grad- und Winkelmessung. Diese radikalen Eingriffe im Zuge der Revolution  forderten nun auch von Uhrmachern, Seefahrern und Navigatoren das Äußerste.

Die Zusammenhänge zwischen Winkelmessung, Längengrad und Uhrzeit verloren sich ohne komplizierte Umrechnungstabellen oder die richtigen technischen Messmittel. So entstanden in den Jahren 1794 bis 1805 einige Uhren die dem Abhilfe schaffen sollten beziehungsweise besonders gerne von „wahren“ Revolutionären als politisches Statement  bei Gelegenheit lässig zur Schau gestellt wurden. Diese Mode endete jedoch mit der französischen Revolution. Aber auch in Österreich gab es einige Menschen, die von der Idee eines dezimalen Kalenders fasziniert waren und ihr Zukunftschancen gaben, so zum Beispiel der Priester Michael Krofitsch, der in seiner Altaruhr auch den französischen Revolutionskalender verewigte.

Ein Teiler zählt 100 Knollys

Aber auch nach der französischen Revolution gab es immer wieder  Versuche, unser Zeitsystem zu reformieren. Eine besonders amüsante Idee stammte dabei von dem Wiener Karl Knoll, der seine Idee dem ersten Direktor des Uhrenmuseums, Rudolf Kaftan, im Jahre 1919 ganz stolz präsentierte: Die neue Wiener Zeit. „Der Tag zählt 100 Zeiten. Eine Zeit zählt 10 Teiler. Ein Teiler zählt 100 Knollys.“ Der selbstlose Knoll hoffte „dass Zeit und kluge Uhren-Bauer das eiserne Hemd der Gewohnheit sprengen werden“ und „die neue Wiener Zeit siegreich zum Vorteile der Menschen der Jetztzeit und Zukunft einführen und den Namen seiner geliebten Vaterstadt Wien auch die Bezeichnung „Wiener-Zeit-Rechnung“ dauernd auf dem ganzen Erdball popularisieren wird.“

Weniger schillernd und mit sehr viel mehr wissenschaftlichen Argumenten sah Johannes Barolin die Sache in seiner Publikation „Der Hundertstundentag“ von 1914 (Wien und Leipzig). Nach einem umschweifenden Aufsatz über verschiedene Kalender und Zeitsysteme aus aller Welt kam er zu dem Schluss, dass die Viertelstunde anstatt einer doch sehr lang erscheinenden Stunde zur Tageseinteilung genutzt werden solle. Aus einem 24-stündigen Tag à 96 Viertelstunden solle seiner Ansicht nach auf 100 Teile aufgerundet werden. Die Benennung der neuen Zeitbruchteile basiert größtenteils auf arabischen Begriffen, die teils der Einfachheit halber latinisiert, graekisiert und eingedeutscht wurden.

Kalender und Zeitreformen haben Menschen immer beschäftigt. Von der julianischen Kalenderreform 46 vor Christus (die sich erst unter Augustus im Jahre 8 n. Chr. durchsetzte) über den gregorianischen Kalender 1582, der auch nur schleppend übernommen wurde (in Russland und weiteren Staaten erst im Jahre 1918!), bis zu Kalendersystemen in anderen Kulturen, die uns hier weitgehend unbekannt sind. Jedes Mal verknüpft mit einer bestimmten Epoche, einem Herrscher oder einer Religion gibt es wohl kaum einen „richtigen“ oder „falschen“ Kalender.

Die League of Nations publizierte 1931 in Genf einen Vorschlag zur Kalenderreform, ja ganze Vereinigungen entstanden um das Thema, so zum Beispiel die World Calendar Association Inc. in New York oder die Rational Calendar Association in London. In der Dezember-Ausgabe des Journal of Calendar Reform 1936 liest man Artikel zwischen „Vernünftige Zeitrechnung“ und „Die Romantik des Kalenders“. Das fasst wohl am besten das Spektrum an Reformansätzen zusammen.

 

Tabea Rude lernte das Uhrmacherhandwerk in Pforzheim und studierte dann Restaurierung für Uhren und dynamische Objekte an der University of Sussex. Seit 2017 ist sie für die Uhrensammlung zuständig. Sie ist besonders interessiert an elektrischen Uhren und Zeitdienstanlagen zwischen 1850 und 1950, publiziert hat sie zu dem Thema im britischen peer-reviewed Antiquarian Horological Journal. Sie begeistert sich außerdem für historische Kunststoffisolierung, taktische Intervallzeitmessung in Konvoys auf See im 1. und 2. Weltkrieg und Feueralarmtelegraphie.

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