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Hanna Hacker, 12.10.2023

Die Pan-Afrikanische Studenten:innen-Union im Wien der 1960er Jahre

„A hot city for Africans“

Die Pan-African Students Union of Austria (PASUA) war eine der ersten politisch aktiven Schwarzen Selbstorganisationen in Wien, gegründet 1961 von Bildungsmigrant:innen aus afrikanischen Ländern in Österreich. Der Verein agierte oft aufsehenerregend – bis zur drei Jahre später erzwungenen Auflösung.

„After centuries of Enslavement we represent the pillars of an emerging, bright, happy, prosperous and free Africa.“

Zum historischen Hintergrund zählen die damaligen Befreiungsbewegungen in Ländern der Dritten Welt, die Dekolonialisierungsprozesse um 1960, die Anfänge der internationalen Entwicklungspolitik und die Kämpfe um politische Einflusssphären im Kalten Krieg. Österreichs positionierte sich in diesem Geschehen als „westlicher“ Akteur. Die staatliche Außenpolitik, ebenso Verbände und Kirchen definierten ihre Förderung von – „nicht-weißen“ – Student:innen und Lehrlingen als Teil von Entwicklungshilfe. Letztere wiederum bildete ein umstrittenes Terrain zwischen christlich-konservativem Zugriff und internationalistischer linker Ambition. Vor diesem komplexen Hintergrund also formten Bildungsmigrant:innen aus afrikanischen (und auch aus asiatischen) Ländern „sichtbar“ werdende nicht-weiße Communities und schließlich formelle Vereine in Wien.

Es waren Vertreter:innen sehr unterschiedlicher Positionen zur Frage der „angemessenen“ afrikanischen Repräsentation, die Anfang der 1960er-Jahre im Verein PASUA zusammentrafen. Dem anfänglichen Vorstandsgremium warf eine konkurrierende Untergruppe bald vor, nicht ausreichend antikolonial orientiert zu sein oder gar mit der CIA zu kooperieren. Bereits 1963 spalteten sich aufgrund dieser Flügelkämpfe einige Personen ab und gründeten die gemäßigt auftretende „African Students Association of Austria“ (ASAA); als Obmann der zahlenmäßig sehr klein bleibenden ASAA fungierte der spätere angolanische Diplomat Loy de Figueiredo. Innerhalb der PASUA – die laut Polizeiangaben um die siebzig Mitglieder umfasste – kamen schließlich radikalere Haltungen zum Ausdruck, das heißt vor allem, klare Artikulationen gegen Rassismus ungeachtet der repressiven Folgen, die dies in Österreich hatte.

Was wollte die PASUA nun, wer waren diese Akteur:innen, welche Themen standen für sie im Vordergrund?

Wer nach genaueren Informationen zur PASUA sucht, findet zunächst einen jeweils wenige Seiten umfassenden, grafisch recht einfach gehaltenen hektografierten Newsletter mit dem Titel „Africa Today“. In den vorfindlichen (nur) drei Nummern veröffentlichte „Africa Today“ Kurzmeldungen, Berichte und Kommentare der Autor*innen zu Ereignissen in ihren Ländern, ihren Netzwerken und ihrem Verein. Für die Herausgabe verantwortlich zeichneten der Nigerianer Labinjo Shonubi, Zola Sonkosi aus Südafrika und der Wiener sozialdemokratische Kommunalpolitiker Hubert Hladej. Für historische Neugierde ergiebiger erweisen sich die zahlreichen Spuren, die die PASUA in den damaligen Printmedien hinterließ. In Boulevardzeitungen wie „Krone“ und „Kurier“, in der Parteipresse wie „Arbeiter-Zeitung“ und „Volksstimme“, in gewerkschaftsnahen und in studentischen Magazinen wurden politische Aktionen der PASUA diskutiert – nicht selten in der Redefigur des „Skandals“.

Ein Aktionsfeld des Vereins betraf die Thematisierung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit in den Strukturen der Österreichischen Hochschülerschaft (ÖH). Die Kritik daran, dass ausländische Studierende trotz Pflichtmitgliedschaft über kein aktives und passives Wahlrecht in der ÖH verfügten, gipfelte Ende 1963 in hitzigen Auseinandersetzungen. Wie die ÖH berichtete, warfen einige Hochschülerschaftsfunktionäre der PASUA-Aktivistin Unokanma Okonjo, die als ausländische Beobachterin bei der ÖH fungieren wollte, Hausfriedensbruch vor; sie erhob ihrerseits Klage wegen Verleumdung.

Die afrikanische Diaspora vernetzte sich transnational. Anfang März 1964 trat die PASUA beim dritten Kongress der Union of African Students in Europe in Moskau auf, nachdem die ASAA beim Streit darum, wer legitim im Namen afrikanischer Studierender in Österreich sprechen durfte, den Kürzeren gezogen hatte. Im von der sowjetischen Presseagentur TASS weit verbreiteten PASUA-Statement war ausführlich die Rede von Schikanierung Schwarzer durch österreichische Behörden und Polizei. Zudem prangerte die Delegation den Alltagsrassismus in Wien an, also etwa Erfahrungen in Lokalen oder bei der Wohnungssuche. Diese Äußerungen provozierten einen Eklat. „We came back (…) to find Vienna a hot city for Africans”, schrieb die PASUA in ihrem Newsletter. „What has turned the wrath of the normally peaceful people of Austria against Africans?” Die Wiener Medienöffentlichkeit hatte in der Tat heftig reagiert. Der Tenor der Boulevardpresse war, in der klassischen rhetorischen Wendung der Leugnung und der Täter-Opfer-Umkehr: Wie kann eine:r es nur wagen, unsere Gesellschaft zu verunglimpfen und als rassistisch zu bezeichnen?

Spätestens an diesem Punkt wird neben den Medien eine weitere ergiebige Quelle für die Geschichte der PASUA relevant, nämlich das Archivmaterial des Innenministeriums und der Staatspolizei. Das Geschehen bei der Konferenz in Moskau diente den Sicherheitsbehörden offenbar gleichsam als Bestätigung, dass es sich bei Teilen der PASUA um kommunistische Agent:innen handelte. Einzelne Aktivist:innen waren auch zuvor schon überwacht worden; ebenso beobachtete und dokumentierte die Staatspolizei sehr gezielt Interna des Vereins. Das überwachende Innenministerium zog seit Längerem Ausweisungen der Verdächtigten in Betracht, das Außenministerium hatte sich zunächst noch dagegen ausgesprochen.

Erst das wenige Wochen nach Moskau erfolgte Auftreten der PASUA führte zur Erzwingung der Vereinsauflösung und zur Ausweisung mehrerer Personen aus Österreich. Wie kam es dazu? Zunächst ging es um Probleme in einem Projekt der österreichischen Entwicklungshilfe, an dem Gewerkschaftsbund und Industriellenvereinigung führend beteiligt waren. Das Projekt bot Jugendlichen aus afrikanischen Ländern eine Facharbeiterausbildung in Wien. Die 17 männlichen Metaller- und Elektrotechniker-Lehrlinge waren gemeinsam in einem Heim untergebracht. Hier kam es im April 1964 zu einer Rauferei, bei der ein Messer mit Verletzungsfolge im Einsatz war. Der als Täter („Messerstecher“) identifizierte kenianische Jugendliche sollte sogleich „heimgeschickt“ werden. Eine Mehrheit der Auszubildenden, teilweise in der PASUA organisiert, verließ daraufhin aus Protest das Heim. Die PASUA solidarisierte sich offensiv, es gab ein gemeinsames Go-In ins Sozialministerium, und schließlich nahm die Polizei in einem Klubraum für ausländische Studierende die Aktivist*innen Labinjo Shonubi, Onodi Bright-Taylor und Unokanma Okonjo fest. Betroffene und Augenzeug:innen beschrieben diese Festnahmen als recht brutal. Okonjo und ihr damaliger Ehemann Bright-Taylor wurden in Schubhaft genommen und ebenso wie der junge „Messerstecher“ Aggrey (auch: Agri) Omulaku abgeschoben. Dieser Vorfall rief umfangreiches, durchwegs kontroverses internationales Echo nicht nur in den Medien, sondern auch in diplomatischen Kreisen hervor. Unokanma Okonjo gab in London Presseerklärungen ab, machte ihre in der Haft gemachten Gewalterfahrungen öffentlich und erfuhr breite Unterstützung durch verschiedenste migrantische Organisationen. Das Ansehen Österreichs im Ausland, nicht zuletzt in den kürzlich unabhängig gewordenen afrikanischen Ländern, in denen Österreich sich engagierte, stand zur Disposition.

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Unter dem Druck der Behörden stellte der Verein PASUA ab dem Frühjahr 1964 seine Aktivitäten ein. Der ehemalige PASUA-Präsident Labinjo Shonubi arbeitete nach Abschluss seines Medizinstudiums in Nigeria, auch Onodi Bright-Taylor wurde Arzt, Unokanma Okonjo lehrte später als Soziologin an der Boston University, Zola Sonkosi dissertierte in Berlin und war lange als Politikwissenschaftler tätig. In Wien blieben die afrikanischen Communitys aktiv, sie setzten ihre Kooperationen und wohl auch Konflikte fort. Neue Gruppierungen gründeten sich und machten im Kontext der 68er-Bewegung Ansätze vor allem der US-amerikanischen Schwarzen Bürgerrechtskämpfe auch in Österreich sichtbarer; ein Stück weit hielt „Afro-Chic“ in die westliche Pop- und Alltagskultur der 1970er Jahre Einzug. Unabdingbar nötig ist es nach wie vor, gegen rassistische Gewalt in Wien (und anderswo) einzutreten und antirassistische Kämpfe auch in der historischen Forschung nachdrücklich zu thematisieren.

Quellen und Literatur:

Der Beitrag stützt sich auf zeitgenössische Medienberichte und auf Akten des Außen- und des Innenministeriums im Österreichischen Staatsarchiv/Archiv der Republik.

Anti-/Rassismus in Österreich. Perspektiven, Praxen, Positionierungen, Special Issue, Stichproben. Wiener Zeitschrift für kritische Afrikastudien, 43 (2022), https://stichproben.univie.ac.at/alle-ausgaben/stichproben-nr-432022/

Vida Bakondy, Renée Winter, „Nicht alle Weißen schießen.“ Afrika-Repräsentationen im Österreich der 1950er Jahre im Kontext von (Post-)Kolonialismus und (Post-)Nationalsozialismus, StudienVerlag, Innsbruck 2007.

Hanna Hacker, Talking Back, Publishing Back: Unokanma Okonjo und historische Kämpfe um Schwarze „Selbstveröffentlichung", in: Gender. Zeitschrift für Geschlecht, Kultur und Gesellschaft, 15 (2023), 3, 85-100, https://www.budrich-journals.de/index.php/gender/article/view/42883 (open access).

Berthold Molden, Decolonizing the Second Republic: Austria and the global South from 1950s to the 1970s, in: Journal of Austrian Studies, 48 (2015), 3, 109–128.

Clemens Pfeffer, Koloniale Fantasien made in Austria. Koloniale Afrikarepräsentationen im österreichischen Nationalrat am Wendepunkt zum Postkolonialismus, 1955–1965, in: Manuel Menrath (Hg.), Afrika im Blick. Afrikabilder im deutschsprachigen Europa, 1870–1970, Chronos, Zürich 2012, 99–122.

Walter Sauer, Vanessa Spanbauer, Jenseits von Soliman. Afrikanische Diaspora und Communitybuilding in Österreich. Eine Geschichte, StudienVerlag, Innsbruck 2022.

Hanna Hacker ist habilitierte Soziologin und Historikerin mit Arbeitsschwerpunkten in den Postcolonial und Cultural Studies in feministischer und queerer Perspektive. Sie hat als Lektorin und Professorin an verschiedenen österreichischen Universitäten, an der CEU Budapest und an der Université Yaoundé I (Kamerun) gelehrt und zu Sex/Gender-Theorien, Frauenbewegungen, Rassismusgeschichte und internationalen Ungleichheitsverhältnissen geforscht und publiziert.

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