Website Suche (Nach dem Absenden werden Sie zur Suchergebnisseite weitergeleitet.)

Hauptinhalt

Andrea Ruscher, 21.2.2024

Die Sammlung Online feiert 100.000 Objekte

[object loading]

Wer steckt im Museum dahinter, dass mittlerweile über 100.000 Objekte digital zugänglich sind? Und wie funktioniert Digitalisierung eigentlich? Ein Blick hinter die Kulissen – aus Kolleg:innen-Sicht.

Andreas Winkel führt mich durch das Untergeschoß des Museums am Karlsplatz und zeigt mir Boxen voller Porträtfotos und Ansichtskarten, die aus dem Depot in Himberg angeliefert wurden und fein säuberlich geordnet auf ihren Scan warten. Er betreut das Projekt „Stadtgeschichte für alle – Ein Boost für die offene, digitale Wien Museum Sammlung“. Dabei fördert das BMKÖS die Digitalisierung von insgesamt etwa 24.500 Objekten. Der Fokus des Projekts liegt auf sogenannter Flachware, das sind vor allem historische Fotos im Gegensatz zu großen, dreidimensionalen Objekten. Während die Fotoaufnahmen des Galawagens etwa mehrere Stunden in Anspruch nahmen, kann Flachware in wenigen Minuten gescannt werden.

Eine externe Mitarbeiterin der Firma mikrografija ist absolute Spezialistin darin und erstellt – wenn wir sie nicht gerade stören, um sie zu beobachten und zu befragen – bis zu 1.000 (!) Scans pro Tag. Biegt sich das Original, legt sie behutsam eine Glasplatte darüber, um Verzerrungen beim Scannen zu verhindern. Das geht allerdings nur, wenn der Zustand des historischen Objekts stabil genug ist, damit es keinen Schaden nehmen kann. Dank der Höchstgeschwindigkeit der Expert:innen von mikografija ist das Scannen eines großen Teils der fast 25.000 Objekte (inklusive Vorder- und Rückseite) nach zirka sieben Wochen erledigt. Großformatige Fotografien und Architekturpläne, die nicht gescannt werden können, werden ergänzend vom spezialisierten Objektfotografen TimTom digitalisiert. Andreas Winkel und seine Kollegin Ursula Gass erklären mir aber, dass die Arbeit damit bei weitem nicht getan ist – die gesamte Projektdauer beläuft sich auf 13 Monate.

In einem nächsten Schritt müssen die entstandenen Bilddaten mit den Datensätzen der jeweiligen Objekte in der Datenbank verknüpft werden. „Obwohl wir über ein automatisiertes System verfügen, das bis zu 1.000 Bilder pro Tag importieren kann, steckt letztlich jede Menge Manpower dahinter“, berichtet Ursula Gass. Denn es benötig viel Sorgfalt, um alle Bilder korrekt zuzuordnen und mit maschinenlesbaren Dateinamen zu versehen. „Aus vergangen Projekten haben wir gelernt, fehleroffen zu arbeiten. Wir wissen, dass ein bestimmter Prozentsatz an Zuordnungsfehlern passieren wird, etwa durch Tippfehler oder schlecht lesbare Beschriftungen am Objekt.“ Ist die Zuordnung dank zusätzlichen Kontrollschleifen und Nacharbeiten schließlich geschafft, geht es weiter mit den Metadaten.

Metadaten sind der wahre Schatz, davon ist Frauke Kreutler, Leiterin des digitalen Sammlungsmanagements, überzeugt: „In der Datenbank fließen alle Fäden zusammen – digitale Reproduktionen, Inhalte aus Büchern, Ausstellungen, Forschungen, Restaurierungen – nichts verliert sich.“ Eine Sammlung der Größenordnung des Wien Museums ist ohne eine moderne Datenbank nicht zu überblicken. Das Erfassen von Objekten und ihr präzises Beschlagworten öffnet die Tür für breit angelegte Recherchen. „Ich könnte nie alle realen Objekte zu einem Thema so nebeneinander auflegen und betrachten, wie ich es digital kann. Dadurch ergeben sich völlig neue Einblicke in zeitliche Abfolgen und ganze Geschichten können nachvollzogen werden.“

Wie die Erfassung dieser wertvollen Metadaten abläuft, zeigt mir wiederum Andreas Winkel. Er nimmt das reale Objekt noch einmal zur Hand, misst es ab, sucht nach Aufschriften, um Personen zu identifizieren und Titel zu bestimmen. Gemeinsam mit dem Papierrestaurator Andreas Gruber benennt er die Technik, die beim Druck der Originale zum Einsatz gekommen ist. Er recherchiert Datierungen und vergibt thematische Schlagworte. Alle Informationen finden ihren Platz in den Eingabefeldern der Datenbank. Diese Sorgfalt bildet die Grundlage dafür, dass wir Nutzer:innen später genau das finden, was wir suchen.

Bevor die Öffentlichkeit aber tatsächlich zugreifen kann, gibt es noch eine letzte, entscheidende Hürde. „Ich bin das Nadelöhr“, sagt Ursula Gass über sich selbst und ihre Arbeit. Sie ist für die Prüfung der Urheberrechte zuständig. Denn nicht alles, was in der internen Datenbank erfasst ist, darf auch in der Sammlung Online öffentlich ausgespielt werden. Um sicherzugehen, dass die digitalen Abbildungen von Museumsobjekten von aller Welt angesehen und verwendet werden dürfen, macht sich Ursula Gass auf die Suche nach Urheber:innen und Rechtsnachfolger:innen und klärt deren Ansprüche. Ist etwa ein ganzes Konvolut an Objekten vor 1870 entstanden, kann das flott gehen, denn Rechtsansprüche sind verjährt und sie gibt hunderte Reproduktionen gleichzeitig frei. In anderen Fällen sitzt sie allerdings Stunde um Stunde, um herauszufinden, wer die Verwertungsrechte einer kreativen Schöpfung geerbt hat.

Die Scans sind da, sie sind mit ihren Datensätzen verknüpft, Metadaten wurden ergänzt und die Rechtefreigabe erteilt – nun dürfen die Objekte endlich in der Sammlung Online aufscheinen. Evi Scheller hat diese 2019 gemeinsam mit ihrem Projektteam ins Leben gerufen. Die Vision hinter der Sammlung Online ist es, möglichst viele Inhalte als creative commons, also als frei und gratis nutzbare Inhalte, zur Verfügung zu stellen. Dadurch ist es für alle mit Internetzugang möglich, historische Objekte zu betrachten und vor allem auch mit den Reproduktionen weiterzuarbeiten. Zu sehen, was Personen mit dem Material anfangen, ist die größte Motivation für Evi Scheller, die Nutzbarkeit der Sammlung Online kontinuierlich auszubauen: „Ich finde es total interessant, wenn die Daten von Menschen verwendet werden, die einen ganz anderen Blick darauf haben, als wir es hier im Museum vielleicht gewohnt sind.“

Bei all der Faszination für die Masse an digitalen Daten drängt sich mir eine Frage doch immer mehr auf: Wie steht es um die Aura des Originals? Wird das Werk selbst im Zuge der Digitalisierung obsolet? „Die Gefahr besteht meiner Ansicht nach nicht“, meint Andreas Winkel. „Entgegen der These, dass die Aura des Originales durch die technische Reproduzierbarkeit verlustig geht, lässt sich ja auch argumentieren, dass diese Aura durch die massenhafte Reproduktion sogar gewinnt. Nehmen wir etwa das gut publizierte Porträt des Jan Six von Rembrandt, in Privatbesitz und sehr selten im Original zu sehen, zuletzt, wenn ich Recht sehe, in Amsterdam 2015. Dafür steht man dann Schlange. Jedenfalls betrachten wir das Digitalisat in keiner Hinsicht als Ersatz für ein Objekt, sondern höchstens als Stellvertreter, an den nicht dieselben Ansprüche gestellt werden können wie an das, wofür er stellvertretend steht. Wir sind uns auch bewusst – gerade auch, weil wir selbst viele historische Reproduktion verwahren – dass Reproduktionen, historische genauso wie heutige, bei aller technischer Entwicklung selbst immer Kinder ihrer Zeit sind und bleiben werden.“

Über die unterschiedlichen Charakteristika von Original und (digitaler) Reproduktion kann man ganze Bände schreiben, Andreas Winkel hebt ein paar zentrale Aspekte hervor: „Wer täglich mit Objekten umgeht weiß, dass viele Erfahrungen, die vor dem Original gemacht werden können, anhand einer Reproduktion nicht nachvollziehbar sind. Wir reden da etwa von nicht in die Reproduktion übersetzbaren realen Größenverhältnissen, in denen die Betrachter:innen zum Objekt stehen, aber natürlich auch von Oberflächenbeschaffenheiten, die für die Wahrnehmung eines Objektes wichtig sind. Manche Feinheiten auf einer historischen Fotografie zum Beispiel lassen sich nur im Schräglicht erkennen, Prägestempel nur so lesen, Retuschen nur so nachvollziehen. Da hilft dann auch die digitale Vergrößerung nicht. Am Original führt somit kein Weg vorbei.“

In einem Punkt sind sich alle im Haus einig: Die Digitalisierung einer Museumssammlung schafft ungeahnte Möglichkeiten und Zugänglichkeit für so viele Menschen, wie nie zuvor. Was kommt nun also nach 100.000 digitalisierten Objekten? Natürlich noch mehr. Welche Objekte ausgewählt werden, entscheiden viele Köpfe gemeinsam. Unter der Koordination der Sammlungsleitung Michaela Kronberger werden rechtliche Aspekte bedacht, genauso wie technische Machbarkeit und allem voran – was interessiert die Öffentlichkeit. Ein kleiner Vorgeschmack für Neugierige: 9.000 historische Fotos aus der Modesammlung könnten als nächstes an der Reihe sein.

Hier geht es zur Sammlung Online

Andrea Ruscher ist Teil der Abteilung Publikationen und Digitales Museum im Wien Museum. Sie studierte Globalgeschichte und war zuvor am Österreichischen Kulturforum Kairo und in der C3-Bibliothek für Entwicklungspolitik tätig. 

Kommentar schreiben

* Diese Felder sind erforderlich

Kommentare

Keine Kommentare