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Die Anfänge der Telefonie in Wien
Pränumeranten und „eine Art Telephonnetz“
Um die Entwicklung des Staatstelefons zu beschreiben, aus dem im Laufe der Jahrzehnte über die Österreichische Post- und Telegraphenverwaltung die heutige Telekom Austria hervorging, zunächst ein Blick zurück ins Jahr 1861: Damals führte erstmals Philipp Reis, ein deutscher Lehrer und Erfinder, einen Apparat im physikalischen Verein von Frankfurt am Main vor, den er ursprünglich konstruiert hatte, um seinen Schülern das menschliche Ohr näherzubringen. Mit dessen Hilfe konnten zwei Menschen über eine geringe Distanz von einigen Metern miteinander kommunizieren. 15 Jahre später meldete Alexander Graham Bell seine Erfindung – den „Sprechtelegraphen“ – zum Patent an und im Jahr darauf riefen die Versuche des österreichischen Elektrotechnikers Franz Nissl Erstaunen unter den anwesenden Professoren hervor, als er im Physikalischen Institut der Technischen Hochschule in Wien seinen selbst konstruierten Telefonapparat präsentierte.
1881 war es dann so weit: Die Technik des Fernsprechens hatte eine Qualität erreicht, die die kommerzialisierte Anwendung ermöglichte. Das k.k. Handelsministerium erteilte an private Unternehmen wie etwa die Wiener Privat-Telefongesellschaft die Konzessionen, ihre Fernsprecheinrichtungen einzurichten, nahm aber selbst nur eine abwartende Position ein.
Nachdem die neue Art zu kommunizieren sich langsam steigender Beliebtheit erfreute, keimte auch staatlicherseits die Idee, in dieses Thema einzusteigen. Auf Initiative des Handelsministers Freiherr von Friedenthal wurde als erste wichtige Fernsprechverbindung der Ausbau der Linie Wien–Brünn begonnen. Zuvor galt es jedoch, ein Problem in den Griff zu bekommen: Da die Telefonleitungen direkt entlang der Telegrafenleitungen verlegt wurden, verursachten deren elektrische Impulse Spannungen in den Telefondrähten, was zu übler Sprachqualität bis zur völligen Unverständlichkeit führte. François van Rysselberghe, ein belgischer Naturwissenschaftler, hatte es bis 1882 geschafft, dieses Problem auf technischer Ebene zu lösen und darüberhinaus sowohl telegrafische als auch telefonische Kommunikation über den gleichen Draht zu ermöglichen. So wurde die erste Fernleitung des k.k. Staatstelefons nach dem System von van Rysselberghe installiert.
Im Sommer 1886 wurde die Telefonlinie fertiggestellt und die Qualität der Verständigung getestet. Die Versuche zeigten gute Resultate, weshalb die Leitung Wien–Brünn am 1. August offiziell in Betrieb genommen wurde. Die Vermittlung des Sprechverkehrs erfolgte in Wien im damaligen k.k. Staats-Telegraphen-Zentralamt am Börseplatz und in Brünn in der k.k. Staats-Telegraphen-Hauptstation.
Wie funktionierten nun die ersten Telefonate zwischen Wien und Brünn? Hier galt es einiges zu beachten. In den Monaten April bis September konnten Telefonate zwischen 7 und 21 Uhr, von Oktober bis März zwischen 8 und 21 Uhr geführt werden. Die Teilnehmer eines Telefongesprächs wurden in zwei Kategorien unterschieden: Jene, die eine „telephonische Korrespondenz“ in Wien oder Brünn anmeldeten – ein Vorgang, der damals „Pränumeriren“ hieß – wurden als „Pränumeranten“ bezeichnet, der dazugehörige Gesprächspartner war der „Eingeladene“. Die tarifmäßigen Gebühren waren vom Pränumeranten zu entrichten, „der von diesem zur Besprechung Eingeladene korrespondirt gebührenfrei.“
Die Gebühr für ein Gespräch war bei der Pränumeration zu entrichten und betrug für ein fünfminütiges Gespräch einen Gulden. Der Pränumerant hatte das Recht, gegen die Bezahlung einer „Ergänzungsgebühr“ in der Höhe von einem Gulden für die jeweils nächsten fünf Minuten das Gespräch zu verlängern. Wollte der Pränumerant nach zehn Minuten nochmals verlängern, so konnte dieser Wunsch nur dann gewährt werden, wenn in diesem Zeitraum nicht schon ein anderer Pränumerant einen Gesprächstermin angemeldet hatte. Die Pränumerationen wurden an der Kassa der Staats- Telegraphenämter in Wien und Brünn sowohl für den laufenden als auch den nächstfolgenden Tag angenommen. Man konnte zu den Minuten 0, 10, 20, 30, 40 und 50 einen Gesprächstermin ansetzen, woraus sich auch die leichte Verlängerungsmöglichkeit auf zehn Minuten Gesprächsdauer ergibt. Den Pränumeranten wurden bei der Anmeldung Sprechkarten ausgehändigt, die vor dem Betreten der „Telephonzelle“ abgegeben wurden. Die Berechnung der Gesprächsdauer erfolgte erst von dem Moment an, in dem der Pränumerant die An- oder Abwesenheit des Eingeladenen feststellen konnte. Fand etwa wegen technischer Störungen an der Telefonlinie kein Gespräch statt, so wurde die Gebühr an den Pränumeranten zurückgezahlt.
In einem Artikel im Neuen Wiener Tagblatt vom 30. Juli 1886 wird über den neuartigen Kommunikationsweg folgendermaßen geurteilt: „Aus allen diesen Bestimmungen geht hervor, daß die praktische Bedeutung der neuen Verkehrslinie derzeit noch durch die Schwerfälligkeit aller Vorbereitungen geschmälert wird, die nöthig sind, um die Abrede für eine Konversation zu treffen. Für geschäftliche Abmachungen hat unter den obwaltenden Verhältnissen die Post und die Telegraphie noch immer mehr Eignung und Werth, als die Fernsprech-Linie, die der Post, beziehungsweise des Telegraphenamtes ebenso sehr bedarf, wie – das ist ja nicht zu vergessen – der Uhrmacherzunft. Für die Telephonlinie wird nämlich auch eine amtlich beglaubigte Normaluhr mit Wien–Brünner Normalzeit nöthig sein, sonst werden manche kostspielige Minuten hier wie dort im Sprechkämmerchen nutzlos vergeudet. Das haben übrigens alle großen Erfindungen gemein, daß sie in ihrer Jugend nur als umständlicher und dürftiger Ersatz für Dinge erschienen sind, die man nach gewohntem, altem System bequemer zu richten vermochte."
Nachdem im August 1886 der Startschuss für das Staatstelefon gefallen war, versuchte man die privat betriebenen Telefonnetze an das staatliche anzuschließen und testete an bestimmten Anschlüssen die Sprachqualität. In der Wiener Zeitung vom 27. September 1886 hieß es dazu: „[…] Wenn im Laufe der Proben der Umstand zu Tage trat, daß trotz der bereits anerkannten Vortrefflichkeit des Staatstelephons die Conversation mittelst des Privattelephons in den einzelnen Bureaux nicht so deutlich verstanden wird, so liegt die Schuld hauptsächlich darin, daß zu den Privattelephons bloß ein Leitungsdraht führt, während beim Staatstelephon zwei Leitungsdrähte für jede Telephonstation verwendet werden. […]“
Es dauerte keinen weiteren Monat bis das Neue Wiener Tagblatt am 20. Oktober eine umwälzende Neuigkeit verlautbarte: „Die Staatstelegraphenverwaltung beabsichtigt nämlich schon in der nächsten Zeit Vorkehrungen zu treffen, welche es ermöglichen, daß Institute, Zeitungsredaktionen, Banken, Komptoirs, kurz überhaupt alle, die einen größeren Depeschenverkehr unterhalten, die Depeschen direkt ins Haus telegraphirt bekommen, ja es wird sogar die Möglichkeit geschaffen werden, daß die Depeschen auch telephonisch direkt ins Haus mitgetheilt werden, und zwar mit Hilfe des gegenwärtig bereits bestehenden Staatstelephons."
In der Verordnung „betreffend die Herstellung und Benützung von Telephonanlagen im Anschlusse an den Staatstelegraphen“ des Handelsministers Marquis de Bacquehem vom 7. Oktober 1887 legte dieser den Grundstock zur Schaffung eines Telephonnetzes.
Schon aus dem ersten Paragrafen ging hervor, dass der Staat in Zukunft das Telefonwesen unter seine Kontrolle bringen wollte: „Die Herstellung von Telephonanlagen, durch welche Verwaltungsbureaux, Fabriksetablissements, Geschäftslocale aller Art, dann Bahnhöfe, Hotels, Theater u. dgl., endlich einzelne Wohnungen den unmittelbaren Anschluß an ein Staatstelegraphenamt erhalten sollen, wird auf fallweises Ansuchen ausschließlich von der Post- und Telegraphen-Verwaltung bewirkt. […]“ Diese Telefonanlagen waren Eigentum des Staats, die den sogenannten Teilnehmern oder Abonnenten „zum Behufe der telephonischen Correspondenz“ gegen Gebühr überlassen wurden.
Paragraf 5 schließlich widmete sich dem Angebot des Staatstelefons für Abonnenten, die nicht nur telefonieren, sondern auch Telegramme abgeben und empfangen konnten. Auch die Abgabe von Nachrichten, die dann durch Boten, Post oder Rohrpost weitergeleitet wurden, war möglich. Ausdrücklich freigestellt war es den Teilnehmern, die Benutzung ihrer Telefonanlagen auch Wohnungsgenossen, Angestellten oder Bediensteten zu gewähren. Paragraf 7 widmete sich den öffentlichen Sprechstellen. Sie konnten von jedermann benutzt werden, um mit der „Centrale“, mit Teilnehmern des betreffenden Telefonnetzes oder mit anderen öffentlichen Sprechstellen zu telefonieren. Außerdem konnte man hier Telegramme oder andere schriftliche Nachrichten aufgeben sowie auf interurbanen Linien, also städteverbindend, telefonieren.
Gratis Notruf
Insgesamt kann man in 47 Paragrafen die Einführung dieses neuen Kommunikationsmittels nachlesen, wobei der 45ste bereits die lebensrettende Geschwindigkeit des Telefons betont: „Bei Feuers- oder Wassergefahr oder sonstigen Elementarereignissen, bei anderen öffentlichen Unglücksfällen, bei Angriffen auf die Sicherheit der Person oder des Eigenthums ist die Benützung der Telephonanlagen zu Nothsignalisirungen und zur Herbeirufung der Organe der öffentlichen Sicherheit frei von der Entrichtung der […] bezeichneten Gebühren.“ Die Neue Freie Presse zeigte sich in der Ausgabe vom 12. Oktober 1887 begeistert: „Das Telephon-Regulativ wird eine Lücke des allgemeinen Verkehrs ausfüllen, und das Telephon, welches bisher in Oesterreich nur eine sehr geringe Verbreitung gefunden hat, wird dadurch der allgemeineren Benützung zugänglich gemacht.“
Nach Überwindung eines schleppenden Starts, der sich unter anderem durch die Konkurrenz zur Wiener Privat-Telefongesellschaft ergab, wurden 1888 nach der Installation des ersten Telefons in der Rotunde die ersten Sprechstellen des Staatstelefons in Wien errichtet. Sie befanden sich beim Hauptpostamt am Fleischmarkt, am Börseplatz sowie in den Postämtern am Kärntnerring, auf der Wieden, in der Praterstraße und in der Siebensterngasse. Gleichzeitig wurde eine weitere interurbane Linie hergestellt, die Wien mit dem lokalen Telefonnetz verband, das in den Jahren zuvor in Reichenau an der Rax installiert wurde. Weitere angebundene Städte an dieser Linie, die im Sommer 1888 fertiggestellt wurde, waren Baden, Bad Vöslau und Wiener Neustadt sowie Mödling und Neunkirchen.
Am 2. November 1900 passierte in der Gudrunstraße ein schweres Straßenbahnunglück, bei dem vier Personen schwer verletzt wurden. Schuld an diesem Unfall war ein gerissener Telefondraht, der sich über die Oberleitungen gelegt hatte. In der Folge wurden Lösungen diskutiert, deren beste in der unterirdischen Verlegung der Telefonleitungen in Kreuzungsbereichen gefunden wurde. Ab 1901 wurden innerhalb von zwei Jahren bestehende Gefahrenpunkte entschärft und neue Leitungen teils von vornherein unterirdisch verlegt. Ein weiterer Grund für die Führung der Drähte unter der Erde im Bereich des Rings war angeblich der Wunsch, diese schöne Straße mit ihren repräsentativen Bauwerken nicht durch Telefonleitungen zu verunstalten. Ab diesem Zeitpunkt bis zum Ende der Monarchie 1918 wurden jene Schachtdeckel verwendet, über die der aufmerksame Mensch noch heute stolpern kann.
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Kommentare
Danke, Herr Augustin! Schönbrunn und die Hofburg wurden anscheinend zwischen 1882 und 1885 mit Telephonen ausgestattet. 1882 deshalb, weil Ende 1881 die Wiener Privat-Telegraphen-Gesellschaft die ersten Anschlüsse installiert hat, allerdings waren da noch keine kaiserlichen Büros dabei. Aus dem Jahr 1885 stammt dieser Artikel, in dem auf die Telefone in Schönbrunn kurz Bezug genommen wird -> https://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?aid=waz&datum=18851125&query=%22sch%c3%b6nbrunn+telephon%22~20&ref=anno-search&seite=5.
Großartiger Artikel - wann bitte wurden die kaiserlichen Büros in der Hofburg und in Schönbrunn mit Telefonen ausgestattet?