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Frauke Kreutler, 13.1.2022

Die Fotografin Lilly Joss Reich

Blitzlichter einer Karriere

Im Wien Museum befindet sich eine der umfangreichsten Bestände an Fotografien der österreichisch-amerikanischen Fotografin Lilly Joss Reich (geb. Lilly Joseph). Neben ihrer Arbeit als Fotografin bezeugen ihre Fotografien auch ihren langen und abenteuerlichen Weg von Wien bis nach New York.

Die Übernahme in die Sammlung des Wien Museums verdanken wir den Bemühungen der Fotohistorikerin Anna Auer, die es uns ermöglicht hat, die Fotos direkt von Lilly Joss Reich 1999 anzukaufen. Denn die heute weitgehend unbekannte Fotografin gehört zu jenen jüdischen Exilfotograf*innen, die vor den Nationalsozialisten nicht nur einmal fliehen mussten.

Kindheit in Wien

Lilly Joseph wurde am 28. Juni 1911 in Wien geboren. Mit der Fotografie kam sie schon als Kind in Berührung, führte ihr Vater Georg J. Joseph doch ein Geschäft für „Photographische Apparate“ in der Operngasse 2. Als der Vater um 1919 an Tuberkulose verstarb, musste die mittellose Mutter Ida Joseph mit ihren beiden Töchtern Lilly und Gertrud Wien verlassen um zu Verwandten nach Berlin zu ziehen.

Ausbildung in Berlin

In Berlin begann sich die junge Lilly für Fotografie zu begeistern, nachdem sie als fünfzehnjährige bei einem Fotowettbewerb den ersten Preis gewonnen hatte. Trotz aller Bedenken ihrer Verwandten begann sie eine Fotografenlehre bei einer Porträtfotografin in Berlin, die sie 1933 abschloss. Sie inskribierte auch das Fach Chemie an der Technischen Universität Berlin, um fotochemische Prozesse besser zu verstehen und um fotografische Emulsionen selbst herstellen zu können. Bereits während ihrer Ausbildung besuchte sie immer wieder ihre Schwester Gertrud, die inzwischen in Paris lebte und an der Sorbonne Französisch studierte. Viel Zeit um sich als Fotografin zu etablieren blieb ihr nicht, denn bereits ein Jahr später, nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten, musste sie 1934 gemeinsam mit ihrer Mutter Berlin verlassen. Für Juden wurde es zu gefährlich und so flüchtete die Mutter zu ihrer zweiten Tochter nahe Paris nach Saint Germain-en-Laye.

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Atelier in Paris

Lilly Joseph zog es hingegen in die Welthauptstadt der Künste nach Paris, wo es eine rege Kulturszene gab, die es für eine frisch ausgebildete Fotografin zu erkunden galt. Viele Fotograf*innen wählten auch schon in der Zwischenkriegszeit Paris als das Zentrum ihrer Arbeit, so z.B. Dora Kallmus, bekannt unter dem Namen Madame d´Ora oder die Fotografin Lisette Model. Andere wiederrum, wie Hans Popper, Trude Fleischmann oder Edmund Engelman flüchteten später vor den Nationalsozialisten in die französische Hauptstadt. Lilly Joseph bezog eine Wohnung in der Rue Erlanger in der sie auch ein eigenes Fotostudio einrichtete. Sie machte sich in den darauffolgenden Jahren als Porträtfotografin selbstständig und dürfte, bei den vielen Persönlichkeiten, die vor ihrer Kamera posierten, damit auch sehr erfolgreich gewesen sein. Sie porträtierte Albert Einstein, Familienmitglieder der Rothschilds, Mitglieder des schwedischen Königshauses oder den Schriftsteller Tristan Bernard. Sie fotografierte auch außerhalb des Ateliers, wie z.B. den österreichischen Pavillon von Oswald Haerdtl bei der Pariser Weltausstellung 1937.

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Ihr und den anderen Fotograf*innen blieb nicht viel Zeit, um sich in der französischen Metropole langfristig zu etablieren, denn auch die neue Heimat konnte ihnen auf Dauer keine Sicherheit bieten. Abermals mussten sie vor den Nationalsozialisten fliehen. Zuvor brachte Lilly Joseph Glasnegative, Kamera und verschiedene Schriftstücke (u.a. handschriftliche Rezeptsammlungen ihrer Mutter) bei einem amerikanischen Freund in Paris vermeintlich in Sicherheit. Jedoch wurden die zurückgelassene Fotoausrüstung sowie der gesamte Glasnegativbestand von deutschen Besatzungssoldaten entdeckt, beschlagnahmt und zerstört, denn das Silber aus der Negativbeschichtung sowie das Glas waren begehrte Rohstoffe für die Weiterverarbeitung in der deutschen Industrie.

Abenteuerliche Flucht nach Casablanca

Nach dem Einmarsch von Hitlers Armeen in Paris flüchtete die Fotografin 1940 zusammen mit ihrer Mutter weiter Richtung Bordeaux, in der Hoffnung, ein Schiff würde beide nach England bringen. Tatsächlich konnten sie und ihre Mutter auch ein Ticket für ein Schiff ergattern, welches sie außer Landes brachte. Allerdings stellte sich heraus, dass dieses nicht Richtung London, sondern Richtung Casablanca in Marokko unterwegs war. Dort bekam Lilly Joseph keine Fotoaufträge, und sie musste ihren Lebensunterhalt durch Arbeit als Deutschlehrerein und Dolmetscherin verdienen. Trotzdem gibt es fotografische Zeugnisse aus ihrer Zeit in Marokko. Mit einer Rolleiflex-Kamera dokumentierte sie das Alltagsleben in der Stadt und das Aufeinandertreffen der verschiedenen Kulturen auf den Straßen Casablancas. Joseph schien sich besonders für das Leben der arabischen Frauen zu interessieren, viele der Fotos zeigen verhüllte Frauen mit ihren Kindern, im Park sitzend oder durch die Straßen gehend.

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Ankunft in New York

Im Spätherbst 1941 war es dann so weit: Joseph und ihre Mutter erhielten das sehnsüchtig erwartete Einreisevisum in die Vereinigten Staaten von Amerika. Trotz der relativ späten Ankunft in New York und trotz des Verlustes eines großen Teils der Fotoausrüstung gelang es ihr, sich erneut als Fotografin zu etablieren. 1941 bezogen sie und ihre Mutter eine Wohnung in der West End Avenue in Bloomingdale, in der es auch genug Platz für eine Dunkelkammer gab. 1943 fotografierte sie den Künstler Fernand Léger in seinem Atelier.

Das Foto gefiel der „Life“ Redaktion, sodass sie fortan für Fotoreportagen engagiert wurde. In den USA nannte sich Lilly Joseph fortan Lilly Joss. Sie erhielt durch die Mithilfe eines Empfehlungsschreibens der „Vogue“ an die Fotoagentur „Black Star“ Aufträge für führende Magazine wie „Look“ und das „Ladie’s Home Journal“. Allerdings bekam sie bei „Black Star“ einen schlecht dotierten Vertrag. Im Gegensatz zu ihren männlichen Kollegen verdiente sie weitaus weniger an den Aufträgen. Um ihr geringes Einkommen aufzubessern, arbeitete sie daher nebenbei als Retuscheurin im Museum of Modern Art.

Joss’ Schwerpunkt lag im Fotografieren von Home-Stories, die in Magazinen veröffentlicht wurden. Für eine Ausgabe von „Life“ fotografierte sie zum Thema „Frühling“ das Treiben der Menschen im Central Park (Abb. Life). In einem Interview beschreibt sie die Herangehensweise folgendermaßen: „… I hunted for spring and found glimpses of it … in a pattern shot of a row of the spring crop of babies – in grandpa sailing his grandson’s new boat – in the first game of checkers … The air was cool but it was spring – and `Life´ liked all my pictures!“

Ein besonderes Gespür beim Fotografieren entwickelte Joss für Kinder und bekam viele thematisch passende Aufträge. In Fotoreportagen über chinesische Schulkinder in China Town, eine Kampagne gegen Vandalismus in Schulen oder die Arbeit von Hebammen fotografierte sie vor allem Kinder sehr einfühlsam und versuchte sie in der alltäglichen Umgebung so „ungekünstelt“ wie möglich zu dokumentieren. Trotz der vielen eingesetzten Blitzlampen scheinen sich die Menschen vor der Kamera nicht unwohl zu fühlen. „Little Lilly Joss puts everything of herself into her pictures. She feels each story deeply-and her work reflects it“ schreibt der Life-Fotograf Philippe Halsman über sie.

1958 heiratete Joss den auch aus Wien stammenden Drehbuchautor Richard Reich und widmete sich fortan als Lilly Joss Reich zunehmend der Porträtfotografie und reduzierte die Aufträge ihre Arbeit für Magazine. (Ab den 1960er Jahren begann ihre Sehkraft nachzulassen – eine für Fotograf*innen furchtbare Diagnose – und ab den 1970er Jahren musste sie das Fotografieren daher gänzlich aufgeben.

Und wieder schaffte es Joss Reich trotz widriger Umstände ihr Leben erneut in den Griff zu bekommen: sie begann sich mit den überlieferten und aus Paris vor den Nazis geretteten Wiener Rezepten ihrer Mutter und Großmutter zu beschäftigen und machte die familiären Köstlichkeiten für eine breite Feinschmeckerschar anhand von Rezeptanleitungen zugänglich. Gekrönt wurden ihre Backanleitungen für amerikanische Mehlspeisenfans mit dem Kochbuch „The Viennese Pastry Cookbook. From Vienna with Love, over 200 authentic recipes for classic pastries and warm desserts.“, welches ein Klassiker der Mehlspeisenküche in den USA werden sollte und in dessen Vorwort die Autorin sich noch einmal an ihre Kindheit in Wien erinnert.

Literaturhinweise

Anna Auer, Kunsthalle Wien (Hrsg.), Übersee Exodus from Austria, Flucht und Emigration Österreichischer Fotografen 1920-1940, Wien 1997, S. 140f.

Anna Auer, Lilly Joss Reich (1917-2006) (Sic!), Fotografin und Spezialistin für Wiener Mehlspeisen, in: Zwischenwelt. Literatur-Widerstand-Exil, 23. Jg. Nr. 4, Juni 2007, Wien 2007, S. 38.

Ulla Fischer-Westhauser, „Ich war immer unabhängig“ Die Fotografin Lilly Joss Reich, in: Andrea Winklbauer (Hrsg.), Moderne auf der Flucht. Österreichische KünstlerInnen in Frankreich 1938-1945, Wien 2008, S.167ff.

Barbara Green, Magazine Photographer. Lilly Joss, in: The Camera, March 1948, S. 46.

Margarethe Szeless, Paris. Eine Station österreichischer FotografInnen auf der Flucht, in: Moderne auf der Flucht, S. 81ff.

 

Weitere Informationen zu Lilly Joss Reich findet man auch auf der Website des Forschungsprojekts Metromod.

Frauke Kreutler, Ausbildung zur Fotografin, Studium der Kunstgeschichte in Wien und Dublin; 2001-2003 wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Fotosammlung der Albertina Wien; seit 2003 Kuratorin im Wien Museum, seit 2008 Leiterin der Abteilung Digitales Sammlungsmanagement im Wien Museum. Wissenschaftlicher Schwerpunkt: Geschichte der Fotografie

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