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Franka Bindernagel und Alina Strmljan, 9.1.2022

Die Geschichte des Tröpferlbades

Körperhygiene für alle

Tröpferlbäder bezeichnen in Wien öffentliche Brausebäder, in denen sich Menschen gegen ein geringes Entgelt oder sogar kostenfrei duschen können. Rund hundert Jahre zählten sie flächendeckend zum fixen Inventar in der Stadt. 

Bei den Tröpferlbädern handelt es sich um Reinigungsbäder, deren vorwiegender Zweck – im Gegensatz zu Regenerationsbädern – die Körperhygiene ist. Ihre Entstehung Ende des 19. Jahrhunderts fällt in eine Zeit, in der die (tägliche) Reinigung des Körpers mit sauberem Wasser alles andere als selbstverständlich war. Im Zuge der Industrialisierung war die Bevölkerungszahl Wiens rasant angestiegen und die hygienische Situation vor allem in den dicht bewohnten Arbeiterbezirken katastrophal.

Für den Großteil der Bevölkerung war die sogenannte Bassenawohnung mit Wasser am Gang und Gemeinschaftsklos Wohnalltag. Bis zur Errichtung der Hochquellwasserleitung war fließendes Wasser oder gar ein eigenes Badezimmer wohlhabenden Personen vorbehalten. Verschmutztes Wasser aus Brunnen und eine nur schlecht ausgebaute Kanalisation taten ihr Übriges dazu, dass Krankheiten wie die Cholera regelmäßig epidemisch ausbrachen und zu zahlreichen Todesfällen führten. In diesem Kontext setzten Politiker*innen sowie Teile der bürgerlichen Zivilgesellschaft neben Sozialreformen bauliche Schritte, um die hygienische Situation zu verbessern: Die Erste und Zweite Hochquellwasserleitung und die Erweiterung des Kanalisationssystems, aber eben auch insbesondere vom Berliner Arzt Oscar Lassar und der Deutschen Gesellschaft für Volksbäder propagierte Eröffnung von öffentlichen Duschbädern waren Teil dieser Bestrebungen für eine Verbesserung der Stadthygiene.

„Probe-Douchebad“ in der Mondscheingasse

Das erste Tröpferlbad in Wien wurde am 22. Dezember 1887 in einem ehemaligen Armenhaus in der Mondscheingasse im 7. Bezirk eröffnet. Es verfügte über 42 Brausezellen für Männer und 28 für Frauen. Grundlage war ein Gemeinderatsbeschluss, der im Jahre zuvor festgelegt hatte, dass mit Ausnahme der Inneren Stadt in allen Bezirken ein öffentliches Brausebad errichtet werden sollte. Bedingung: Das „Probe-Douchebad“ müsse von der Bevölkerung angenommen werden. Sicher war das keineswegs, da öffentliche und günstige Duschbäder, die von früh bis spät von vielen Personen gleichzeitig genutzt werden konnten, in Wien eine Neuheit darstellten.

Das Bad in der Mondscheingasse erwies sich schnell als voller Erfolg. Laut dem damaligen Leiter der Städtischen Bäder Hermann Beraneck wurde am ersten Betriebstag aufgrund des hohen Andrangs sogar eine der Türen des Bades beschädigt. Der Gemeinderatsbeschluss wurde konsequent umgesetzt und mit Ausnahme von 1. und 19. Bezirk in allen Bezirken ein Volksbad gebaut. 1897 – zehn Jahre nach der Eröffnung des ersten Tröpferlbads – gab es bereits elf Städtische Volksbäder, 1903 fünfzehn. Auch in den Besucher*innenzahlen spiegelte sich der Erfolg wider:  Sie hatten sich von 526.000 im Jahr 1893 zu 1.705.614 im Jahr 1903 mehr als verdreifacht.

Den so viel getätigten Gang ins Tröpferlbad kann man sich aus heutiger Sicht wie eine Mischung aus einem Besuch eines öffentlichen Schwimmbads und der Nutzung des eigenen Badezimmers vorstellen: Zunächst erhielt man nach dem Eintritt an der Kassa eine Zählkarte und einen Schlüssel zum zugewiesenen Garderobenkästchen, das sich in den Auskleideräumen befand. Zudem bekam man ein Handtuch und eine Badeschürze, die noch mindestens bis 1943 von den Badegästen während des Duschens getragen werden musste. Die geschlechter- und altersgetrennten Auskleide- und Duschräume waren angenehm beheizt und vermutlich durch einen Vorhang voneinander getrennt.

Die Badezeit von 30 Minuten wurde ab Erhalt der Zählkarte gestoppt und umfasste somit auch den Aus- und Anziehprozess, was nicht selten zu Beschwerden seitens der Badegäste bzw. Meldungen seitens des Badepersonals führte. Gleiches galt für das Wasser, das mit ca. 35 Grad Celsius durch die Trittbrettbrausen fließen sollte. Dass dies, gerade bei hoher Besuchsfrequenz manchmal nicht der Fall war und das Wasser nur „tröpfelte“, ist übrigens auch der Grund für den Wiener Ausdruck Tröpferlbad. Diese waren somit Orte, an denen sich viele Menschen bei einer eigentlich intimen Handlung – der Körperpflege – begegneten und es auch zu Unstimmigkeiten kommen konnte. Davon zeugen zeitgenössische Quellen, aber auch auf humorvolle Weise das Musikduo Pirron und Knapp, das den Wiener Volksbädern mit dem Lied „Im Tröpferlbad“ noch in den 1950er Jahren ein musikalisches Denkmal setzte:

Endlich samma drinnan, in der Umkleidekabin\',
de Nockat\'n, de rennan her und hin und her und hin
und her und hin und her und hin.
Ana von de Nockat\'n, der is unhamlich g\'füht,
sei Freind schaut aus, ois wira Röntg\'nbüd...
büd...büd...büd...büd...büd...büd.
\'S is ein Gedränge, in dera Menge und kana waß
mehr g\'wiß, wöcha Fuaß sei eig\'na is;
\'s is wira a Noanhaus, mia ziag\'n uns d\'Schuach aus,
doch unser Nebenmau, ziagt\'s uns wieda au!

Der Erfolgstrend der Tröpferlbäder setzte sich im Roten Wien der Zwischenkriegszeit fort, indem neue größere Badeanstalten in einem noch nie dagewesenen Standard gebaut (Ratschkybad) und bestehende Tröpferlbäder durch Aus- und Umbauten aufgewertet bzw. modernisiert wurden.

Neben Einbauten von regenerativen Elementen wie Dampf- und Saunabädern zählte auch die Einführung einer teureren 1. Klasse mit privater Brausezelle inklusive Umkleidebereich zu diesen Aufwertungen. Der Plan ging auf: 1926 nutzten 4.281.106 Personen die Wiener Volksbäder. Grund für diese Entwicklungen war weiterhin das fehlende Badezimmer: Sogar die hochqualitativen, von der Stadt neu errichteten Gemeindewohnungen verfügten zwar über Klos und fließendes Wasser, aber wie auch die privaten Zinshäuser davor noch über kein eigenes Badezimmer.

Erst als sich dies ab den 1950er-Jahren änderte und der Einbau einer Bade- oder Duschmöglichkeit – ob in Neubauten oder „nachträglich“ durch teilweise heute durchaus kurios erscheinende Zwischenlösungen in Altbauten – üblich wurde, setzte ein kontinuierlicher Rückgang der Besuchszahlen der Volksbäder ein. Immer weniger Menschen waren für die alltägliche Körperpflege auf „reine“ Tröpferlbäder angewiesen, zumal auch Schwimm- und Saunabäder der Stadt Wien Brause- und Wannenbäder anboten.

Nicht nur für die Körperpflege

Davon ausgehend lässt sich ab den späten 1970er-Jahren die Schließungsphase der nun meist auch technisch veralteten Tröpferlbäder festmachen. Es folgte die Aufwertung einiger Badeanstalten wie dem Apostel- oder dem Ratschkybad zu Saunabädern, die meisten wurden auf lange Sicht jedoch wegen geringen Bedarfs geschlossen. Dass dies insbesondere bei den noch verbliebenen Nutzer*innen  auf wenig Zuspruch stieß, hing auch damit zusammen, dass Tröpferlbäder oftmals nicht nur zur Körperpflege, sondern auch als Sozial-, Fürsorge- und Kommunikationsort geschätzt wurden. Heute gibt es in der Friedrich-Kaiser-Gasse im 16. Bezirk noch ein letztes Bad, das ausschließlich über Brausen verfügt. Es wird von der Stadt Wien als – übrigens auch in Zeiten der Pandemie zugängliche – öffentliche Sozial- und Gesundheitseinrichtung betrieben, um allen Wiener*innen den Zugang zu Körperhygiene zu gewährleisten.
 

Hinweis:

Derzeit sind im Bezirksmuseum Wieden in der Ausstellung „Die Dusche ums Eck. Zur Baugeschichte eines Tröpferlbads“ die jüngsten bauhistorischen Forschungsergebnisse zum ehemaligen Tröpferlbad in der Klagbaumgasse 4 zu sehen. Die Präsentation wurde von Studierenden der Technischen Universität Wien im Rahmen des Seminars „… und das soll ein Denkmal sein?!“ unter der Leitung von Katharina Roithmeier und Agnes Liebsch für den Tag des Denkmals erarbeitet und vom Bezirksmuseum übernommen.
 

Literaturhinweise:

Beraneck, Hermann: Die Städtischen Volksbäder in Wien. Vortrag gehalten in der Fachgruppe für Gesundheitstechnik am 26. Jänner 1898. In: Zeitschrift des österreichischen Ingenieur- und Architekten-Vereins, 50/12 (1898), S. 191-195.

Breuss, Susanne: Schön sauber. Wasser, Seife und Bad. In: Dies. (Hg.): Mit Haut und Haar. Frisieren, Rasieren, Verschönern. Ausst. Kat., Wien Museum Karlsplatz, Wien, 19. April 2018 bis 6. Jänner 2019, Wien 2018, S. 102-115.

Lachmayer, Herbert/Mattl-Wurm, Sylvia/Gargerle, Christian (Hg.): Das Bad. Eine Geschichte der Badekultur im 19. und 20. Jahrhundert. Salzburg/Wien 1991.

L.: Das erste städtische Volks-Douchebad in Wien. In: Wochenschrift des österreichischen Ingenieur- und Architekten-Vereins, 12/47 (1887), S. 321-322.

Museen der Stadt Wien (Hg.): Das Bad. Körperkultur und Hygiene Im 19. Und 20. Jahrhundert. Ausst.Kat., Hermesvilla, 23. März 1991 bis 8. März 1992, Wien 1991.

Städt. Bäderbetrieb (Hg.): Die Bäder der Stadt Wien. Wien 1925.

Staufer-Wierl, Edith: „Im Trepferlbod“. Wiener Volksbäder von 1887 bis heute. Nicht publizierte Diplomarbeit an der Universität Wien, Wien 1998.

Wiener Magistriat (Hg.): Das Bäderwesen der Gemeinde Wien. Wien 1928.

Winterstein Stefan: Die Gewöhnung einer Stadt ans Baden. Zur Geschichte des Wiener Volksbad-Programms. In: Wiener Geschichtsblätter, Jg. 60/4 (2005), S. 1-14.

Franka Bindernagel studierte Kunsttechnologie, Konservierung und Restaurierung an der Hochschule für Bildende Künste Dresden, wo sie ein Young Professional Stipendium erhielt. Sie arbeitet seit 2006 selbständig im Bereich der Wandmalerei-Restaurierung und hat einen Lehrauftrag an der Akademie der bildenden Künste Wien. Für das Bezirksmuseum Wieden führte sie die restauratorische Befunduntersuchung und Fachbegleitung durch.

Alina Strmljan  studierte Geschichte, Kunstgeschichte und Gender Studies in Berlin und Wien. Derzeit ist sie Curatorial Fellow am Wien Museum und studiert Kunstwissenschaft an der TU Berlin. Mit Schwerpunkt auf Museumsgeschichte arbeitet sie zu den Verflechtungen von Wissenschaft, Kunst und Erinnerungskultur.

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Kommentare

Christine Runge

Tröpferlbad: Das war eine Adresse, die meine Freundin und ich jede Woche auf Anordnung der Eltern aufsuchen mussten. Wir wohnten beide im 2.Bezirk auf der Venedigerauseite und wanderten über den Praterstern in die Vereinsgasse. Wir waren ca zwischen 10 und 12 Jahre alt und fanden die Frau an der Kassa mit ihren wasserstoffblonden Dauerwellen und Herrin über alle, die da hineinwollten, interessant und belustigend. Da wir noch Kinder waren, hatten wir in einer sehr grauen Abteilung ohne Duschvorhänge unsren Spass. Waren wir allein, versuchten wir einen Blick durch den Spalt am Boden von den daneben duschenden Damen zu erhaschen. Wir wollten wissen, wie denn sie aussehen, weil man sie von uns trennte. Schön und angenehm habe ich diese Baderäume nicht in Erinnerung. Aber durch unsere gemeinsamen Erlebnisse hat die Erinnerumg daran auch eine erheiternde Seite.

Erich Heisler

Sehr interessant und informativ.
Ich habe da es mein Sammelgebiet betrifft, zu einem älteren Tröpferlbad im 4 Bezirk recherchiert, dem Flora Bad, dass war aber privat geführt und bestand schon 1845.
Liebe Grüße
Erich Heisler

Brigitte

Meine Mutter hat in den 30er & 40er Jahren das Tröpferlbad im 3ten Bezirk frequentiert. Es gab dort offenbar auch Friseurin und Kosmetikerin vor Ort.

Im übrigen schliesse ich mich Dieter an, danke für die immer interessanten Beiträge
Brigitte

Dieter Schild

Danke für die wunderbaren Beiträge !
Lieben Gruß ! Dieter