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Die Ferdinandsbrücke als Einkaufsstraße
Rialto lässt grüßen
Im Jahr 1888 kam der Ingenieur Oswald Liss, der Erbauer der Sophienbrücke, auf die Idee, die damals noch hölzerne Ferdinandsbrücke (die heutige Schwedenbrücke) über den Donaukanal umzuformen, ohne dass die Gemeinde dafür aufkommen müsste. Anlass waren unter anderem die häufig notwendig gewordenen Reparaturen, die bereits in der zeitgenössischen Satire ihren Niederschlag gefunden hatten, sowie die Umgestaltungspläne der Gemeinde Wien für den Franz-Joseph-Kai.
Oswald Liss ersann eine Brücke mit Geschäftslokalen, für die er eine neuartige Konstruktion entwickelte. Dieses neue Bauwerk, das in der Verlängerung der Rotenturmstraße über den Donaukanal errichtet werden sollte, hätte zu beiden Seiten zweigeschoßige Geschäfte beherbergt. In der Mitte sollte eine Fahrspur für die Dampftramway und den allgemeinen Verkehr situiert sein. Für das Vorhaben gründete Ingenieur Oswald Liss mit dem Architekten Alexander von Wielemans und der Baugesellschaft Gross & Co, die mit der Ausführung betraut werden sollte, eine Errichtungsgesellschaft. Die Beteiligten gaben an, die neue Brücke auf eigene Kosten errichten zu wollen und durch die mehrjährigen Miet- und Pachteinnahmen die Brücke sich selbst finanzieren zu lassen. Nach einer vereinbarten Zeitspanne wäre die Brücke samt den Geschäftslokalen automatisch in den Besitz der Gemeinde Wien übergegangen. Die Stadt hätte auf diesem Weg gratis eine neue Brücke erhalten, die ihr zudem noch Mieteinnahmen brachte.
Dieser Brückentyp ist keine gänzlich neue Erfindung. Als Vorbild dieses Brückentypus lassen sich einige sehr bekannte Bauwerke in Italien und England ansehen. In Florenz der Pontevecchio über den Arno oder in Venedig die Rialtobrücke über den Canal Grande. Gerade letztere wird mit ihrer Noblesse gerne genannt. Ursprünglich wurden Brücken dieser Art von Handwerkern, die wie Gerber und Schlachter „schmutzige“ Gewerbe ausübten, genutzt. Erst mit der Zeit wurden diese durch „feinere“ Handwerker wie Goldschmiede oder Händler abgelöst. Auch in England befand sich seit dem Mittelalter ein solchen Vertreter – die London Bridge. Diese war eine der größten Brücken dieses Typs, die sogar fünfgeschoßige Häuser aufwies, aber im Laufe der Zeit zu einem Hindernis für die aufstrebende Schifffahrt wurde und daher im frühen 19. Jahrhundert durch die heutige Tower Bridge ersetzt wurde.
Zurück nach Wien: Für die Neugestaltung der Ferdinandsbrücke hatte Oswald Liss den an der Technischen Hochschule Wien und an der Akademie der Bildenden Künste Wien ausgebildeten Architekten Alexander von Wielemans Monteforte gewonnen. Alexander von Wielemans Monteforte (1843–1911), ein Schüler Friedrich von Schmidts, in dessen Atelier er auch gearbeitet hatte, war ein junger, durchaus erfolgreicher Architekt. Er plante unter anderem den Wiener Justizpalast, das Grazer Rathaus sowie einige Wiener Kirchen. Wielemans war den Neuerungen der Technik und der Eisenkonstruktion sehr aufgeschlossen, „versteckte“ diese Neuerungen – wie viele seiner Zeitgenossen – aber hinter aufwendigem Dekor.
Das Projekt für die neue Ferdinandsbrücke gefiel Wielemans sowohl von der Idee als auch der Konstruktion, für die der Ingenieur eine gänzlich neue Tragkonstruktion entwickelt hatte. Alexander von Wielemans übernahm die architektonische Gestaltung des an sich rein technischen Bauwerks. Er sah an beiden Längsseiten der Brücke zweigeschoßige Geschäfte vor, die jeweils ein Erd- und ein Mezzaningeschoß erhalten sollten. Die Etagen konnten durch Wendeltreppen, Freitreppen oder auch mittels Aufzügen erschlossen werden. Die Zwischenwände der Metallkonstruktion sollten mit Betonteilen nach dem „Betonbausystem Monier“ ausgefacht werden und somit feuersicher sein. Alle Geschäfte hätten den damals modernsten Standards entsprochen. Liss und Wielemans sahen durchwegs Wasserklosetts, fließend Wasser und elektrische Beleuchtung vor. Um in den Wintermonaten die nötige Wärme in den Geschäftslokalen zu sichern, war eine Zentralheizung geplant, deren Heizraum sich im Brückenkopf befinden sollte. Wie Wielemans Ausführungen in einem Vortrag von 1890 zu entnehmen ist, wären nicht nur die Geschäftslokale, sondern auch der Außenbereich mittels elektrischer Beleuchtung illuminiert gewesen. Seit der Elektrizitätsausstellung 1883 in der Wiener Rotunde war alles Elektrische der letzte Schrei.
Zur optischen Hervorhebung des Bauwerkes erdachte der Architekt ein triumphbogenförmiges Verbindungselement zwischen den beiden Brückenkopfbauten an jeder Flussseite. Die reich verzierten Portale der Geschäfte sollten in Holz ausgeführt werden. Zur Frage der Gestaltung äußerte sich Alexander von Wielemans, dass der modernste und dieser Konstruktion entsprechendste Stil zur Ausführung kommen sollte – für ihn war es die Gotik. Er begründet seine Wahl mit der leichten Bauweise der Konstruktion, die bereits bei den Kathedralen Verwendung fand. Die Metallkonstruktion stellte sich der Architekt nicht wie wir es heute annehmen würden in Schwarz oder Grün, sondern in hellem Elfenbein vor, deren Ornamentierung polychrom gefasst sein sollte. Das überwiegende Elfenbeinweiß beziehungsweise gebrochenes Weiß entspricht auch jener Farbe, die nur wenige Jahre später bei den Metallteilen von Otto Wagners Stadtbahn und Vorortelinie zur Anwendung kommen sollte.
Die Formfrage wird von Alexander Wielemans ganz aus der Zeit des Historismus besprochen: „Die dem spätgothischen Style eigenthümliche leichte und luftige Formbildung“ war für Alexander Wielemans sowohl in der Fläche als auch in der Binnenstrukturierung eine ideale Lösung. Der Architekt betont in seiner Erläuterung vor dem österreichischen Ingenieur- und Architektenverein außerdem, zu welcher Zeit welche Techniken verwendet wurden. Anhand seiner Argumentation wird nachvollziehbar, dass im Historismus die Wahl des Stils nicht wie es oft den Anschein hat auf willkürlichen formalen Entscheidungen basierte. Es wurde einerseits eine Verbindung zur Bauaufgabe hergestellt, andererseits – wie es hier der Fall ist – versuchte der Architekt seine Stilwahl auch anhand des verwendeten Materials zu begründen.
In den zeitgenössischen Medien wurde das Projekt der neuen Ferdinandsbrücke großteils als utopisch und als Phantasterei bezeichnet. In einem Zeitungsbeitrag wird sogar von einem Glaspalast über den Donaukanal gesprochen. In der Zeitschrift Der Bautechniker war jedoch zu lesen, dass die Bausektion des Gemeinderates den Projektanten vollste Anerkennung für die „künstlerische und constructive hervorragende Leistung“ aussprach. Dennoch wurde das Projekt am 30. Mai 1900 nach 12 Jahren der Planungen und Verhandlungen vom Wiener Gemeinderat abgelehnt. Das utopische Projekt sollte damit nie zur Ausführung kommen.
Alexander von Wielemans Monteforte in: Architektenlexikon Wien 1770–1945, https://www.architektenlexikon.at/de/686.htm (abgerufen am 7.8.2024).
Liss, Oswald. „ Neuerung an Den Überbau Eiserner Oder Stählerner Brücken.“, 1888, https://privilegien.patentamt.at/image/1889_004598/1/ (abgerufen am 4.8.2024).
Der Bauinteressent, Geschäftliche Nachrichten der Wiener Bauindustrie-Zeitung, 17. Jg., Nr. 36, 7. Juni 1900, S. 273.
Der Bautechniker, 11. Jg., 1891, Nr. 7, S. 92.
Donaubauer et al, Restauratorische Untersuchung an drei Stadtbahnstationen Otto Wagners – Bauzeitliche Gestaltung, in: ÖRV-Journal, 2018, S. 15–23 (S. 18–19), http://www.askr.at/cms/wp-content/uploads/2018/07/03_Donaubauer-et-al_Stadtbahnstationen-O-Wagner_%C3%96RV-Journal-2018_S-15-23.pdf (abgerufen am 3.8.2024).
Neue Freie Presse, Nr. 8664, 7. Oktober 1888, S. 5.
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