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Elisabeth Debazi, 12.6.2022

Die Schriftstellerin Else Feldmann

Über die Wege menschlicher Not

Die Schriftstellerin und Journalistin Else Feldmann gab in ihrem Werk unerbittlich Einblick ins Leben von Menschen am Rand der Gesellschaft. Im Roten Wien als Intellektuelle äußerst präsent, ist sie heute kaum bekannt. Vor 80 Jahren wurde Feldmann im Vernichtungslager Sobibor ermordet.

Die harte Lebensrealität der unteren Schichten kennt Else Feldmann aus eigenem Erleben nur zu gut. Am 25. Februar 1884 wird sie in Wien geboren. Ihr Vater, ein Händler und Kaufmann, stammt aus Ungarn, ihre Mutter aus einer jüdischen Gemeinde in Deutschkreuz. Zusammen mit vier Geschwistern wächst sie in zumeist ärmlichen Verhältnissen in der Leopoldstadt sowie den Arbeiterbezirken der Stadt Wien auf. Häufige Arbeitslosigkeit des Vaters zwingt die Familie, mehrmals umzuziehen. Die Mutter trägt durch Heimarbeit zum Erhalt der Familie bei bzw. bestreitet ihn streckenweise vielmehr allein. Schon früh nimmt Else Feldmann demnach Bruchlinien innerhalb der Gesellschaft schmerzlich wahr. Als Armenschülerin erlebt sie soziale Ausgrenzung, noch ehe sie die Gründe dafür selbst benennen kann. Vom Dienstmädchen Ploni erfährt sie, warum sich Kinder in der Schule von ihr abwenden:

 

‚Ploni, bin ich ein armes Kind?‘
‚Freilich bist du ein armes Kind.‘
‚Warum, Ploni?‘
‚Weil deine Eltern kein Geld haben.‘

 

„Ja, das begriff ich. Ich warb nun nicht mehr um Olga Welt und hatte auch nicht mehr den Mut, eine andere zu fragen, sondern ging fortan allein die Wand entlang", schreibt sie in dem autobiografischen Roman „Löwenzahn“.  Für kurze Zeit besucht Else Feldmann eine Lehrerinnenbildungsanstalt, die sie wegen der schlechten wirtschaftlichen Situation der Familie abbrechen muss.

Trotz dieser prekären Ausgangslage gelingt es ihr aber vergleichsweise früh, sich in einem bis dato noch stark männerdominierten Umfeld als Journalistin und Schriftstellerin zu behaupten. Weder ist sie nämlich der Generation der Frauenbewegung noch deren unter dem Schlagwort der ‚Neuen Frau‘ firmierenden Tochtergeneration zuzuordnen, die in den 1920-er Jahren zu publizieren beginnt und nach Ende des 1. Weltkrieges veränderte, d.h. Frauen bereits leichter zugängliche Produktionsbedingungen vorfindet.

1904 lernt Feldmann in dem Kreis um den Sozialreformer Popper-Lynkeus Arthur Schnitzler kennen, der sie in ihren Anfängen sowohl durch Vorbild seiner literarischen Werke als auch durch ihr persönliches Aufeinandertreffen beeinflusst. Ihm schreibt sie im Oktober 1914, wenige Monate nach Ausbruch des 1. Weltkrieges, einen Brief mit der Bitte um Begutachtung ihrer Arbeiten, insbesondere ihres noch unfertigen Theaterstückes „Der Schrei, den niemand hört. Trauerspiel aus dem Ghetto.“, das die Folgen des Ausschlusses der Juden aus der sie umgebenden Mehrheitsgesellschaft thematisiert. Eine Bitte, der Schnitzler nachgekommen sein dürfte, denn bei der Uraufführung an der Wiener Volksbühne ist er zugegen und attestiert dem Stück „ein paar gut gesehene Figuren.“ Auch findet sich in seinen Tagebüchern der Vermerk über den Besuch eines „gewissen Frl. Feldmann.“

Noch in den Jahren der Monarchie erscheinen vereinzelt kurze Erzählungen Feldmanns in der Wiener Zeitung „Die Zeit“, einem renommierten Blatt, das Mitarbeiter wie Theodor Herzl, Bertha von Suttner, Stefan Zweig, Hermann Bahr, Felix Salten und Anton Wildgans beschäftigt, sowie in der jüdischen „Dr. Blochs österreichischen Wochenschrift“.

Während des 1. Weltkrieges verfasst Else Feldmann für den „Abend“ sozialkritische Beiträge unter der Rubrik „Bilder vom Jugendgericht“, in der sie die zum Teil desaströse Zustände in der Jugendgerichtsbarkeit dieser Zeit schildert und sich erfolgreich für Verbesserungen einsetzt.

Im „Neuen Wiener Journal“ erscheinen in den Jahren 1918 bis 1920 „Bilder von der menschlichen Seele“, in denen sie im Abseits der öffentlichen Wahrnehmung Stehende wie Kriegsversehrte, alleinerziehende Mütter und deren Kinder, Wohnungs- und Arbeitslose, Kranke, Alte, Gefangene und Prostituierte in den Blick nimmt. In den frühen 20er Jahren finden sich noch vereinzelt Beiträge in der bürgerlichen „Neuen Freien Presse“ zu ähnlichen Themen.

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Ab 1920 aber ist sie freie Mitarbeiterin der „Arbeiter Zeitung“, wo sie von da an regelmäßig publiziert. Hier erscheint der Großteil ihrer journalistischen Arbeiten sowie der Vorabdruck zwei ihrer insgesamt drei Romane: „Löwenzahn“ 1921, der 1930 in zweiter Auflage erscheint und auch ins Ungarische übersetzt worden ist - was als Indiz für ein erfolgreiches Debut als Autorin gewertet werden kann - worin sie, autobiographisch gefärbt, eine Kindheit in der Wiener Vorstadt in den letzten Jahren der Habsburgermonarchie beschreibt. Noch 1989 wird die Schriftstellerin Hilde Spiel in ihrer Autobiographie „Die hellen und die finsteren Zeiten“ an „Löwenzahn“ als ein „geliebtes, verschollenes Buch“ erinnern.

1922 ist Else Feldmann Mitbegründerin der Wiener Gruppe der von Henri Barbusse ins Leben gerufenen internationalen Vereinigung „Clarté“, einer Vereinigung zur „Bekämpfung des Krieges und seiner Folgen“, zu der neben Alfred Adler, Leonhard Frank, J. L. Stern, Bela Balázs, O. M. Fontana, Otto Neurath und Anna Nussbaum gehörten. Gemeinsam mit Anna Nussbaum, Übersetzerin und Mitarbeiterin der „Neuen Freien Presse“, gibt sie 1921 „Das Reisetagebuch des Wiener Kindes“ heraus. Dabei handelt es sich um Briefe von Kindern, die nach dem Krieg zum Zweck der Erholung nach Holland, Dänemark und der Schweiz geschickt worden sind.

Else Feldmanns vermutlich erster Roman „Leib der Mutter“ wird allerdings erst 1924 veröffentlicht und erscheint, versehen mit Illustrationen des Malers Carry Hauser, in Auszügen in der „Arbeiter Zeitung“. Protagonist ist ein aus Amerika zurückgekehrter Journalist, der sich zunächst im Armenviertel einer nicht näher benannten Großstadt einmietet, wo er Zeuge von häuslicher Gewalt, Kindsmord, Abtreibung und fortschreitender Verwahrlosung wird. Angezogen von dem Elend wird er immer weiter in diese Welt der kleinen Handwerker, Fabrikarbeiter, Kellnerinnen, Blumenmädchen, Hausierer, Zuhälter und Prostituierten hineingezogen, bis ihm schließlich seine Solidarisierung mit den Außenseitern zum tödlichen Verhängnis wird.

Gelesen werden kann dies als unterschwellige Kritik an männlichen Anführern der Sozialdemokratie, die vielfach gar nicht dem Proletariat entstammen, sondern dem Bildungsbürgertum angehören. Deren zum Teil sozialromantische Vorstellungen kontrastiert Feldmann in dem Roman mit der harten Lebenswirklichkeit der Menschen, die mitunter noch unterhalb der gesellschaftlichen Gruppe der organisierten Arbeiterschaft stehen und zeigt damit indirekt die Grenzen der sozialdemokratischen Ideen auf.

Nichtsdestotrotz nehmen die Erfolge sozialdemokratischer Reformbestrebungen in Pädagogik, dem sozialen Wohnbau und der Kultur eine zentrale Stellung in Feldmanns journalistischem Schaffen ein. Sie berichtet von den positiven Folgen der Demokratisierung des Schulbetriebes im Zuge der Bildungsreform Otto Glöckels, dem heilsamen Einfluss von luft- und lichtdurchfluteten Räumen in den neuen Gemeindebauten auf die Volksgesundheit sowie dem Selbstermächtigungspotential des freien Zugangs zu Kunst und Bildung für die Arbeiterschaft. Allerdings finden sich auch hier immer wieder eindrückliche Schilderungen von den sozialen Verwerfungen im Wien der Zwischenkriegszeit: den Zuständen in den Elendsbezirken der Stadt, den Auswirkungen von Arbeitslosigkeit und Wohnungsnot sowie der in den frühen 1920ern grassierenden Tuberkulose. Diese ist auch Thema ihrer Erzählung „Letzte Küsse“, mit der sie 1933, ex aequo mit Veza Canetti, den zweiten Platz eines Preisausschreibens der „Arbeiter Zeitung“ gewinnt.

1928 erscheint noch ein Band mit dem Titel „Liebe ohne Hoffnung“, der eine Sammlung zuvor bereits in Zeitungen erschienener Erzählungen umfasst. Mit verstärkter Einflussnahme des Nationalsozialismus verschlechtert sich die Situation Else Feldmanns aber zusehends. Mit dem Verbot der „Arbeiter Zeitung“ im Zuge der Februarkämpfe 1934 verliert sie ihre Hauptpublikationsplattform, wo ihr dritter und letzter Roman „Martha und Antonia“, als Fortsetzungsroman erschienen ist. Der Roman, in dem sie zwei für ihre Zeit typische Frauenschicksale aus dem Proletariat einander gegenüberstellt, bricht mit dem Verbot der Zeitung ab. Er befasst sich mit der zu dieser Zeit auch in der Tagespresse heiß diskutierte Frage der Prostitution und ihre gesellschaftlichen Hintergründe.

Im Wissen um die zunehmende politische Bedrohung als Jüdin übergab Feldmann ihre Manuskripte der Schauspielerin Frida Meinhardt. Ob sich der Schluss des Romans darunter befunden hat, kann allerdings nur gemutmaßt werden, da diese bis dato nicht wieder aufgefunden worden sind. Auch die erst 1933 ins Leben gerufene „Vereinigung Sozialistischer Schriftsteller“, zu deren Gründungsmitgliedern Else Feldmann gehörte, bietet keinen Schutz. Sie wird 1934 nach nur einem Jahr ihres Bestehens zwangsweise wieder aufgelöst. Wie Feldmann wurden mehrere ihrer Mitglieder Opfer der nationalsozialistischen Konzentrationslager.

Ab da gelingt es Else Feldmann, selbst kränklich und durch die Sorge für die kranke Mutter und einen kriegsversehrten Bruder zusätzlich belastet, nur mehr äußerst selten, zu publizieren. Noch im März 1934 sucht sie bei dem Amsterdamer Exilverlag, vielleicht auf Anraten von Siegfried Kracauer, mit dem sie nachweislich in Verbindung stand, oder Felix Salten  - beide Autoren des Verlags - um Aufnahme ihres Romans „Martha uns Antonia“ in das Verlagsprogramm an, bekommt aber abschlägige Antwort.

1938 werden ihre Romane auf die Liste des schädlichen und unerwünschten Schrifttums gesetzt. Am 14. Juni 1942 wird sie nach mehrmaligem Wohnungswechsel, in Folge der Delogierung aus ihrer Gemeindewohnung, von der Gestapo abgeholt und nach Sobibor deportiert.  Dort findet ihr Leben, das sich entlang gesellschaftlicher Auf-, Um- und Abbrüche vollzogen hat, nur wenige Tage später, am 17. Juni, ein gewaltsames Ende.

Und so kann der letzte Satz ihres Fragment gebliebenen Romans „Martha und Antonia“ auch als paradigmatisch für ihr eigenes Leben gelesen werden: „Aber was bleibt am Schluss aller dieser neuen Dinge? Ach, nichts ... “

Einige Bücher von Else Feldmann wurden in der jüngeren Vergangenheit wieder aufgelegt, so zum Beispiel im Verlag Edition Atelier. Von der Autorin dieses Beitrags ist im Böhlau Verlag die Arbeit „Else Feldmann: Schreiben vom Rand. Journalistin und Schriftstellerin im Wien der Zwischenkriegszeit“ erschienen.

Elisabeth Debazi studierte Germanistik in Wien und Klagenfurt. Arbeitete an dem Projekt Literatur und Kultur der österreichischen Zwischenkriegszeit mit und ist in unterschiedlichen Bereichen der Erwachsenenbildung: als Lektorin für Deutsch als Fremdsprache an der Universität Klagenfurt sowie als Trainerin im Bereich Grundbildung für Geflüchtete sowie in der Justizvollzugsanstalt tätig.  

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Kommentare

Hannah Hohloch

Liebe Frau Debazi,
mein kleiner Beitrag zu Ihrem spannenden berührenden Artikel „ÜBER DIE MENSCHLICHE NOT“ - Else Feldmann.

Wir lesen am 09. September um 17 Uhr im Else Feldmann Park im 2. Bezirk verschiedene Essays von Else Feldmann. Ich darf Ihnen hiermit einen Link senden. Die Wärmestuben sind eröffnet!“

https://youtu.be/W0OOsnDQFSk

Mit lieben Grüßen,
Hannah Hohloch