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Walter Öhlinger, 26.3.2020

Die Cholera in Wien 1831/32

Sauberes Wasser als Mangelware

In den Jahren 1831/32 wurde Wien von einer Katastrophe erschüttert, die gleichzeitig die verheerenden Folgen des unzureichenden Wasserversorgungs- und Kanalisationssystems schmerzlich bewusstmachte: Im August dieses Jahres trat in der Stadt erstmals ein Fall von Cholera auf.

Aus dem Indus-Delta kommend, hatte sich die Seuche über Persien und Russland ausgebreitet und schließlich die meisten großen Städte Europas erfasst. Noch stand die Medizin der rasanten Ausbreitung dieser Darmkrankheit, deren Erreger erst 1883 von Robert Koch identifiziert wurde, relativ hilflos gegenüber. Die meisten Kranken starben spätesten nach einigen Wochen, viele schon binnen weniger Tage, an der Austrocknung ihres Körpers.

Vergebens versuchte man, die Seuche durch Absperrungen und Kordone von der Stadt fernzuhalten. Nachdem sich die Krankheit in Wien epidemisch verbreitet hatte, richtete man in allen Spitälern Sonderabteilungen ein. Da diese nicht in der Lage waren, alle Erkrankten aufzunehmen, wurden – z. B. im Apollosaal – Notspitäler ins Leben gerufen. Provisorisch eingerichtete Apothekenfilialen sollten die Versorgung mit Medikamenten verbessern.

Die Kaiserfamilie hat Angst - auch vor Revolten


Die kaiserlichen Wohnsitze, Schönbrunn und das Belvedere, waren für die Dauer der Epidemie von der Umwelt völlig abgeschirmt. Ihre strenge Bewachung durch das Militär sollte nicht nur potentielle Überträger der Krankheit fernhalten, man fürchtete auch Unruhen. Denn durch die von der Seuche erzwungene Schließung der Fabriken hatten viele Menschen Arbeit und Brot verloren. Als erste Maßnahme gegen die Arbeitslosigkeit wurden 5.500 auswärtige Arbeiter und Arbeiterinnen und über 3.500 Menschen jüdischen Glaubens – die für ihren Aufenthalt in Wien eine besondere Bewilligung benötigten – aus Wien abgeschoben. Bis Februar 1832 starben in Wien an der Cholera rund 2.000 Menschen. Nur etwa jeder zweite Erkrankte überlebte. Nachdem die Seuche schon besiegt schien, flammte im Sommer 1832 eine zweite Welle mit ähnlich hohen Opferzahlen auf.

Die im Zuge der Industrialisierung sprunghaft angewachsenen Großstädte – in Wien mit seinen Vorstädten und Vororten lebten damals fast 320.000 Menschen – boten mit ihren engen Gassen und kleinen Wohnungen, besonders aber durch die unkontrollierte Entsorgung des gesamten Unrats, der Seuche idealen Nährboden. In Wien war insbesondere der Wienfluss, in den die Abwässer der angrenzenden Vorstädte flossen, ein Krankheitsherd. In ihm schwammen nicht nur Unrat, Kot und Tierkadaver, er führte auch die Abwässer der am Fluss angesiedelten Gewerbebetriebe, von denen besonders jene der Färbereien und Gerbereien das Wasser schwer belasteten. Über das Grundwasser wurden die Hausbrunnen, die damals noch die meisten Wiener Häuser versorgten, verseucht.

Schon in josephinischer Zeit hatte man daher versucht, dem Problem durch Vertiefen des Flussbettes beizukommen. Das Beispiel London zeigte, dass die Ausbreitung von Krankheiten wie der Cholera auch durch ein modernes System aus Wasserleitungen und Kanälen eingedämmt werden konnte. So nahm man in Wien nach dem Abklingen der Epidemie als erstes den Bau von Sammelkanälen beiderseits des Wienflusses in Angriff. Sie sollten die Abwässer aufnehmen und erst kurz vor der Mündung in den stadtnahen Donauarm in den Wienfluss einspeisen.

Der Bau der „Cholerakanäle“ konnte freilich nur ein erster Schritt zur „Assanierung“ Wiens sein: Die Wasserversorgung der Stadt war völlig hinter dem gestiegenen Bedarf der sprunghaft angewachsenen Bevölkerung zurückgeblieben. Zwar gab es vereinzelt Wasserleitungen, wie z.B die „Albertinische Wasserleitung“, die Herzog Albert von Sachsen-Teschen von Hütteldorf her hatte anlegen lassen. Doch der bei weitem größte Teil der Wiener bezog das Wasser aus – hygienisch oft bedenklichen – Hausbrunnen oder von „Wasserern“, die mit Wasserwagen durch die Stadt zogen und das kostbare Nass verkauften.

Zunächst wurde – bis 1834 – am rechten Ufer ein Kanal gegraben, dann am linken. Die dringend erforderliche Sanierung des Flusses war Teil eines Arbeitsbeschaffungsprogramms, zu dem auch die Errichtung des Nußdorfer Damms und des Kriminalgerichtsgebäudes (heute Landesgericht) gehörte. Damals begann man auch mit der Einwölbung des Ottakringer und des Alser Bachs. Beim Kanalbau fanden rund 5.000 Menschen Arbeit.

„Kaiser-Ferdinands-Wasserleitung" wird gebaut


Bei seinem Regierungsantritt 1835 stellte Kaiser Ferdinand der Stadt Wien das ihm übergebene Krönungsgeschenk mit der Auflage zur Verfügung, aus diesen Mitteln eine Wasserleitung zu bauen. In fast zehnjähriger Bauzeit entstand die „Kaiser-Ferdinands-Wasserleitung", die 264 Brunnen in der Stadt und in einigen Vorstädten mit mehrfach gefiltertem Donauwasser aus den Sand- und Schotterschichten der Spittelauerlände versorgte. Obwohl die Wasserleitung schließlich rund 10.000 Kubikmeter Wasser pro Tag lieferte, konnte sie den weiterhin steigenden Bedarf nicht decken; überdies erwies sich die Filterung des Wassers als unzulänglich: Immer wieder kam es zu Choleraepidemien, Typhuserkrankungen häuften sich. Eine zufriedenstellende Versorgung Wiens mit Wasser konnte erst mit dem Bau der beiden Hochquellenwasserleitungen (eröffnet 1873 bzw. 1910) gewährleistet werden.

Der Text ist eine überarbeitete Passage aus: Walter Öhlinger: Wien im Aufbruch zur Moderne (Geschichte Wiens Bd. 5), Wien 1999

 

Walter Öhlinger, Historiker, Studium der Geschichte und Deutschen Philologie, seit 1989 Mitarbeiter des Wien Museums, Kurator für Wiener Stadtgeschichte 1500–1918 mit den Schwerpunkten politische Geschichte und Sammlungen des ehemaligen Wiener Bürgerlichen Zeughauses. 

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