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Gabriella Hauch und Christine Dobretsberger, 13.3.2023

Die Rolle der Frauen in der Revolution 1848

Auf den Barrikaden

Als am 13. März 1848 in Österreich die Revolution ausbrach, stand die Forderung nach bürgerlichen Freiheiten im Vordergrund. Frauen waren damit allerdings nicht gemeint, sie waren vom Wahlrecht und politischen Geschehen ausgeschlossen. Inwiefern es dennoch eine weibliche Beteiligung an der Revolution gab bzw. welche konkreten Ziele die „1848erinnen“ verfolgten, erläutert Gabriella Hauch, Professorin für Geschichte der Neuzeit an der Universität Wien, im Interview.

Christine Dobretsberger

Die Revolution von 1848 wird zumeist mit mutigen Männern und ihren Taten in Verbindung gebracht. Weitaus weniger bekannt ist die Rolle der Frauen. In welcher Form nahmen sie am revolutionären Geschehen teil, welche Strategien entwickelten sie?

Gabrielle Hauch

Frauen waren in verschiedensten Rollen dabei, das hing mit den jeweiligen Handlungsspielräumen ihrer sozialen Position zusammen, die aber auch durchbrochen werden konnten. Frauen der unterbürgerlichen Schichten kämpften von Mai bis Oktober mit ihren Händen oder mit Arbeitsgeräten bewaffnet, bauten Barrikaden, schimpften und fluchten auf die Sicherheitswache – das war für sie auch in nichtrevolutionären Zeiten alltägliches Verhalten. Frauen des Bürgertums, auch des Adels, zeigten ihre Solidartäten u.a. durch Flankieren von Demonstrationen oder sie versorgten Barrikadenbauer:innen mit Essen – zum Beispiel am 26. Mai dem sogenannten Barrikadentag und darauf folgend in der Barrikadennacht. Des Weiteren gründeten sie Vereine, die Fahnen für die Akademische Legion oder die Nationalgarde herstellten. Es gibt auch Berichte, dass Töchter aus begüterten Häusern, begleitet von Gouvernanten oder Dienstmädchen, manchmal am Barrikadenbau teilnahmen.

CD

Was war der konkrete Auslöser für den Barrikadentag am 26. Mai am Michaelerplatz?

GH

Das war die Antwort der Revolutionsbewegung auf die Ankündigungen, dass die Universität geschlossen und die Akademische Legion aufgelöst werden sollten – das heißt, der radikalere Teil der Bewegung sollte geschwächt werden. In der Wiener Innenstadt sollen rund 170 Barrikaden errichtet worden sein. Dazu gibt es viele mitunter verherrlichende Quellen bis hin zu Gerüchten, dass in der Nacht unter den Barrikaden Unzucht getrieben worden sei.

CD

Woran lag es, dass bei dieser Revolution die Herkunft keine Rolle zu spielen schien und sich Frauen aus allen Gesellschaftsschichten solidarisch engagierten? Für welche Ziele kämpften sie?

GH

Frauen aus unterbürgerlichen Schichten kämpften gemeinsam mit Männern, da ging es um Existenzen, aber auch um Rache und Vergeltung gegenüber ungerechten Dienstherren und Vermietern. Frauen aus dem Bürgertum, aber auch aus dem Adel wollten in der neuen Zeit, die u.a. mit Forderungen nach Pressefreiheit, Versammlungsfreiheit, Religionsfreiheit, Meinungsfreiheit bzw. der Erarbeitung einer Verfassung verbunden wurde, dabei sein. Dafür schrieben sie Artikel und veröffentlichten Flugblätter, was sehr selten war in Europa und gründeten nach dem Vorbild von Männern einen politischen Verein. Natürlich war auch die Forderung nach dem Wahlrecht ein Thema, hier lautete ihr Argument, dass man nicht von einem allgemeinen Wahlrecht sprechen könne, wenn die Hälfte der Bevölkerung davon ausgeschlossen sei. Kurzum: Die Forderungen waren vielfältig – vom Zugang zur Universität bis hin, dass man als Frau abends ins Kaffeehaus gehen kann, ohne blöd angegafft zu werden.

CD

Auf welchen gesetzlichen Bestimmungen beruhte damals diese Situation, dass Frauen kein politisches Mitbestimmungsrecht hatten?

GH

Hier muss man unterscheiden zwischen geschriebenen Gesetzen und – man könnte sagen – „gelebten“. Zu letzteren sei anzumerken, dass es gerade in den revolutionären Monaten 1848 eigentlich keine gesetzlichen Bestimmungen gab, die Frauen die Mitgliedschaft in politischen Vereinen verboten hätten. Dies hatte sich vielmehr so eingeschlichen – und zwar europaweit – seitdem in der Französischen Revolution die Jakobiner 1793 Frauen aus politischen Vereinen ausgeschlossen hatten. Der Weg zur bürgerlichen Moderne, zu Demokratie und Republik war einer von bürgerlichen Männern. Und diese Männlich- und Brüderlichkeiten wurden auch zelebriert und gefeiert.

In Österreich gab es das Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch von 1811 mit seinem Familien- und Eherecht, in dem der Mann als das Haupt der Familie festgeschrieben wurde – die Frau war vor allem verpflichtet, ihn und die Kinder zu umsorgen. Aber das hat zur Zeit der Wiener Revolution vielleicht für vier Prozent der Bevölkerung gegolten. Realiter musste die große Masse der Frauen zur Existenzsicherung erwerbstätig sein. Kurz gesagt: Das Gesetz beinhaltete kein Verbot, machte aber Frauen zum Menschen zweiter Klasse.

Und die Revolution selbst – ja, die gab sich ein Wahlrecht, wo sogar – heute würde man sagen – Facharbeiter das Wahlrecht hatten, aber Frauen wurden davon ausgeschlossen. Das galt auch für die sogenannte Volksbewaffnung in der Nationalgarde und die Akademische Legion, wo Studenten und Akademiker organisiert waren.

CD

Weibliches politisches Denken widersprach dem bürgerlichen Idealbild. Wie waren die Reaktionen darauf, der gesellschaftliche Grundtenor?

GH

Die Palette der Reaktionen zeigt alle Schattierungen: also Lustigmachen über die Zuschauerinnen, die die Debatten im Reichstag auf den Galerien verfolgten, bis hin zu dramatischen Apellen, dass dadurch die Familien vernachlässigt würden und Frauen ausgeschlossen werden sollten. Vor allem dann im Nachhinein gibt es schlimme misogyne Artikel über die engagierten Frauen – mit dem Tenor, sie hätten Schuld, dass die revolutionäre Bewegung niedergeschlagen und eine Phase des repressiven Neoabsolutismus gekommen sei. Auf der anderen Seite gab es auch Unterstützung wie z.B. die Gründung des „Zentralkomitees der demokratischen Vereine“ im September zur Verteidigung der Revolution, wo der Wiener demokratische Frauenverein auch Mitglied, also ein akzeptierter Partner war.

CD

Wie wurde in der Presse auf weibliches Engagement im 1848er-Jahr reagiert?

GH

Das Besondere an den Revolutionsmonaten war, dass zum ersten Mal keine Zensur die veröffentlichten Flugblätter und Zeitungen kontrollierte und disziplinierte. Das heißt, jeder und jede konnte alles publizieren und dementsprechend sieht auch die Quellenlage aus. Man kann sagen, dass ab Mai, ab dem Barrikadentag, das Thema Frauenemanzipation verstärkt oder vielfach auch zum ersten Mal öffentlich von mehreren Zeitungen verhandelt wurde – ernsthaft etwa im „Radikalen“ oder ironisch etwa in der „Geißel“. Artikel wurden selten gezeichnet, wir haben also dann z. B. den „Brief einer Dame an einen demokratischen Klub“, in dem Forderungen nach politischer Teilhabe formuliert werden.

CD

Als die Regierung am 21. August 1848 Lohnkürzungen für die an öffentlichen Baustellen beschäftigten Erdarbeiterinnen ankündigte, schlossen sich die Arbeiterinnen zu einem Demonstrationszug zusammen. War dies die erste Frauendemonstration in Wien?

GH

Ja, auch wenn sie von den Teilnehmerinnen nicht so bezeichnet wurde. Sie fand in der Inneren Stadt statt, die Erdarbeiterinnen zogen vor den Regierungssitz des Arbeitsministers Ernst Schwarzer. Es war eine „bunte“ Demonstration, würde man heute sagen, also mit Liedern und Gesang – Arbeitsgeräte und Kinder wurden mitgenommen, mit kritischen Passanten gab es kleine Scharmützel und Streits. Es scheint sehr emotional gewesen zu sein, kein Wunder, schließlich ging es ja um ihre Existenzen. Der Pfarrer Anton Füster, eine wichtige Figur in der demokratischen 1848er-Bewegung, betonte, dass all seine Beruhigungsversuche fehlgeschlagen seien: „Zum ersten Mal bin ich durchgefallen“ – niemand hat auf ihn gehört.

CD

Zwei Tage später kam es zur sogenannten „Praterschlacht“. Stimmt es, dass damals die Nationalgarde gegen die Demonstrantinnen eingesetzt wurde?

GH

Nachdem die Demonstration der Frauen keine Wirkung gezeigt hatte, entschieden sich die Erdarbeiter:innen zu einer gemeinsamen Aktion. Wieder war es eine „bunte“ Demo mit Musikkapellen, Schwarzer wurde als Strohpuppe mitgeführt, alles verlief ungeordnet, also keine Demo in Reih und Glied. Beim Prater wurden sie dann bereits von der Sicherheitswache und Teilen der Nationalgarde erwartet. Deren Vorgehensweise war nicht heikel und sie machten keinen Unterschied zwischen Mann, Frau oder Kind. Das sieht man an der Art der Verletzungen derer, die im Spital behandelt werden mussten – Halsstichwunden oder Bruststiche weisen auf aufgesetzte Bajonette hin. Wie viele Verletzte und Tote es gab, ist nicht mehr festzustellen.

CD

Am 28. August 1848 versammelten sich vorwiegend bürgerliche Frauen im Volksgarten, um über die Gründung jenes ersten politischen Frauenvereins zu diskutieren, den Sie eingangs bereits erwähnt haben. Was waren die konkreten Ziele des Vereins?

GH

Ziele waren: sozial, human und politisch/emanzipatorisch zu wirken. Dieser Verein hatte, abgesehen von Frankreich, das elaborierteste Vereinsprogramm eines politischen Frauenvereins in der Zeit. Wichtig finde ich auch zu erwähnen, dass Standesunterschiede im Verein aufgehoben waren. In einem Paragraphen hieß es zum Beispiel: „Man sagt einfach Frau und Fräulein.“

CD

Wer war Initiatorin des Vereins?

GH

Initiatorin war Katharina Strunz, eine Hausbesitzerin, die im Juni schon aufgefallen war, da sie eine Frauendeputation anführte, die den im Innsbrucker Exil sitzenden Kaiser wieder nach Wien zurückholen wollte. Das war allerdings für die Mehrheit der anwesenden Frauen ein Standpunkt, den sie nicht teilten und so wurde Karoline von Perin-Gradenstein zur Präsidentin gewählt. Perin war wohlhabend, Witwe, kam aus dem Erbadel und war schon seit einiger Zeit durch ihren Lebensgefährten Alfred J. Becher, ein überzeugter Demokrat, in einem demokratischen Milieu quasi zuhause. 

CD

Was war die aufsehenerregendste Aktion des Vereins?

GH

Der Verein sammelte Unterschriften zur Einberufung des sogenannten Landsturms, also die Volksbewaffnung der bäuerlichen Bevölkerung zur Verteidigung des revolutionären Wiens. Diese über 1.000 Unterschriften überreichten sie dem Reichstag, was als Skandal rezipiert wurde im Sinne von: Frauen mischen sich nicht nur in Politik ein, sondern sogar in bewaffnete, kriegerische Angelegenheiten.

CD

Gibt es außer Perin-Gradenstein noch andere Frauen, die namentlich bekannt sind und sich in Wien aktiv für die Revolution engagiert haben?

GH

Da ist die Quellenlage schlecht. Wir wissen aber z.B. von einer Frau Bouvard, einem Fräulein Ecker und einer Frau Fenner von Fenneberg.

CD

Generell sind wenige Namen von mutigen Frauen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts bekannt. Wer würde Ihnen zu diesem Thema einfallen?

GH

Für Österreich fällt mir niemand so richtig ein, mutig waren allerdings die Unternehmerinnen und Schulgründerinnen aus den bürgerlichen Milieus, die Waltraud Schütz [Akademie der Wissenschaften, Anm.] in ihrer Dissertation erforscht hat, die heuer publiziert werden sollte.

CD

Bereits im Jahr 1810 gründete Caroline von Lobkowitz die „Gesellschaft adeliger Frauen zur Beförderung des Guten und Nützlichen“. Hatte dieser Verein auch schon politische Ambitionen?

GH

Es kommt darauf an, was man mit politisch meint. Natürlich haben sie jetzt nicht die Teilhabe an den Staatsgeschäften gefordert, aber wenn man karitatives Engagement für politisch hält – wie es ja die Frauen- und Geschlechtergeschichte mit ihrem weiten Politikbegriff tut –, dann ist es schon politisch.

CD

Welche Konsequenzen hatte die Niederschlagung der Revolution im Oktober 1848 speziell für Frauen?

GH

Es geht zuallererst um die Dimension, dass für viele in der Bevölkerung die Hoffnung entstanden ist, dass das angeblich gottgewollte Regime der Habsburger, die eben in der Zeit vor 1848 mit Kanzler Metternich einen ganz harten Systemerhalter hatten, aufgeweicht würde, dass es zu einer konstitutionellen Monarchie kommen könnte. Die Vertreter:innen einer Republik waren in Österreich nicht so stark. Zeitgenoss:innen beschreiben die Zeit danach, auch Neoabsolutismus genannt, mit seinem Spitzelwesen und übertriebenen Verschwörungs- und Revolutionsängsten so, als ob ein Mantel sich über Wien gelegt hätte und vieles erstickt hätte.

CD

Wann wurde das explizite Verbot für Frauen, sich politisch zu organisieren, dann in die Vereinsrechte geschrieben?

GH

Als 1849 das erste politische Vereinsgesetz verabschiedet wurde, war das Verbot für Frauen enthalten. Wenn es das Frauenengagement 1848 nicht gegeben hätte, könnte es sogar sein, dass es gar nicht hineingeschrieben worden wäre, weil es sowieso undenkbar war, dass sich Frauen öffentlich politisch engagieren würden. Ein vergleichbares Beispiel ist das Allgemeine Wahlrecht, das 1848 in der Schweiz durchgesetzt wurde, da steht nichts von einem Verbot für Frauen drinnen, wurde aber so gehandhabt – und wie wir wissen, sehr, sehr lange. Die Schweizerinnen haben in den 1950er-Jahren sogar eine Kampagne gefahren, wo sie auf die geschlechtsneutrale Formulierung hinwiesen und so das Frauenwahlrecht begründen wollten – das hat ihnen aber nichts genützt.

CD

Ist es korrekt, dass Karoline Perin-Gradenstein zur 14-köpfigen Revolutionsprominenz gezählt hatte, deren Auslieferung Windisch-Graetz als eine der Kapitulationsbedingungen für Wien gefordert hatte?

GH

Ja, Windisch-Graetz ließ dem revolutionären Wien eine Liste übermitteln an Personen, die ausgeliefert werden sollten, da war der Namen Perin dabei. Das heißt, die Feinde der Revolution haben sie damit aufgewertet.

CD

Karoline Perin-Gradenstein ereilte ein tragisches Schicksal ...

GH

Sie kam ins Gefängnis, wurde dort misshandelt und psychisch krank entlassen. Ihr Lebensgefährte ist standrechtlich erschossen worden, ihr nahm man die Vormundschaft für ihren kleinen Sohn, sie ging dann nach München ins Exil, verfasste geschönte Memoiren und konnte Ende 1849 wieder zurückkehren. Sie wurde dann eine der ersten Photographinnen Österreichs, hatte Salons in Bad Ischl und Salzburg, stand aber weiterhin unter polizeilicher Beobachtung.

CD

Würden Sie sagen, dass das vielfältige weibliche Engagement in den 1848er-Jahren die Gründung der Ersten Frauenbewegung vorbereitet hat?

GH

Wir können feststellen, dass Proponentinnen der sogenannten Ersten Frauenbewegung ab den 1880er- und vor allem dann ab den 1890er-Jahren Töchter von 1848ern, aber auch 1848erinnen waren, etwa Rosa Mayreder oder Therese Schlesinger. Eine systematische Untersuchung dazu gibt es allerdings noch nicht.

 

Literaturhinweis:

Gabriella Hauch: Frauen bewegen Politik. Österreich 1848-1938, Innsbruck-Wien-Bozen 2009.

Gabriella Hauch ist Professorin für Geschichte der Neuzeit/Frauen- und Geschlechtergeschichte am Institut für Geschichte der Universität Wien; Forschungsschwerpunkte im Bereich der Frauen- und Geschlechtergeschichte seit der französischen Revolution. Seit 2020 ist sie Sprecherin der Doctoral School Frauen- und Geschlechtergeschichte, Universität Wien.

Christine Dobretsberger, geboren 1968 in Wien. Studium der Publizistik und Kommunikationswissenschaften und Philosophie an der Universität Wien. Langjährige Kulturredakteurin der „Wiener Zeitung“. Initiatorin der Gesprächsreihe „Wiener Salongespräche“ und „Seelenverwandte“. Seit 2005 freie Journalistin, Autorin, Lektorin, Ghostwriterin und Herausgeberin von Texten. Sie ist Gründerin der Text- und Grafikagentur „linea.art“ (www.lineaart.at) und befasst sich schwerpunktmäßig mit kulturellen Themen.

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