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Peter Stuiber, 2.3.2023

Die Carsony Brothers aus Simmering

Ein Handstand für die Ewigkeit

Sie standen mit Sammy Davis Jr., Jerry Lewis, Dean Martin und Frank Sinatra auf der Bühne und boten eine akrobatische Show, wie man sie bis dahin noch nicht gesehen hatte: Karl, Josef und Engelbert Schrom wuchsen in der Barackensiedlung Hasenleiten auf und machten als Carsony Brothers in den 1950er und 1960er Jahren eine Weltkarriere, die tragisch endete. Vor knapp zehn Jahren wurde ihre Geschichte dank eines Dokumentarfilms wieder bekannt, der zurzeit wieder ausgestrahlt wird.

Wie kann so etwas in Vergessenheit geraten? Diese Frage stellte sich Brigitte Lechner, Tochter von Engelbert (Bert) Schrom, einem der drei Carsony Brothers, oft. Zum Glück erfuhr die Filmemacherin Barbara Weissenbeck vor neun Jahren von der außergewöhnlichen Lebensgeschichte der drei Artisten-Brüder aus Simmering und drehte einen Dokumentarfilm, der 2014 im ORF gezeigt wurde – und nun wieder ausgestrahlt wird.

Barackensiedlung Hasenleiten

Doch alles der Reihe nach. Die Barackensiedlung Hasenleiten in Simmering, wo die „Carsony Brothers“ aufwuchsen, hatte nicht unbedingt den besten Ruf. Sie war im Ersten Weltkrieg als Lazarett entstanden und bot den Ärmsten der Armen nach dem Krieg ein notdürftiges Quartier. Noch Mitte der 30er Jahren wohnten hier rund 3500 Menschen, kaum jemand hatte Arbeit. Im Austrofaschismus begann man mit dem Bau einer städtischen Wohnhausanlage (die erst Jahre später fertig wurde), nach dem „Anschluss“ wurden in der noch verbliebenen Barackensiedlung auch jüdische Familien untergebracht, denen man die Wohnungen geraubt hatte – eine Zwischenstation auf dem Weg in die Vernichtungslager.

Die Schrom-Familie war in der Siedlung allseits bekannt – kein Wunder, mit 16 Kindern! Als der Vater starb, musste der Nachwuchs mithelfen, den kargen Lebensunterhalt zu bestreiten. Auch der Drittgeborene, Karl (Jg. 1924), der sich schon früh für den Zirkus begeisterte und bald Handstand und andere Kunststücke trainierte. Seine diesbezüglichen Ambitionen musste er allerdings – zumindest vorläufig – begraben, als er 1941 zur Wehrmacht eingezogen wurde. Von den Amerikanern bei Monte Cassino gefangen genommen, wurde er in das Gefangenenlager Fort Carson in Colorado gebracht. Von dort schrieb Karl seinen 1935 geborenen Zwillingsbrüdern Josef und Engelbert (Bert) Tipps, wie sie Handstand und andere akrobatische Nummern trainieren können. Mit den zwei talentierten Youngsters gründete Karl Schrom nach seiner Rückkehr 1948 die „Carsony Brothers“ (der Name der Akrobatentruppe leitet sich von Fort Carson ab).

Wenige Jahre später ging er mit Josef und Bert in die USA zurück – da hatten sie als Akrobaten aber bereits Auftritte von Europa bis nach Australien absolviert. Es in Amerika an die Spitze zu schaffen, war klarerweise das Ziel von Karl. Mit einer Kombination aus technischer Perfektion und Showtalent schafften die „Buam“ aus Hasenleiten den Durchbruch auch dort, wo die Konkurrenz am größten war. Die richtigen Kontakte dafür musste man sich hart erarbeiten. Einen entscheidenden Impuls lieferte der legendäre Entertainer Bob Hope, der wie kaum jemand Karrieren befeuern konnte und die Carsony Brothers in seine Show aufnahm.

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Undatierte Promo-Postkarte, Archiv Brigitte Lechner

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Undatierte Promo-Postkarte, Archiv Brigitte Lechner

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Undatierte Fotografie, Archiv Brigitte Lechner

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Es war vor allem Karl, der nicht nur einen unbändigen Ehrgeiz besaß, sondern ein untrügliches Gespür dafür, was es im Showbusiness braucht. Zum Beispiel ein Markenzeichen. Zu einem solchem wurde der einarmige Handstand auf einem Spazierstock, später kam auch der einarmige Handstand mit dem Finger in einer (verstärkten) Champagnerflasche dazu. Nicht nur eiserne Disziplin, auch gehöriger Mut verhalf dem Trio zum Durchbruch: Den Handstand auf einem Spazierstock praktizierte Karl an den „unmöglichsten“ Orten, in luftiger Höhe auf der Leuchtreklame des berühmten Nachtclubs Ciro´s in Hollywood, an der Dachkante von Wolkenkratzern und wo immer es sich anbot, um Publicity zu bekommen.

Mit humorvollen, atemberaubenden Acts katapultierten sich die drei Schrom-Brüder in die höchsten Höhen, traten in Hollywood und in Las Vegas auf, in der Ed-Sullivan-Show, in Monaco und vor der Queen in London – und im bekanntesten Gefängnis der USA, in San Quentin. Die Gagen stiegen, die Lebenskosten auch, zu den Freunden zählten Liberace, Dean Martin und Jerry Lewis. Nach sieben Jahre Tour besuchten die drei Carsonys erstmals wieder ihre Heimat. Jedes Mal, wenn ihr Vater Engelbert dann zu Besuch kam, war das für Brigitte Lechner etwas Besonderes: Ihre Mutter hatte als junges Mädchen eine Affäre mit ihm gehabt, die gemeinsame Tochter wuchs bei der Großmutter in Baden auf und hörte die abenteuerlichsten Geschichten von der Karriere ihres Vaters. Er war für sie lange ein faszinierender Fremder, der wie aus dem Nichts kam, sich dann immer wieder – vor allem in den Ferien – punktuell um sie kümmerte, um dann wieder in die Ferne aufzubrechen.

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Liberace mit den Carsony Twins, undatierte Fotografie, Archiv Brigitte Lechner

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Back in Hasenleiten, undatierte Fotografie, Archiv Brigitte Lechner

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Brigitte mit ihrem Vater Bert (rechts) und Onkel Josef, Archiv Brigitte Lechner

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Bert Schrom mit seiner Tochter Brigitte in Südfrankreich, um 1960, Archiv Brigitte Lechner

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Die Geschichte der Carsony Brothers aus Simmering ist eine faszinierende, „unglaubliche“ Erfolgsgeschichte, die an Hollywood-Filme erinnert. Aber sie ist kein Märchen und sie hat auch kein Happy End. 1964 nahm sich zuerst Bert das Leben, ein Monat später auch sein Zwillingsbruder Josef. Die Motive dafür liegen im Dunkeln. Nach dem tragischen Tod seiner Brüder nahm auch die Karriere von Karl ein baldiges Ende: Mit seinen Soloshows konnte er nicht an frühere Erfolge anschließen, später arbeitete er als Croupier in Las Vegas. 2012 starb er und wurde – wie seine Brüder – im Familiengrab der Schroms in Simmering bestattet.

Wie kann so eine Geschichte vergessen werden? Die Filmemacherin Barbara Weissenbeck erinnert sich genau an das erste Treffen mit Brigitte Lechner, der Tochter von Bert „Carsony“ Schrom. Im Café Westend erzählte Lechner die Geschichte ihres Vaters und ihrer zwei Onkel und brachte als Draufgabe Filmmaterial mit. „Am nächsten Tag habe ich dem ORF diese Story für einen Film vorgeschlagen – und so schnell wie noch nie einen Auftrag erhalten“, so Weissenbeck.

Noch im gleichen Jahr führte der Dreh beide Frauen in die USA. Für Brigitte Lechner eine emotionale Achterbahnfahrt zu den Wirkungsstätten ihres Vaters, für Weissenbeck als Filmemacherin insofern ein Experiment, da sich vieles erst vor Ort ergab. So etwa das Treffen mit dem anfangs skeptischen Nachlassverwalter von Karl Schrom. „Als er Vertrauen fasste, hat er seinen Aktenkoffer geöffnet – und drinnen waren zehn Filmrollen, die er mir dann zu Verfügung gestellt hat.“ Dieses Material bildete eine profunde Basis, dazu kamen dann Interviews und Re-Enactment-Szenen. Der Film hat jedenfalls die Geschichte der Carsony Brothers aus der Vergessenheit gerissen. Das war 2014. 2016 wurde ein Park in Simmering nach den drei Stars aus Hasenleiten benannt. Die Distanz zwischen der beschaulichen Grünanlage und dem berühmten Las Vegas Strip beträgt exakt 9.380 Kilometer.

Hinweis: Barbara Weissenbecks Film „Die Carsony Brothers – von Simmering nach Las Vegas“ ist noch bis Samstag, den 11. März, in der TVthek des ORF zu sehen. 

Wir danken Brigitte Lechner für die großzügige Bereitstellung von Bildmaterial aus ihrem Privatbesitz.

Peter Stuiber studierte Geschichte und Germanistik, leitet die Abteilung Publikationen und Digitales Museum im Wien Museum und ist redaktionsverantwortlich für das Wien Museum Magazin.

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