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Die Beschilderung und Umbenennung der Straßen
Orientierung, Normierung und Kontrolle
Straßenschilder gehören zum selbstverständlichen Mobiliar der Stadt. Sie sind ein Medium der Urbanität und verkörpern den Anspruch, sich überall in der Stadt möglichst schnell und ohne fremde Hilfe zurecht zu finden. Für sie gilt, was der Architekturhistoriker Vittorio Magnago Lampugnani allgemein über diese „kleinen Dinge im Stadtraum“ festhielt: „Sie sind anonym und doch immer wieder individuell. Sie sind ubiquitär und weisen gleichzeitig einen starken Ortsbezug auf. Sie sind in jeder Hinsicht bescheiden und eindringlich bildprägend.“
Straßenschilder oder Straßenbenennungstafel, wie sie hierzulande offiziell heißen, gehören überhaupt zu den ersten Straßenmöblierungen der modernen Großstadt. Die Vorgänger der heute üblichen blauen Tafeln entstanden im gründerzeitlichen Wien und waren Teil der ersten systematischen und verordneten Beschilderung städtischer Straßen. Dabei wurde ein System gewählt, das bis heute zu den bemerkenswerten Beispielen international gehört.
Straßennamen waren in Wien an sich seit Mitte des 13. Jahrhunderts verbreitet. Doch im Straßenbild sichtbar wurden sie erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts, als Kaiser Joseph II. ihre Anbringung an den Hauswänden verfügte. Dies erfolgte zunächst noch in handschriftlicher Form. Einheitliche Straßenschilder im heutigen Sinne sind erst seit 1862 in Verwendung. Sie waren Teil eines neuen Ordnungssystems, mit der man versuchte, der erweiterten und stark wachsenden Stadt Herr zu werden. Sie können als Symbol und zugleich Materialisierung des gesteigerten Orientierungs- und Kontrollbedarfs betrachtet werden – notwendig geworden (oder als solche erachtet) auch durch die zunehmende Trennung von Wohn- und Arbeitsstätten und daraus sich ergebende Mobilität, neue Interessen von Handel und Gewerbe, aber auch durch verstärkte Zuwanderung oder den beginnenden Städtetourismus.
Gemeinsam mit einer Umstellung der Hausnummerierung von den bezirksweisen Konskriptionsnummern auf die bis heute üblichen gassenweisen Orientierungsnummern beschloß man im Jahr 1862 auch eine einheitliche Beschilderung von Straßen. Die neuen Straßenaufschriftstafeln sollten dabei auch die Nummer und den Namen des Bezirks enthalten. Zusätzlich erhielten alle neun Bezirke eine eigene Farbe am Tafelrand. Innere Stadt: rot, Leopoldstadt: violett, Landstraße: grün, Wieden: rosa, Margarethen: schwarz, Mariahilf: gelb, Neubau: blau, Josefstadt: grau und Alsergrund: braun. Das galt auch für Hausnummernschilder. (Doch spätestens nach Eingemeindung der ehemaligen Vororte 1890/92 konnte dieses differenzielle Farbensystem aufgrund der mittlerweile 19 Bezirke nicht mehr aufrecht erhalten werden. In den neuen Stadtteilen waren die Tafeln nur noch rot umrandet.) Platznamen sollten hingegen nicht in Schwarz sondern in Rot angeschrieben werden. Als Wiener Spezifikum dürfte gelten, dass die Tafeln in den Radialstraßen rechteckig, in den übrigen tangentialen Straßen oval geformt waren. Auf diese Weise wußte man bald, ob man gerade um die Stadt herum oder stadteinwärts bzw. -auswärts unterwegs war. Die ovalen Schilder entsprachen zugleich jener monozentrischen Stadtform, die für Wien charakteristisch war und mehr oder weniger bis heute ist.
Den Auftrag für die Ausführung der Straßenbeschilderung erhielt (ohne Ausschreibung) der Gumpendorfer Metallfabrikant Michael Winkler, der die Schilder nach eigenem Verfahren aus Zinkguß herstellte. Winkler gab gleichzeitig auch „Orientirungs-Schemas“, sprich Straßen- und Häuserverzeichnisse, für die neuen Bezirke heraus. Dabei berief er sich auf den praktischen Grundsatz „Zeit ist Geld“. In der Tat ist es nicht verfehlt, die einheitliche und systematische Ausschilderung der Stadt ab Mitte des 19. Jahrhunderts auch im Kontext der sich etablierenden kapitalistischen Wirtschaftsordnung zu sehen. Diese setzte ja eine effiziente Erfassung und Darstellung des Stadtgefüges voraus, neben Adreßbüchern und Stadtplänen auch in Form von gut lesbaren Straßenschildern.
Wien hat sich also nach der ersten großen Stadterweiterung für ein attraktives, wenn auch relativ komplexes und vermutlich kostspieliges System der Straßenbeschilderung entschieden. Sie scheint ihre Funktion alles in allem gut erfüllt zu haben. Doch für Erstaunen konnten die hiesigen Straßentafeln zuweilen bei BesucherInnen sorgen. So witzelte der Berliner Journalist und Schriftsteller Julius Rodenberg anläßlich seiner Reise zur Weltausstellung im Jahr 1873 über das Wiener Orientierungssystem: „Welch ein complicirter Mechanismus für eine so einfache Operation, wird der Fremde denken, und welch ein Aufwand von Chromatik, Geometrie, Stereometrie, von rechts und links, von quer und radial!“
Damals wurde jedoch nicht nur die Straßennummerierung umgestellt und die Straßennamen in einheitliche Form gebracht. Gleichzeitig sollten Doppelbenennungen im Stadtgebiet vermieden werden. Hinter dieser harmlos klingenden Verordnung verbarg sich eine durchaus rigide obrigkeitliche Maßnahme. Zahlreiche althergebrachte und vermutlich identitätstiftende Straßen- und Gassennamen von lokaler Bedeutung verschwanden auf diese Weise. Praktisch in jedem Vorstadtbezirk gab es eine „Brunngasse“. Nunmehr durfte diese Bezeichnung nur noch in der Inneren Stadt bleiben (vorläufig). Die Eingemeindung mag den neuen früheren Vorstädten klarerweise einige Vorteile gebracht haben, ging aber auf der anderen Seite auch mit Verlusten einher. Die neuen Tafeln bedeuteten aber nicht nur Vereinheitlichung und Nivellierung sondern – gesamtstädtisch betrachtet – auch Ausdifferenzierung.
Doch nicht nur mehrfach vorkommende Straßennamen mußten neuen Benennungen weichen. Innerhalb eines Jahres wurde beinahe die Hälfte der Straßennamen in der Stadt umbenannt. Im Zuge dessen knüpfte man durchaus an lokale Gegebenheiten an oder schuf gleich neue Traditionen: So löste 1862 im dritten Bezirk die Weißgerberlände die frühere „Gänseweide“ ab, die zwar in keinem anderen Bezirk vorkam, doch offenbar nicht zum Image einer entstehenden bzw. angestrebten "Weltstadt" paßte. Im 9. Bezirk trat etwa die Schubertgasse an die Stelle der früheren Brunngasse. Zur gleichen Zeit entstand aber auch eine neue „Weidegasse“ anstelle einer „Kanalgasse“.
Wir hatten es hier offensichtlich mit einem massiven zentralistischen Akt der Normierung und einer Art semantischer Flurbereinigung zu tun. Dieser war mitunter auch Ausdruck einer forcierten Modernisierung, welche eine symbolische Desodorierung und Verbürgerlichung der Stadt verfolgte. Immerhin waren die Straßentafeln neues Gemeineigentum inmitten des überwiegend privaten Hausbesitzes und damit im wörtlichen Sinn markante kommunale Einschreibungen im Stadtraum.
Die Straßenschilder von damals sind also stille Zeugnisse dieser urbanen Expansion und nomineller Neuordnung der Stadt. Sie blieben – trotz Frakturschrift – vielerorts lange Zeit in Verwendung, und wurden erst im Laufe der 1960er Jahre flächendeckend abgenommen, größtenteils verschrottet oder veräußert und durch blaue Emailschilder ersetzt. Nur noch selten sind sie an originalen Standorten in situ erhalten (so etwa im Bereich der Hofburg). Die meisten „alten“ Straßenschilder, denen man heute begegnet, sind Nachbildungen aus den achtziger und neunziger Jahren. Damals entstand eine neue Generation „historischer“ Straßenschilder, mit denen man vor allem in Schutzzonen im Auftrag der Gemeinde versuchte, diese Art der Straßenmöblierung dem Stadtbild rekonstruktiv anzupassen. Hinsichtlich ihrer Gestaltung lagen diverse Vorschläge vor, die sich nicht nur im Material (von Aluminium über Polyesterbeton bis hin zum emaillierten Blech), sondern auch in der Qualität ihrer Typographie erheblich unterschieden. In manchen Fällen wurden bereits montierte nachgebaute Tafeln durch sorgfältigere, mehr an Originalvorlagen orientierte Exemplare ersetzt – offenbar das Ergebnis eines Disputs über die richtige „alte“ Beschilderung der Straßen.
Nun gelangt dieser größte noch existierende Bestand an historischen und historisierenden Wiener Straßenschildern, der bis jetzt von der MA 28 (Straßenverwaltung und Straßenbau) betreut wurde, in die Sammlung des Wien Museums. Hierfür wurden nach kuratorischen und konservatorischen Gesichtspunkten rund 290 Tafeln ausgewählt (unter zahlreichen Duplikaten und Triplikaten einer Adresse aus verschiedenen Schildergenerationen). Weitere rund 80 Exemplare übernehmen in einer Kooperation die Wiener Bezirksmuseen (koordiniert von Veronika Hafellner von der Stabstelle Bezirksmuseen).
Der Aktion stand auch der Restaurator und Denkmalschützer Martin Kupf beratend zur Seite. Er war bereits vor Jahrzehnten maßgeblich an der Erhaltung bzw. systematischer Wiederherstellung gründerzeitlicher Straßenschilder beteiligt. Konservatorisch betreut wurde die Übernahmeaktion von einem unserer MetallrestauratorInnen Michael Bollwein. Das Gros der beschwerlichen Reinigungs- und Beschriftungsarbeit sowie der Dateneingabe vollbrachten zwei StudentInnen vom Institut für Konservierung und Restaurierung (Universität für Angewandte Kunst) im Rahmen eines Praktikums. Nun werden die Straßentafeln als Sammlungsgut einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich und machen eine systematischere Aufarbeitung dieses Teils der Stadtgeschichte und dieser Kleininfrastruktur möglich.
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Kommentare
Lieber Sándor, was für ein hinreißender Beitrag zu so einem haptischen Thema! Vielen Dank! Katinka
Sehr geehrter Herr Herguth, danke für diese schöne Rückmeldung - das freut uns sehr! Herzliche Grüße nach Konstanz!
Sehr geehrter Herr Kraus, vielen Dank für Ihre Korrektur - schon ausgebessert!
Beste Grüße, Peter Stuiber (Wien Museum Magazin)
Eine sehr gute Sammlung und die Darstellung auch für den "Fremden" und Freund der Stadt Wien, der ich bin, sehr informativ. Ich habe mich darüber sehr gefreut.
Ein Danke den "Nicht-Schild-Bürger" sondern Schilderfreund !
Ein freundlicher Gruss ins Wien-Museum
GR Herguth
(Konstanz)
Das Gros ... -- nicht das Groß.